Nienburger-Kultur

Witege

Aktives Mitglied
Da es viele verschiedene Theorien über die Nienburger-Kultur / Nordwestblock gibt und ich im Internet nichts gefunden habe, welche Theorie als aktuell gilt, möchte ich hier fragen, wer etwas genaueres weiß.

Ist die Nienburger-Kultur rein germanisch und spaltete soch somit erst später von der Jastorf-Kultur ab, da sie in Einfluß der keltischen Kultur stand? Ist sie rein keltisch und wurde erst später von Jastorf-Germanen überlagert? Ist sie eine keltisch-germanische Mischkultur wie die der Belgen? Ist sie die Kultur der alteuropäischen Bevölkerung zwischen den Kelten und Germanen? Oder ist sie sogar illyrisch oder venetisch?
 
guten tag witege,

die jastorf-kultur, eine der frühen eisenzeitlichen kulturen des 5/4 Jh in nordeuropa,
welche als sachkultur, ohne ethnischen hintergrund, durchaus schon als germanisch
angesehen werden kann.
feststellbar auch auf jütland und den dänischen inseln, bronze ist fast vollständig verschwunden.
zentrum des siedlungsgebietes ist die nordöstliche lüneburger heide
unterschiedliche theorien in der entwicklung spielen keine große rolle, einzelne aspekte
werden akademisch/strittig beurteilt.
als entwicklung der urnenfelderkultur ist keltische beeinflussung nicht nur am
beispiel der körperbestattung wahrscheinlich.

die nienburger gruppe ist teil der jastorf-kultur und grenzt sich durch eine eigene
sachkultur, z.b. töpferei sehr genau feststellbar davon ab. siedlungsgebiet ist der
flusslauf der aller und die mittelweser. keltische kulturgüter werden hier in weitaus
stärkerem anteil aufgefunden. sicherlich ist auch hierin die abgrenzung begründet.

obwohl im siedlungsgebiet rasenerz vorkommt, ist bisher kein eindeutiger nachweis von rennfeueröfen und dazugehöriger schlacke im bereich der nienburger gruppe gelungen. dies könnte also auf eine reine schmiede- oder handelsfunktion hinweisen. daß es dieses in erheblichem maße gegeben hat, steht außer zweifel.
herausragendes literaturwerk zum thema ist wohl:
hans g. tuitjer, hallstättische einflüsse in der nienburger gruppe, isbn 3784812325

zusammenfassend,
die nienburger-gruppe ist teil der jastorf-kultur. diese grenzt sich lediglich in
teilen der sachkultur von ihr ab.
sie ist nicht keltisch und wird auch nicht von jastorf-teilen überlagert.
als mischkultur möchte ich sie nicht bezeichnen, die gründe sind naheliegend.
natürlich hat sie ihre wurzeln in einer alten indigenen bevölkerung, welche ich vorab schon
als urnenfelder-kultur bezeichnet habe.
zu illyrisch oder venetisch fehlt mir jeder anhaltspunkt.
mit allerbestem gruß max
 
Danke max für die ausführliche Antwort.
Das Buch werde ich nächste Woche mal anschauen.
 
Das ist eine hochinteressante Thematik.
Der Begriff "Illyrer" wird ja heutzutage sehr vielfältig verwendet.

Also ein Mitteleuropäisches Volk, dessem Zentrum etwa bei Halle (Saale)
lag und das von Süden her keltisch und von Norden her
germanisch überlagert wurde.
Eine alteuropäische Bevölkerung also, die dann im Nord-Westen sich noch
etwas "länger" halten konnte.

Am Rande: Man muss natürlich immer bedenken dass das alles nur
Theorien sind, also INTERPRETATIONEN von Menschen die die Menschen
von damals niemals wirklich persönlcih kennengelernt haben.

Es ist jedoch dennoch sinnvoll sich auf Bezeichnungen für die Kulturen
und Völker zu einigen.
 
survivor schrieb:
Das ist eine hochinteressante Thematik.
Der Begriff "Illyrer" wird ja heutzutage sehr vielfältig verwendet.

Also ein Mitteleuropäisches Volk, dessem Zentrum etwa bei Halle (Saale)
lag und das von Süden her keltisch und von Norden her
germanisch überlagert wurde.
Eine alteuropäische Bevölkerung also, die dann im Nord-Westen sich noch
etwas "länger" halten konnte.
Ich kenne die Illyrer als volk des südlichen Balkans. Oder verwechsle ich das Jetzt mit einem Volk ähnlicher Schreibweise?
 
nienburger kultur

lieber themistokles,es gab da eine alte , wissenschaftlich sehr umstrittene theorie, daß die illyrer zur bronzezeit aus mitteleuropa an die östliche küste des adriatischen meeres gezogen sind.Ihre herkunft aus der niederlausitz ist leider nicht belegt.
mit allerbestem gruß max
 
Witege schrieb:
Danke max für die ausführliche Antwort.
Das Buch werde ich nächste Woche mal anschauen.

Eine Information::fs:
Die Scheverlingenburg von Walle (Ldkr. Gifhorn) wird der Nienburger Gruppe zugeschrieben. Man hatte diese Burg bisher in das 11.Jh. n.Chr. eingeordnet. Allerdings haben Grabungen ergeben, daß keine mittelalterliche Fundstücke gefunden wurden, sondern nur vorrömische eisenzeitliche Fundmaterialien (Rand- und Wandungsscherben aus Fein- und Grobkeramik). Eine Wandungsscherbe (eingetiefte Verzierungen mit andersfarbigen Ton inkrustiert) ließ eine genaue Datierung auf das 6.Jh.v.Chr. zu. Somit war diese Burganlage 1.600 Jahre älter als immer vermutet.

Vergleichbare Anlagen sind: die Vogelsburg, Ratsburg, Marienburg, Wittenburg und der Hünenstollen.
 
Der Begriff Illyrer wird manchmal für "zentral-europäische" Kulturen
der Stein- bzw. Bronzezeit benutzt um diese sozusagen etwas zu verallgemeinern und in Verbindung zu bringen.
Ob die Herkunft in der Niederlausitz liegt oder eben nicht, ist für mich
ganz persönlich gar nicht mal so relevant.
Ich habe schon immer gerne versucht Verbindungen zwischen den verschiedenen Völkerschaften zu sehen und Kontinuitäten zu erkennen.

Es gibt z.B. auch die hoch-interessante Walternienburg-Bernburger-Kultur
und ihre "Nachfolger". Und eben jene Gruppen die vermutlich damit in Verbindung standen. Und diese Verbindungen reichten oftmals bis nach Norditalien und an den Balkanrand usw.

Aber ich will jetzt auch nicht zu viele abgedreht Theorien spinnen....
 
@Cherusker. Steht der Ringwall der Marienburg in irgendeiner Verbindung mit der sogenannten "Beusterburg?


Eine Ringwallanlage, meines Wissens unbekannten Ursprungs, existiert auch bei Thale im Harz. Er grenzt an das Plateau des "Hexentanzplatzes.
 
Mittlerweile halte ich folgende Theorie für am wahrscheinlichsten:

Das Volk zwischen den Kelten und Germanen gehörte zur Urnenfelderkultur, aus welchem Grund sie oft, vor allem von Philologen, für Illyrer oder Veneter gehalten wurden. Da die Träger der Urnenfelderkultur erstens noch nicht bestimmt wurden und zweitens bestimmt nicht im ganzen Gebiet dem gleichen Volk angehörten, muß dies aber bezweifelt werden.

Die in Nordwestdeutschland lebende Gruppe war der Träger der sogenannten nördlichen Urnenfelderkultur. Sie verstanden sich natürlich, wie auch die Germanen nicht, als ein Volk und wurden zwischen den Germanen, Kelten und Römern aufgerieben. Wahrscheinlich waren sie also nahe verwandt mit den Kelten und wurden betimmt von ihnen kulturell beeinflusst.

Die Nienburger-Gruppe kann man schließlich schon als germanisch bezeichnen. Allerdings wird die Urbevölkerung nicht vertrieben worden sein, sondern weiterhin die von den germanischen Adligen beherschte Bauernschicht bilden.

Allerdings war der Rhein keine Völkerscheide bevor die Römer kamen und man kann annehmen, dass der Nordwestblock auch den Benelux umfasste. Caesar schrieb auch, dass die Belger keine Gallier waren, und auch die Ortsnamen betätigen, dass die Belger nicht zur keltischen Latenekultur gehörten.

Das Volk zwischen den Kelten und Germanen waren also wahrscheinlich einfach nur die Belger, deren nördlicher Teil von den Germanen überlagert wurde und somit zur Nienburger-Gruppe wurde.
 
guten tag witege,

ganz prima finde ich es, wenn du dich in der zwischenzeit mit der nienburger kultur beschäftigt hast.
quellen, welche du benutzt hast, lassen sich für mich leider nicht erschließen.

fast bereue ich ich es, am 1.10 geschrieben zu haben:"die jastorf-kultur......,
welche als sachkultur, ohne ethnischen hintergrund, durchaus schon als germanisch angesehen werden kann."

sagen wollte ich damit nur: daß in teilen des täglichen lebens durchaus schon sachelemente vorhanden waren, welche man zu späterer zeit ebenfalls bei den
frühen germanen finden konnte.
keinenfalls sollte damit ausgedrückt werden, daß dort leibhaftige germanen herumliefen.
gleiches muß natürlich sinngemäß für die nienburger kultur gelten!!!
das waren keine germanen!!! (noch nicht, sag ich mal ganz salopp)

leider zieht sich durch deinen beitrag eine vereinheitlichung der zeitabschnitte, welche so nicht akzeptiert werden kann. es kann ganz einfach nicht sein, daß wir schnell ein bogen schlagen von der urnenfelderkultur bis zur den ausführungen cäsars über germanische völker.
die nuancen der völkerentwicklung sollten schon beachtet werden.
erst mit den berichten cäsars treten die germanen als einzelstämme ins licht der geschichte. (andere nichtigkeiten mal außer acht gelassen)

ein kleines mißverständnis ist möglicherweise bei der urnenfelderkultur aufgetreten.
auch dies war kein volk, keine stämme, es war eine "sachkultur". eine kultur welche seine toten in urnenfelder bestattete.
da existierte kein volk von "unenfelder-männern und frauen. es war nur eine sachkultur welche sich mit anderen sachkulturen überschneiden konnte. die "urnen-felder wurden hier als namensgebende leitkultur eingeführt.
deshalb brauch man auch die träger dieser kultur niemals festzulegen.

wie sich diese gruppen selbstverständlich gegenseitig beeinflußten haben ich und andere hier schon ausgeführt.

sprachwissenschaftler (philologen) haben solche erkenntnisse in den letzten jahrzehnten maßgeblich vorangetrieben. mir ist nicht ein einziger aus diesem kreise bekannt, der heute noch diese kulturen mit den illyrern und venertern in verbindung bringt. dies ist zwischenzeitlich veraltetes wissen, welche man bis längstens in die 50 jahre als richtig ansah. inzwischen sind ein halbes jahrhundert forschung weitergegangen und es liegen neue erkenntnisse vor.

es tur mir leid, wenn ich zu deinem schlußworten eine ganz andere meinung habe. die nienburger-kultur hat rein gar nichts, im sinne der hier geschilderten umstände, mit der römerzeit und den belgern zu tun.

es würde mich freuen, könntest du deine ausführungen mit hinweis auf
entsprechende fachliteratur etwas besser erklären.

mit allerbestem gruß max
 
Zuletzt bearbeitet:
maxherbert schrieb:
keinenfalls sollte damit ausgedrückt werden, daß dort leibhaftige germanen herumliefen.
gleiches muß natürlich sinngemäß für die nienburger kultur gelten!!!
das waren keine germanen!!! (noch nicht, sag ich mal ganz salopp)
Dieses Problem ist mir natürlich bekannt. Aber im Prinzip macht es doch keinen Unterschied, ob das Proto-Germanen oder "richtige" Germanen waren. So weit es keine größere Einwanderung in das jeweilige Gebiet gab, kann man doch von dem gleichen Volk ausgehen.



maxherbert schrieb:
die "urnen-felder wurden hier als namensgebende leitkultur eingeführt.
deshalb brauch man auch die träger dieser kultur niemals festzulegen.
Ja, deswegen kann man sie ja auch nicht einfach als Illyrer bezeichnen, wie ich geschrieben habe. Allerdings kann man annehmen, dass die Menschen der nördlichen Urnenfelderkultur mehr Gemeinsamkeiten miteinander hatten als mit den Germanen oder Kelten. Allerdings kann man sie nicht als ein Volk bezeichen, sondern eher als Haufen verwandter Gruppen.


maxherbert schrieb:
es tur mir leid, wenn ich zu deinem schlußworten eine ganz andere meinung habe. die nienburger-kultur hat rein gar nichts, im sinne der hier geschilderten umstände, mit der römerzeit und den belgern zu tun.
Möglich, dass dies falsch ist, aber mein Gedanke war, dass die wie von dir als indigene Bevölkerung bzeichnete Urnenfelderkultur nicht verschwanden, sondern sich eben mit einigen Proto-Germanen der Jastorf-Kultur zur Nienberger-Kultur entwickelte, wie es später auch bei den Cheruskern war. Dies ist aber nur eine von mir gespinnte Theorie.
Oder mache ich hier einen total falschen Ansatz und die Nienburger-Kultur entwickelte sich selbstständig aus der nördlichen Urnenfelderkultur und war nur kulturell mit der Jastorf-Kultur verbunden.
Die Belger habe ich hereingebracht um einen Begriff, wie Germanen oder Kelten zu bekommen.

maxherbert schrieb:
es würde mich freuen, könntest du deine ausführungen mit hinweis auf
entsprechende fachliteratur etwas besser erklären.
Hachmann, Rolf: Völker zwischen Kelten und Germanen.
 
Zuletzt bearbeitet:
nienburger kultur

guten abend witege,

der zweite ansatz deiner anwort erscheint mir weitaus zufriedenstellender.

dabei möchte ich allerdings anmerken, daß wie bereits dargestellt, die nienburger k. sich nicht aus der urnenfelder-kultur entwickelte, sondern teil von ihr war.

prima, daß du auf deine quelle verweist, rolf hachmann ein excellenter
fachmann, das angegebene buch kenne ich allerdings noch nicht.

mit freundlichem gruß max
 
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