Mythologien und Geschichtliche Überlieferung

Haerangil

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Hallo!

Im Germanen-Unter-Forum bin ich gerade auf die Frage gestossen wieviel Geschichte sich in Mythologien wiederfinden und wieviel Geschichte nur Mythologie ist.

Stein des Anstosses für mich war die Vermischung von Geschichte und Sage bei Autoren wie Saxo Grammaticus.Lässt sich wirklich eine Andeutung auf Wanderungen Odins bei Saxo als Indiz für die historische Ausbreitung des Wodankultes zur Völkerwanderungszeit deuten? Ist es möglich aus einem mythologischen Ereignis wie dem Krieg der Asen und Wanen auf historische Verschiebungen verschiedener Kulte (Asen-Kult vs. Wanenkult d.h. kriegerische Himmelsgötter vs. bäuerliche Erdgottheiten) zu schliessen?

Ist die Euhemerisierung bei Snorri oder dem irischen Lebor Gabbala Erenn ein reines Produkt christlicher Gelehrten des Mittelalters um an biblische Überlieferung anzuknüpfen oder taugt sie tatsächlich auch für (religions-)historische Rückschlüsse?

Forscher wie Georges Dumezil oder Garret S. Olmstett z.B. schliessen aus gemeinsamkeiten innerhalb indo-europäischer Mythen auf gemeinsames Indo-europäisches Erbe, sind solche Schlüsse denn wirklich zuläsig wenn man bedenkt ,daß es ja bis in die Spätantike regen Austausch zwischen verschiedenen Völkern gab? Z.B. waren Sarmaten in Britannien stationiert, keltische Christen wie Pelagius gelangten bis nach Nordafrika und in den nahen Osten... läge es da nicht näher anstelle eines alten indo-europäischen Erbes Gemeinsamkeiten auf spätere Kulturkontakte z.B. zur römischen Kaiserzeit zurückzuführen? Soldaten und Siedler werden ja nicht nur Götter sondern auch Sagen und Gescvhichten ausgetausch haben.

Bin dankbar für eure Antworten und Meinungen dazu.
 
Ich selbst halte davon, wie schon öfter schrieb, wenig. Mündliche Überlieferung ist nicht so konservierend wie schriftliche. In einer Handschrift steht auch nach tausend Jahre noch der gleiche Text, vorausgesetzt die Handschrift bleibt erhalten.
Eine mündliche Erzählung oder ein Lied ist an sich im Gedächtnis eines Menschen gespreichert. Dass Erinnerung aber anders funktioniert als ein Blatt Papier das beschriebenen, wissen ja die meisten aus eigener Erfahrung.
Der gleiche Erzähler kann die gleiche Geschichte mehrmals erzählen, es wird jedes mal eine andere Geschichte. Wenn ein Zuhörer die Geschichte mehrmals gehört hat, so wird er sie wahrscheinlich nacherzählen können. Die Nacherzählung wird natürlich anders sein als das Original, aber eigentlich gibt es kein Original. Die Geschichte ist eben nicht durch Schrift fixiert sondern so veränderlich wie die menschliche Erinnerung und die Psyche. Ist wie beim Spiel "Stille Post".
Ein schönes Beispiel ist hier denke ich, dass mittelhochdeutsche Nibelungenlied. Gehen wir davon aus, dass es die Handschrift auch mündliche Überlieferung zurück geht. Die Geschichte ist sehr alt und spielt grob in der Völkerwanderungszeit. Sprich als de Geschichte Anfang des 13. Jahrhundert aufgeschrieben aufgeschrieben wurde, war das Geschehene schon über 800 Jahre geschehen. Die Unterschiede zwischen schriftlicher und mündlicher Überlieferung sind offensichtlich, vergleicht man die spätantiken Schriften über Attila mit dem König Etzel des Nibelungenlied.
Wenn bereits 800 Jahre mündliche eine Geschichte derart verändern, dass sie mit dem Geschehen nur noch wenig zu tun haben, so erübrigt sich die Frage in ob hochmittelalterliche Geschichte sonderlich viel mit den Geschehenisse der Bronzezeit oder eine indogermanischen Urzeit haben können. Selbst wenn solch es eine solch lange Tradition gebe, wäre sie durch die Jahrhunderte der mündlichen Überlieferung komplett entstellt.

Ich selbst finde hier die Sagen von Riesenspielzeugen interessant. Eine Megalith, natürlichen Ursprungs oder aber Relikt jungsteinzeitlicher Kulturen, wird dadurch erklärt, dass wahlweise ein Riese oder der Teufel in geworfen, hätten. Handelt es sich hier um jahrtausende alte Erinnerung oder kann so eine Geschichte nicht ganz von selbst entstehen. Ein Mensch sieht einen ungewöhnlich großen Stein und glaubt ihn nur durch Riesen oder übernatürliche Kräfte erklären zu können. Wenn es Erinnerung an die Frühzeit wäre, so müsste man die Geschichte als vollends kryptisch betrachten oder aber zu Erich von Dänikens Methoden zurückgreifen.:pfeif:
 
Hallo!Forscher wie Georges Dumezil oder Garret S. Olmstett z.B. schliessen aus gemeinsamkeiten innerhalb indo-europäischer Mythen auf gemeinsames Indo-europäisches Erbe, sind solche Schlüsse denn wirklich zuläsig

Ich denke, daß man hier gesunde Skepsis walten lassen darf. Wer sich insbesondere zum Thema der Dumézilschen "idéologie tripartite" (Ideologie der drei Funktionen) ein bißchen einlesen will, dem empfehle ich Bernfried Schlerath, Georges Dumézil und die Rekonstruktion der indogermanischen Kulturen, in: Kratylos 40 (1995) und 41 (1996)

Wie ich die Sache sehe, ist die Gefahr groß, daß vorgefertige Konzepte der Mythenforscher den alten Mythen übergestülpt werden. Besonders befremdlich ist, daß bestimmte Dinge als "indogermanisch" bezeichnet werden, die sich bei vielen nicht-indogermanischen Kulturen finden, während sie andererseits in vielen indogermanischen Kulturen völlig fehlen. Im Extremfall bekommt man den Eindruck, daß hier ein völlig zirkelschlüssiges System vorliegt, das gegen faktenbasierte Einwände resistent ist.

John Brough hat 1959 das Experiment unternommen, nach der angeblich indogermanischen "idéologie tripartite" bei den Juden zu suchen, und ist prompt fündig geworden.
Dumézil parierte das u. a. mit dem Hinweis, daß überall dort, wo bei nichtindogermanischen Völkern eine klare Dreifunktionalität nachgewiesen werden könne, sie dann eben durch indogermanischen Einfluß zu erklären sei. So hätten auch die Ägypter (angeblich unter indoiranischem Einfluß) unter Thutmoses eine dreifunktionale Gesellschaft und Ideologie entwickelt.

Dumézils Schüler Atsuhiko Yoshida hat sich wenig später zur Mythologie seiner japanischen Heimat geäußert. Wen wundert's, daß er auch in Japan eine dreifunktionale Ideologie nachweisen zu können glaubte. Der Logik seines Meisters folgend, schloß er, daß wahrscheinlich auch die Japaner unter indogermanischem Einfluß standen. Ich denke, diese Beispiele sprechen für sich.
 
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