Munition/Düngemittel: Das Manhattan-Projekt des 1. Weltkrieges

Ich möchte einen weiteren Vergleich nachsetzen, der die rigorose Bedienung der unmittelbaren Kriegswirtschaft und zugleich den Engpass zeigt.

Mit Kriegsausbruch ist betr. des Ruhrkohle-Bergbaus bekannt, dass ca. 100.000 Bergwerksarbeiter eingezogen worden sind. Setzt man den Index 1913=100, so ist kaum überraschend, dass in den folgenden Jahren die geförderte Kohle stark absank, und die Arbeits-Fehlstellen durch Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene, Anwerbungen etc. aufgefüllt wurden.

Bzgl. des Bergbaus unter Tage gibt es bzgl. des nachgeschobenen Personals eine Konkurrenz zwischen den verschiedenen Bereichen. Im Folgenden die Absenkungen der Förderungen 1913 - 1914 - 1915 - 1916:

100 - 84,8 - 77,2 - 83,7 ...Steinkohle
100 - 95,9 - 100,8 - 108,0 ...Braunkohle
100 - 71,7 - 61,9 - 74,6 ...Eisenerz
100 - 82,5 - 75,7 - 81,6 ...Zinkerz
100 - 89,0 - 83,4 - 94,5 ...Bleierz
100 - 93,8 - 108,6 - 136,1 ...Kupfererz

100 - 68,8 - 58,4 - 73,0 Kalisalz - Dünger.

Diese Entwicklung zeigt beispielhaft die Umsteuerung auf die direkt kriegswichtigen Bereiche. Wie beim Ammoniak/Stickstoff (direkte Konkurrenz zur Munitionserzeugung) werden hier Prioritäten sichtbar, die dann mit großer Zeitverzögerung zu dem Absinken der landwirtschaftlichen Erzeugung und Versorgung führten. Im Bergbau waren das hauptsächlich die Auswirkungen der Personalverschiebungen (*), daher läßt sich auch hier die "Konkurrenz" zwischen den Bereichen gut abbilden.

Man muß dabei schließlich berücksichtigen, dass ein großer Teil der Steigerungen der Hektarerträge in letzten Jahrzehnten vor dem Krieg auf Düngung beruhte. Neben diesem Rückgang - anhand der Hektarerträge 1915-16-17 kann man das grob mit 15-20% der Nahrungserzeugung schätzen, waren auch hier Personalengpässe durch die Mobilisierung eingetreten. Hinzu kam der Verluste eines Teils der Vorkriegs-Importe: das betraf einerseits amerikanische Getreidelieferungen (-> Blockade), andererseits die russischen Importe.


Je tiefer man sich in diese Problematik eingräbt - Organisatuinschaos, verfehlte Preissteuerungspolitik in der Landwirtschaft mit unproduktiven Zyklen etc. -, um so mehr drängt sich mir der Eindruck auf, dass die britische Blockade wenig mit der Hungersituation 1916/17 und der kritischen Versorgungslage im Vergleich zur Ausgangslage 1913 zu tun hatte.

[Allein beim Import war das nur die halbe Wahrheit, da 50% der Nahrungsmittelimporte - insbesondere mit Bedeutung für die Fett- und Fleischversorgung - unmittelbar Rußland zugeschlagen werden konnte und mit britischer Blockade nichts zu tun hatte; es sei denn, man denkt über die anderweitige Beschaffung der russischen Fehlmengen nach.]

EDIT:
(*) und natürlich die ausbleibende Sprengstoffversorgung im Bergbau, womit sich auch hier der Kreis schließt.

Statistiken:
Hoffmann, Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts
Wenzel et. al., Die Produktion der Deutschen Hüttenindustrie bis 1914
Seidel, Tenfeld, Zwangsarbeit im Bergbau, 2 Bände.
 
Zuletzt bearbeitet:
Je tiefer man sich in diese Problematik eingräbt - Organisatuinschaos, verfehlte Preissteuerungspolitik in der Landwirtschaft mit unproduktiven Zyklen etc. -, um so mehr drängt sich mir der Eindruck auf, dass die britische Blockade wenig mit der Hungersituation 1916/17 und der kritischen Versorgungslage im Vergleich zur Ausgangslage 1913 zu tun hatte.

[Allein beim Import war das nur die halbe Wahrheit, da 50% der Nahrungsmittelimporte - insbesondere mit Bedeutung für die Fett- und Fleischversorgung - unmittelbar Rußland zugeschlagen werden konnte und mit britischer Blockade nichts zu tun hatte; es sei denn, man denkt über die anderweitige Beschaffung der russischen Fehlmengen nach.]

@silesia

Könntest Du so freundlich sein und kurz Dein Argument:

"verfehlte Preissteuerungspolitik in der Landwirtschaft mit unproduktiven Zyklen"

erläutern. Da stehe ich jetzt vollkommen auf dem "Schlauch".

Danke.


M.
 
Das ist ein Randaspekt, den ich beiläufig der Problematik Düngemittel, Sprengstoffe, Arbeitskräfte angefügt habe.

Aus Regionalstudien geht hervor, dass die Preissetzungen (Obergrenzen) nebst schwarzen Preisen zu massenweisen Schlachtungen in der ersten Kriegsphase führten, deren Abwicklung/Abnahme/Verteilung im Organisationschaos endeten (großes Tonnagen waren verdorben). Die "Fleischpolitik" führte zu Wellen, der Mangel nach Massenschlachtungen nämlich dann wieder zu abstrusen Auffütterungseffekten, wobei Getreide der direkten Versorgung der Bevölkerung entzogen wurde.

Ist aber hier OT.
 
Je tiefer man sich in diese Problematik eingräbt - Organisatuinschaos, verfehlte Preissteuerungspolitik in der Landwirtschaft mit unproduktiven Zyklen etc. -, um so mehr drängt sich mir der Eindruck auf, dass die britische Blockade wenig mit der Hungersituation 1916/17 und der kritischen Versorgungslage im Vergleich zur Ausgangslage 1913 zu tun hatte.

[Allein beim Import war das nur die halbe Wahrheit, da 50% der Nahrungsmittelimporte - insbesondere mit Bedeutung für die Fett- und Fleischversorgung - unmittelbar Rußland zugeschlagen werden konnte und mit britischer Blockade nichts zu tun hatte; es sei denn, man denkt über die anderweitige Beschaffung der russischen Fehlmengen nach.]

EDIT:
(*) und natürlich die ausbleibende Sprengstoffversorgung im Bergbau, womit sich auch hier der Kreis schließt.

Volle Zustimmung

Es scheint, als dass sich da eine 2. Dolchstoßlegende klammheimlich über ein Jahrhundert weg gerettet hat.
"Deutschlands Kinder sind wegen der alliierten Blockade verhungert"
Fakt scheint aber zu sein, dass die Reichsleitung Granaten statt Getreide produzieren ließ.
Womit dann auch die britische Maßnahme, Nahrungsmittel auf die Liste der Konterbande zu setzen, eine wesentlich andere Aussage bekommt.
Nahrungsmitteleinfuhr = noch mehr Granaten



OT und auch außenrum:
Es hat in England und auch in Frankreich ebenfalls Rückgänge der Hektarerträge gegeben, die hauptsächlich dem Arbeitskräftemangel geschuldet waren. (Ford ist hier mit seinen "Fordson-Traktoren" mit, für die damalige Zeit, gewaltigen Stückzahlen eingesprungen) In Frankreich kamen sehr große Probleme durch die fehlende Kohle dazu. Die Kohlengruben Nordfrankreichs waren besetzt.
Ich bin bei meiner Suche nach irgendwelchen "Dünger-Zahlen" hierauf gestoßen, vielleicht interessiert es den einen oder anderen.
 
[…]Je tiefer man sich in diese Problematik eingräbt - Organisatuinschaos, verfehlte Preissteuerungspolitik in der Landwirtschaft mit unproduktiven Zyklen etc. -, um so mehr drängt sich mir der Eindruck auf, dass die britische Blockade wenig mit der Hungersituation 1916/17 und der kritischen Versorgungslage im Vergleich zur Ausgangslage 1913 zu tun hatte.[…]
Diese These oder diese „vorschnelle“ Erkenntnis aus wirtschaftlichen Zusammenhängen und die damit verbunden Relativierung der völkerrechtswidrigen britischen Fernblockade im 1.WK finde ich nicht gut. Dazu ein Zitat
Mr. Runciman und Mr. Hurst, Justitiar im Foreign Office, haben Kröller erklärt, daß Deutschland ausgehungert werden müsse und wenn der Krieg drei Jahre dauert. Carl Gneist, 03.09.1914
Natürlich ist der wirtschaftliche Zusammenbruch im Kaiserreich durch den 1.WK von mehren Faktoren beeinflusst und auch sicherlich einer fehlgeleiteten Kriegswirtschaft verschuldet.
Doch das Kaiserreich war auf Import jeglicher Art angewiesen.
@Silesia, als Spezialist für Wirtschaftsgeschichte und Statistiken, kannst Du eine Gegenüberstellung der Import von 1912/13 und nach dem Kriegsbeginn 1914 liefern?

Damit wäre es doch zu beweisen, wie stark sich nun die britische Fernblockade wirtschaftlich auf das Kaiserreich auswirkte.

Doch darauf zu schliessen, daß durch fehlende Düngemittel die Ernte schlechter ausfiel und dadurch die Hungersnot von 1916/17 verschuldet wurde, kann doch nicht über die Wirkung der Fernblockade hinwegtäuschen.

Quelle:http://www.geschichtsforum.de/f62/die-britische-fernblockade-1914-1918-a-20564/
 
Das ist ein Randaspekt, den ich beiläufig der Problematik Düngemittel, Sprengstoffe, Arbeitskräfte angefügt habe.

Aus Regionalstudien geht hervor, dass die Preissetzungen (Obergrenzen) nebst schwarzen Preisen zu massenweisen Schlachtungen in der ersten Kriegsphase führten, deren Abwicklung/Abnahme/Verteilung im Organisationschaos endeten (großes Tonnagen waren verdorben). Die "Fleischpolitik" führte zu Wellen, der Mangel nach Massenschlachtungen nämlich dann wieder zu abstrusen Auffütterungseffekten, wobei Getreide der direkten Versorgung der Bevölkerung entzogen wurde.

Ist aber hier OT.

bleibt weiterhin o.t.

Das mit den Massenschlachtungen zu Kriegsbeginn steht schon im ollen Mottek - insoweit vollkommen klar und dort auch lege artis belegt.

O.K., landwirtschaftliche Produktion ist zyklisch, die Investitionsphasen sind allerdings eher kurzfristig ca. 1/2 bis 1 Jahr (Pflanzenproduktion). Das KEA, inkl. Vorgängerbehörden, hätte demnach eine verfehlte "Aufkaufspreispolitik" betrieben. Interpretiere ich da Deine These richtig?

M. :winke:
 
Interpretiere ich da Deine These richtig?
M. :winke:

Ganz richtig. Die Massenschlachtungen waren (auch, vorwiegend?) preislich stimuliert, die anschließende Fleisch- und Fettlücke erforderte Umleitungen aus dem verknappten Getreideaufkommen in die Verfütterungen.

Ich bitte etwas um Nachsicht, vielleicht könnte man die Vertiefung der Diskussion (Nahrungsmittelbilanzen, und Ursachenforschung) auf die nächste Woche verlagern, ggf. auch in einem eigenen Thema.

Nur ein Hinweis:
Nettoimportmengen nach Arten und Herkunft, Netto-Erzeugungsmengen nach Aussaat, Schwund und Verfütterung, Produktionsmengen, und Hektarerträge kann ich zusteuern.

Was mir völlig unklar für den Zeitraum 1914ff. ist: der exakte link zur Düngung (Verbrauchsbilanzen für Düngungen 1890 - 1913 liegen vor, ebenso Statistiken zur Entwicklungen zur paralleln Entwicklung der Hektarerträge und internationale Vergleiche. Vielleicht kann man da retrograd Aussagen ableiten bzw. Thesen formulieren).
 
Damit wäre es doch zu beweisen, wie stark sich nun die britische Fernblockade wirtschaftlich auf das Kaiserreich auswirkte.

Doch darauf zu schliessen, daß durch fehlende Düngemittel die Ernte schlechter ausfiel und dadurch die Hungersnot von 1916/17 verschuldet wurde, kann doch nicht über die Wirkung der Fernblockade hinwegtäuschen.

Quelle:http://www.geschichtsforum.de/f62/die-britische-fernblockade-1914-1918-a-20564/


Es ist offensichtlich, mindestens bis 1917 hatte man im dt. Reich die Wahl, Dünger=Getreide oder Granaten, beides in ausreichendem Umfang war nicht zu produzieren.
Dass die Briten Nahrungsmittel auf die Liste der Konterbande setzten, wird dadurch dann plötzlich verständlich.

Dass dies in Deutschland während des Krieges und auch solange Reparationen gezahlt wurden, nicht so sehr/gar nicht publiziert/gerade gerückt wurde ist klar.
Und später hat der 2. WK den Blick auf den ersten Zugestellt.

Haben wir doch mal etwas wirklich interessantes, bisher unbeachtetes entdeckt.
 
Es ist offensichtlich, mindestens bis 1917 hatte man im dt. Reich die Wahl, Dünger=Getreide oder Granaten, beides in ausreichendem Umfang war nicht zu produzieren.

Und um nicht zu vergessen:
Sprengstoffe, Manpower und Ausrüstungsinvestitionen (Kapital) für die versorgungswichtige Kaliindustrie oder aber für Kohle/Erze/Stahl.

Kanonen statt Butter.


P.S. die wegfallenden Nettoimportmengen nach Herkunftsländern (1913/14) sollten wir aber noch dastellen, um deren Auswirkung bzw. Bedeutung herauszustellen. :winke:
 
Zuletzt bearbeitet:
Ganz richtig. Die Massenschlachtungen waren (auch, vorwiegend?) preislich stimuliert, die anschließende Fleisch- und Fettlücke erforderte Umleitungen aus dem verknappten Getreideaufkommen in die Verfütterungen.

Was mir völlig unklar für den Zeitraum 1914ff. ist: der exakte link zur Düngung (Verbrauchsbilanzen für Düngungen 1890 - 1913 liegen vor, ebenso Statistiken zur Entwicklungen zur paralleln Entwicklung der Hektarerträge und internationale Vergleiche. Vielleicht kann man da retrograd Aussagen ableiten bzw. Thesen formulieren).

@silesia

Das schöne hier, man kann auch mal spekulieren und den advocatus diaboli bei Thesen spielen. :pfeif:

Düngemittel

Die Höhe der Düngemittelproduktion sagt noch nichts über die Düngemittelausbringung aus (z.B. statistisch nicht zu erfassende "Hortungen"). Darüber hinaus können mineralische Düngemittel bis zu einem gewissen Grad substituiert werden. Außerdem können Düngemittel ex- und importiert werden; dann sollte man also auch die Außenhandelsbilanz (Nettoeinfuhr/-ausfuhr) für Düngemittel mit in die Überlegung einbeziehen.

"Falsche" kriegswirtschaftliche Regulierung

Wenn es gelänge, zwischen den Preisfestsetzungen des KEA bzw. der Vorgängerbehörden und eventuellen nonmonetären Festlegungen ("nonmonetäre" Aspekte habe ich nicht parat), eine ratardierende Produktionsbilanz im Zyklus von ca. 1/2 bis 1 Jahr als Korrelation statistisch sicher festzustellen, wow. Könnte dann diese Korrelation noch zur "Ernährungsbilanz" ins Verhältnis gesetzt werden. Eventuell könnte so das Stigma der "Hunger-Blockade" ad absurdum geführt werden.

Das mal so in "den Ring geworfen".


M. :winke:
 
Im MGFA 1648-1939 Band 3 Teil V Edgar Graf Matuschka. Seite 139/140
Es ist lediglich vom "Erfindungsreichtum deutscher Forscher" in Bezug auf die Ammoniaksynthese die Rede, und England setzt sich mit der Blockade "über das Völkerrecht hinweg."
Insgesamt nur eine knappe Seite.
Matuschka hat den Hintergrund offensichtlich nicht erkannt.



Geschichte des 1. WK von Chr. Zentner dagegen:

1913 produzierte das Deutsche Reich:
90% des Brotgetreides, 100% der Rüben und Kartoffeln, 100% des Fleisches, 50% der Milchprodukte, 65% der Eier aber fast keine Pflanzenfette selbst.
Der Rest wurde eingeführt.
Aber kaum aus Übersee, sondern überwiegend aus den nicht von der See-Blockade betroffenen Nachbarländern, Niederlande, Dänemark, Schweiz.
Von dem her keine dramatische Lage.

Nach der guten Ernte 1914 gingen die Ernteerträge aber dramatisch zurück, es herrschte Mangel an Arbeitskräften, an Zugtieren, an Dünger und Saatgut, verheerender Mangel an Futtermitteln, deshalb Zwangsschlachtung von Schweinen und körnerfressendem Geflügel.
1913 gab es in Deutschland 25,3 Millionen Schweine, 1918 lediglich noch 10 Millionen, deren Schlachtgewicht auf die Hälfte wie 1913 herabgesetzt war.

1913 wurden 4 Millionen Tonnen Kraftfutter importiert, 1917 lediglich 85.500 Tonnen.

35% des verbrauchten Düngers wurden 1913 aus Russland importiert.


Nun ist der Zentner (Sohn) ja kein wissenschaftliches Werk, es fehlt also der Anmerkungsapparat. Im Text wird "Max Bauer, Der große Krieg in Feld und Heimat" von 1921 als Quelle genannt.
 
Die Dünger-Diskussion wird hier unter einer doppelten Fragestellung geführt, nämlich einmal bezogen auf Beschaffung (Produktion naturlicher und künstlicher Düngemittel bzw. deren Import) und zum anderen auf die Verwendung (Verteilung auf die einzelnen Zweige der landwirtschaftlichen Produktion und konkreter Einsatz).

Mir ist jetzt noch ein Buch mit sprechendem Titel untergekommen [1], welches die "Krise der Landwirtschaft im Ersten Weltkrieg" aus einer besonderen Perspektive betrachtet: Erfolgte denn der Einsatz der Düngemittel optimal?

Da ist zum einen die Rede von "chaotischen Zuständen auf dem Kunstdüngermarkt" (S. 186 f.), aber auch von dem Motto "Viel hilft viel" (S. 200) als der "wichtigsten Handlungsmaxime des Kunstdüngergebrauchs". Die "Nebenwirkungen" blieben dabei lange Zeit unbeachtet bzw. wurden durch den vielbeschworenen "Mythos der Ammoniaksynthese" (S. 201) überdeckt.

Was meinen die Düngerexperten dazu?


[1] Die Wahrheit ist auf dem Feld: Eine ... - Google Bücher mit vielen nützlichen Literaturhinweisen
 
Mir ist jetzt noch ein Buch mit sprechendem Titel untergekommen [1], welches die "Krise der Landwirtschaft im Ersten Weltkrieg" aus einer besonderen Perspektive betrachtet: Erfolgte denn der Einsatz der Düngemittel optimal?

Wir sind ja noch beim sammeln, daher zum "Schweinemord" des Jahres 1915 (dort S. 184):

1. Haupt-Futtermittelimporteur war Rußland, wodurch diese Importe ab August 1914 unkompensiert wegfielen. Futtergerste-Importe (neben Biergerste) stammten überwiegend aus Rußland (1913: 2,76 Mio. To. Futtergerste von 3,09 Mio. To. insgesamt), Futtermais aus Süd- und Nordamerika (1913: 0,734 Mio. To. von 0,918 Mio. To. insgesamt)

2. Der Fakt des Futtermittelmangels bei den Schlachtungen wie auch bei der reduzierten Milchversorgung wird in Regionalanalysen betont, zB "im Sommer 1915 herrschenden Mangel an Futtermitteln", Boettcher, Fürsorge in Lübeck, S. 74 - Milch wurde später rationiert, Kinderzuteilungen, Verbot der Verwendung in Gastronomie und bei privater Herstellung von Lebensmitteln)

3. Zu klären ist (und hier, siehe Melchiors Hinweis, gibt es das Problem der unzureichende Datenlage), welchen Einfluß die gesetzten Schweinepreise (zunächst hoch wegen kriegsbedingter Ankäufe, 1915 niedrig wegen Versorgungspreise der Bevölkerung -> Unrentabilität bei knappen Futtermitten) auf die Anzahl der Schlachtungen hatten.

Hierbei gibt eine Besonderheit, die beim Absinken des Schweinestandes beachtet werden muss: Die "Beschaupflichtigen Schlachtungen" pro Jahr betrugen 1913 13,6 Mio. bis 1912: 18,2 Mio. Schweine. Damit ist die Aussage des "Schweinemords" in der Nachkriegsliteratur zu relativieren: das Problem des Absinken des Gesamtbestandes kann nicht nur auf kriegsbedingte Mehrschlachtungen zurückgeführt werden (der Schweinebestand reichte theoretisch für 1,5 Jahresschlachtungen), sondern auf den Mangel an Nachzucht (Futtermittelprobleme!) Quelle: StatJBfDR 1913, 1916, 1917

4. Viehbestand Schweine 1914: 25,34 Mio., nach Schlachtungen 1.12.1915: Absinken auf 17,27 Mio (Statistisches Jahrbuch DR 1917). Wurden hier 8 Mio. Schweine mehr als üblich geschlachtet oder gab es 8 Mio. weniger in der Aufzucht aus Mangel an Futtermittel? Oder gab es - vermutlich das wahrscheinliche Szenario - eine Mischung von beidem: mit welchen Ursachen?

Interessant ist, dass die Rinderzahl zunächst fast gehalten wurde (20,3 Mio. Dezember 1915 nach 21,8 Mio. am 1.12.1914), jedoch der Milchertrag im Kriegsverlauf auch wegen Mangels an Futtermitteln völlig einbrach.

Schweinebestand zum Kriegsende 1.3.1919: 7,37 Mio. Stück, der sich bis 1.12.1919 auf 11,59 Mio. Stück erhöhte). Der Rinder-Viehbestand 1.3.1919 zeigt diese Entwicklung nicht in dem Ausmaß: 17,055 Mio. Stück insgesamt.


Nebenbei: Während Fett- und Fleischimporte aus den Niederlanden und Dänemark hohe Importanteile hatten (-> keine Auswirkung der Blockade), war Rußland ebenfalls vor dem Krieg bei tierischen Nahrungsmitteln als Importeur bedeutend (Gänse: 8 Mio. Stück p.a., Schweine rd. 150.000 Stück p.a., Eier: 60.000 Tonnen p.a.) -> kriegsbedingter Wegfall. Diese Lieferungen trafen zusammen mit der Bedeutung als Futtermittel-Lieferant.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mir ist jetzt noch ein Buch mit sprechendem Titel untergekommen [1], welches die "Krise der Landwirtschaft im Ersten Weltkrieg" aus einer besonderen Perspektive betrachtet: Erfolgte denn der Einsatz der Düngemittel optimal?

Da ist zum einen die Rede von "chaotischen Zuständen auf dem Kunstdüngermarkt" (S. 186 f.), aber auch von dem Motto "Viel hilft viel" (S. 200) als der "wichtigsten Handlungsmaxime des Kunstdüngergebrauchs". Die "Nebenwirkungen" blieben dabei lange Zeit unbeachtet bzw. wurden durch den vielbeschworenen "Mythos der Ammoniaksynthese" (S. 201) überdeckt.

Was meinen die Düngerexperten dazu?


Ich bin zwar kein Düngerexperte:) und den Link habe ich jetzt auch nicht gelesen:rotwerd:
aber ich kann mich aus dem einstigen Biounterricht erinnern, wie der Pauker zum Kunstdüngereinsatz eine Spirale an die Tafel malte, wie die Erträge steigen und steigen, und plötzlich ist Schluss, nun treten andere Minimumfakoren auf, eine weitere Düngung oder gar Überdüngung führt zum Einbruch der Erträge. Die lassen sich von jetzt an nur durch Einsatz anderer Mischungen wieder steigern.
Dies ist, ich hoffe ich erinnere mich richtig, mit einbrechenden Ernteerträgen, zwischen 1910 und 1940 auf der ganzen Welt aufgetreten, und wurde, weil die Ursachen eine gewisse Zeit nicht erkannt wurden, mit Überdüngung (viel hilft viel) noch verschärft.

Willst Du darauf hinaus?

Es wäre aber schon eigenartig, wenn dies im Deutschen Reich ausgerechnet bei der Ernte 1915 erstmals zu beobachten gewesen wäre.
 
... aber ich kann mich aus dem einstigen Biounterricht erinnern, wie der Pauker zum Kunstdüngereinsatz eine Spirale an die Tafel malte, wie die Erträge steigen und steigen, und plötzlich ist Schluss, nun treten andere Minimumfakoren auf, eine weitere Düngung oder gar Überdüngung führt zum Einbruch der Erträge.
...
Es wäre aber schon eigenartig, wenn dies im Deutschen Reich ausgerechnet bei der Ernte 1915 erstmals zu beobachten gewesen wäre.
Die Spirale bzw. der S-förmige Verlauf bezieht sich auf das berühmte Gesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs (Turgot) und seine Varianten (Thünen, Gossen usw.), über die das ganze 19. Jh. diskutiert worden ist [1].

Aus der vorhin zitierten Quelle habe ich die Frage herausgelesen, ob evtl. nicht schon vor dem Krieg eine "falsche" Düngung - eben jenes "viel hilft viel" [2] - praktiziert wurde, was sich in Zeiten des Düngermangels entsprechend negativ auswirkte. - Ich will das aber nicht überbewerten.


[1] Volkswirtschaftslehre: Einführende ... - Google Bücher
[2] Aus Sicht der Düngemittelindustrie war das natürlich goldrichtig - bei Viagra ist es ja ähnlich...
 
Aus der vorhin zitierten Quelle habe ich die Frage herausgelesen, ob evtl. nicht schon vor dem Krieg eine "falsche" Düngung - eben jenes "viel hilft viel" [2] - praktiziert wurde, was sich in Zeiten des Düngermangels entsprechend negativ auswirkte. - Ich will das aber nicht überbewerten.

Vielleicht sollten wir das einfach einmal festpinnen und eine Bewertung offenlassen.

Gemessen am Stickstoffverlust etc. des Bodens pro Ernte, den steigenden Hektarerträgen vor 1914, und den höheren Düngemittelzufuhren auf der unwesentlich veränderten Anbaufläche nach 1921 (bzw. die Düngersteigerung pro Hektar) glaube ich nicht, dass hier ein wesentlicher Effekt des Rückgangs 1915 bzw. eine wesentliche andere Beurteilung des Düngemittelausfalls bzgl. der Auswirkungen auf Hektarerträge ab 1915 zu suchen ist.

Aber das ist nur eine überschlägige Einschätzung.

Ich stelle noch die Entwicklung der Hektarerträge nach den wichtigsten Getreidearten bis 1914 zusammen, um den Effekt auf die nationale Ernte insgesamt zu zeigen. Davon ist ein Teil natürlich auf die Maschinisierung zurück zu führen.


Nebenbei noch ein anderer wichtiger Effekt: die Weizenimporte (vorwiegend Amerika) bis 1914 werden unter folgedem Aspekt bewertet, der mit nicht unwesentlich neben der Quantität (ca. 2,5 Mio. Jahrestonnen) erscheint: trotz hoher Eigenproduktion beim Weizen war die deutsche Mühlenwirtschaft auf Importe angewiesen, denn dem deutschen Weizen mußte aufgrund seines niedrigen Klebe- (26 - 30%) und hohen Wassergehaltes ausländischer Weizen beigemischt werden, um in der Mühlenwirtschaft in großen Mengen backfähiges Mehl zu produzieren. Im Umkehrschluß fehlten damit nicht nur bei Kriegsbeginn 50% des Weizens, der durch Importe zuvor abgedeckt war, sondern das erzeugte deutsche Weizenmehl war von minderer Qualität. Einziger Ausweg: die Umkehrung dieser Weizen-Roggen-Verschiebung, die in Vorjahren stattgefunden hatte.

Quelle: Höpfner, Der deutsche Weizenhandel 1900-1945, S. 68-69.
 
Die Spirale bzw. der S-förmige Verlauf bezieht sich auf das berühmte Gesetz vom abnehmenden Ertragszuwachs (Turgot) und seine Varianten (Thünen, Gossen usw.), über die das ganze 19. Jh. diskutiert worden ist [1].

Aus der vorhin zitierten Quelle habe ich die Frage herausgelesen, ob evtl. nicht schon vor dem Krieg eine "falsche" Düngung - eben jenes "viel hilft viel" [2] - praktiziert wurde, was sich in Zeiten des Düngermangels entsprechend negativ auswirkte. - Ich will das aber nicht überbewerten.


[1] Volkswirtschaftslehre: Einführende ... - Google Bücher
[2] Aus Sicht der Düngemittelindustrie war das natürlich goldrichtig - bei Viagra ist es ja ähnlich...


Moment,
das stimmt beim Dünger so nicht. Wenn ich mich richtig erinnere (habe von Landwirtschaft wirklich gar keine Ahnung, nur dreiviertel verschüttetes Schulwissen) sinken da die Erträge, bei Überdüngung dann sogar erheblich.
 
Einziger Ausweg: die Umkehrung dieser Weizen-Roggen-Verschiebung, die in Vorjahren stattgefunden hatte.
Bezüglich solcher Verschiebungen bzw. Substitutionseffekte kann ich noch das bekannte Zucker-Beispiel "festpinnen" [1]:

"Zucker schien bei Kriegsausbruch mehr als reichlich vorhanden. Die Behörden empfahlen daher Ende 1914 eine Einschränkung des Zuckerrübenanbaus, und in den besetzten Gebieten Belgiens und Polens wurde der Anbau überhaupt verboten." Ergebnis: Rückgang der Erzeugung um 40 %.
Gleichzeitig stieg aber der Verbrauch erheblich, "da bei der allgemeinen Nahrungsmittelknappheit die Bevölkerung auf Zucker, besonders in Form von Marmelade und Kunsthonig, auswich. Man propagierte daraufhin wieder eine Steigerung der Zuckererzeugung ...; aber diese Bemühungen scheiterten nunmehr am Mangel an Arbeitskräften und Düngemitteln... Für den Rest des Krieges blieb Zucker knapp...", und man war am Schluss noch froh, "aus der besetzten Ukraine 67000 t Zucker herauspressen zu können."


[1] aus Hardach: Der erste Weltkrieg. München 1973, S. 124
 
Moment,
das stimmt beim Dünger so nicht. Wenn ich mich richtig erinnere (habe von Landwirtschaft wirklich gar keine Ahnung, nur dreiviertel verschüttetes Schulwissen) sinken da die Erträge, bei Überdüngung dann sogar erheblich.

Durch die negativen Folgen auf Boden und Pflanzen. Allerdings ist der Zusammenhang von Überdüngung und Ertrag stark abhängig von Boden- und Klimafaktoren, so dass es nicht zu einem zeitgleichen Ernterückgang kommen kann, um den ging es doch hier, oder? ( ich habe den Thread nicht richtig verfolgt)Minimumgesetz ? Wikipedia und Dünger ? Wikipedia
 
Zurück
Oben