Massengrab in Simmering bei Wien - welches historisches Ereignis

flavius-sterius

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ob sensationell oder nicht, vermag ich nicht zu beurteilen.

Neue archäologische Entdeckungen

In Simmering (in oder bei Wien) wurde ein Massengrab entdeckt. Die Anthropologen ordnen die 150 Opfer einem Alter von 20 bis 30 Jahren zu. Neben den gut erhaltenen Skeletten fanden sich auch einige wenige Funde, weshalb man die Toten als römische Militärs identifiziert. Als Zeitstellung findet man in den Medien um das Jahr 95 uZ. Ein bestimmtes historisches Ereignis scheint es in den auf uns gekommenen Quellen für diesen Ort/diese Region nicht zu geben. Woher die Datierung abgeleitet wird, ist mir derzeit unklar. Oder kann man die Datierung der gefundenen Schuppenpanzerfragmente auf diese Zeit eingrenzen?

In Pannonien scheint es Ende des 1. Jahrhunderts uZ generell unruhig gewesen zu sein

wiki schrieb:
Der mit den Roxolanen verbündete dakische KönigDecebalus (ca. 85–105 n. Chr.) konnte den Jazygen Teile ihrer östlichen Gebiete im Pannonischen Becken entreißen was zu anhaltenden Spannungen um diese Ländereien führte. Als Kaiser Domitian (81–96) die verbündeten Jazygen, Quaden und Markomannen zur Waffenhilfe gegen die im Winter 88/89 in der Provinz Mösien eingefallenen Daker aufrief, verweigerten sie ihre Gefolgstreue, weshalb Domitian eine Strafexpedition gegen die Markomannen ansetzen ließ, die jedoch katastrophal scheiterte. Erst nach den für Rom verlustreichen Dakerfeldzügen und dem anschließenden kompromittierenden Friedensschluss mit Decebalus wurde für den Herbst 89 eine erneute Strafexpedition gegen alle drei treulosen Stämme entsandt, doch musste sie ergebnislos abgebrochen werden. Um seine ehemaligen Verbündeten doch noch zu schwächen, stellte sich Domitian 92/93 während der Grenzkonflikte zwischen Markomannen, Quaden und ostgermanischen Lugiern auf die Seite der Lugier. Daraufhin verbündeten sich die beiden Germanenstämme erneut mit den Jazygen und griffen Pannonien von Norden und Westen an. In Brigeto*** gelang es dabei den Jazygen, die Legion XXI Rapax zu vernichten. Noch im Jahr 92 gelang es dem herbeigeeilten Domitian jedoch, den Stamm zu besiegen.

Die Schlachten sind doch einiges weg vom heutigen Wien. Aber vielleicht war auch der Fundort von diesem Krieg betroffen.

*** an der Donau in Nordungarn, teilweise auch in der Slowakei
 
Bei „nur“ ca. 150 Opfern (falls das alle waren) wird es sich um keine „Schlacht“ gehandelt haben, die zwingend in die Quellen eingehen hätte müssen.

Zumal die Quellenlage für das späte 1. und das frühe 2. Jhdt. n. Chr. ohnehin recht schlecht ist. Von Tacitus‘ Historien ist nur der Anfang (im Wesentlichen über das Vierkaiserjahr und kurz danach) erhalten, und von Cassius Dios Werk, soweit es diese Zeit abdeckt, nur Fragmente und die Zusammenfassungen von Xiphilinos. Die Kaiserbiographien Suetons (die nur bis Domitian reichen) und der „Historia Augusta“ (die erst bei Hadrian beginnen) interessieren sich in erster Linie für die Kaiser selbst.
Ganz generell haben wir mit den meisten Quellen zur römischen Kaiserzeit das Problem, dass sie in erster Linie Kaisergeschichte waren und die Provinzen recht vernachlässigten, sofern sich nicht der Kaiser selbst dorthin begab oder etwas wirklich Spektakuläres vorfiel.

Dass ein größeres Gefecht, an dem vielleicht nur ein, zwei Kohorten oder überhaupt nur ein paar Auxiliareinheiten beteiligt waren, nicht in den erhaltenen Quellen zu finden ist, überrascht da nicht.
 
Als ich den Artikel gelesen habe, haben sich mir so einige Fragen gestellt:

  • Wieso haben sich die Knochen so gut erhalten? Das kann doch nur an der Bodenbeschaffenheit gelegen haben.
  • Warum gab es keine weiteren Funde? Gerade die Römer hatten doch überall ihre Münzen bei sich. Bei 150 Römern im Massengrab müßten doch massenhaft römische Ausrüstungsteile vorhanden sein?
  • Wer hat die Römer begraben? Das wenig pietätvolle Massengrab deutet doch darauf hin, dass es vielleicht die Feinde waren, die die Toten in eine Grube geworfen haben. Aber warum hat man sie nicht auf dem Schlachtfeld liegen gelassen? Oder waren es die Römer selber, die diese in größter Eile schnell loswerden wollten oder mußten? Vielleicht lagen sie schon einige Zeit tot auf dem Schlachtfeld und die verwesenden Leichen wurden sang- und klanglos in eine Grube geworfen? (Bei einer antiken Schlacht bei Krefeld-Gellep ist man ähnlich vorgegangen.)
Die Aussage "Auch zu anderen Kämpfen wie der berühmten Schlacht im Teutoburger Wald wurde viel archäologisch geforscht, aber während es immer wieder Waffenfunde gab, sind keine Toten von diesen Kriegszügen bekannt." ist auch nicht so richtig: gerade bei Kalkriese hat man einiges an Knochen gefunden.
 
  • Wer hat die Römer begraben? Das wenig pietätvolle Massengrab deutet doch darauf hin, dass es vielleicht die Feinde waren, die die Toten in eine Grube geworfen haben.
Nicht notwendigerweise. Denk mal an Bergamo oder New York 2020.

Die Aussage "Auch zu anderen Kämpfen wie der berühmten Schlacht im Teutoburger Wald wurde viel archäologisch geforscht, aber während es immer wieder Waffenfunde gab, sind keine Toten von diesen Kriegszügen bekannt." ist auch nicht so richtig: gerade bei Kalkriese hat man einiges an Knochen gefunden.
In Kalkriese sind aber bislang nur 17 Individuen nachweisbar. Und das nun schon seit Jahrzehnten. Zumindest hier im Forum ist das von den Zweiflern immer wieder als Argument angeführt worden.
 
Wer hat die Römer begraben? Das wenig pietätvolle Massengrab deutet doch darauf hin, dass es vielleicht die Feinde waren, die die Toten in eine Grube geworfen haben. Aber warum hat man sie nicht auf dem Schlachtfeld liegen gelassen? Oder waren es die Römer selber, die diese in größter Eile schnell loswerden wollten oder mußten? Vielleicht lagen sie schon einige Zeit tot auf dem Schlachtfeld und die verwesenden Leichen wurden sang- und klanglos in eine Grube geworfen?
Die Feinde wohl nicht. Da sich das Gefecht anscheinend auf römischem Gebiet zutrug, wird es sich wohl um einen Einfall von Germanen gehandelt haben, die die Donau überquerten. Wieso sollten sie Leichen von Feinden im Feindesland beerdigen? Zu einer dauerhaften Landnahme kam es ja nicht. Vermutlich waren sie ohnehin nur auf einem Raubzug.

Gefühlsmäßig würde ich am ehesten vermuten, dass es Römer selbst waren, die die Gefallenen bestatteten. Dass das anscheinend so hastig verlief, könnte daran gelegen haben, dass es in der Gegend unsicher war und/oder sie sich rasch zurückziehen mussten, weil noch Feinde in der Nähe waren.
 
Die FAZ schreibt:

Die Toten könnten Opfer von Gefechten sein, die in der Zeit um 90 nach Christus unter der Herrschaft des flavischen Kaisers Domitian (81 bis 96 nach Christus) in der mittleren Donauregion stattfanden. Damals erlitten die römischen Einheiten an der Nordgrenze des Reiches mehrere Niederlagen. Im Jahr 92 schlugen germanische Stämme im Gebiet von Wien eine ganze Legion vernichtend. Als Reaktion auf die Grenzkämpfe gegen Markomannen und Quaden entstand gegen Ende des ersten nachchristlichen Jahrhundert das Legionslager Vindobona, der Vorläufer des heutigen Wien.​

(Hervorhebung durch mich)

aus: Römerfund in Wien: Ein Schlachtfeld voller junger Toter

Da frage ich mich, woher die FAZ die Kenntnisse von dieser Schlacht bei Wien im Jahre 92 hat.

Im Spektrum der Wissenschaft steht etwas zur Datierung:

Mittels der Radiokarbonmethode ließ sich der Fund nur relativ grob datieren, erst die Entdeckung eines römischen Militärdolches erlaubte es den Fachleuten, das Massengrab zeitlich enger zu fassen. Dolche dieser Art seien ab der Mitte des 1. Jahrhunderts bis in die ersten Jahrzehnte des 2. Jahrhunderts hergestellt worden, erläutern die Archäologen. Auch die Wangenklappe eines Helms (in Gebrauch ab etwa 50 n. Chr.) und Teile eines Schuppenpanzers (verbreitet ab 100 n. Chr.) weisen in dieses Zeitfenster.​

Und zu meiner Frage, warum so wenig Militaria erhalten sind, steht:

Insgesamt aber wurden bei den Toten nur wenige Gegenstände gefunden, was dafür spricht, dass sie ihrer Rüstung und Habseligkeiten beraubt worden waren. Auch das gibt Anlass zur Vermutung, dass die römische Seite nicht als Sieger aus der Auseinandersetzung hervorging. Nur im Notfall bestatteten Römer ihre Toten in Massengräbern – und ein solcher Notfall scheint hier bestanden zu haben.​

aus: Ausnahmefund bei Wien: Massengrab mit 150 römischen Soldaten entdeckt
 
Die FAZ schreibt:

Die Toten könnten Opfer von Gefechten sein, die in der Zeit um 90 nach Christus unter der Herrschaft des flavischen Kaisers Domitian (81 bis 96 nach Christus) in der mittleren Donauregion stattfanden. Damals erlitten die römischen Einheiten an der Nordgrenze des Reiches mehrere Niederlagen. Im Jahr 92 schlugen germanische Stämme im Gebiet von Wien eine ganze Legion vernichtend. Als Reaktion auf die Grenzkämpfe gegen Markomannen und Quaden entstand gegen Ende des ersten nachchristlichen Jahrhundert das Legionslager Vindobona, der Vorläufer des heutigen Wien.​

(Hervorhebung durch mich)

aus: Römerfund in Wien: Ein Schlachtfeld voller junger Toter

Da frage ich mich, woher die FAZ die Kenntnisse von dieser Schlacht bei Wien im Jahre 92 hat.
Wenn eine ganze Legion vernichtend geschlagen wird, müsste es aber mehr als 150 Tote geben.

Sueton (Domitianus 6) berichtet, dass von den Sarmaten eine Legion mitsamt ihrem Legaten vernichtet worden sei, macht aber keine näheren Angaben zu Zeit und Ort.
In den Fragmenten zu Cassius Dio wird erwähnt, dass Domitianus von den Markomannen besiegt worden sei, aber auch ohne nähere Angaben zu Zeit und Ort.

Von der Legio XXI Rapax wird vermutet, dass sie 92 n. Chr. in Pannonien vernichtet wurde, da zu dieser Zeit Belege für ihre Existenz abreißen. Belegt ist das aber nicht. Ich vermute dennoch, dass sich die Zeitung darauf stützen wird: Man nehme einen Bericht über die Vernichtung einer Legion, eine verschwundene Legion und ein Massengrab bei Wien, kombiniere das und fertig ist die Vernichtung einer Legion bei Wien.
 
Zuletzt bearbeitet:
Von der Legio XXI Rapax wird vermutet, dass sie 92 n. Chr. in Pannonien vernichtet wurde, da zu dieser Zeit Belege für ihre Existenz abreißen. Belegt ist das aber nicht. Ich vermute dennoch, dass sich die Zeitung darauf stützen wird: Man nehme einen Bericht über die Vernichtung einer Legion, eine verschwundene Legion und ein Massengrab bei Wien, kombiniere das und fertig ist die Vernichtung einer Legion bei Wien

So vermutet es auch der BR:

"Es gibt Berichte von der Vernichtung einer ganzen Legion samt ihres Kommandeurs." Dabei könnte es sich möglicherweise um die XXI. mit dem Wappentier Steinbock und dem Namen "Rapax" ("die Reißende") gehandelt haben.​

 
Für die Vernichtung einer ganzen Legion sind das aber wieder viel zu wenig Leichen. Man müsste allenfalls vermuten, dass die restlichen Skelette in anderen Massengräbern liegen oder nicht überdauert haben.
 
Da wird man wohl eine C14-Datierung vornehmen, die für den betrachteten Zeitraum gut geeignet ist.
Hoffe ich.
 
Da wird man wohl eine C14-Datierung vornehmen, die für den betrachteten Zeitraum gut geeignet ist.
Hoffe ich.

s. hier:


Im Spektrum der Wissenschaft steht etwas zur Datierung:

Mittels der Radiokarbonmethode ließ sich der Fund nur relativ grob datieren, erst die Entdeckung eines römischen Militärdolches erlaubte es den Fachleuten, das Massengrab zeitlich enger zu fassen. Dolche dieser Art seien ab der Mitte des 1. Jahrhunderts bis in die ersten Jahrzehnte des 2. Jahrhunderts hergestellt worden, erläutern die Archäologen. Auch die Wangenklappe eines Helms (in Gebrauch ab etwa 50 n. Chr.) und Teile eines Schuppenpanzers (verbreitet ab 100 n. Chr.) weisen in dieses Zeitfenster.
 
Bin im Spiegel-Artikel zu der Entdeckung des Grabfeldes bei Wien


auf den Link zur Stadtarchäologie Wien gestoßen:


Dort findet sich einiges an Bildern und auch eine Pressemitteilung, in der am Ende die Literaturstellen aus der Antike erwähnt werden, die mit diesem Fund möglicherweise in Verbindung stehen:

 
Wie genau geht das mit C14 im Abstand von 2.000 Jahren?
C14 hat eine Halbwertszeit von 5.730 Jahren. Da gib ja das genannte Alter gut messbare Unterschiede. Eine dendrochronologische Kalibrierkurve gibt es auch.
Ich mein, da muss man halt ein paar größere Knochenstücke verdampfen und dann müsste man doch auf fünfzig Jahre genau herauskommen(?).
Oder wo ist der Fehler in meiner Vorstellung?
 
Wie genau geht das mit C14 im Abstand von 2.000 Jahren?
C14 hat eine Halbwertszeit von 5.730 Jahren. Da gib ja das genannte Alter gut messbare Unterschiede. Eine dendrochronologische Kalibrierkurve gibt es auch.
Ich mein, da muss man halt ein paar größere Knochenstücke verdampfen und dann müsste man doch auf fünfzig Jahre genau herauskommen(?).
Oder wo ist der Fehler in meiner Vorstellung?
Aus der von Carlos verlinkten Seite:

Die Datierung der Knochen mittels C14-Analyse ergab den Zeitraum ca. 80 bis 230 n.​
Chr., allerdings sind C14-Datierungen in diesem Zeitraum oft ungenau. Über die im Grab​
gefundenen Beigaben konnte der Zeitraum präzisiert werden​
 
Eine irritierende Tatsache:

Stadtarchäologie Wien schrieb:
Todesursachen: Verletzungen durch stumpfe und scharfe Waffen, darunter

Lanzen, Dolche, Schwerter sowie Eisenbolzen von Distanzwaffen. Die Vielfalt der

Verletzungen deutet auf ein Schlachtgeschehen und nicht auf einen Hinrichtungsplatz hin
Wenn das römische Truppen waren, wieso findet man dann Tote, die durch Eisenbolzen von Distanzwaffen getötet wurden. Hatten den die Feinde Roms an der Donaugrenze Distanzwaffen? Sollten hier Torsionsgeschosse zum Einsatz gekommen sein, dann käme eher ein innerrömischer Kampf in Frage.
 
Wenn das römische Truppen waren, wieso findet man dann Tote, die durch Eisenbolzen von Distanzwaffen getötet wurden.
Das ist mir auch aufgestoßen.
Sollten hier Torsionsgeschosse zum Einsatz gekommen sein, dann käme eher ein innerrömischer Kampf in Frage.
Welcher sollte das sein? Zwischen 70 n. Chr. und 193 n. Chr. gab es doch (abgesehen von der Usurpation des Antonius Saturninus 89 n. Chr., die sich aber nicht auf die Gegend um Wien auswirkte) keine kriegerischen innerrömischen Auseinandersetzungen.
 
Welche sollten das sein? Zwischen 70 n. Chr. und 193 n. Chr. gab es doch (abgesehen von der Usurpation des Antonius Saturninus 89 n. Chr., die sich aber nicht auf die Gegend um Wien auswirkte) keine kriegerischen innerrömischen Auseinandersetzungen.

Falls eine Datierung noch in das Vierkaiserjahr – Wikipedia (69 n. Chr.) passen würde, könnte ich mir einen Zusammenhang damit vorstellen. Möglicherweise gab es da ein Gefecht zwischen Truppen des Vitellius, die aus dem Rheinland auf dem Weg nach Rom waren, und Truppen des Vespasian.

Das ist natürlich alles nur Spekulation.

Was mich nur wundert, ist (zumindest bisher) das Fehlen von Münzen im Fundspektrum. Auch wenn die Leichen der Gefallenen geplündert wurden, so sollten doch noch irgendwo ein paar Münzen liegen geblieben sein.
 
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