Mexikanisches Silber und die napoleonischen Kriege

silesia

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Ich habe kürzlich eine wirtschaftshistorische Darstellung in den Händen gehabt, die speziell die Silberzuflüsse (und sonstigen Einnahmen) Großbritanniens aus dem mittelamerikanischen Raum dargestellt hat.

These war, dass die Kriege für Großbritannien ohne dieses System der Silberzuflüsse nicht durchhaltbar gewesen wären, andererseits führte dieses zum Kollaps Spaniens.

So betrug der Silberzufluss über ein "neutrales", extrem verschachteltes Firmen- und Kontraktsystem mit Gordon&Murphy bzw. Hope House (erinnert an neuzeitliche Holdingkonstruktionen globaler Player :D ) zwischen Dez.1806 und Febr. 1808 rund 17 Mio. GBP. Nimmt man als Massstab den gesamten britischen Verteidigungshaushalt 1807 von rd. 41,4 Mio. GBP, wird der Anteil deutlich. Das verbleibende (gepufferte) Staatsdefizit 1807 betrug rd. 19 Mio. Neben dieser "Deckungsfunktion" konsolidierte der "Silberstrom" auch den Dreieckshandel GB/Indien/China.

Die "Umleitung" des finanziellen transatlantischen "Mahlstroms" mit dem Bruch der Einnahmenentwicklung zwischen 1760/88 (Karl III., mit einer finanziellen Konsolidierung bzw. Wiedererstarken des Empire) und 1798/1808 (Karl IV., bis zum finanziellen Zusammenbruch) sei folglich ein wichtiger Faktor in den napoleonischen Kriegen gewesen.

Marichal, Bankruptcy of Empire - Mexican Silver and the Wars Between Spain, Britain, and France, 1760–1810
 
Ich verstehe nicht ganz, wie GB an das mexikanische Silber kam. Bis zum Coup d'Etat von Bayonne war Spanien mit Frankreich verbündet und dementsprechend mit GB im Clinch. Die mexikanische Unabhängigkeitsbewegung wurde eigentlich erst durch Absetzung des spanischen Königshauses angestoßen, erste militärische Auseinandersetzungen gab es nach dem Grito de Dolores 1810 aber bereits 1811 war die Unabhängigkeitsbewegung geschlagen und ihre Politiker befanden sich gewissermaßen auf der Flucht (was sie nicht daran hinderte, noch bis 1814 zu wirken).
Erst 1821 konnte die mexikanische Unabhängigkeit durchgesetzt werden.
 
Ich verstehe nicht ganz, wie GB an das mexikanische Silber kam. Bis zum Coup d'Etat von Bayonne war Spanien mit Frankreich verbündet und dementsprechend mit GB im Clinch. Die mexikanische Unabhängigkeitsbewegung wurde eigentlich erst durch Absetzung des spanischen Königshauses angestoßen, erste militärische Auseinandersetzungen gab es nach dem Grito de Dolores 1810 aber bereits 1811 war die Unabhängigkeitsbewegung geschlagen und ihre Politiker befanden sich gewissermaßen auf der Flucht (was sie nicht daran hinderte, noch bis 1814 zu wirken).
Erst 1821 konnte die mexikanische Unabhängigkeit durchgesetzt werden.

Mit diesem "Trick", siehe oben:

"To ensure that royal trade with the royal monopolies in New Spain could continue despite naval defeats, the minister of finance at Madrid arranged a series of private supply contracts in 1806 with various international merchant houses – among which the Anglo-Spanish commercial house of Gordon & Murphy was outstanding. The contracts made these merchants responsible for official shipments to Mexico and, at the same time, provided them with permits for exports of bullion from Veracruz, to be sent to Europe and the Spanish General Treasury..."

Die verschachtelten Konstruktionen sind kaum zu überblicken. Ein grober Überblick:

Marichal, S. 200 (von G&M ging es dann weiter auf die britischen Silbertransporter, Marchial bringt hier Transportlisten):
 

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Also hat der spanische Finanzminister gewissermaßen wissentlich den Briten geholfen, den Krieg gegen Spanien zu finanzieren? Dass Napoleon 1808 in Bayonne einen Staatsstreich gegen Spanien unternehmen würde und die Engländer von den größten Feinden Spaniens plötzlich zu den wichtigsten Verbündeten würden, war ja nicht abzusehen.
 
Also hat der spanische Finanzminister gewissermaßen wissentlich den Briten geholfen, den Krieg gegen Spanien zu finanzieren? Dass Napoleon 1808 in Bayonne einen Staatsstreich gegen Spanien unternehmen würde und die Engländer von den größten Feinden Spaniens plötzlich zu den wichtigsten Verbündeten würden, war ja nicht abzusehen.

So muss man das wohl sehen.

Hintergrund waren die zunehmend drastischen Finanzprobleme der Spanischen Krone, die ab 1790 dafür sorgten, dass das Vizekönigreich sozusagen allein klar kommen musste. Man ließ die mehr oder weniger laufen, so dass sich Geschäfte mit den Briten - sicher "befördert" durch die präsente Seemacht - geradezu anboten. Die wiederum kamen rechtzeitig für die britischen Staatsdefizite und die explodierenden Kriegskosten in Europa.
 
Gelegentlich waren die Briten auch wesentlich direkter: Am 3. Oktober 1804, kaperte eine britische Flotte einen Verband von 4 spanischen Fregatten die vom Rio de la Plata nach Cadiz liefen. 3 Schiffe wurden erobert, eines explodierte. Die Beute betrug ca. 1.000.000 Pfund in Silber. Die Kriegserklärung erfolgte erst am 12. Dezember 1804, es war also ein Akt der blanken Piraterie.

Das nach der Kriegserklärung Handelsbeziehungen weiter bestanden kann, neben der Not die aus der Seebeherrschung durch die RN entstand, auch mit bestimmten Materialien zusammenhängen: In der Graphik wird verschiedentlich auf Quecksilber hingewiesen. Dieses war unabdingbar für die Silber und Goldgewinnung. Mich wundert, dass die Briten es lieferten denn es wurde in Spanien (Almaden) und in Peru (Huancavelica) abgebaut.
 
Zuletzt bearbeitet:
...Die Kriegserklärung erfolgte erst am 12. Dezember 1804, es war also ein Akt der blanken Piraterie.

Darüber wurde doch schon mal diskutiert, das ist etwas dick aufgetragen. Die pösen Priten sahen das etwas anders und beriefen sich auf den ...

Friede von Amiens:

"Article I: There shall be peace, friendship, and good understanding between ... his majesty the king of Spain, ... and his majesty the king of the united kingdom of Great Britain

Article XXI. The contracting parties promise to observe sincerely and faithfully all the articles contained in the present treaty, and will not suffer any sort of counteraction, direct or indirect, to be made to it by their citizens, or respective subjects; and the contracting parties guaranty, generally and reciprocally, all the stipulations of the present treaty."

Nach den geheimen französisch-spanischen Absprachen hatte Spanien den Krieg gegen Großbritannien jährlich mit 72 Mio. Francs zu finanzieren (Vertragsbruch 1), die "Schatzflotte" 1804 war außerdem für die spanische Kriegskasse bestimmt, die Ankunft der Schiffe sollte die spanische Kriegserklärung (Vertragsbruch 2) auslösen. Die Kriegserklärung fand dann so auch ohne die Ankunft der Schiffe statt.:devil:

Seit 1625 und Hugo Grotius war übrigens das Recht anerkannt, auf einen bevorstehenden Angriff zu reagieren. Der "Intelligence Service" lieferte dafür den Hinweis.
 
Alles nachträgliche Ausreden des perfiden Albions! :D

Entspricht ungefähr der Argumentation der Japaner zu Pearl Harbor.
 
Interessant! Nur kann ich die Schlussfolgerung nicht ganz verstehen.

Ausgangspunkt für den Silberstrom ist die "Royal Treasury Mexico".
Endpunkt die "Caja de Consolidacion Madrid".
Natürlich geht aus dem Schaubild nicht hervor, ob und falls ja welche Mengen wo abgezweigt werden. Die britische Staatskasse kommt jedenfalls nicht darin vor. Einen direkten finanziellen Zufluss zu den britischen Kriegsanstrengungen kann ich hieraus allein nicht erkennen.

Könnte es sich hier nicht eher um ein Konstrukt handeln, die Einnahmen aus dem mexikanischen Silber zunächst über - nunja - neutrale bzw. für den Gegner unantastbare Zwischenhändler sicher über den britisch beherrschten großen Teich zu transportieren? Nach dem Motto: Transport über spanische Schiffe ist zu gefährlich bzw. mit zu großen Verlusten verbunden. Also eher auf den wesentlichen Transitstrecken die Linie Jamaica - London - Lissabon - Jamaica, bzw. - Hamburg - Mexiko benutzen, weil es sich hier um neutrale, britische oder mit den Briten befreundete und damit für die RN unantastbare Transportmedien handelt?

Wenn Murphy & Gordon ihre unzweifelhaften Gewinne aus den Transaktionen natürlich in britischen Staatsanleihen angelegt haben - wovon auszugehen sein dürfte - dann liegt sicherlich hier der wesentliche Beitrag zu den britischen Kriegsanstrengungen. Diese waren m. E. massiv durch Kredit finanziert, was jedoch super ging, da die britische Regierung diesen Kredit auch hatte.

Sollten meine Annahmen hier zutreffen, ist hier ggf. allenfalls eine indirekte Unterstützung des Feindes verborgen. Ggf. hat dann die spanische Krone nach dem Motto gehandelt: "Lieber den Feind mit 20% meiner Einnahmen unterstützen, als ihm 80% zuzuspielen oder selbst auf alles verzichten müssen." Schließlich war Spanien ja in einer prekären finanziellen Lage, musste den Franzosen, den bösen aushalten und woher nehmen, wenn nicht schmuggeln?
 
Oben habe ich verkürzt dargestellt. Die Silbermenge für 1806/07 floss über britische Kriegsschiffe nach England. Die Handelsgesellschaft war zwischengeschaltet.
 
Das war aber relativ üblich, dass Kommandanten britischer Kriegsschiffe im Auftrag Edelmetalll transportierten. Das war eine akzeptierte Form der persönlichen Bereicherung und gleichzeitig quasi-idealer Schutz. Diverse Handelshäuser sollen das wohl auch als Belohnung für Kommandanten arrangiert haben, die sich um z. B. den Schutz ihrer Schiffe verdient haben. Es gab einen festgeschriebenen Anteil des Wertes, den der Kommandant für diese Transporte bekam. Die genaue Höhe müsste ich nachschlagen, aber sicher was um und bei 3-5%.

Im Falles unserer Spanier werden werden die Kommandanten das Silber vermutlich nach Eintreffen in England an einen Vertreter von Murphy und Gordon gegeben haben? In diesem Falle war auch dieser Teil der Transaktion ein privates Geschäft ohne, dass die britische Staatskasse was abbekommen hätte.
 
Habe hier jetzt noch was zum Thema gefunden:
Knight, Roger, Britain Against Napoleon. The Organization of Victory 1793-1815, London 2013. Das folgende Referat basiert auf den Seiten 405-406. Es geht bei diesem ganzen Konstrukt darum, wie die spanischen "Zwangs-"Subsidien für Frankreich nach Frankreich kamen:

[S. 405]: Napoleon zwingt Spanien 1803 in den "Treaty of Subsidies". Das hier zugesagte Silber hatten die Spanier nicht in Europa, sondern mussten es erst aus Mexiko ranschaffen. Die erste Lieferung war ebendiese, die - wie von Bdaian geschildert - von den Briten 1804 noch vor einer Kriegserklärung hopps genommen wurde. Der Rest des Silbers kam über komplizierte internationale Handelsbeziehungen [nur virtuell] nach Frankreich. [406] Das komplexeste dieser französischen Konstrukte zwischen 1805 und 1808 war der "Hope-Baring contract". Der Banker Ouvrard nahm es in die Hand, sich über die tatsächliche Anlieferung des spanischen Silbers zu kümmern. In diesem Rahmen war auch die [Wikipedia: niederländische] Bank Hope & Co beteiligt.
Als Gegenleistung für das Edelmetall wurden in 38 [vermutlich neutralen] Schiffen Waren nach Vera Cruz verschifft - und zwar vornehmlich britische Textilien. Zur Risikoreduzierung kam das spanische Silber in Form von Kaffee, Zucker und anderer tropischer Produkte nach Frankreich.
[Ich vermute, dass das Silber zunächst bei Mittelsmännern in den USA blieb bzw. im Gegenzug für o. a. Kaffee, Zucker etc. in Privateigentum der Handels- und Bankhäuser überging. Unterm Strich sieht das für mich grob vereinfacht so aus: Spaniens Subsidien an Frankreich sehen dergestalt aus, dass es nicht-spanische europäische Waren nach Mexiko importiert und diese in Silber an Frankreichs Mittelsmänner bezahlt. Diese investieren dieses Silber sofort in tropische Ware - nicht gern, aber um das Risiko zu minimieren. An dieser Stelle ging das Silber nach meinem Verständnis in Privatbesitz "irgendwelcher" Handelshäuser/Banken über, während das Äquivalent des Subsidienwerts (nach Abzügen all dessen, was Kaufleute so abziehen) in Form von Naturalien nach Frankreich ging.]

Für die letzte Phase kam das Londoner Haus Barings ins Spiel. Barings und Hope waren auch verwandtschaftlich verbändelt. Sir Francis Baring erhielt auf Anfrage die Erlaubnis der britischen Regierung, das Silber aus Mexiko zu verschiffen und erhielt sogar für die allerletzte dieser Reisen im Juni 1807 die Fregatte Diana zur Verfügung gestellt. UND NU KOMMTS: [p. 406:] "For, although the specie was eventually going to the enemy [fett durch mich], the merchants had secured a far more valuable asset from the Spanish government than a single cargo: British merchants could now trade with the Spanish American empire." Zu deutsch: Obwohl die Edelmetalle schlussendlich an den Feind gingen, hatten die [britischen] Kaufleute im Gegenzug seitens der spanischen Regierung ein Zugeständnis erhalten, das sehr viel wertvoller war, als eine einzelne Fracht: Britische Kaufleute konnten nun [wenigstens indirekt] mit Spanisch Amerika handeln. [eine Art 'Heiliger Gral', den die britische Politik seit mindestens 100 Jahren bis dahin erfolglos gesucht hatte.] Die Ladung der Diana allein hatte einen 828 792 Pfund Sterling, der übrigens auch von Lloyd's versichert wurde.
Hiermit dürfte es sich um die oben erwähnte Einbeziehung der RN handeln?

Ergo: Von diesen Edelmetallen floß NICHTS direkt an die britische Krone. Nichtsdestoweniger hatten die Franzosen die Konzession machen müssen, dass vom Transfer ihrer spanisch-mexikanischen Subsidien britische Banken und Handelshäuser profitierten. Dies taten sie direkt und indirekt auf Kosten der französischen Kriegskasse. Und nicht - wie oben angedeutet - auf Kosten der spanischen. Durch diese Kooperation wurden mit Sicherheit auch die britischen Kriegsanstrengungen gestärkt: Der neue Absatzmarkt in Spanisch Amerika wurde zu einer Zeit erschlossen, als der britischen Industrie mehr und mehr Märkte auf dem europäischen Kontinent wegbrachen.

[S. 407] Ein weiterer [!] großer Edelmetallvertrag wurfe Mitte 1806 abgeschlossen. In diesem bezahlte das Schatzamt Mexikanische Dollars, die die Händler Gordon & Murphy und die Irving Reid Bank beschafften, die einen weiteren Vertrag mit der spanischen Regierung abgeschlossen hatten. [Leider folgen hier keine weiteren Einzelheiten mehr. Ich vermute aber, dass hier ähnliche Vertragsgegenstände wie oben geschildert am Werke waren. Es ging aus Sicht der britischen Regierung hier womöglich in erster Linie darum, im Tausch gegen Papiergeld and Silber zu gelangen, dass Spanier und Franzosen vor der RN in Sicherheit bringen wollten.]
 
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