Musik für Kastraten

Arne

Premiummitglied
Bin grad mal etwas um das Thema herumgesurft. Die Geschichte um Farinelli wird ja vielen vom Spielfilm her bekannt sein.
http://de.wikipedia.org/wiki/Farinelli

Als Buch zum Thema scheint: "Engel wider Willen. Die Welt der Kastraten. Eine andere Operngeschichte" von Hubert Ortkemper empfehlenswert zu sein.
http://www.amazon.de/gp/product/3423304685/303-4036592-6836227?v=glance&n=299956

Was mich jedoch reizt, ist mal so etwas zu hören. Ist natürlich etwas schwierig... :S

Ich weiß, daß für den Farinelli-Film die Stimmen bei den Arien digital verändert wurden um möglichst nah am damaligen Klang zu sein. Ich weiß auch, daß Cecilia Bartoli auf ihrem Album «Opera Proibita» viele Arien singt, die für Kastraten geschrieben wurden. Die Frauenstimme mag sich ähnlich anhören..

Netzzeitung 23.11.2005 schrieb:
Die diskrete Erotik der Kastraten

Wie es vor 300 Jahren Komponisten in Rom gelang, die Zensur der katholischen Kirche auszutricksen, zeigt Cecilia Bartoli auf ihrem Album «Opera Proibita». Eine Kostprobe davon gab sie in der Berliner Philharmonie zum Besten.​

Von Corina Kolbe

Männer, die keine richtigen Männer mehr waren, sangen so inbrünstig vom Triumph der Keuschheit über die Lust, dass es den Zuhörern Schauer über den Rücken jagte. In den ersten zehn Jahren des 18. Jahrhunderts waren öffentliche Opernaufführungen in Rom verboten: Dem Papst waren derlei Spektakel zu sündig. Komponisten wie Händel, Scarlatti und Caldara fanden jedoch einen Weg an der Zensur vorbei - und das sogar mit Hilfe einiger Kardinäle.
Mit wieder entdeckten Kastraten-Arien aus einer Zeit, in der geistliche Oratorien quasi zum Opernersatz wurden, begeistert die italienische Mezzosopranistin Cecilia Bartoli auch das heutige Publikum. Eine Auswahl ihrer Fundstücke hat sie am Dienstagabend in der Berliner Philharmonie präsentiert - anders als für die Frauen damals im päpstlichen Rom gilt für sie schließlich kein Auftrittsverbot.
Bartolis waghalsige Koloraturen zeigen, welch heftige Emotionen unter der frommen Oberfläche der «melodrammi sacri» lauern, wenn etwa in der Caldara-Arie «Sparga il senso lascivo veleno» die Wollust vergeblich versucht, ihr Gift gegen die Keuschheit zu versprühen. Die Römerin beeindruckt aber längst nicht nur mit rasanten Partien voller Sinnlichkeit und Lebenslust, sondern auch mit gefühlvollen Piani.
Zu den schönsten Stücken ihres Albums «Opera Proibita», die Bartoli in Berlin vortrug, gehören sicherlich Händels berühmte Arie «Lascia la spina...», «Caldo Sangue» aus Scarlattis «Zedekia, König von Jerusalem» sowie die mit viel Vibrato verzierte Arie «Vanne pentita a piangere» aus Caldaras «Triumph der Unschuld». Darin umwirbt die edle Melantia in einem Kloster leidenschaftlich einen jungen Mönch – nicht ahnend, dass es sich eigentlich um eine verkleidete Frau handelt. Eine weitere Pikanterie, die zeigt, wie die Musik damals die strengen Sitten der Kirche unterlaufen konnte.
Begleitet wurde Bartoli in der Philharmonie von dem Orchestra La Scintilla, einem Ensemble für Alte Musik an der Oper Zürich. Die Musiker mit ihrer Konzertmeisterin Ada Pesch brillierten vor allem mit einigen Bläser-Soli, hatten insgesamt aber weniger Schwung und Präzision als Les Musiciens du Louvre unter Marc Minkowski, mit denen Bartoli für ihre CD ins Aufnahmestudio gegangen war.
Cecilia Bartolis Album «Opera Proibita» ist bei Decca/Universal erschienen.
Quelle: http://66.102.9.104/search?q=cache:_YnJbe3rdAQJ:www.netzeitung.de/kultur/369440.html+CD+Kastraten+Klassik&hl=de&gl=de&ct=clnk&cd=16&lr=lang_de (Nur noch im Google-Cache)
Bei Amazon: http://www.amazon.de/gp/product/B000A6T1HC/303-4036592-6836227?v=glance&n=779324&s=gateway&v=glance

Kennt jemand eine CD, wo - ähnlich wie im Farinelli-Film - künstlich versucht wurde, die Stimmen der Kastraten wieder aufleben zu lassen? Empfehlung parat?
 
Ich hab eine CD von Allesandro Moreschi. Willst sie haben? :winke:

Sind Originalaufnahmen vom Beginn des 20. Jahrhunderts.
 
Zuletzt bearbeitet:
Lukrezia Borgia schrieb:
Ich hab eine CD von Allessandro Moreschi. Willst sie haben? :winke:

Sind Originalaufnahmen vom Beginn des 20. Jahrhunderts.

Lieb von dir, habe ich beim Googlen auch schon gefunden. Soll sich aber nach einigen Besprechungen "grausam" anhören, weil der gute Kerl da schon nicht mehr der Jüngste war und die Tonqualiät (1906?) mies sein soll...?
 
Arne schrieb:
Lieb von dir, habe ich beim Googlen auch schon gefunden. Soll sich aber nach einigen Besprechungen "grausam" anhören, weil der gute Kerl da schon nicht mehr der Jüngste war und die Tonqualiät (1906?) mies sein soll...?

Ja, zum relaxten Anhören ist sie nicht geeignet, man kann die Musik nicht wirklich genießen. Zu schlechte Tonqualität, als mies würd ich sie deshalb aber nicht bezeichnen. Interessant ist es allemal, mal einen originalen Kastraten zu hören.
 
Es gibt noch eine Aufnahme mit Vivica Genaux, der Akademie für alte Musik Berlin unter rené Jacobs, die kommt der damaligen Technik wohl recht nahe. "Arias for Farinelli"
Das sind auch recht viele Arien drauf, die lange als unsingbar galten und aus Farinellis Arien-Repertoire stammen.

Ansonsten bleiben Dir nur die Countertenöre - allerdings gibt es da auch einen der wirklich "erschreckend" =) ist - Jörg Waschinski, ein echter Sopranist.

weitere gute Countertenöre, bzw. Altisten sind:

Andreas Scholl
James Bowman
Domenique Visse
Gerard Lesné
Philippe Jaroussky
Derek Lee Ragin (ein teil der Retortenstimme für Farinelli)

mehr fallen mir gerade nicht ein


P.S. die Moreschi Aufnahme kann nach Meinung aller Musikliebhaber die ich kenne kaum das vermitteln was Kastraten zu Farinellis Zeiten zu Stande brachten.
Deshalb dürfte Vivica Genaux momentan diesem Ideal am nächsten sein.
(Sie ist auch wesentlich brillianter als die Retortenstimme)
 
Arne schrieb:
Kennt jemand eine CD, wo - ähnlich wie im Farinelli-Film - künstlich versucht wurde, die Stimmen der Kastraten wieder aufleben zu lassen? Empfehlung parat?

Das Problem ist, dass bei CD's bzw. Opernaufnahmen der Kastratenpart meist (oder beinahe immer) von Frauen gesungen wird - eigendlich schade, da man so nie in den Genuss der Originalität der Oper bzw. des Gesangs kommt! Um eine Kastratensimulation hören zu können, musst Du wohl eher in die Oper gehen und entsprechende Opernaufführungen besuchen.

Ich habe früher an einer Oper gearbeitet, dort wurde eine Oper inszeniert, die mir bis Heute unvergesslich in Erinnerung ist: Carl Heinrich Graun "Montezuma". Diese alte und fast vergessene Oper - mit Kastratenpart (Figur "Cortez"), und in der damaligen Inszenierung auch tatsächlich von einem Mann gesungen (!) - kann ich nur empfehlen! Du musst halt auf die Besetzungsliste schauen, ob auch tatsächlich ein Mann der Sänger ist...


Saludos!
 
Zuletzt bearbeitet:
Danke für die Hinweise @ Soleil & Rodriguez. Jetzt werde ich mich mal "umhören" müssen ;)
 
Also ich finde das die Besetzung durch Frauen nicht ganz so schlimm ist.
Natürlich kann sie keinen Kastraten ersetzen, aber eine Frau ist durchaus in der Lage diese Partienen gleichwertig zu singen, siehe Vivica Genaux, Countertenöre haben meist nicht die Kraft die man eigentlich erwartet.
Händel hat z.B. niemals Countertenöre eingesetzt, sondern im Falle wenn Senesino nicht konnte oder was auch immer, dann hat er grundsätzlich auf Frauen zurück gegriffen.
Demnach ist es historisch vollkommen legitim bei Einspielungen auf Frauen zurück zugreifen.

Henry Purcell dagegen hat die Stimmlage des mänlichen Altisten
(also Männer die nur mit der Kopfstimme singen und noch "komplett" sind ;) ) nachweisbar verlangt.
Ebenso Marc Antoine Charpentier, der ebenfalls in dieser Stimmlage gesungen hat
(Außerdem hat Louis XIV die Kastration in Frankreich verboten... was ihn aber nicht davon abhielt zwei Exemplare aus Italien zu importieren....)

Bei Countertenören - so sehr ich sie auch mag - besteht immer die Gefahr der Überforderung, so habe ich auch einmal den "Montezuma" von Graun im Fersehen gesehen, es war unaushaltbar, da man ständig meinte dem armen Kerl geht gleich die Luft aus und unsauber hat er darüber auch noch gesungen, sehr kratzig. (Ich hoffe das war nicht die Inszenierung von der Du gesprochen hast - ich war davon auch beeindruckt, aber im negativen Sinn)

Ich denke aber mit den wirklich guten Countertenören wie ich sie z.B. oben schon angesprochen habe, hat man eine ebenso "androgyne" Erfahrung - vor allem wenn man sie Live erlebt.

Mir ist noch einer eingefallen "Jochen Kowalski", er hat eine "Fehlbildung" der Stimmbänder und kann deshalb ohne Mühen so hoch singen, allerdings hat er auch viel Zeugs aufgenommen, was nicht hätte sein müssen.

René Jacobs der ja DER Spezialist für die Barockoper ist, hat früher auch gesungen, als Altist, aber da seine Stimme nicht auf uneingeschränkenten Zuspruch gestoßen ist hat er das Singen vor einigen Jahren komplett an den Nagel gehängt.
Der erste berühmte Countertenor unserer Zeit war übrigens Alfred Deller, von ihm gibt es auch noch einige Aufnahmen aus den 60er und 70er Jahren , gewissermaßen ist es ihm zu verdanken, dass man sich wieder für die historische Gesangstehniken interessiert.
 
Zu dieser Zeit hatte man eine andere Vorstellung von Männlichkeit, es war für Frauen höchst anziehend wenn ein Mann möglichst weiblich war.

Der Ursprung ist aber - wer hätte das Gedacht - der Vatikan, dort hatte der Papst Sixtus V. anno 1588 gemeint, "Das Weib schweige in der Kirche" und das öffentliche Auftreten in Theatern untersagt.
Da standen jetzt die Kapellmeister und Komponisten vor einem Problem - denn kaum jemand wollte die, von der Kirche so gewollte, Rückkehr zu den gregorianischen Chorälen. Längst hatte man kunstvolle Polyphonien geschaffen und die Komponisten konnten und wollten nicht auf die hohen Stimmlagen verzichten.
Knaben waren dafür nur bedingt geeignet.

Dann kam noch dazu dass um 1600 in Florenz die Oper entstand.
Als man dann eben auf Kastraten zurückgriff, wurde die Oper generell in Rom verboten - daraus entstand dann das Oratorium, was nichts anderes ist als eine geistliche Oper - diese wurde mehr oder weniger durch die neuen Verbote provoziert:
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts hatte dann Clemens XI. das Verbot noch verschärft: "...das keine Weibsperson bei hoher Strafe Musik aus Vorsatz lernen solle - denn man wisse wohl dass eine Schönheit die auf dem Theater singe und dabei ihre Keuschheit bewahren wolle, nichts anderes tue als ob man in den Tiber springe und dabei seine Füße nicht naßmachen wolle..." =)

Wie man darauf kam, Jungen die eine gute Stimme hatten zu kastrieren, um diese Stimme zu erhalten, weiß ich allerdings auch nicht.
Das tragische war nur, dass viele Jungen die das erleiden mußten, später einfach nicht das nötige Talent hatten und natürlich keine Karriere machten.
Es waren nur wenige die so einene Berühmtheit wie Farinelli oder Senesino erlangten.

Kastraten waren für Frauen der höheren Kreise auch auf anderem Gebiet interessant, da "nichts passieren" konnte, obwohl die Männer noch "voll funktionsfähig" waren.
Man liebte es in dieser Zeit diese androgynen Spielereien, so sangen Kastraten oft Frauenrollen, wärend die männlichen Rollen dann von Frauen gesungen wurden. Das mag Heute befremden ist aber wenn man die gesamte Epoche des Barock und Rokoko betrachtet nichts außergewöhnliches.

Gewissermaßen entdeckte man aus einer Notlösung heraus eine ganz neue Facette des menschlichen Gesangs. Diese Bandbreite kann eine Frau im Normalfall nicht erreichen, ein guter Kastrat hat eine äußert bewegliche Stimme und einen gewaltigen Stimmumfang, so kann er so tief singen wie ein Tenor und ohne Bruch bis in die Höhen eines Soprans aufsteigen.
Das ganze vereint mit der männlichen Kraft und dass soetwas fasziniert und bezaubert glaube ich ungehört.


Damit kein Mißverständnis auftritt, die heutigen Countertenöre singen nur mit der Kopfstimme, das ist so als imitiere man mit der "Fistelstimme" eine Frau als Mann, sie haben das nur kultiviert.
Also keine Spur von Gewalt =)
 
Soleil Royal schrieb:
Wie man darauf kam, Jungen die eine gute Stimme hatten zu kastrieren, um diese Stimme zu erhalten, weiß ich allerdings auch nicht.
Das tragische war nur, dass viele Jungen die das erleiden mußten, später einfach nicht das nötige Talent hatten und natürlich keine Karriere machten.

Habe bei der Recherche gelesen, daß man erst gut singende Knaben kastrierte um die Stimme zu erhalten. Da davon einige gut verdienten, gingen einige Eltern tatsächlich schon daran ihre Söhne recht früh zu kastrieren.."vielleicht könnte ja was aus ihm werden.." Da waren natürlich einige Nieten darunter...:S

Hochburg der Kastration soll Neapel gewesen sein. Da konnte man angeblich kastrierte Jungs reihenweise kaufen...
 
Heutzutage sind die Frauen dichter am Kastratenklang dran als die Altisten oder Sopranisten, weil sie wie die ehemaligen Kastraten keinen Stimmbruch haben (jedenfalls nicht so doll wie männer, die um ein bis zwei Oktaven abrutschen). Außerdem sind die Stimmen von Falsettisten, die, wie der Name schon sagt, mit falscher Stimme singen, viel zu unflexibel. Das "Gegurgel", das z.B. Vivica Genaux zu Gehör bringt (ich meine das keinesfalls abwertend), könnte eine träge Falsettistenstimme nicht bewältigen. Insofern hat man nur die Wahl zwischen Kanbe und Frau.
Abgesehen davon sind Frauen in Hosenrollen nicht unhistorisch. Bei Händel haben öfters Frauen Männerpartien gesungen und Männer Frauenpartien.

Für mich sind Altisten eh nur Quietscheentchen, in der Höhe schrill, in der Tiefe keine Substanz. Bei Farinelli (Film) hat man das geschickt überspielt, indem man eine Männer- und eine Frauenstimme übereinandermixte, eben weil ein Mann allein nicht reicht.

Etwa ein Bachsches "Schlafe mein Liebster" gesungen von einem Altisten, das vermittlet den Eindruck eines schwulen Babysitters. Scheußlich. Selbst wenn er wirklich Herkules in den Schlaf singt, dann noch mehr.
Ich hör jetzt lieber auf.....:scheinheilig:
 
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Soleil Royal schrieb:
...(Ich hoffe das war nicht die Inszenierung von der Du gesprochen hast - ich war davon auch beeindruckt, aber im negativen Sinn)

Hm, die Inszenierung von Grauns "Montezuma" war etwa 1981/1982 (ich war am besagten Theater von 1978 bis 1983 tätig). Ob die Oper dort filmisch aufgenommen wurde, kann ich nicht sagen bzw. mich nicht mehr erinnern. Es war keine monströse Prunk-Inszenierung mit überladener Barockkulisse, sondern eher mir karger Ausstattung - Heute würde man wohl das Wort "Minimalistisch" verwenden :cool:

Kassia schrieb:
Für mich sind Altisten eh nur Quietscheentchen, in der Höhe schrill, in der Tiefe keine Substanz. [...]

Etwa ein Bachsches "Schlafe mein Liebster" gesungen von einem Altisten, das vermittlet den Eindruck eines schwulen Babysitters.

:rofl: :rofl: :rofl:
 
Nein dann war es nicht diese Inszenierung. Die, die ich meinte war erst vor einigen Jahren in einem Garten / Heckentheater (wo weiß ich nicht mehr, sah aber nach Herrenhausen aus...) ich habe das teilweise im Fernsehen gesehen, war aber recht schnell bedient.

Da gab es dann auch eher barockisierte Kostüme, aber wie gesagt, das ganze war nichts Halbes und nichts Ganzes. Der Countertenor war restlos überfordert, das Orchester hat mit breitem Vibrato gespielt und als Basso Continuo wurde ein 50er /60er Jahre Cembalo verwendet à la Wanda Landowska oder Marga Scheurich ...nee Danke...

Leider ist es ja immer noch so, dass man abseits von Händel und Vivaldi nur sehr selten italienische Opern zu hören bekommt, die Opern von Hasse, Graun, Scarlatti, Caldara, Porpora etc. warten immer noch auf Entdeckung, ganz zu Schweigen von den Generationen davor (Cesti, Cavalli, Steffani...) oder danach (J.C.Bach, Jommelli, Traetta...)
Dabei beweisen die jüngsten Aufnahmen und Aufführungen, dass sie keinesfalls zu Recht vergessen wurden.
 
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