Nationalstaatsidee - Fazit

rena8

Aktives Mitglied
Im GF gab es gefühlt jedes interessante Thema schon mal. Der Nationalstaat als Staatsidee wird in vielen Beiträgen immer wieder angesprochen, ein eigenes Thema wurde ihm noch nicht gewidmet, jedenfalls nicht in letzter Zeit.

Beim Lesen alter Threads bin ich auf diesen Satz von R.A. gestoßen in http://www.geschichtsforum.de/283389-post29.html

Hoffentlich hat R.A. nichts dagegen, wenn ich seinen Beitrag als Aufhänger benutze:
Die vorkolonialen Reiche hatten ja durchaus eine Staatlichkeit. Und diverse "aufgedrückte" europäische Verwaltungsprinzipien sind nicht das Problem.
Die koloniale Grenzziehung dagegen ist ein großes Problem, und dann eben die spezielle Verengung der Staatsidee auf "Nationalstaat".


Da widerspreche ich. Diese Idee, Vielvölkerstaaten müßten scheitern, ist eben Grundlage der Nationalstaats-Idee.
Und die genannten Vielvölkerstaaten sind gescheitert, WEIL zu viele Leute den Nationalstaatsgedanken durchziehen wollten.
Ich würde eher sagen: Verglichen mit dem, was die Nationalstaaten im Anschluß veranstaltet haben, sind diese viel eher gescheitert als der Vielvölkerstaat, den sie abgelöst haben mit dem Anspruch, es besser zu können.




Deutschland tat sich schwer mit der Umsetzung des Nationalstaats, ich würde aber bevorzugt andere Regionen betrachten wollen.
1. Wie, wo und warum kam es zur Idee?
2. Welche Gebiete waren die Vorreiter und wer orientierte sich an wem?
3. Gab es außereuropäische Beispiele, evtl. China?

4. Kann man für einen Teil Europas sagen, dass sich die Nationalstaatsidee seit ungefähr dem letzten Viertel des 20. Jhd. überlebt hat? Anzeichen dafür wären für mich die anerkannten Minderheiten, die es in fast jedem europäischen Staat gibt.

5. Und ja, kann man das heute schon so sagen, dass die Nationalstaatsidee viel eher gescheitert ist wie die Vielvölkerstaaten, die sie abgelöst haben, siehe Zitat von R.A.?

Ich hätte noch weitere Fragen und bin gespannt auf eure Beiträge.
 
Welchen Vielvölkerstaat gibt es den in Europa noch, wenn man die kleinen Minderheiten welche in jedem Staat existieren mal außen vor lässt.

Bevor jetzt die Beispiele Belgien und Bosnien Herzegowina kommen ich meine Staaten die auch wirklich funktionieren.

Desweiteren sind Kriege keine Erfindung des Nationalismus sondern die gab es auch zu Zeiten der Vielvölkerstaaten.
 
Deutschland tat sich schwer mit der Umsetzung des Nationalstaats, ich würde aber bevorzugt andere Regionen betrachten wollen.
1. Wie, wo und warum kam es zur Idee?
2. Welche Gebiete waren die Vorreiter und wer orientierte sich an wem?
3. Gab es außereuropäische Beispiele, evtl. China?

4. Kann man für einen Teil Europas sagen, dass sich die Nationalstaatsidee seit ungefähr dem letzten Viertel des 20. Jhd. überlebt hat? Anzeichen dafür wären für mich die anerkannten Minderheiten, die es in fast jedem europäischen Staat gibt.

5. Und ja, kann man das heute schon so sagen, dass die Nationalstaatsidee viel eher gescheitert ist wie die Vielvölkerstaaten, die sie abgelöst haben, siehe Zitat von R.A.?

zu 1) Der Nationalstaat ist eine Entwicklung der Neuzeit, denn die Vorstellung, dass ein Volk oder eine Ethnie (Nation) in einem Staat vereint sein sollte, gab es zuvor nicht. Im Europa des Mittelalters gab es meist den Personenverbandsstaat, d.h. die Beziehung zwischen Lehnsherrn und Vasallen begründete die Herrschaft. Bezeichnenderweise fehlen grundsätzliche theoretische Äußerungen mittelalterlicher Autoren zum Nationsbewusstsein oder einem Nationalstaat. Das nationale Prinzip ist dem Mittelalter fremd, da zentrale Lebens-, Wirtschafts- und Herrschaftsformen durchgängig regionalisiert waren. Dennoch gibt es einige Elemente, die später zu Nationalstaaten hinführen und den Zusammenhalt der politischen Großverbände sichern. So z.B. durch das Bewusstsein, eine gemeinsame Geschichte zu haben, die mit bestimmten Traditionen verknüpft ist.

Und so gibt es statt der Staaten eher "Reiche", die meist eine unterschiedliche Zahl von Ethnien umfassen. Das gilt für Spanien ebenso wie für Frankreich, Russland oder das Heilige Römische Reich. Wo die Zahl der Ethnien minimal oder auf eine konzentriert ist, liegt das an einer abgeschiedenen oder insularen Lage wie bei England, Japan oder Island, nicht aber an einer bewussten Verengung und Abgrenzung seitens der Regierung.

zu 2) In Frankreich wird die ethnische und politische Vielfalt seit Ende des 12. Jh. in einen gesamtstaatlichen Rahmen bebracht. Die Dynastie wirkt integrierend. Der Adel wird allmählich entmachtet, die Krondomäne zur Grundlage des französischen Nationalbewusstseins ("rex Francorum" zum "roi de France"). In Spanien erwächst aus dem Zusammenschluss der christlichen Königreiche Aragon und Kastilien Ende des 15. Jh. der territorial geschlossene spanische Staat und ein spanisches Nationalbewusstsein, wobei Minderheiten wie muslimische Mauren oder Juden entweder zwangschristianisiert oder eher noch vertrieben werden. England ist durch seine insulare Lage ebenfalls ein Kandidat für ein frühes Nationsbewusstsein, während Italien und Deutschland in dieser Hinsicht Spätzünder sind. Auch wenn seit dem hohen Mittelalter ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Bewusstsein gleicher Geschichte und Sprache einsetzt, so kommt es aus übergeordneten politischen Gründen nicht zu einem Nationalstaat, bzw erst sehr viel später.

zu 3) Eine schwierige Frage. Das von dir genannte China wäre der eheste Kandidat für ein in der Bevölkerung verankertes Nationsbewusstsein. Möglicherweise kann man - mit Einschränkungen - auch das Römische Reich dazu zählen, nachdem im Jahr 212 n. Chr. allen freien Reichsbewohnern das Bürgerrecht verliehen wurde und die Romanisierung in weiten Gebieten abgeschlossen war. Sicher ist auch Japan dazu zu zählen, wo sich wegen seiner insularen Lage mit einem kulurell und sprachlich einheitlichem Volk schon früh ein Nationalstaat bildete. Indien hingegen blieb ein typisches Reich unter den Großmoguln mit einer vielfach religiös und ethnisch zersplitterten Reichsbevölkerung.
 
Welchen Vielvölkerstaat gibt es den in Europa noch, wenn man die kleinen Minderheiten welche in jedem Staat existieren mal außen vor lässt.

Bevor jetzt die Beispiele Belgien und Bosnien Herzegowina kommen ich meine Staaten die auch wirklich funktionieren.

Die Schweiz oder die USA und fast alle amerikanischen Staaten bezeichnet man nicht als Vielvölkerstaaten sondern als Willensnation ? Wikipedia
Defacto sind sie aber Vielvölkerstaaten, obwohl sie eine etwas andere Geschichte haben als die klassischen Vielvölkerstaaten Eurasiens, die schon vor der französischen Revolution bestanden.

Desweiteren sind Kriege keine Erfindung des Nationalismus sondern die gab es auch zu Zeiten der Vielvölkerstaaten.
Natürlich wurden vorher auch Kriege geführt, die (vorgeschobenen) Gründe waren nur andere. Dazu mehr bei "Volk und Raum".

zu 1) Der Nationalstaat ist eine Entwicklung der Neuzeit, denn die Vorstellung, dass ein Volk oder eine Ethnie (Nation) in einem Staat vereint sein sollte, gab es zuvor nicht. Im Europa des Mittelalters gab es meist den Personenverbandsstaat, d.h. die Beziehung zwischen Lehnsherrn und Vasallen begründete die Herrschaft. Bezeichnenderweise fehlen grundsätzliche theoretische Äußerungen mittelalterlicher Autoren zum Nationsbewusstsein oder einem Nationalstaat. Das nationale Prinzip ist dem Mittelalter fremd, da zentrale Lebens-, Wirtschafts- und Herrschaftsformen durchgängig regionalisiert waren. Dennoch gibt es einige Elemente, die später zu Nationalstaaten hinführen und den Zusammenhalt der politischen Großverbände sichern. So z.B. durch das Bewusstsein, eine gemeinsame Geschichte zu haben, die mit bestimmten Traditionen verknüpft ist.

Und so gibt es statt der Staaten eher "Reiche", die meist eine unterschiedliche Zahl von Ethnien umfassen. Das gilt für Spanien ebenso wie für Frankreich, Russland oder das Heilige Römische Reich. Wo die Zahl der Ethnien minimal oder auf eine konzentriert ist, liegt das an einer abgeschiedenen oder insularen Lage wie bei England, Japan oder Island, nicht aber an einer bewussten Verengung und Abgrenzung seitens der Regierung.

zu 2) In Frankreich wird die ethnische und politische Vielfalt seit Ende des 12. Jh. in einen gesamtstaatlichen Rahmen bebracht. Die Dynastie wirkt integrierend. Der Adel wird allmählich entmachtet, die Krondomäne zur Grundlage des französischen Nationalbewusstseins ("rex Francorum" zum "roi de France"). In Spanien erwächst aus dem Zusammenschluss der christlichen Königreiche Aragon und Kastilien Ende des 15. Jh. der territorial geschlossene spanische Staat und ein spanisches Nationalbewusstsein, wobei Minderheiten wie muslimische Mauren oder Juden entweder zwangschristianisiert oder eher noch vertrieben werden. England ist durch seine insulare Lage ebenfalls ein Kandidat für ein frühes Nationsbewusstsein, während Italien und Deutschland in dieser Hinsicht Spätzünder sind. Auch wenn seit dem hohen Mittelalter ein Zusammengehörigkeitsgefühl mit dem Bewusstsein gleicher Geschichte und Sprache einsetzt, so kommt es aus übergeordneten politischen Gründen nicht zu einem Nationalstaat, bzw erst sehr viel später.

zu 3) Eine schwierige Frage. Das von dir genannte China wäre der eheste Kandidat für ein in der Bevölkerung verankertes Nationsbewusstsein. Möglicherweise kann man - mit Einschränkungen - auch das Römische Reich dazu zählen, nachdem im Jahr 212 n. Chr. allen freien Reichsbewohnern das Bürgerrecht verliehen wurde und die Romanisierung in weiten Gebieten abgeschlossen war. Sicher ist auch Japan dazu zu zählen, wo sich wegen seiner insularen Lage mit einem kulurell und sprachlich einheitlichem Volk schon früh ein Nationalstaat bildete. Indien hingegen blieb ein typisches Reich unter den Großmoguln mit einer vielfach religiös und ethnisch zersplitterten Reichsbevölkerung.

Nach Dieters gutem Überblick über die politische Vorgeschichte habe ich abseits von Wiki weitergesucht, weil mir die Religion als Klammer in der Vorgeschichte fehlte und bin dabei auf diese Dissertation http://othes.univie.ac.at/9052/1/2010-04-01_0002024.pdf gestoßen, in der auf den Seiten 7-17 ebenfalls in die Entstehung der Idee eingeführt wird.

Außerdem begegnete mir Theodor Schieder und bevor wir zu den extremen Auswüchsen der Nationalstaatsidee "Volk und Raum" kommen, möchte ich die Experten um Stellungnahme zu Die Volksgeschichte der NS-Zeit: Vorläuferin der Sozialgeschichte der Bundesrepublik? Werner Conze und Theodor Schieder in der Diskussion - H-Soz-u-Kult / Tagungsberichte bitten.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Schweiz ist ein gutes Beispiel aber auch die haben sehr viele Krisen überlebt und sind vor allem ein weitgehend Dezentralisiertes Land die Kantone sind diejenigen politischen Einheiten welche die meiste Macht haben.

Bei meinem Beitrag Rena habe ich expliziet in Europa gesagt somit zählt die USA oder die restlichen amerikanischen Staaten nicht dazu.
 
Die Schweiz ist ein gutes Beispiel aber auch die haben sehr viele Krisen überlebt und sind vor allem ein weitgehend Dezentralisiertes Land die Kantone sind diejenigen politischen Einheiten welche die meiste Macht haben.

Aha - interessant. In der Schweiz wird aber nicht von Macht gesprochen, sondern von Kompetenzen und Selbstbestimmungsrecht.

Die kantonale Autonomie im Rahmen der Bundesverfassung und Gleichberechtigung der Kantone sowie ihre Mitwirkung an der Willensbildung des Bundes wie auch die Pflicht zur Zusammenarbeit sind wichtige Kernstücke des schweizerischen Bundesstaates.

Stichwort zum Nachschlagen: Föderalismus.

Schaut man sich das historisch an, so sieht man, das der schweizerische Bundesstaat aus den Ständen der alten Eidgenossenschaft entstanden ist, die Kantone haben ihre, nicht uneingeschränkte, Souveränität behalten. Dies hat sich bis heute nicht verändert.

Jeder Schweizer Bürger wählt in seinem Wohnkanton die Regierung - dirket.

Stichwort zum Nachschlagen: Direkte Demokratie
 
Zuletzt bearbeitet:
Außerdem begegnete mir Theodor Schieder und bevor wir zu den extremen Auswüchsen der Nationalstaatsidee "Volk und Raum" kommen, möchte ich die Experten um Stellungnahme zu Die Volksgeschichte der NS-Zeit: Vorläuferin der Sozialgeschichte der Bundesrepublik? Werner Conze und Theodor Schieder in der Diskussion - H-Soz-u-Kult / Tagungsberichte bitten.

Zunächst fände ich es schade, wenn wir das großr Thema "Nationalstaaten" schon so früh auf die NS-Zeit verengen würden. Ferner ist der Begriff "Volksgeschichte" sicher den meisten eine unbekannte Größe und er bleibt es auch nach Durchsicht des o.a. Links Es wäre also sinnvoll, sich mit dem Inhalt dieses Begriffs zunächst vertraut zu machen. Dazu habe ich das hier gefunden:

Anfang der zwanziger Jahre strebten vor dem Hintergrund der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg und des Zusammenbruchs des wilhelminischen Reiches einige deutsche Historiker eine grundsätzliche Neuausrichtung ihre Faches an. Nicht der Staat und seine Politik sollten mehr im Mittelpunkt der Geschichtsbetrachtung stehen, sondern das Volk. Es sollte versucht werden, „sein Wesen nach Abstammung, … Kulturschichtung und landschaftlicher wie stammlicher Gliederung zu begreifen und dieses Gesamtvolk, wo immer möglich als Träger der deutschen Geschichte zu setzen.

[...]

Helboks Volksgeschichte | Sezession im Netz

Prinzipiell ist gegen ein solches Vorhaben, wie es einige Historiker nach 1918 anstrebten, nichts einzuwenden. Doch stößt man sich gleich zu Beginn schon an einigen Wendungen. So z.B. das "Wesen" eines Volks "nach Abstammung, … Kulturschichtung und landschaftlicher wie stammlicher Gliederung zu begreifen". Da sind wir schon sehr dicht an der "Rassenkunde" der NS-Zeit, die bestimmten Völkern immanente Eigenschaften zuschrieb, seien es nun die Juden, Slawen oder "Deutsche arischen und artverwandten Blutes". Vermutlich kann man Völkern bestimmte Mentalitäten zuschreiben, und ein Sizilianer wird möglicherweise ein anderes Temperament als ein Lappländer besitzen.

Aber insgesamt bewegen wir uns dabei auf einem schmalen Grat und wenn es zu populären Verallgemeinerungen kommt, die dann auch "rassengeschichtlich" bedeutsam sein sollen, dann sitzen wir schon mitten in der Rassenlehre und im NS-Staat.
 
Die Schweiz ist ein gutes Beispiel aber auch die haben sehr viele Krisen überlebt und sind vor allem ein weitgehend Dezentralisiertes Land die Kantone sind diejenigen politischen Einheiten welche die meiste Macht haben.
Zur Schweiz hat dir ursi ja schon geantwortet und explizit zur Schweiz haben wir viele andere Themen. In der im vorigen Beitrag verlinkten Dissertation geht es hauptsächlich um Ungarn.

Bei meinem Beitrag Rena habe ich expliziet in Europa gesagt somit zählt die USA oder die restlichen amerikanischen Staaten nicht dazu.
Dieser Thread sollte sich mit der Nationalstaatsidee insgesamt beschäftigen und du beziehst dich allein auf Europa. Wahrscheinlich deshalb, weil diese Idee eine speziell europäische zu sein scheint, ich könnte jetzt sagen "ein europäischer Irrweg" möchte am Anfang des Themas aber noch nicht so weit gehen, bis jetzt sind das nur meine ungeprüften Gedanken zu einem Thema, dass mich allerdings schon länger beschäftigt.
Gerade Nationalstaatenbeispiele aus anderen Weltgegenden würden mir weiterhelfen. Gibt es aus dem von Dieter, China hinzugefügten Beispiel Japan neuere Literatur, aus der hervorgeht, wie sich der N.-Gedanke in Japan entwickelte?
Dass es Inseln und Randlagen wie Island leichter hatten, die N.-Idee umzusetzen und daran festzuhalten, leuchtet zwar ein, ich möchte aber nicht auch noch diesen Geschichtsablauf der greografischen Lage zuschreiben.
 
Zunächst fände ich es schade, wenn wir das großr Thema "Nationalstaaten" schon so früh auf die NS-Zeit verengen würden. Ferner ist der Begriff "Volksgeschichte" sicher den meisten eine unbekannte Größe und er bleibt es auch nach Durchsicht des o.a. Links

Es war auch meine Absicht, diesen Teil zunächst zurückzustellen. Ich habe im Netz nach kurzer Theorie gesucht und war dann sehr schnell bei Schieder, der nach einem zweifelhaften Link 3 Formen unterscheiden soll.
Deshalb hatte ich unsere Historiker um eine Stellungnahme zum Kollegen Schieder gebeten.
 
Naja bei Japan wird sicher der Shintoismus eine Rolle gespielt haben.

In Kombination mit dem Nationalismus aus dem Westen, dann der Staatsshinto.
 
...Deutschland tat sich schwer mit der Umsetzung des Nationalstaats, ich würde aber bevorzugt andere Regionen betrachten wollen.
1. Wie, wo und warum kam es zur Idee?
2. Welche Gebiete waren die Vorreiter und wer orientierte sich an wem?
Wo die Nationalstaatsidee entstanden ist, ist schwer zu beantworten, da es sich um eine Frage des Zeitgeistes handelt. Die Idee selbst dürfte überall (in Europa) gleich präsent gewesen sein, nur die Umsetzung ist je nach den politischen Umständen eines Landes verschieden.

4. Kann man für einen Teil Europas sagen, dass sich die Nationalstaatsidee seit ungefähr dem letzten Viertel des 20. Jhd. überlebt hat? Anzeichen dafür wären für mich die anerkannten Minderheiten, die es in fast jedem europäischen Staat gibt.
Anerkannte "nationale Minderheiten" sind ja ein Ausdruck eines Nationalstaates. In einem solchen Staat gibt es ein staatstragendes Volk und (meist an den Rändern) nationale Minderheiten - also Angehörige eines nicht staatstragenden Volkes.
Die Königreiche des Mittelalters kannten solche Begriffe noch nicht, weil es werder "staatstragende Völker" gab noch Völker, die sich als Minderheit begriffen.

5. Und ja, kann man das heute schon so sagen, dass die Nationalstaatsidee viel eher gescheitert ist wie die Vielvölkerstaaten, die sie abgelöst haben, siehe Zitat von R.A.?
Vielvölkerstaaten scheiterten oftmals in dem Moment, wo sich die Nationalstaatsidee durchsetzte. Dies setzt jedoch voraus, daß sich Völker bereits voneinander abgegrenzt haben. Aber auch in einer Zeit, wo sich Staaten als "Nationalstaaten" begreifen, müssen Vielvölkerstaaten nicht automatisch zum Scheitern verurteilt sein. Grundvoraussetzung für ein solches Scheitern ist das Umschlagen des nationalen Patriotismus in einen aggressiven Nationalismus, der keinen Raum für ein friedliches Zusammenleben der Völker lässt. Dies führte z. B. zum Zusammenbruch Österreich-Ungarns (1918), dem gewaltsamen Auseinanderbrechen Jugoslawiens (1990er Jahre) oder auch der Teilung der Tschechoslowakei in zwei Staaten. Nein, die Nationalstaatsidee ist noch heute sehr lebendig und wird es auf absehbare Zeit bleiben. Vielvölkerstaaten, wie z. B. Russland, tun gut daran, ihren nationalen Minderheiten möglichst große Souveränität einzuräumen. In Zeiten, in denen die Nationalstaatsidee sehr stark ist, können Vielvökerstaaten nur so wirklich funktionieren.
Vielvölkerstaaten sind vor allem dann zum Scheitern verurteilt, wenn sich nationale Minderheiten benachteiligt fühlen.
 
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Wo die Nationalstaatsidee entstanden ist, ist schwer zu beantworten, da es sich um eine Frage des Zeitgeistes handelt. Die Idee selbst dürfte überall (in Europa) gleich präsent gewesen sein, nur die Umsetzung ist je nach den politischen Umständen eines Landes verschieden.

Mmh, der Wertekodex der gemeinsamen Religion als gesellschaftliche Klammer verlor an Verbindlichkeit. Die Gefolgschaftshierarchien funktionierten seit dem späten Mittelalter und seinen aufstrebenden Bürgerstädten immer weniger.
Und das gloriose Frankreich, das mit seiner Revolution selbst dem letzten Bauern die Möglichkeit einer Veränderung gezeigt hatte, erschien als Einheit.


Anerkannte "nationale Minderheiten" sind ja ein Ausdruck eines Nationalstaates. In einem solchen Staat gibt es ein staatstragendes Volk und (meist an den Rändern) nationale Minderheiten - also Angehörige eines nicht staatstragenden Volkes.
Die Königreiche des Mittelalters kannten solche Begriffe noch nicht, weil es werder "staatstragende Völker" gab noch Völker, die sich als Minderheit begriffen.
Wo kann ich das mit den staatstragenden Völkern und den anerkannten Minderheiten am Rande, für die Entstehungszeit nachlesen?
Es erscheint mir unlogisch, entweder habe ich einen Nationalstaat, dann trimme ich die Bevölkerung auf einheitlich, sollte sie es nicht schon sein, durch Schulwesen, Sprache oder wie im preußischen Kulturkampf.
Oder ich erkenne an, dass es im Staatsgebiet verschiedene Gruppen gibt, lasse gleiches Recht für alle gelten und habe einen Vielvölkerstaat.

....Vielvölkerstaaten sind vor allem dann zum Scheitern verurteilt, wenn sich nationale Minderheiten benachteiligt fühlen.
...weil sich eine zahlenmäßig oder sonstwie einflussreiche Gruppe zur Elite aufschwingt und den Rest dominiert, was theoretisch in einer funktionierenden Demokratie nicht passieren kann, schon deshalb müßte doch die Nationalstaatsidee überholt sein.
 
Wo kann ich das mit den staatstragenden Völkern und den anerkannten Minderheiten am Rande, für die Entstehungszeit nachlesen?
Hier: Nation | bpb

Es erscheint mir unlogisch, entweder habe ich einen Nationalstaat, dann trimme ich die Bevölkerung auf einheitlich, sollte sie es nicht schon sein, durch Schulwesen, Sprache oder wie im preußischen Kulturkampf.
Oder ich erkenne an, dass es im Staatsgebiet verschiedene Gruppen gibt, lasse gleiches Recht für alle gelten und habe einen Vielvölkerstaat.
Im ersten Fall wäre das dann die Assimilation. Auch das wäre eine Möglichkeit, nur ist das ein Prozess, der mehrere Jahrhunderte dauern kann.
Im zweiten Fall funktioniert das mit dem "gleichen Recht für alle" eben nur in einem Rechtsstaat. In Diktaturen ist das aber oft nicht so, wie z. B. in Italien unter Mussolini oder Spanien unter Franco - beide verstanden sich auch als Nationalstaaten. Aber: Nationale Minderheiten waren hier starken Repressalien ausgesetzt.
...weil sich eine zahlenmäßig oder sonstwie einflussreiche Gruppe zur Elite aufschwingt und den Rest dominiert, was theoretisch in einer funktionierenden Demokratie nicht passieren kann, schon deshalb müßte doch die Nationalstaatsidee überholt sein.
Auch die Bundesrepublik Deutschland versteht sich ja als Nation und das macht den Staat zu einem Nationalstaat, in dem nationale Minderheiten einen Minderheitenschutz genießen.
In demokratischen Rechtsstaaten sollte es nicht passieren, daß Minderheiten Repressalien ausgesetzt sind, in Diktaturen ist das aber oftmals so, insbesondere, wenn der Nationalismus Staatsdoktrin ist. Das ist auch das, was ich meinte, als ich schrieb:
Grundvoraussetzung für ein solches Scheitern ist das Umschlagen des nationalen Patriotismus in einen aggressiven Nationalismus, der keinen Raum für ein friedliches Zusammenleben der Völker lässt...Vielvölkerstaaten sind vor allem dann zum Scheitern verurteilt, wenn sich nationale Minderheiten benachteiligt fühlen.
 
Wo die Nationalstaatsidee entstanden ist, ist schwer zu beantworten, da es sich um eine Frage des Zeitgeistes handelt. Die Idee selbst dürfte überall (in Europa) gleich präsent gewesen sein, nur die Umsetzung ist je nach den politischen Umständen eines Landes verschieden.

In meinem Beitrag # 3 habe ich schon gesagt, dass einige westeuropäische Staaten Vorreiter bei der Begründung von Nationalstaaten waren. So schufen die französischen Könige seit dem Ende des 12. Jh. staatliche Bedingungen, die die ethnische und politische Vielfalt vereinheitlichen sollten. Mit der allmählichen Entmachtung des Adels und der Krondomäne als Basis des französischen Nationalbewusstseins entstand hier einer der frühen Nationalstaaten.

Spanien entstand als Nationalstaat Ende des 15. Jh. durch den Zusammenschluss der Königreiche Aragon und Kastilien. Störende Minderheiten wie muslimische Mauren oder Juden wurden bezeichnenderweise zwangschristianisiert oder besser noch vertrieben. England erreichte durch seine insulare Lage und das bestimmende englische Staatsvolk schon früh den Charakter eines Nationalstaates, was die in Wales verbliebene keltische Minderheit nicht stören konnte.

Deutschland als Zentrum des Heiligen Römischen Reichs und auch das politisch zersplitterte Italien blieben hinsichtlich der Nationalstaatsidee Spätzünder, auch wenn ein Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dem Bewusstsein gleicher Geschichte und Traditionen vorhanden war.

Anerkannte "nationale Minderheiten" sind ja ein Ausdruck eines Nationalstaates.

Das ist sicher ein Trugschluss. Viele Nationalstaaten des 18. und 19. Jh. erkannten ihre Minderheiten gerade nicht an und versuchten, sie zu assimilieren oder zu verdrängen. Das gilt für einige Nationalstaaten noch heute; man denke nur an die Türkei und ihr Kurdenproblem. Der pflegliche Umgang mit Minderheiten ist ein Produkt der Zeit nach 1945 und das vorwiegend in Europa.

Vielvölkerstaaten scheiterten oftmals in dem Moment, wo sich die Nationalstaatsidee durchsetzte. Dies setzt jedoch voraus, daß sich Völker bereits voneinander abgegrenzt haben. Aber auch in einer Zeit, wo sich Staaten als "Nationalstaaten" begreifen, müssen Vielvölkerstaaten nicht automatisch zum Scheitern verurteilt sein.

Beispiele gibt es sowohl für die eine als auch die andere Variante. So scheiterten die Vielvölkerstaaten Osmanisches Reich, Österreich-Ungarn, Jugoslawien und Sowjetunion. Die USA und die Schweiz erfreuen sich hingegen ungebrochener Vitalität, was auch für Indien mit seinen unzähligen Ethnien und Religionen gilt.
 
...Viele Nationalstaaten des 18. und 19. Jh. erkannten ihre Minderheiten gerade nicht an und versuchten, sie zu assimilieren oder zu verdrängen. Das gilt für einige Nationalstaaten noch heute; man denke nur an die Türkei und ihr Kurdenproblem. Der pflegliche Umgang mit Minderheiten ist ein Produkt der Zeit nach 1945 und das vorwiegend in Europa...

Aber auch Versuche, nationale Minderheiten zu assimilieren, zu verdrängen oder sonst irgendwie gleichzuschalten ist eine Form der Anerkennng, oder?
Man erkennt, daß es sich um ein "anderes Volk" handelt, das man von seinem eigenen ausgrenzt. Nur setzt man diesem "anderen Volk" Repressalien aus - typisch im Nationalismus.
;)
 
Wo kann ich das mit den staatstragenden Völkern und den anerkannten Minderheiten am Rande, für die Entstehungszeit nachlesen?


Da finde ich nichts relevantes, dabei geht es hauptsächlich um das aktuelle Selbstverständnis Deutschlands.
Und so klar ist das nicht, als was sich D aktuell versteht. Dem Begriff Nationalstaat wird vorsichtig ausgewichen. Deshalb ist es ja auch meine Arbeitsthese, dass der Nationalstaat ein europäischer Irrweg war, der sich mittlerweile in großen Teilen überlebt hat.
Auch die Bundesrepublik Deutschland versteht sich ja als Nation und das macht den Staat zu einem Nationalstaat, in dem nationale Minderheiten einen Minderheitenschutz genießen.
In demokratischen Rechtsstaaten sollte es nicht passieren, daß Minderheiten Repressalien ausgesetzt sind, in Diktaturen ist das aber oftmals so, insbesondere, wenn der Nationalismus Staatsdoktrin ist.
Ein Kriterium eines Nationalstaats ist gemeinsame Kultur, worunter man auch die Sprache verstehen kann, jedenfalls waren im 19. Jhd. die entstehenden europäischen N.-staaten sehr bemüht, eine einheitliche Sprache durchzusetzen. Seit dem 2. WK und der Wiedervereinigung haben wir mW immer noch 2 anerkannte Minderheitensprachen dänisch und sorbisch. Heute ist das kein Problem mehr, weil alle Sprecher mind. zweisprachig sind.
Die weiteren Kriterien gemeinsame Abstammung, Kultur und Geschichte sind mehr oder weniger Konstrukte.
Man könnte also, wenn man wollte, Deutschland durchaus als Vielvölkerstaat bezeichen, man mogelt sich aber lieber mit anerkannten Mindenheiten durch.
Um den aktuellen Status sollte es hier aber nicht gehen, wir sind ja im GF. :winke:

Aber auch Versuche, nationale Minderheiten zu assimilieren, zu verdrängen oder sonst irgendwie gleichzuschalten ist eine Form der Anerkennng, oder?
Man erkennt, daß es sich um ein "anderes Volk" handelt, das man von seinem eigenen ausgrenzt. Nur setzt man diesem "anderen Volk" Repressalien aus - typisch im Nationalismus.
;)
Das finde ich unlogisch, wenn Minderheiten anerkannt werden, wie heute in D, kann ich den Staat doch Vielvolkerstaat oder Willensnation nennen, da die Minderheiten nicht ausgegrenzt werden, sondern sie sind genauso Staatsbürger wie alle anderen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Deshalb ist es ja auch meine Arbeitsthese, dass der Nationalstaat ein europäischer Irrweg war, der sich mittlerweile in großen Teilen überlebt hat.

Mit der "Geschichte" zu diskutieren, ob sie Irrwege einschlägt dürfte ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen sein.

Der Nationalstaat in Europa speiste sich im 19. Jahrhundert im wesentlichen aus den freigesetzten Energien der Französischen Revolution und der Dynamik des entfesselten Kapitalismus. Zudem bauten diese zwei dynamischen Elemente auf ein politisch definiertes Machtgefüge in Europa auf, das als ein relativ fragiles Gleichgewichtssystem großer Mächte definiert werden kann.

Der Irrweg, sofern man es so formulieren möchte, lag in der irrigen Annahme, dass es möglich sei, als europäische Großmacht eine hegemoniale Position einnehmen zu können. Eine irrige Annahme, der vor allem nach Bismark, KW2 und Hitler anhingen.

Dass der Nationalstaat zunehmend antiquiert wirkt, liegt vermutlich zu einem hohen Prozentsatz daran, dass er einen Teil seiner "staatlichen Funktionen", sowohl die politische wie auch die wirtschaftliche Sicherheit nicht mehr wahrnehmen kann, da sich die Wirtschaftsfunktionen zu einem hohen Prozentsatz von politischer Lenkung und Schutzfunktion entkoppelt haben (Normenpolitik etc.).

Mit der Konsequenz, dass sich die nationalen politischen Institutionen "häuten" müssen und auf einer multinationalen Ebene neu erfinden müssen. Ein Prozess, der bereits mit der Schaffung europäischer Institutionen eingeleitet wurde und bei weitem noch nicht abgeschlossen sein dürfte.

Das "sich-neu-erfinden" ist dabei kein Arbeitsbeschaffungsprogramm, sondern überlebenswichtig, weil diese europäischen politischen Institutionen eine politische Legitimation auch im Handeln gegenüber eienr globalisierten Wirtschaft erhalten müssen.
 
Kann es sein, dass du mich mißverstanden hast, thanepower? Es geht mir nur um den Nationalstaat im Gegensatz zum Vielvölkerstaat und zur Willensnation?

Meine provokative Arbeitsthese bezieht sich auf die Nationalstaatsidee des 19. Jhd.. Da es hauptsächlich in Europa N.-Staaten in diesem Sinne gab/gibt, ist für mich die Irrwegfrage nicht so überflüssig, da andere Staaten in anderen Kontinenten ohne diesen Umweg ausgekommen sind.
 
Da finde ich nichts relevantes, dabei geht es hauptsächlich um das aktuelle Selbstverständnis Deutschlands.
Und so klar ist das nicht, als was sich D aktuell versteht. Dem Begriff Nationalstaat wird vorsichtig ausgewichen. Deshalb ist es ja auch meine Arbeitsthese, dass der Nationalstaat ein europäischer Irrweg war, der sich mittlerweile in großen Teilen überlebt hat.
Das aktuelle Selbstverständnis Deutschlands - es ist eindeutig ein Staat der Deutschen, denn schon in der Präambel des Grundgesetzes heißt es daß sich die Deutschen in den "Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen" dieses Grundgesetz in freier Selbstbestimmung gegeben haben und gilt für das gesamte Deutsche Volk.
Und wenn gleich am Anfang des Artikels steht:
Es gibt keinen allgemein anerkannten und eindeutigen Begriff der Nation, noch weniger der dt. Nation.
dann kann ich da nicht wirklich mitgehen. Deutschland ist eindeutig eine Kulturnation, deren Staatsangehörige über die Grenzen Deutschlands hinaus leben und auch wieder zurückkommen können.
Für einen "europäischen Irrweg" halte ich die Bildung der Nationalstaaten auf keinen Fall.
Stell dir mal vor, es hätten sich die Nationen in Europa nie gebildet: Wie würde Europa dann heute aussehen?
Deutschland und Italien wäre dann ein Flickenteppich von 20-30 voneinander unabhängigen Staaten. Großbritannien würde es nicht geben, sondern England wäre womöglich in 7 oder 9 Königreiche geteilt, genau wie Schottland und auch Wales wäre extra. Und so könnte man das für jedes Land in Europa fortsetzen, da jedes Land eine Phase politischer Zersplitterung durchgemacht hat. Und meist du, dieses Wirrwarr von hunderten von Kleinststaaten hätte sich je zu einer "Europäischen Gemeinschaft" zusammengefunden? Ganz sicher nicht. Wenn sich die derzeitige Entwicklung tatsächlich forsetzenlässt, dann würde ich die Bildung von Nationalstaaten zumindest als einen notwendigen Zwischenschritt ansehen. Also:
- von den Stämmen von vor 2000 Jahren (Germanen, Kelten) die sich
- zu Stammesverbänden und noch später
- zu Königreichen zusammenschlossen, wobei diese entweder wieder auseinanderbrachen oder sich
- zu Nationen entwickelten, die sich aufgrund ihrer gefestigteren Struktur als die überlebensfähigsten erweisen.
Eine gemeinsame Sprache und Kultur - das ist schon ein "Kitt", der gut hält, umes mal etwas volkstümlich auszudrücken.
Ob das derzeitige "Experiment EU" erfolgreich sein wird, muß sich noch erweisen.

Ein Kriterium eines Nationalstaats ist gemeinsame Kultur, worunter man auch die Sprache verstehen kann, jedenfalls waren im 19. Jhd. die entstehenden europäischen N.-staaten sehr bemüht, eine einheitliche Sprache durchzusetzen. Seit dem 2. WK und der Wiedervereinigung haben wir mW immer noch 2 anerkannte Minderheitensprachen dänisch und sorbisch. Heute ist das kein Problem mehr, weil alle Sprecher mind. zweisprachig sind.
Die weiteren Kriterien gemeinsame Abstammung, Kultur und Geschichte sind mehr oder weniger Konstrukte.
Man könnte also, wenn man wollte, Deutschland durchaus als Vielvölkerstaat bezeichen, man mogelt sich aber lieber mit anerkannten Mindenheiten durch.
Um den aktuellen Status sollte es hier aber nicht gehen, wir sind ja im GF. :winke:

Eine gemeinsame Kultur haben die Deutschen schon und über sehr weite Strecken auch eine gemeinsame Geschichte (immerhin 1000 Jahre, wenn man von Karl dem Großen an rechnet) und beides teilen wir sogar mit den Österreichern.
Über die gemeinsame Abstammung ließe sich freilich streiten...


Das finde ich unlogisch, wenn Minderheiten anerkannt werden, wie heute in D, kann ich den Staat doch Vielvolkerstaat oder Willensnation nennen, da die Minderheiten nicht ausgegrenzt werden, sondern sie sind genauso Staatsbürger wie alle anderen.
Deutschland ist aber nunmal ein Staat der Deutschen und nicht der Deutschen, Dänen, Sorben und die Friesen, die ebenfalls eine anerkannte Minderheit sind, soviel ich weiß usw. usf.
Keine der Minderheiten stellt in irgendeinem Bundesland die Bevölkerungsmehrheit. Auch machen sie gemessen an der übrigen Bevölkerung einen eher kleinen Teil der Bevölkerung aus. Deswegen passt für mich Begriff "Vielvölkerstaat" für Deutschland nicht.
Aber ich muß zugeben: Die Diskussion regt mich trotzdem zum Nachdenken an, denn Russland würde ich schon als Vielvölkerstaat bezeichnen. Aber was macht Russland nun eigentlich im Gegensatz zu Deutschland dazu?
Bei Wiki steht dazu:
Vielvölkerstaat ist eine Bezeichnung für (zumeist historische) Staaten, die sich über das Siedlungsgebiet beziehungsweise den Kultur- und Sprachraum von mehreren Völkern oder Ethnien (Nationalitäten) erstrecken. Der Vielvölkerstaat ist ethnisch nicht homogen und wird somit im Gegensatz gesehen zum Einvolkstaat oder Nationalstaat, bestehend (vornehmlich) aus einem Volk (Nationalität).
Die Einwohner eines Vielvölkerstaates bilden, auch wenn sie aus verschiedenen Volksgruppen bestehen, über die gemeinsame Staatsbürgerschaft eine Rechtsgemeinschaft.
Der Begriff des Vielvölkerstaates wird in der Regel im Sinne einer illustrierenden Bezeichnung gebraucht, nicht als analytische Kategorie. So gibt es weder einheitliche Kriterien, unter welchen Voraussetzungen von einem Vielvölkerstaat gesprochen werden kann, noch werden damit theoretische Konsequenzen verbunden. Als Epitheton wird der Begriff regelmäßig im Zusammenhang mit Österreich-Ungarn, der Sowjetunion, dem Osmanischen Reich und Jugoslawien sowie in jüngster Zeit für Russland und Südafrika gebraucht. Die Schweiz verstand sich bisweilen als Modell für einen Mehrvölkerstaat, also für einen Föderalismus über ethnische, sprachliche und religiöse Zugehörigkeiten hinweg, mit der Aufgabe des Austarierens der Mitsprache von Ständen und Bürgern.
Quelle: Vielvölkerstaat ? Wikipedia



Ist also nicht wirklich klar definiert, sondern wird sozusagen "aus dem Bauch heraus" verwendet.
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