Motivation des Widerstandes in der Generalität

zaphodB.

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Ich habe gerade ein ursprünglich vom British Foreign Office herausgegebenes Büchlein mit dem Titel:
"Leitfaden für britische Soldaten in Deutschland 1944" erstanden
Und dort findet sich auf S. 5 im Vorwort folgende Passage die ich mal zur Diskussion stellen möchte:

Seit dem Hitler an die Macht gekommen ist gab es bis zu dem Putschversuch der deutschen Generäle am 20.Juli 1944 in Deutschland keine enst zu nehmende Widerstandsbewegung.Aber der Grund für diese revolte war nicht die Barbarei von Hitlers Methoden sondern eher deren Erfolglosigkeit

Die These ist insoweit nicht von der Hand zu weisen, als diese Aktion zwar als einzige,die Qualität gehabt hätte, Hitler zu stürtzen ,andererseits aber tatsächlich erst relativ spät in Gang gebract wurde, nämlich nach den Kapitualtionen in Stalingrad und Nordafrika und nach den allierten Landungen in Sizilien und der Normandie , als sich die Niederlage also bereits deutlich abzeichnete.



"
 
Naja, schon 1938, vor der Besetzung der Tschechoslowakei gab es eine Verschwörung um Ludwig Beck, Hitler zu entmachten, da sonst ein Krieg kommt, den viele nicht (noch nicht?) wollten.
Allerdings hatten die Verschwörer zu diesem Zeitpunkt allerlei Probleme, wie sie eine solche Entmachtung Hitlers dem deutschen Volk und darüberhinaus auch ein Grossteil der Wehrmachtsangehörigen erklären sollten, schliesslich hatte Hitler bis dahin alles erreicht, was er wollte, ohne das der Westen die Muskeln spielen liess - im Gegenteil (siehe Appeasement) ;)
Am Ende konnten sich die Herren Generäle nicht einigen...

Aber auch andere Verschwörungen zB. Henning von Tresckows gab es, die alle aus diversen Gründen scheiterten: Chronik aller Attentate auf Hitler & Widerstand der Generale

Richtig ist, dass bei den Motiven der Verschwörer des 20. Juli 44 (der grössten Verschwörung aus Reihen der Wehrmacht) die militärischen Misserfolge auch eine Rolle spielten, aber nicht allein. Ebenso spielte das Vorgehen der SS, SD usw. gegen die Juden in Polen und der Sowjetunion eine Rolle. Es dauerte eben, bis das Fass sozusagen überlief.

Allerdings finde ich persönlich auch, dass die Verschwörer des 20. Juli vielzuviel überbewertet werden, denn immerhin hatten sie bis dahin den Krieg mehr oder weniger mit getragen! Erst als sie sich ausmalten bzw. ihnen klar wurde, dass die Panzer der Roten Armee auch ihre Rittergüter (im übertragenen Sinn ;)) zermalmen können/werden, sahen sie sich gezwungen zu handeln.
Und dabei frage ich mich auch, warum keiner der Herren Generäle den Schneit hatte, Hitler einfach zu erschiessen :grübel:
 
Bei dem Handbuch wird es nicht um eine zutreffende Darstellung des militärischen Widerstandes gehen, sondern um die angemessene Vorbereitung britischer Soldaten auf einen Einmarsch in Deutschland und dem Zusammentreffen mit Gefangennahmen und Bevölkerung.

Von daher würde ich nicht jeden Inhalt auf die (historische) Goldwaage legen. Interessanter ist die "Botschaft" des Büchleins für seine "Adressaten", bzw. die dadurch angestrebte Lenkung des Verhaltens von britischen Militärangehörigen.
 
Ich finde es ehrlich gesagt aus unserer heutigen Warte heraus nicht legitim darüber zu diskutieren, welche Widerstandsbewegung in wie weit ernst zu nehmen war. Immerhin hat jeder Widerstandskämpfer in vollem Bewusstsein Leib und Leben von sich und seinen Lieben für sein Tun auf Spiel zu setzen, gehandelt. Damit müssen sie auch alle davon überzeugt gewesen sein, etwas Wirksames zu unternehmen, ansonsten hätten sie kaum so gehandelt, wie sie gehandelt haben. Mit den entsprechenden Hypothesen gespickt, lässt sich mE auch so gut wie jede der Widerstandsbewegungen auf den Erfolgskurs eines (Um-)Sturzes hinargumentieren.

Die von dir zitierte Aussage ist schlicht und ergreifend Zeitgeist und Zielgruppe geschuldet. Selbstverständlich ist in einem militärischen Leitfaden der militärische Umsturzversuch die einzig ernst zu nehmende Widerstandbewegung. Und selbstverständlich hatten die deutschen Offiziere in einer Veröffentlichung aus dem Jahr 1944, also einer Zeit in der man sich noch im Krieg befand, "niedere Beweggründe", sprich sie standen nicht gegen das Hitler-Regime per se auf, sondern sie putschten nur der militärischen Erfolglosigkeit wegen. Ehrenhaftigkeit des Gegners konnte man schließlich schlecht attestieren, wenn man sich nach wie vor kriegerisch gegenüberstand.
 
Die These ist insoweit nicht von der Hand zu weisen, als diese Aktion zwar als einzige,die Qualität gehabt hätte, Hitler zu stürtzen ,andererseits aber tatsächlich erst relativ spät in Gang gebract wurde, nämlich nach den Kapitualtionen in Stalingrad und Nordafrika und nach den allierten Landungen in Sizilien und der Normandie , als sich die Niederlage also bereits deutlich abzeichnete."
Man muss dann aber auch die Schauprozesse vor dem Volksgerichtshof betrachten. Da standen keine Putschisten vor dem schreienden Freisler, sondern Offiziere, die tatsächlich ihrem Gewissen gefolgt waren.
 
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Von daher würde ich nicht jeden Inhalt auf die (historische) Goldwaage legen. Interessanter ist die "Botschaft" des Büchleins für seine "Adressaten", bzw. die dadurch angestrebte Lenkung des Verhaltens von britischen Militärangehörigen.

Sicher darf man die Aussagen eines solchen "Büchleins" nicht auf die Goldwaage legen, das wäre unredlich, zumal der Adressant kriegsführende Partei war, aber, so unrecht hat der Adressant nicht. Außer dem "Putschversuch" gab es keinen für die britische Kriegsführung signifikanten und erkennbaren deutschen Widerstand.

M.
 
Da steht zumindest nichts falsches ...
Weder gab es einen Widerstand mit Zielen nach dem Tag x noch irgendeinen anderen nennenswerten Widerstand einer größeren Menge von Leuten.
 
Lili,um hier nicht missverstanden zu werden: Natürlich verdient jeder Widerstandskämpfer für sein Tun Respekt, egal aus welcher Motivation heraus er gehandelt hat und das soll auch nicht relativiert werden. Und auch ich habe wie Rurik die Schauprozesse vor dem Volksgerichtshof vor Augen. Deshalb hat mich diese Sichtweise von außen, die das Büchlein vermittelt in diesem Punkt auch etwas befremdet- gleichwohl muß man sie diskutieren.
Sicherlich war der sich abzeichnende Mißerfolg nicht alleine als Motivation ausschlaggebend, aber gerade für die Militärs und die Generalität läßt sich dieser Aspekt m.E. auch nicht als nebensächlich abtun.
Die meisten Militärs waren von Anfang an in leitenden Positionen in der Wehrmacht und hatten bis zu einem gewissen Grade auch innerhalb der Wehrmacht im Verlauf des Krieges Karriere gemacht. In diesen Positionen müssen sie auch von Anfang an über das Vorgehen und die Gräuel der SS, SD usw. gegen die Zivilbevölkerung in den okkupierten Gebieten allgemein und Juden und andere Minderheiten im besonderen ebenso Bescheid gewußt haben wie über Unterdrückung und Terror im Reich.
Insoweit mu0 der relativ späte Zeitpunkt der Attentate oder Attentatspläne seitens der Militärs schon diskutiert werden.
 
Lili,um hier nicht missverstanden zu werden: Natürlich verdient jeder Widerstandskämpfer für sein Tun Respekt, egal aus welcher Motivation heraus er gehandelt hat und das soll auch nicht relativiert werden. Und auch ich habe wie Rurik die Schauprozesse vor dem Volksgerichtshof vor Augen. Deshalb hat mich diese Sichtweise von außen, die das Büchlein vermittelt in diesem Punkt auch etwas befremdet- gleichwohl muß man sie diskutieren.
Keine Sorge, wir verstehen uns schon. :friends: Ich würde aber die Diskussion trotzdem noch erweitern wollen und zwar im Hinblick auf die Zielgruppe. Dein Zitat ist aus einem Buch, das sich an britische Militärangehörige richtet. Der Verweis auf den militärischen Widerstand ist daher naheliegend. Es waren aber auch britische Flieger die über Deutschland das 6. Flugblatt der Weißen Rose als Nachdruck abwarfen. Das wäre nicht passiert, wenn sie den geistigen Widerstand für sinnlos/erfolglos gehalten hätten.

Sicherlich war der sich abzeichnende Mißerfolg nicht alleine als Motivation ausschlaggebend, aber gerade für die Militärs und die Generalität läßt sich dieser Aspekt m.E. auch nicht als nebensächlich abtun.
Die meisten Militärs waren von Anfang an in leitenden Positionen in der Wehrmacht und hatten bis zu einem gewissen Grade auch innerhalb der Wehrmacht im Verlauf des Krieges Karriere gemacht. In diesen Positionen müssen sie auch von Anfang an über das Vorgehen und die Gräuel der SS, SD usw. gegen die Zivilbevölkerung in den okkupierten Gebieten allgemein und Juden und andere Minderheiten im besonderen ebenso Bescheid gewußt haben wie über Unterdrückung und Terror im Reich.
Insoweit mu0 der relativ späte Zeitpunkt der Attentate oder Attentatspläne seitens der Militärs schon diskutiert werden.
Da gebe ich dir recht, nicht nur was den Zeitpunkt betrifft, auch die Art und Weise des Umsturzversuches halte ich für diskussionswürdig. Trotzdem finde ich das Zitat aus dem Buch sehr eindimensional und schreibe das eben Zeitgeist und Zielgruppe zu. Diese Eindimensionalität in der Aussage hatte mit Sicherheit auch ihre Folgen während der Besatzungszeit und insbesondere zur öffentlichen Wahrnehmung des Widerstandes in der Nachkriegszeit, auch das wäre noch eine nachgelagerte Betrachtung wert.

Beschränkt sich denn der Leitfaden auf diese eine Aussage zum Widerstand, oder kommt dazu noch mehr?
 
nun, die britische Propaganda war zwar überall gehört, es gab auch etliche Taten, die das Regime in Einzelfällen unterliefen, aber einen echten Widerstand konnten die Angriffe der Briten auf die Zivilbevölkerung und die Propaganda nicht generieren.

Das "Warum" war für die späteren Besatzer erstmal uninteressant. Die Deutschen haben sich in der Mehrzahl einfach in einem Klima der Angst eingerichtet.
 
Sicherlich war der sich abzeichnende Mißerfolg nicht alleine als Motivation ausschlaggebend, aber gerade für die Militärs und die Generalität läßt sich dieser Aspekt m.E. auch nicht als nebensächlich abtun.
Ich denke natürlich auch, ohne die sich abzeichnende Niederlage hätte es unter den Offizieren wohl nicht diese Bereitschaft zur Verschwörung gegeben. Gewissen allein reicht für eine solche sicher nicht aus. Man kann dieses auch tief in sich begraben. Es musste einen überspringenden Funken geben. Der Kerl muss weg! Das hat man erst einmal für sich gedacht. Es anderen mitzuteilte... Man konnte das ja nicht einfach so gesagt in den Raum stellen. Ich würde die drohende Niederlage vielleicht als eine Art Katalysator bezeichnen wollen.
 
Sicher darf man die Aussagen eines solchen "Büchleins" nicht auf die Goldwaage legen, das wäre unredlich, zumal der Adressant kriegsführende Partei war, aber, so unrecht hat der Adressant nicht. Außer dem "Putschversuch" gab es keinen für die britische Kriegsführung signifikanten und erkennbaren deutschen Widerstand.M.

Das sehe ich auch so.

Mir ging es um den Aspekt, dass das Interessante an dem Buch nicht die Aussage zum deutschen Widerstand als solches ist (die kann mE richtig, falsch, unvollständig sein), sondern die damit verbundenen Zwecke. Es kam mir also nicht auf den Inhalt der These an, oder dass damit etwa von der britischen Seite oder den Autoren der Schrift der Anspruch auf Richtigkeit verbunden wäre.

In Voraussicht der Besetzung ist vielmehr Folgendes interessant: die Schrift versucht mE, einen Mittelweg zu gehen, um sowohl "Fraternisierung" der Besatzungstruppen wie auch Hass und Vergeltung auszuschließen.

Dabei antizipiert sie - im Vorgriff eines "möglichen Verständnisses" für Deutsche, mit denen Besatzungstruppen in Kontakt kommen - Diskussionen oder Hinweise aus Wehrmachtskreisen (zB Kriegsgefangene) auf den (militärischen) Widerstand gegen Hitler. Diese "Argumente" sollen hier möglicherweise schon vorab relativiert werden.

Völlig unabhängig von der Schrift kann man natürlich die These auch als solches prüfen, anhand der gesamten Quellenlage (die den Autoren der Schrift überhaupt nicht zur Verfügung stand, abgesehen davon gab es bereits Widersprüche, auf die auch Lili hingewiesen hat - Flugblätter). Schließlich gab es dazu eine Nachkriegsdiskussion, und auch weitere Erkenntnisse im Zuge der Forschung.
 
Ausserdem waren zu dem Zeitpunkt, als das "Leitbuch" entstand, die meisten konspirativen Pläne, Hitler zu entmachten oder zu beseitigen, noch gar nicht bekannt :winke:
 
Ausserdem waren zu dem Zeitpunkt, als das "Leitbuch" entstand, die meisten konspirativen Pläne, Hitler zu entmachten oder zu beseitigen, noch gar nicht bekannt :winke:

Das ist ein weiterer Punkt, weshalb weniger der Inhalt oder die Behauptungen, sondern die Intention dieses Büchleins interessant ist.

Getrennt davon kann man natürlich unter heutigen Erkenntnissen die These als solche diskutieren. Wurde ja im Forum auch schon so diskutiert.
 
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