Noricum - Sprachen und Namen

Sepiola

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Auf diese Seite bin ich auf der Suche nach einer Karte des römischen Noricum gestoßen:
Archäologie & Geschichte - Alauni

Der Text dazu enthält schon ein paar sprachliche Klopper:
Orthographisch betrachtet finden wir bei Prolemaios geschrieben: HALOUNI bzw. HALLOUEN; im Keltischen „ou“ und „o“ werden wie „au“ gebraucht/gesprochen (nach P. Reinecke). In ALOUNAE/ALAUNAE oder ALAUNI, wie wir es in latinisierter Form aus einigen Inschriften kennen (s. unten), steckt etymologisch gesehen anscheinend die Bedeutung „Weiß“ und „Hal“ = Salz. Die Alauni waren also die „Weißen“ oder treffender: die „Salzleute“ – diejenigen, die das „weiße Gold“ zu Tage förderten.

Heute begegnet uns noch in der chemischen Substanz Alaun, einem speziellen Salz, das zum Färben und Gerben verwendet wird, diese Wortbedeutung.
Bei Ptolemaios (in der Stückelberger-Graßhoff-Ausgabe) findet sich die Schreibweise Alaunoi/Alanoi, Schreibweisen mit H- finde ich nirgends. Ptolemaios kennt außerdem noch eine Stadt namens Alauna und einen Fluss namens Alaunos in Britannien (offensichtlich diesen), einen alaunischen Stamm in Sarmatien und einen Berg Alaunon, ebenfalls in Sarmatien.

Zur Etymologie des Namens kann ich nicht viel Sicheres sagen.
Mit ziemlicher Sicherheit gab es im Keltischen kein Wort "Hal = Salz"; das keltische Wort lautete wohl *salano-; eine Entwicklung vom s zum h fand zwar in den britannischen Sprachen statt, im Gallischen (und auch im Irischen) jedoch nicht.
Mit dem Wort für 'weiß' dürfte wohl *albiyo- gemeint sein, da führt auch kein Weg zu den Alauni.

Das deutsche Wort Alaun kommt vom lateinischent alumen (davon ist auch das Wort Aluminium abgeleitet)

In dieser Arbeit wird gallisch Alaunus auf ein Wort *al- 'wachsen' zurückgeführt und mit lat. Alumnus verglichen:
Keltische Personennamen in Noricum - Benennungsmotive und Semantik
 
Hier geht es zum Projekt "Altkeltische Sprachreste in Österreich":
Altkeltische Sprachreste in Österreich: Das Projekt

Leider führen die meisten dort angebrachten Links ins Leere.
Was funktioniert, ist das Verzeichnis "Nichtmediterrane Namen in Noricum" (davon die meisten keltisch bzw. wahrscheinlich keltisch) mit 1381 Einträgen:
Celtic personal names from Norica

Leider nichts erfährt man auf dieser Seite über die vier angeblich keltischen Inschriften aus Grafenstein, Dürrnberg, Frauenberg und Magdalensberg. Mit ihnen hat sich David Stifter eingehend beschäftigt:

https://www.researchgate.net/profil...erpretativen-Eisenzeitarchaeologie-Teil-2.pdf

Als authentische keltische Inschrift kann demnach nur die in Grafenstein (Kärnten) gelten. Das Becherfragment vom Frauenberg bei Leibnitz (Steiermark) enthält zwei venetische Buchstaben, das reicht nicht aus, um die Inschrift als "keltisch zu klassifizieren. Das sogenannte Schreibtablett vom Dürrnberg wurde einst ins 3. bis 4. vorchristliche Jahrhundert datiert, galt aber als unleserlich. Laut Stifter handelt es sich aber um lateinische Kursivschrift und wäre (mit aller Vorsicht) am ehesten ins späte 4. Jahrhundert zu datieren. Es ergibt sich die Lesung †eslugieni† oder wahrscheinlicher †esiugieni†, das könnte der keltische Name Esugeno sein.
Die "norische" Inschrift vom Magdalensberg hat sich als Fake der 1950er Jahre erwiesen.
 
Im Gebiet des einstigen Noricum lassen sich historisch fünf verschiedene Sprachen nachweisen. In weiten Teilen des Landes wurde also viermal die einheimische Sprache jeweils vollständig durch eine neu hinzugekommene fremde Sprache verdrängt.

Die älteste Sprache war eine indoeuropäische, nicht-keltische Sprache. Sie lässt sich nur über Toponyme erschließen. In Tirol, wo keine durchgehende sprachliche Keltisierung stattgefunden hat, gibt es Siedlungsnamen, die auf diese (oder eine benachbarte, nah verwandte) Sprache zurückgehen; ansonsten geben nur noch die (oft besonders zählebigen) Gewässernamen Auskunft.

Dann kam das Keltische. Ob die vorkeltische Sprache vom Keltischen komplett verdrängt wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Falls es noch vorkeltische Sprachinseln gegeben haben sollte, wurden diese - wie auch das Keltische - im Lauf der fünfhundertjährigen Römerherrschaft vom Lateinischen verdrängt.

Im späten 5. Jahrhundert muss ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung abgewandert sein; die Vita Severini spricht sogar von einer kompletten Evakuierung, doch kann diese allenfalls den Ostteil Noricums betroffen haben.

Antik-romanische Siedlungsnamen sind nur noch in Oberösterreich, Salzburg, Osttirol, Kärnten (sowie in Slowenien und dem Chiemgau/Rupertswinkel, auf der Karte nicht zu sehen) erhalten geblieben; in Niederösterreich und der Steiermark gibt es keinen einzigen Siedlungsnamen aus norischer Zeit mehr:

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Die dann einsetzende slawische Besiedlung war nicht ganz flächendeckend, erfasste aber den größten Teil des ehemaligen Noricum:

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https://www.reddit.com/r/Austria/comments/91pds8/slawische_ortsnamen_in_österreich_nach_otto/

Zuletzt wurde das Slawische (und die letzten Reste des Romanischen) weitgehend vom Bairischen verdrängt, mit Ausnahme des Südostens (Slowenien, z. T. Kärnten).

Es gibt einen Fluss, an dem sich alle fünf Sprachschichten heute noch ablesen lassen:
So trägt einer der Quellflüsse der Pielach den altertümlichen Namen Natters (*Natirā) – vgl. die Tiroler Siedlungsnamen Natters bzw. Naturns –, der Hauptfluss wurde später in keltischer Zeit zu *Leukā umbenannt, davon leitet sich der deutschsprachige Gemeindename Loich ab. In slawischer Zeit kam es nochmals zu einer Neubenennung *Bělā, daran wurde das deutsche Gewässerwort -ach angehängt (die Natters wurde zum Nattersbach), so entstand der Name Pielach.
 
Zuletzt bearbeitet:
Verzeichnis "Nichtmediterrane Namen in Noricum" (davon die meisten keltisch bzw. wahrscheinlich keltisch) mit 1381 Einträgen:
Celtic personal names from Norica

Neulich hatten wir es mal vom anlautendenden f- im Keltischen;

Im Gallischen dürfte das anlautende f- (wie auch in den modernen keltischen Sprachen) bereits weitgehend geschwunden sein, ich erinnere mich an irgend einen inschriftlich belegten Namen mit anlautendem F. (Im verlinkten Wiktionary-Artikel deutet die Schreibweise *ɸlānos die bilabiale Aussprache des f- an, das war also schon ein sehr "gehauchtes" f-.)

Auch im Noricum gibt es keinen einwandfrei keltischen Namen mit anlautendendem f-:
Celtic personal names from Norica

Die oberbayerische Gemeinde Valley, die ihren Namen auf eine angebliche "keltische" Göttin namens "Fallada" zurückführt und sich daher brüstet, die "älteste Siedlung" der Gegend zu sein, ist auf einen dilettantischen Humbug hereingefallen (wenn sie ihn nicht selbst produziert hat). Falbalas und Falladas gab es in historischer Zeit nicht.
Gemeinde Valley: Geschichte
 
So trägt einer der Quellflüsse der Pielach den altertümlichen Namen Natters (*Natirā) – vgl. die Tiroler Siedlungsnamen Natters bzw. Naturns
Wahrscheinlich bestens bekannt: Auch im Wallis gibt es ein Naters – Wikipedia .
Darf man einen sprachlichen Zusammenhang mit den erwähnten Natters, Naturns im Tirol annehmen? Ist das eher als Einzelfall zu betrachten oder kann man davon ausgehen, dass diese alte Sprache auf dem Gebiet des Noricums bis in die Westalpen reichte oder gar umgekehrt?
 
Im späten 5. Jahrhundert muss ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung abgewandert sein; die Vita Severini spricht sogar von einer kompletten Evakuierung, doch kann diese allenfalls den Ostteil Noricums betroffen haben.

Antik-romanische Siedlungsnamen sind nur noch in Oberösterreich, Salzburg, Osttirol, Kärnten (sowie in Slowenien und dem Chiemgau/Rupertswinkel, auf der Karte nicht zu sehen) erhalten geblieben; in Niederösterreich und der Steiermark gibt es keinen einzigen Siedlungsnamen aus norischer Zeit mehr:

Kann das Fehlen von antik-romanischen Siedlungsnamen in Niederösterreich und Steiermark auch auf eine geringe Besiedlungsdichte oder sogar fehlende Besiedlung in der Antike hindeuten? Sind in den Bereichen römische Siedlungsspuren literarisch (z. B. Itinerarien) oder archäologisch nachgewiesen?
 
Wahrscheinlich bestens bekannt: Auch im Wallis gibt es ein Naters – Wikipedia .
Darf man einen sprachlichen Zusammenhang mit den erwähnten Natters, Naturns im Tirol annehmen?

Anreiter (1996/97: 101) geht unter Hinweis auf griechisch νοτερός «nass» von einem indoeuropäischen Stamm *(s)notros > *natras «nass» aus, der als Flurname auf die ursprüngliche Bodenbeschaffenheit hinweisen könnte. Dieser Stamm würde sowohl Naters VS wie auch Natters im Nordtirol und verschiedene Flurnamen (Nadro im Calancatal, in der Val Canonica etc.) erklären.
[...]
Die Deutung des Namens Naters ist sehr unsicher. Jaccards Vorschlag ist unbrauchbar. Reine (suffixlose) Tiernamen sind in der Ortsnamengebung ungebräuchlich. Hubschmieds Konstrukt ist völlig spekulativ. Für die Existenz eines keltischen *snād-tro «Schutzhütte» gibt es keinerlei Hinweis. Unter den bisherigen Deutungsversuchen ist Anreiters Erklärung (< indoeuropäisch *(s)notros «nass») zweifellos die vernünftigste.
ortsnamen.ch
 
Kann das Fehlen von antik-romanischen Siedlungsnamen in Niederösterreich und Steiermark auch auf eine geringe Besiedlungsdichte oder sogar fehlende Besiedlung in der Antike hindeuten? Sind in den Bereichen römische Siedlungsspuren literarisch (z. B. Itinerarien) oder archäologisch nachgewiesen?

An überlieferten Siedlungsnamen ist kein Mangel, siehe z. B. die Peutingerkarte:
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An überlieferten Siedlungsnamen ist kein Mangel, siehe z. B. die Peutingerkarte:
Anhang anzeigen 21049

Zur nördlichen Straße - an der Donaugrenze entlang - gibt es bei Wiki eine Karte:

Limes Noricus – Wikipedia

Im Westen haben wir einige Siedlungen, deren Namen antiker Herkunft sind:
- Batava = Passau
- Lentia = Linz
- Ovilava = Wels
- Lauriacum = (Enns-)Lorch

Östlich von Lauriacum hat sich auf norischem Gebiet kein einziger Siedlungsname aus römischer Zeit gehalten.

Was stattdessen ins Auge fällt, sind einige Mauer-Namen:
- Mauer an der Url (Mauer bei Amstetten)
- Traismauer
- Zaiselmauer

Mauer-Namen wurden typischerweise von frühen bajuwarischen oder alemannischen Siedlern vergeben, und zwar für verlassene Römerorte, deren Steingebäude noch zu sehen waren, deren Namen aber niemand mehr kannte. (Für die Neuankömmlinge, die ihre Häuser aus Holz zu bauen pflegten, waren gemauerte Wände eine zur Namengebung geeignete Besonderheit.)

Im Namen Traismauer hat sich ein antiker Flussname erhalten, es handelt sich um den ursprünglich keltischen Flussnamen Tragesamā ('der schnell fließende'). Von diesem Flussnamen leitet sich die auf der Peutingerkarte verzeichnete Station Trigisama ab. Der Flussname hat sich wie in vielen anderen Fällen bis in die heutige Zeit erhalten, er lautet heute Traisen (ein Namenszwilling ist die Dreisam). Der Flussname wurde später zum Landschaftsnamen und stand auch Pate für die Siedlungsnamen Traisen und Traismauer.
 
dilettantischen Humbug
... gibt es auch in einem Buch namens "Heilige Orte der Kelten in Österreich" zu lesen. Praktisch auf jeder Seite ist Schwachsinn zu lesen. Natürlich werden alle Wallfahrtsorte auf die Kelten zurückgeführt, urdeutsche Ortsnamen wie "Einöde" werden zu keltischen Götternamen umgemünzt. Ich greife ein Beispiel heraus:

Maria Plain

Der Name der Wallfahrtsbasilika geht auf das auf dem Plainberg (ursprünglich nur "Plain") ausgestellte Gnadenbild „Maria Trost" zurück. So hieß diese Wallfahrtsstätte eigentlich "Maria Trost auf dem Plain", was im Laufe der Jahrhunderte auf das heute übliche "Maria Plain" verkürzt wurde.

Die Basilika wurde für das Gnadenbild „Maria Trost“, das von einem unbekannten Maler geschaffen wurde, erbaut. Der Legende nach war es während des Dreißigjährigen Krieges nach der Brandschatzung des Ortes Regen in Niederbayern 1633 fast unversehrt inmitten des Brandes erhalten geblieben. Die Frau des Pflegers von Fürsteneck, Argula von Grimming, erwarb das Bild für die Schlosskapelle der Burg. Ihr Sohn Rudolf von Grimming brachte es 1650 in den salzburgischen Heimatsitz des Schlosses in Müllegg (heute St. Johanns-Spital in Salzburg). Nachdem das Marienbild nach Salzburg gebracht worden war, ordnete Fürsterzbischof Guidobald Graf von Thun und Hohenstein 1652 die Errichtung einer hölzernen Kapelle an, der so genannten Ursprungskapelle.
So weit zu den Ursprüngen der Wallfahrt. Für den Keltenbullshitproduzenten ist das trotzdem eine "uralte Frauenwallfahrt", die sei halt nur "reanimiert" worden. Dann geht es weiter mit der Behauptung "Der Name Plain kommt vom keltischen planon und bedeutet 'Heilige Mitte' ".

Ein keltisches Wort planon gibt es nicht; wahrscheinlich hat der Autor mal etwas über Mediolanum gelesen, dessen erster Teil tatsächlich 'Mitte' bedeutet (dessen zweiter Teil aber nicht 'heilig') und wendet hier das Verfahren an "Wenn zwei verschiedene Wörter auch nur eine noch so entfernte Ähnlichkeit haben, dann bedeuten sie sicherlich dasselbe".

Der Bezeichnung "auf dem Plain" bezieht sich tatsächlich auf den Plainberg, und dessen Name ist romanisch:

Der Name des Berges leitet sich vom lateinischen "plaga" ab, das "Feld" bzw. "Abhang" bedeutet und auf die baumlose Südseite des Berges anspielt. Genauer war der Diminutiv "plagina" in Gebrauch, der im Mittelalter durch Elision dann den Buchstaben "g" und am Wortende das "a" verlor.
 
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