@el
Dann weiß ich nicht, wie ich das "wohl wegen zu geringen Lohns" sonst zu lesen habe.
Das ist ja auch die Interpretation des Autors, der dieses Zitat gebracht hat. Du kannst dich seiner Interpretation gerne anschließen - ich tu's nicht.
Es ist ja zunächst mal jedermann einsichtig, dass einem die gebratenen Hühner nicht ins Maul fliegen, sondern, dass es Arbeit bedarf, um seine Bedürfnisse erfüllen zu können.
Genau das es ja gerade die Frage. Aus den wenigen historischen Abhandlungen über die Geschichte der Arbeit (Kocka, Conze, Ehmer) lässt sich trotz der unkritischen Darstellungen dennoch explizit nachweisen, dass die Gleichung "Arbeit=notwendige Tätigkeit für den Menschen" eine Ideologie der Aufklärung und der modernen Gesellschaft ist.
Die Vorstellung, Arbeit sei ontologisch und essentiell mit unserem Überleben verknüpft, rührt daher aus einer spezifisch modernen Verabsolutierung der Arbeit. De facto aber ist Arbeit - in unserer modernen Gesellschaft wie vermutlich auch bereits in der Antike - ein Synonym für marktabhängige Tätigkeit. In der modernen Gesellschaft aber wurde dieser "enge Arbeitsbegriff" (Ehmer) totalisiert, um es mal polemisch auszudrücken. Zwanghafte Tätigkeit für den Markt und für Lohn - sprich: Arbeit - sollte zur natürlichen und menschennotwendigen Tätigkeitsform werden. Und genauso denken wir heute auch. Wir glauben, dass die kapitalistische Tätigkeits
form - Arbeit - die normalste Sache der Welt sei.
Wir benennen heute die kapitalistische, zwanghafte Konnotation der Arbeit nicht mehr explizit, aber sie wird weiterhin implizit vorausgesetzt.
Dabei widerspricht diese moderne Arbeitsideologie schlichtweg der ökonomischen Realität.
Denn wenn Arbeit gleich jede menschliche Tätigkeit und eine Naturnotwendigkeit ist, warum gibt es dann Arbeitslose, Zwangsarbeit für Arbeitslose, Ekel vor der Arbeit?
Warum wurden in der FNZ Menschen mit Zwang zur Arbeit erzogen (Stichwort Arbeitshaus/Sozialdisziplinierung)? Weil sie etwas völlig Natürliches ist?
Dass Menschen produzieren und tätig werden müssen, um zu überleben, ist eine Banalität und steht auch nicht zur Diskussion.
Aber die Tätigkeiten eines Menschen stehen niemals individualistisch für sich allein, sondern sind stets gesellschaftlich vermittelt.
Dass man, um Brot herzustellen, Getreide anbauen, ernten, schroten und das Mehl backen muss, bedarf keiner Erklärung. Aber in dieser "reinen" Form kommt die (Re-)Produktion des Menschen eben nicht vor. Wie Menschen produzieren und tätig sind, hängt von der Gesellschaft ab, in der sie leben.
Es ist ein Unterschied wie Tag und Nacht, ob ich für mich oder andere Essen koche, oder ob ich Essen koche, weil es ein ominöser Markt von mir verlangt, damit ich Geld bekomme und damit ich mir davon Essen kaufen kann, was ich koche. Die Selbstbestimmung beim Essen kochen für mich oder andere ist sehr hoch, die Arbeit "Essen kochen" hingegen tendiert gegen Null.
Diese Betrachtung der Arbeit ist keineswegs neu, sondern wird in manchen Publikationen angesprochen.
Leider tun viele Ottonormalverbraucher diese Betrachtungsweise als semantische Wortspielerei ab. Aber genau das ist es ja nicht.
@brissotin
Grundsätzlich kann ich auch trotz des Zitats von Krusk nicht erkennen, dass es den Werktätigen um die Ablehnung der Arbeit grundsätzlich ging, sondern vielmehr um gerechte Entlöhnung aus ihrer Sicht.
Das steht aber nicht in der Quelle. Das interpretiert der Autor (Hinze).
@el quichote
Je komplexer die Welt ist, desto mehr Bedürfnisse entwickelt der Mensch (A. Maslow) kann aber durch seine Arbeitskraft all seinen Bedürfnissen nicht mehr gerecht werden, ergo muss die Arbeitsleistung geteilt werden, es entstehen Spezialberufe. Obwohl ich keine Schweine mehr züchte und keine Häuser mehr baue, kann ich dennoch in einem Haus leben und bekomme auch etwas zu essen. Dafür leiste ich andere Dinge.
Ja, das ist ein liberales kleinbürgerliches Märchen, das höre ich immer wieder. Lohnarbeit oder generell Arbeit sei nunmal notwendig, weil die Bedürfnisse irgendwie voll komplex sind und der Mensch halt nicht alles alleine machen kann. Das ist richtig, nur will mir nicht einleuchten, warum es der Lohnarbeit oder generell der Arbeit bedarf, um dieser Komplexität gerecht zu werden. Historisch gesehen ist die (Lohn-)Arbeit eine Seltenheit in der Geschichte der Menschheit. Zwar gab es sie bereits in der Antike, aber einen wesentlichen gesellschaftlich bestimmenden Stellenwert erhielt sie erst im Laufe der FNZ.
Dieses bürgerliche Ammenmärchen verhöhnt übrigens den tatsächlichen Geschichtsverlauf. Die (Lohn-)Arbeit breitete sich nicht aufgrund komplexer Bedürfnisse aus. Im Gegenteil: Die Forderung nach mehr Arbeit kam von geldgierigen Feudalherren und kriegstreiberischen absolutistischen Staatsfürsten, während viele Unterschichten gar keinen Bock auf mehr Arbeit oder gar Lohnarbeit hatten. So musste halt der militärische Druck her, um die Bevölkerungsmassen direkt oder indirekt aus ihrem Subsistenzleben in die Lohnarbeit zu pressen. Diverse Quellen, in denen die Faulheit und Arbeitsverweigerung der Unterschichten beklagt wird, in denen von aufmüpfigen Personen die Rede ist, in denen bezeugt ist, dass tatsächlich oder vermeintlich faule Personen in Arbeitshäuser gesteckt wurden, wo sie - laut Quellen aus dem Amsterdamer Arbeitshaus - unter Androhung von Folter und Nahrungsentzug lernen mussten, wie schön es doch sein kann, sinnlos zu arbeiten. Die Geschichte spricht irgendwie nicht ganz die Sprache, die uns das bürgerlich-liberale Märchen von der historischen Entwicklung zur Arbeit erzählen will.