Mobilmachung/Grenzverletzungen August 1914: Smoking Guns?

Über "Prinz Eitel Friedrich" habe ich nur Zeitungsmeldungen unter Berufung auf das Wolffsche Telegraphenbüro gefunden...
An der Stelle ist etwas bei der Digitalisierung schief gelaufen, aber da von der Stettiner Dampfer-Compagnie nach anderen Quellen 5 Schiffe von den Russen beschlagnahmt wurden, kann es sich bei der verstümmelten Stelle wohl nur um PEF handeln. Und die Geschäftsberichte dürften propaganderesistent sein.

Ist vermutlich eine Propagandalüge.
Da die Funkanlage zerstört worden ist, und die Passagiere über drei Ecken (Norwegen) nach Deutschland gebracht worden sein sollen, kann es am 12.8. keine Informationen im Reich gegeben haben. Nach amtlicher russischer Meldung über Prisen an das Deutsche Reich vom 29.8.1914 wurde das Schiff am 1.8. in Petersburg beschlagnahmt. Vor Reval herrschte im Übrigen ab 28.7. (siehe unten Marine-Archiv) bereits erhöhter Sicherheitszustand mit Schutzzonen und Verdunkelung. Sollten die da in ein Sperrgebiet reingefahren sein, würde mich andererseits auch eine Beschlagnahme nicht wundern.

Abseits davon habe ich im Standardwerk Abert, Die deutschen Handelsmarine 1870/1970 nachgeschlagen. Auch danach beschlagnahmt am 1.8. in St. Petersburg. Dort ist der Lebenslauf des Schiffes bis zum Stranden im Roten Meer 1958 ausgewiesen. Mehr hier unter dem späteren Namen "Lyra":
D/S Lyra - Norwegian Merchant Fleet 1939-1945

Während die Nachkriegs-Propagandawerke wie "Die Deutsche Flotte im Weltkriege" den Vorgang für den Beleg verwenden, wer als erster kriegerische Handlungen ausgeführt hat, ist im Marine-Archiv, Der Seekrieg in der Ostsee, Band 1, darüber nichts zu finden, was mich auch als erstes misstrauisch gemacht hat
 
Zuletzt bearbeitet:
Auch danach beschlagnahmt am 1.8. in St. Petersburg. Dort ist der Lebenslauf des Schiffes bis zum Stranden im Roten Meer 1958 ausgewiesen. Mehr hier unter dem späteren Namen "Lyra":
D/S Lyra - Norwegian Merchant Fleet 1939-1945

Es gibt sogar ein Bild von ihr:
Sjhistorisk database - Alle mnstringsdistrikt.
aber keine tieferen Informationen zum Thema.
1.8. beschlagnahmt, danach Truppentransporter, 1915 umgebaut und -getauft zum Minenleger "Ural, 1921 an die Deutschen zurueckgegeben, etc. Die arme wurde umgetauft ohne Ende...OT/aus

Die o.g. Story von der Beschlagnahme in Reval am 30.07. findet sich laut einer Internet-seite "stahlgewitter.com" in der Frankfurter Zeitung vom besagten 12.August.

Gruss, muheijo
 
Zuletzt bearbeitet:
Bei McMeekin lese ich zur Kriegsvorbereitungsphase:

In Phase 1, die übrigens ohne Unterschrift des Zaren in Kraft gesetzt werden konnnte, sondern nur die des Kriegsministers Suchomlinow benötigte, sah die Einberufung von Reservisten vor. Aus der territorialen Reserve sollen Truppen zur Sicherung der Grenzen, der Nachrichtenwege, der Telegrafenleitungen und andere Objekte von militärischer Bedeutung geildet werden. Weiterhin umfasste Phase 1 die rückkehr der Kriegsschiffe in die Heimathäfen und ihre Aufrüstung für den Krieg. Aufhebung sämtlicher Urlaube, Neubecshlagung sämlticher Pferde, Inhaftierung Verdächtiger, Verlagerung von Geld- und Wertpapierbeständen aus den Grenzgebieten ins Landesinnere, Bemannung von Grenzposten und die Unterweisung von Frontruppen.

In Phase 2 wurden weitere Reservisten einberufen. Sie sah das Verminen russicher Häfen, Ankauf von Pferden, Abtransport von Angejörigen von Offiziersfamilien aus den Grenzgebieten und auch die Requirieung von schmaspurigen Schienfahrzeugen vor. Diese genannten Maßnahmen der Phase benötigen ebenfalls nur die Unterschrift Suchomlinows. Es wurde für ganz Russland eine strenge Zensur verhängt und das bei einem "angeblichen" Signal an die Mittelmächte.

In der Tat, der Schritt zur Mobilmachung war nur noch ein ganz kleiner und das schon ab den frühen Morgenstunden des 26.Juli 1914. Die Serben hatten zu diesen Zeitpunkt noch gar nicht ihre Antwortnote auf das Ultimatum an Österreich-Ungarn überreicht.

McMeekin bezieht sich bei seinen Ausführungen auf
Hoeniger, Russlands Vorbereitung zum Weltkrieg und den schon von kwschaefer genannten Fay, The Origins of the World War Bd. 2
 
Zuletzt bearbeitet:
Kriegsvorbereitungsphase:
In Phase 1...In Phase 2... Es wurde für ganz Russland eine strenge Zensur verhängt und das bei einem "angeblichen" Signal an die Mittelmächte...
In der Tat, der Schritt zur Mobilmachung war nur noch ein ganz kleiner und das schon ab den frühen Morgenstunden des 26.Juli 1914.

Erklært diese fruehe, quasi geheime Kriegsvorbereitungsphase dann auch, dass die Deutschen ueberrascht waren von der Schnelligkeit der russischen Mobilmachung? Es wuerde ja so nicht mehr wundern, wenn man in der Kriegsvorbereitungsphase mehr oder weniger schon das meiste erledigt hat...(was fehlt eigentlich noch zur vollen Mobilmachung?)

Gab es im DR auch diese Unterteilung Kriegsvorbereitungsphase / Mobilmachung? Wenn ja, wann wurde ersteres in Gang gesetzt?

Gruss, muheijo
 
(was fehlt eigentlich noch zur vollen Mobilmachung?)
Die öffentlich Bekanntgabe beispielsweise in Form von Plakaten und dann sicher die Bekanntgabe der Gestellungsorte der noch einzuziehenden Reservisten.


Erklært diese fruehe, quasi geheime Kriegsvorbereitungsphase dann auch, dass die Deutschen ueberrascht waren von der Schnelligkeit der russischen Mobilmachung?
Das spielte sicher eine Rolle.


Gab es im DR auch diese Unterteilung Kriegsvorbereitungsphase / Mobilmachung? Wenn ja, wann wurde ersteres in Gang gesetzt?
Im Deutschen Reich gab es den Zustand der drohenden Kriegsgefahr. Grundlage hierfür war der Artikel 68 der Reichsverfassung, in dem es heisst:

"Der Kaiser kann, wenn die öffentliche Sicherheit in dem Bundesgebiete bedroht ist, einen jeden Theil desselben in Kriegszustand erklären. Bis zum Erlaß eines die Voraussetzungen, die Form der Verkündigung und die Wirkungen einer solchen Erklärung regelnden Reichsgesetzes gelten dafür die Vorschriften des Preußischen Gesetzes vom 4. Juni 1851."

Meines Wissen wurde aber ein entsprechendes Reichsgesetz nie erlassen.

Der Zustand der drohenden Kriegsgefahr wurde im Deutschen Reich am 31.Juli 1914 verkündet.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die öffentlich Bekanntgabe beispielsweise in Form von Plakaten und dann sicher die Bekanntgabe der Gestellungsorte der noch einzuziehenden Reservisten.

Man sollte konkretisieren, was Mobilmachung und darin inkludierter Aufmarschplan bedeutet. Dann kann man gegenüberstellen.

Der russische MobPlan 19 "revised" ersetzte Plan 19 und war Kompromiss im Übergang zum MobPlan 20, geplant ab 1.1.1915.

Das bedeutet: Aufmarsch von Dutzenden Korps an der Westfront, die durch das reich verschoben werden, Millionen Reservisten, rollende 218.000 Eisenbahnwaggons mit 350 bis 450 Zügen täglich über 30 Tage, einige hunderttausend Tonnen Material sowie Hunderttausende Pferde in den Aufmarschräumen mit Schwerpunkt im Südwesten. Wochenlange "Kriegsspiele" mit detaillierten logistischen Planungen stehen dahinter, wie zuletzt in Kiwe im April 1914. Authorisierung in jedem Fall durch den Zar erforderlich. Offensivkapazität, wie gewünscht - Defensivkapazität, wie vorgesehen ->operatives Niveau.***

PPtW hat mit diesem Massenvorgang im Aufmarsch nichts zu tun, war insbesondere keine Konzentration im Aufmarschraum, was auch allen klar war (siehe zB Moltke im Memorandum vom 28.7. über die russische "Kriegsvorbereitungsphase")*. Die Kriegsvorbereitungsphase als "Zustand" gab es bei allen Großmächten in der Planung. Sie diente in Russland insbesondere dazu, die früheren Mobphasen vor 1910 von 45-60 Tagen abzukürzen,** wenngleich für den Aufmarsch 25 Tage viel zu ambitioniert waren. Sowohl Liste 1 wie 2 sind im Kern abgestufte Sicherungsmaßnahmen, von den militärischen Einrichtungen bis hin zum rollenden Material, insbesondere nicht der Aufmarsch selber.

* wobei die deutschen Planungen (Schlieffen-Moltke-Plan) ohnehin vom verkürzten russischen Mobzeitraum 25 bis 30 Tage ausgingen, also ausgerufene Kriegsvorbereitungsphase sozusagen voraussetzten. Die von Moltke wegen der Phase ausgerufene Hektik steht insoweit im Widerspruch zur eigenen "Feldzugplanung" West.
** diese Bedeutung hatte zB die deutsche Kriegsvorbereitungsphase nicht in gleicher Weise, weil es hier um einen besser ausgebauten und kleineren geographischen Raum ging
*** operatives Niveau: mit der Generalmobilmachung in Russland wurde Plan 19A noch im Aufmarsch leicht verändert, mit Schwerpunkten und Reservenbildung.
 
silesia schrieb:
Man sollte konkretisieren, was Mobilmachung und darin inkludierter Aufmarschplan bedeutet. Dann kann man gegenüberstellen./QUOTE]

Mit man meinst du wohl mich; ich habe einen Namen. Und danke für den freundlichen Hinweis.
 
Mit man meinst du wohl mich; ich habe einen Namen. Und danke für den freundlichen Hinweis.

Sorry, falls das unfreundlich verstanden sein sollte.

Mit "man" ist die Diskussion gemeint, die ja über das Forum hier weit hinausreicht.

Fay ist zitiert, es gab seinerzeit keine Studien über die russische Armee, und die exakten Planungen (wie zB Menning, etc.). Gemeint ist auch die deutsche Seite, die sich stückchenweise zB aufgrund erbeuteter Materialien ein Bild zu machen versuchte.

Gemeint ist auch die aktuelle Literaturdiskussion, bis hin zu Stevenson (Meaning of Mobilization), oder "the russian Mobilization in 1914", in Kennedys War Plans of the Great Powers oder Hamilton/Herwig. Hier ist nur wenig vom aktuellen Literaturstand über die russische Armee verarbeitet.

Auch diese eher strategischen Studien über die Rolle der Mobilisierung im Kriegsausbruch, Cult of Offensive etc. gehen kaum auf die materiellen Inhalte ein.

Die Diskussion über die obige PPtW ist uralt, und auch älter als Fay bereits deutsche Nachkriegsliteratur problematisierte die Frage, ob das dem Mobfall gleichzusetzen wäre. Hintergrund: der Zeitpunktstreit und die Frage, wer Schuld ist.

Stevenson sieht das noch unter einem anderen Blickwinkel: die unterschiedliche Bedeutung von Mobfällen 1914. Ob der russischen Seite der äußerst straffe deutsche Zeitplan bekannt war, mit dem Schlieffen-Moltke-Plan, bei dem in den letzten Tagen vor Kriegsausbruch der militärische Zeitplan die politischen Reaktionsmöglichkeiten dominierte? Und die unterschiedliche Strukturierung der Heere. Das russische könnte theoretisch wochenlang untätig und quasi unversorgt im Mobzustand hundert Km hinter der Grenze verharren - für das deutsche Heer undenkbar.*

Das war also keine persönliche Kritik, sondern ein Hinweis auf McMeekins altem Wein in neuen Schläuchen.

* das alles wird höchst strittig diskutiert.
 
Zuletzt bearbeitet:

Anhänge

  • digiview.gbv.de-1.jpg
    digiview.gbv.de-1.jpg
    218,9 KB · Aufrufe: 556
Ich denke nicht!
Anbei der Bereicht der Reederei aus Hansa - Deutsche Nautische Zeitschrift 1915 S.161

Jetzt fand ich noch einen anderen Hinweis:
Es gibt eine Internetseite des Ortes Ziegenort in Pommern.
Dort findet sich folgender Eintrag ueber festgehaltene Seeleute:

"in Reval

9.) Auf Dampfer , Prinz Eitel Friedrich ", Stettin,
Steward Otto Pust
Maschinen - Assistent Max Stieper am 31.7.1914"

Allerdings, und das ist wieder spannend, gab es dann møglicherweise wohl eine ganze Reihe anderer Schiffe, die schon vor dem 01.August wenn nicht beschlagnahmt, so doch jedenfalls festgehalten worden sind:
(unterstellt, dass das Festhalten von Seeleuten auch fuer das Schiff gilt)

a) in Riga festgehalten :

1. Auf Dampfer ,Falk" , Reederei Griebel - Stettin,
Schiffzimmermann Otto Bölk , am 21.7.1914.

2. Auf Dampfer ,Käthe" , Reederei ? = Memel,
Maschinist Otto Frengler am 24.7.1914.

3. Auf Dampfer ,Käthe-Martha", Reederei W.Sprenger-Stettin,
Schiffszimmermann Karl Schultz
Leichtmatrose Wilhelm Vormelker
Heizer Paul Kroß

Im Jahre 1921 wurden folgende Dampfer nach dem Ersten
Handelsschiffabkommen zur Bewirtschaftung Herausgegeben.
Dampfer Falk, Harz, Oliva, Kurland, Cöln, Prinz Eitel Friedrich, Marienberg und Lissabon.

b) in Petersburg festgehalten :

4. Auf Dampfer , Kurland " , Reederei Haubaß - Stettin,
Schiffskoch Karl Dörr
Matrose Karl Wroblensky am 28.7.1914

5. Auf Dampfer , Greif " , Reederei Griebel - Stettin,
Schiffskoch Ernst Dierberg am 2.8.1914

6. Auf Dampfer , Petersburg " Stettin ,
Maschinist Willi Gnirk am 27.7.1914

7. Auf Dampfer , Wolga" Stettin,
Maschinist Karl Korn
Heizer Gustaf Metzlaff
Steuermann Paul Zühlsdorf am 26.7.1914

8.) Auf Dampfer , Pauline Haubuß " Reederei Haubuß - Stettin,
Schiffskoch Ernst Kriegsbaum
Maschinist Emil Stieper am 26 bzw. 27.7.1914

Gruss, muheijo
 
Pauline Haubuß und Wolga sind laut Abert am 1.8.1914 in Petersburg beschlagnahmt worden. Deutschen Dampfer Petersburg habe ich im Register nicht gefunden (es gibt nur zwei Petropolis).

Im Marinearchiv, Der Seekrieg in der Ostsee I, wird dazu nichts erwähnt. Ohne die Quelle, zum Beispiel Prisengerichte oder die russischen Akten, läßt sich dazu nichts sagen. Möglich ist auch, dass es wegen der eingerichteten Sperrzonen Probleme gab.
 
Deutschen Dampfer Petersburg habe ich im Register nicht gefunden (es gibt nur zwei Petropolis).

St. Petersburg war der größte Dampfer der Neuen Dampfer Compagnie, Stettin, und war normalerweise im England-Dienst. Ob das Schiff im Sommer 1914 in der Ostsee eingesetzt war, weiß ich nicht.
 
St. Petersburg war der größte Dampfer der Neuen Dampfer Compagnie, Stettin, und war normalerweise im England-Dienst. Ob das Schiff im Sommer 1914 in der Ostsee eingesetzt war, weiß ich nicht.

Aha, ich hätte unter S und nicht unter P schauen sollen.

St. Petersburg, beschlagnahmt 3.8.1914 in Petersburg, umbenannt in "Nash", 1921 wieder in "Pommern".
 
Interessant finde ich auch, das im Winter 1912/13 die Russen ohne ein Mobilmachung als Drohkulisse auskamen. Es war der gleiche Zar, der gleiche Außen- und Kriegsminister, aber ein anderer französischer Botschafter und vor allem kein Ponicarre als französischer Präsident.
 
Was haben diese berichteten Grenzverletzungen nun mit der Frage des "wie" zum Kriegsausbruch ("wie" im Sinne der Methodik von Clark), oder mit der Frage von Vermeidbarkeit und - im engeren Sinne - Verantwortlichkeit für den Kriegsausbruch 1914 zu tun?
Sie werfen die Frage auf, WANN die Grenzverletzungen ANGEORDNET wurden. Das wiederum wirft die Frage auf, ab WANN die Beteiligten davon ausgegangen sind, dass ein Krieg kommen wird und dass man demzufolge schonmal "Grenzverletzungen" begehen sollte, um z.B. durch Aufklärung die Erkenntnisse zu gewinnen, die dann letztlich zur Führung des (noch gar nicht erklärten) Krieges hilfreich sein können.

Die von Dir so benannten "Grenzverletzungen" würden dann also nicht auf ein "Marodieren" örtlicher Offiziere zurückgehen. Sie wären bereits Teil der Kriegsvorbereitungen. Wenn solche Grenzverletzungen erkennbar schon vor dem eigentlichen Kriegsbeginn stattgefunden haben, könnte das mithin ein Indiz sein, dass schon vor dem eigentlichen Kriegsbeginn der Kriegsbeginn erwartet wurde.

Joffres Planungen – und er unterlag bis Kriegsausbruch politischen Weisungen, siehe oben - waren völlig auf den Zusammenstoß mit der offensiven deutschen Hauptstreitmacht konzentriert, die ihm die militärische Aufklärung prognostizierte, und was militärisch völlig nachvollziehbar war.
Wie erklären sich dann Du, Hamilton/Herwig und Kennedy den Umstand, dass französische Truppen schon am 4. August 1914 die Weisung erhielten, ins Elsass einzurücken und bereits am 8. August Mühlhausen zu besetzen? Wie lässt es sich erklären, dass Frankreich binnen vier Tagen zwei Armeen in Stellung bringen und zu einer Offensive auf gegnerisches Territorium vorschicken konnte?

Spielt aber alles, wie gesagt, keine Rolle in der Ursachenkette für den Kriegsausbruch.
Stimmt. Jedenfalls nicht direkt. Es könnte allerdings darauf hindeuten, dass die "Ursachenkette" schon früher in Gang gesetzt worden ist, als aus den Daten der Juli-Krise ersichtlich wäre.

Gab es im DR auch diese Unterteilung Kriegsvorbereitungsphase / Mobilmachung? Wenn ja, wann wurde ersteres in Gang gesetzt?
Nicht nur bezogen auf das DR: Es sieht für mich eher so aus, dass eine "Kriegsvorbereitungsphase" nie nötig war, weil ALLE Großmächte immer und jederzeit kriegsbereit waren. Die erste Phase jedes möglichen Krieges konnten sie mit den stehenden Kräften bewältigen. Die "Mobilmachung" diente dann im Grunde nur noch dazu, innerhalb angemessener Zeit den Nachschub an Personal und Material bereitzustellen, der nötig war, um die Verluste der stehenden Truppe auszugleichen und sie für größer angelegte Aktionen "fit zu machen".

MfG
 
Wenn solche Grenzverletzungen erkennbar schon vor dem eigentlichen Kriegsbeginn stattgefunden haben, könnte das mithin ein Indiz sein, dass schon vor dem eigentlichen Kriegsbeginn der Kriegsbeginn erwartet wurde.
Zu den russischen Aktivitäten siehe oben:
"This does not seem to have been correct. There was an initial raid by the russian 4th Cavalry Division into the south of East Prussia on 5th of August, in which a rail station was wrecked. On 9th of August elements of the same division (dragoons and cossacks) penetrated into Johannisburg, before being turned back by local german formations. I am very grateful to Bruce Menning,* who kindly consulted the archives in Moscow ... to help clarify the initial moves of the russian army." (S. 530).
Soweit die angeordneten Operationen. Dass sich Grenzposten am jeweiligen Tage des Kriegsausbruchs oder kurz vorher beschossen und gekämpft haben oder Grenzen bereits übertreten haben, bleibt unbenommen. Lediglich krasse Falschmeldungen wie die Bombardierung von Nürnberg und Frankfurt wurden offensichtlich korrigiert. Propagandistisch war für die Innenpolitik des Kaiserreiches überdies die behauptete und gemeldete russische Aggression wichtig, unabhängig vom Wahrheitsgehalt.

Wenn solche Grenzverletzungen erkennbar schon Wie erklären sich dann Du, Hamilton/Herwig und Kennedy den Umstand, dass französische Truppen schon am 4. August 1914 die Weisung erhielten, ins Elsass einzurücken und bereits am 8. August Mühlhausen zu besetzen? Wie lässt es sich erklären, dass Frankreich binnen vier Tagen zwei Armeen in Stellung bringen und zu einer Offensive auf gegnerisches Territorium vorschicken konnte?

Sortieren wir mal:

Die frz. Mobilmachung wurde am 1.8. um 15.30 unterzeichnet. Ebenso wie die deutsche Seite behauptet spiegelbildlich die französische, deutsche Truppen hätten am 2.8. vor der Kriegserklärung an Frankreich (3.8.) die frz. Grenze verletzt.

Joffre hatte ein stehendes Heer von rd. 880.000 Mann, darunter die 6 Armeekorps der "Deckungskräfte" (für die dahinter laufende Mobilmachung) von Norden bis Süden, aber auch die besetzten Festungen wie Belfort. An diese Kräfte wurde 1.8., 17.30 Order für die Einnahme der Positionen auf französischem Territorium gegeben.* Die Order umfasste die Information, dass keine frz. Offensive der Hauptstreitmacht vor Abschluss Versammlung stattfinden solle. Lediglich das VII. Korps solle sich von Belfort aus zum Vorstoß auf Mühlhausen bereithalten, da man hier einen möglichen deutschen Vormarsch im Süden möglichst weit rückwärtig fixieren wolle: 25 km vorwärts. Es handelt sich hier um stehende Kräfte aus den besagten 880T (weiter: XX. AK solle sich vorwärts Nancy bewegen, hier aber noch auf frz. Gebiet in die Festungslücke zwischen Toul und Epinal. Anforderung weiterer Kräfte für einen Elsaß-Vorstoß lehnte Joffre in einer Kommandeurssitzung am 3.8. ab.

Am 4.8. früh erreichte Joffre ein Telegramm über den Kriegsausbruch,** Neutralität von Italien. Obwohl das VII. Korps "starke" deutsche Truppenkonzentrationen vor sich meldete, ordnete Joffre am 7.8. den Vorstoss an***. Bonneau führte daraufhin das VII. Korps über die Grenze, die 14. ID auf Altkirch und die 41. ID auf Thann. Deutsche Besatzungen zogen sich zurück, so dass für den 8.8. Vorstoss auf Mühlhausen angesetzt wurde, das um 15.00 fiel (deutsche 58. Brigade hatte sich zurückgezogen).

Was also oben mit dem 4.8. und 8.8. angesprochen wird, hat nichts mit den Mob.-Vorgängen in Frankreich zu tun, betrifft die in Friedenszeiten vorhandene "Deckungsgruppe" von 6 Korps, gebildet aus dem "stehenden Heer" von 45 Divisionen.

Der erste ergangene Operationsbefehl (zuvor waren das Anordnungen zur Bereitschaft) ist der für den 8.8., Intention: den "deutschen linken Flügel zu fixieren" (einen Vorstoss unmöglich zu machen).
Beispiel französische "Elsass-Armee": diese wurde erst ab dem 11.8. organisert, indem den stehenden Truppen Kräfte zugeführt waren. Dem ursprünglichen VII. Korps wurden seit dem 8.8. nämlich 2 weitere Divisionen, eine Kavalleriedivision, die 1. Reserve-Divisionsgruppe zugeführt, dazu Pau als Kommandeur. Ab da kann man von einer "Armee" an dem Flügel sprechen, Versammlungsabschluss 11.8. Ziel war, der sich gleichzeitig versammelnden 1. Armee dadurch Freiraum zu geben, ggf. in Lothringen vorzurücken. Die am 8.8. angeordnete "Offensive" begann erst am 14.8.****

Die französische Mobilmachung fand zwischen dem 2. und 18.8. statt, auf 14 Haupt-Eisenbahnlinien mit 4.278 Zügen (56 pro Tag), in die Garnisonen und Depots von Sedan, Montmedy, Toul, Nancy, Belfort etc. Die Armee zu Friedenszeiten von 884.000 Mann absorbierte dabei 621.000 Reservisten, weitere 655.000 Mann gab es für die 25 Reservedivisionen, und 184.000 Mann für die Territorialdivisonen.

Diese ganze Mobilmachung hatte also mit den Vorgängen 4.8./8.8. nichts zu tun, außer das bereits vorhandene und seit dem 1.8. alarmierte Deckungskräfte 25 km vorwärts Belfort einen möglichen deutschen Aufmarsch fixieren sollten. Das waren auch nicht 2 Armeen, sondern 2 Divisionen. Warum Mühlhausen am 8.8. kampflos von diesen Verbänden besetzt werden konnte, erklärt sich aus dem Abzug der deutschen Brigade (vermutlich ebenfalls "stehendes Heer" und Garnison in dem Raum).

Wie lässt es sich erklären, dass Frankreich binnen vier Tagen zwei Armeen in Stellung bringen und zu einer Offensive auf gegnerisches Territorium vorschicken konnte?
Läßt sich also einfach erklären, ohne etwas zu mutmaßen.
Wo ist von zwei vorrückenden Armeen am 4.8./8.8. die Rede?
Wer bezeichnet diese Vorwärtsverlegung von von 2 Divisionen um 25 km in einen geräumten Raum als "Offensive"?

Kriegsbereit war Frankreich mit Abschluss der Mobilmachung, alles andere war nachrangiges Geplänkel. Nicht umsonst sträubte sich Joffre massiv, den russischen Forderungen auf einen übereilten Einmarsch nachzugeben. Auch mit dem Mob-Abschluss legte er sich nicht - entgegen Plan XVII - fest, sondern erst mit Kräfte-Bestätigung über den deutschen Durchmarsch in Belgien und über den Nord-Westen.

Es lohnt sich, folgende Literatur für die wichtigen Details zum Auftakt des Krieges zu lesen:
Doughty, French Strategy in 1914: Joffre's Own, Journal of Military History 2003.
Herwig, The Marne 1914, 2009.


*Ministère de la Guerre, Groupe d'Armées du Nord-Est, Instruction générale
secrète pour la couverture, 2 août 1914
** Les armées françaises. Tome 1, Band 1, Anhang 40, Seite 78
*** ebenda, Anhänge 66 und 73. VII. Korps: Compte rendu supplémentaire, 5 August 1914
**** 2. Armée, Le général de Castelnau, commandant la lie armée, au général commandant en chef, 8. August 1914, Les armées françaises. Tome 1, Band 1 Anhang 115, 128, 166, G.Q.G., Le commandant en chef au général commandant 1. armée à Neufchâteau, 9 August 1914, 2. Armée, Le général commandant la Ile armée au général commandant en chef, 10 August 1914
 
Sie werfen die Frage auf, WANN die Grenzverletzungen ANGEORDNET wurden. Das wiederum wirft die Frage auf, ab WANN die Beteiligten davon ausgegangen sind, dass ein Krieg kommen wird und dass man demzufolge schonmal "Grenzverletzungen" begehen sollte, um z.B. durch Aufklärung die Erkenntnisse zu gewinnen, die dann letztlich zur Führung des (noch gar nicht erklärten) Krieges hilfreich sein können.
Die Frage des Datums von Anordnungen ist oben beantwortet.

Sie wären bereits Teil der Kriegsvorbereitungen. Wenn solche Grenzverletzungen erkennbar schon vor dem eigentlichen Kriegsbeginn stattgefunden haben, könnte das mithin ein Indiz sein, dass schon vor dem eigentlichen Kriegsbeginn der Kriegsbeginn erwartet wurde.
Welche "erkennbaren" Grenzverletzungen sollen das sein?
Für den Nachweis der "Erwartung" eines Krieges braucht man keine Spekulationen, ob Grenzverletzungen vor Kriegserklärung stattgefunden haben. Für "Indizien zu Erwartungen" zum Kriegsausbruch reichte es, die europäische Presse seit dem 23.7.1914 zu lesen.
Stimmt. ... Es könnte allerdings darauf hindeuten, dass die "Ursachenkette" schon früher in Gang gesetzt worden ist, als aus den Daten der Juli-Krise ersichtlich wäre.
Je nachdem, was man unter "Ursachenkette" versteht, kann man darunter zB den anderweitig aufgezeigten Offensivkult erwähnen, der die Entscheidungsspielräume und Zeitfenster für die eskalierende Krise entscheidend verengt hat.
Es sieht für mich eher so aus, dass eine "Kriegsvorbereitungsphase" nie nötig war, weil ALLE Großmächte immer und jederzeit kriegsbereit waren. Die erste Phase jedes möglichen Krieges konnten sie mit den stehenden Kräften bewältigen. Die "Mobilmachung" diente dann im Grunde nur noch dazu, innerhalb angemessener Zeit den Nachschub an Personal und Material bereitzustellen, der nötig war, um die Verluste der stehenden Truppe auszugleichen und sie für größer angelegte Aktionen "fit zu machen".
Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Stehende Truppen sind natürlich in der Lage, auf Anordnung mit kurzem Vorlauf Grenzverletzungen zu begehen. In dem Sinne ist also jeder jederzeit kriegsbereit.

Was militärisch-politisch unter Kriegsvorbereitungsphase und Mobilisierung zur Herstellung der Kriegsbereitschaft verstanden wurde, ist allerdings etwas anderes. Aus Sicht Frankreichs, Joffres, und des Plan XVII bedingte eine Kriegsbereitschaft nicht, ein paar Divisionen lokal 25 km vorzuschicken, sondern die schnellstmögliche Herstellung der erforderlichen militärischen Kapazitäten, eine deutsche Angriffswalze von geschätzten eineinhalb Millionen Mann aus dem Nordwesten aufzuhalten. Außerdem ergab sich die Notwendigkeit, trotz Gezerre der Politik und des Verbündeten solange zu warten und den Aufmarsch abzuwarten, bis Richtung und Stärke dieses deutschen Stoßes hinreichend erkannt waren. Das dauerte bekanntlich.

Kriegsvorbereitungsphase, Mobilmachung und Bereitstellung sollte man unter den Aspekten der Aufmarschplanungen und der realisierten Abläufe betrachten.
 
Sortieren wir mal:

Die frz. Mobilmachung wurde am 1.8. um 15.30 unterzeichnet.
(...)
Joffre hatte ein stehendes Heer von rd. 880.000 Mann, darunter die 6 Armeekorps der "Deckungskräfte" (für die dahinter laufende Mobilmachung)
(...)
Was also oben mit dem 4.8. und 8.8. angesprochen wird, hat nichts mit den Mob.-Vorgängen in Frankreich zu tun, betrifft die in Friedenszeiten vorhandene "Deckungsgruppe" von 6 Korps, gebildet aus dem "stehenden Heer" von 45 Divisionen.
(...)
Der erste ergangene Operationsbefehl (zuvor waren das Anordnungen zur Bereitschaft) ist der für den 8.8., Intention: den "deutschen linken Flügel zu fixieren" (einen Vorstoss unmöglich zu machen).
Beispiel französische "Elsass-Armee": diese wurde erst ab dem 11.8. organisert, indem den stehenden Truppen Kräfte zugeführt waren.
(...)
Das war ja wohl kaum alles. Erkennbar daran, dass weniger als eine Woche nach der Besetzung Mühlhausens - am 14. August - zwei französische Armeen unter Noel de Castelnau und Augustin Dubail sowie die französische Vogesengruppe ("Armee d’Alsace") unter General Paul Marie Pau in Richtung Oberrhein vorgerückt sind. Welche operative Absicht hinter diesem Vorgehen stand, das man zweifellos Offensive nennen darf, muss wohl offen bleiben, die die Truppen am 20. und 21. August geschlagen wurden und sich zurückgezogen haben. Es ist aber eher unwahrscheinlich, dass sie nur und es ging ja wohl kaum darum, nur "den deutschen linken Flügel fixieren" sollten.

Laut Wiki waren auf französischer Seite 500.000 Soldaten beteiligt. Ziemlicher Aufwand, wenn man bedenkt, dass die stehenden Kräfte nur aus 880.000 Mann bestanden und dass es hier nur um einen "Nebenschauplatz" ging.

MfG
 
Zuletzt bearbeitet:
Welche "erkennbaren" Grenzverletzungen sollen das sein?
Welche Grenzverletzungen andere Diskussionsteilnehmer gemeint haben, lässt sich oben nachlesen. Ich meinerseits hatte dazu geschrieben: "Wenn Grenzverletzungen erkennbar sind...etc"

Für "Indizien zu Erwartungen" zum Kriegsausbruch reichte es, die europäische Presse seit dem 23.7.1914 zu lesen.
Die Kriegsparteien werden sich kaum auf Pressemeldungen verlassen haben.

Je nachdem, was man unter "Ursachenkette" versteht, kann man darunter zB den anderweitig aufgezeigten Offensivkult erwähnen...
Einigen wir uns auf "anderweitig behauptet" und führen wir gegebenenfalls auch die Diskussion darüber "anderweitig" weiter.

Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Stehende Truppen sind natürlich in der Lage, auf Anordnung mit kurzem Vorlauf Grenzverletzungen zu begehen. In dem Sinne ist also jeder jederzeit kriegsbereit.

Was militärisch-politisch unter Kriegsvorbereitungsphase und Mobilisierung zur Herstellung der Kriegsbereitschaft verstanden wurde, ist allerdings etwas anderes. Aus Sicht Frankreichs, Joffres, und des Plan XVII bedingte eine Kriegsbereitschaft nicht, ein paar Divisionen lokal 25 km vorzuschicken...
Wie im vorangegangenen Beitrag schon geschrieben, ging es nicht um "ein paar Divisionen", die ein bisschen vorgeschickt worden wären. Vielmehr ging es um zwei Armeen - wenn man die Vogesengruppe dazuzählt, sogar drei - die Richtung Oberrhein vorgestoßen sind.

Und was bezogen auf den August 1914 unter "Kriegsvorbereitung" verstanden werden muss, wird vielleicht deutlicher, wenn man es mit den heutigen Gegebenheiten vergleicht. Keine einzige Nation, die der Nato angehört, könnte innerhalb so kurzer Zeit auch nur annähernd so viele Truppen einsatzbereit machen, wie das damals allein im Bereich Elsass-Lothringen passiert ist.

Dazu nochmal die Anmerkung: Solche Aufmärsche und Offensiven kann man nicht improvisieren. Die müssen vorab bis ins Detail durchgeplant sein.

MfG
 
Zurück
Oben