Notre Dame

collo

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Die Bilder der brennenden Kathedrale in Paris dürften allen unter die Haut gehen. Kaum vorstellbar, was an ideellen, kulturellen und religiösen Werten da gerade in Rauch aufgeht. Kaum vorstellbar, dass so eine Katastrophe heutzutage noch möglich ist. Ich kann mich auch nicht an ein ähnliches Ereignis erinnern, dass eines DER Wahrzeichen eines Landes/einer Stadt durch einen "Unfall" zerstört wurde.

Es wird sicher Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis die Kirche wieder halbwegs aufgebaut ist.
 
1992 ist Windsor Castle ausgebrannt, wenn ich mich nicht täusche, waren auch damals Restaurationsarbeiten im Gange. Genauso wie im Schloss Dahlen 1973, wo dereinst Friedrich II. von Preußen den Hubertusburger Frieden unterzeichnet hat.
 
Die Fassade und die beiden Türme scheinen wohl gerettet, den Kollaps des Gebäude konnte die Feuerwehr wohl verhindern.
Die Bilder lassen aber schlimmste Schäden auch im Inneren vermuten.
 
Weimar ist ja auch nicht so lange her... Aber es hat ja durchaus Tradition, daß Dome und Kathedralen abbrennen. Den diesbezüglichen Rekord hält wohl Mainz, wo das 1009 gleich am Tag der Weihe geschah.
 
Die Bilder lassen aber schlimmste Schäden auch im Inneren vermuten.

hier einige Bilder aus dem Inneren:

https://www.lejdd.fr/Societe/a-lint...breux-degats-mais-le-pire-a-ete-evite-3892823

Die Gewölbe sind teilweise eingestürzt, die Rosettenfenster haben wie durch ein Wunder dem Feuer bisher standgehalten. Wie weit das Mauerwerk und die Türme durch den Brand und die Hitzeausdehnung in Mitleidenschaft gezogen wurden und somit für einen Wiederaufbau dienen können, müssen erst noch die Fachleute überprüfen.
 
Ist ja kein Mathematikwettbewerb. Eine Sache kann schlimm genug sein, um unter die Haut zu gehen, obwohl es vielfach potenziert schlimmere Dinge gibt. Aber schlimm ist schlimm genug, trotz Kompara- und Superlativ.

Ich habe mich dazu schon im Palmyra-Thread mal ausgelassen: Die Zerstörung Palmyras hatte vielfache Gründe:
- Verknappung kunsthistorischer Güter, um so Preise zu erhöhen
- ein Angriff auf die Identität der umherlebenden Bevölkerung und ihre vorislamische Geschichte
- den Menschen vor Augen zu führen, dass "dem Westen" das Schicksal einer Ruinenstätte wichtiger sei, als der Tod von Menschen

Das kann man noch weiter aufdröseln. Beim Brand von Notre Dame de Paris ist - soviel ich weiß - kein Mensch ums Leben gekommen. Gut! Nichtsdestowenigertrotz ist es ein Verlust auch für die Identität von Menschen. Hier durch einen Unfall, oft genug aber ein Angriff politischer Extremisten auf eine Bevölkerung(sgruppe).
 
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Scheinbar sind auch die Reliquien gerettet wurden. Zumindest die Dornenkrone Christi, die einst von der Mutter Konstantins des Großen nach Konstantinopel gebracht, von dort aus 1239 ihren Weg nach Frankreich fand. Ein paar der Gebeine des selbst heilig gesprochenen Reliquiensammlers Ludwig IX., auf die zu küssen Joinville doch lieber verzichtete, sind ja auch in Notre-Dame untergebracht und ich glaube auch sein Leinenhemd. Das Altarkreuz, die Orgel und Gemälde sollen ebenfalls nahezu unbeschädigt sein. Es ist wohl halt vor allem die hölzerne Dachkonstruktion verbrannt, die neu zubauen sicherlich im Bereich des Machbaren liegt.

In Anbetracht dessen, kann mal wohl behaupten, dass die größte Katastrophe von der Feuerwehr abgewendet werden konnte.

Ich kann Chan dahingehend beipflichten, als das ich eine besondere Hysterie in der Berichterstattung rund um dieses Ereignis auch für nicht angebracht finde. Vor allem die heute wohl leider obligatorisch gewordene SocialMedia-Katastrophen-Hysterie, auf die Sender wie N-TV schon lange ihre "Berichterstattung" fundieren, halte ich für absolut überflüssig.
 
Bei den unterschiedlichen Emotionen wäre trotzdem angebracht, an der Grundlinie des Forums festzuhalten.

Tagespolitik bleibt hier außen vor.
 
Jenseits von der tagesaktuellen Debatte und Rankings, was harmlos und was schlimm, schlimmer oder gar am schlimmsten ist, sind wir hier doch einn Geschichtsforum, also solches sollten wir doch ein Gespür für die Bedeutung Notre Dames für Frankreich und Europa im Verlauf der Geschichte haben.

Natürlich kann man sich auch über gewisse Dinge ärgern, etwa, wenn die wichtigste Reliquie der Kirche, die als Dornenkrone Christi verehrt wird in vielen auch säkularen Zeitungen gewissermaßen als das Original aus dem Pilatus-Palast von vor fast 2000 Jahren angesehen wird und allenfalls vorsichtig erwähnt wird, dass es ein Stück sein soll, was bereits Helena in Jerusalem gefunden habe (very unlikely - 300 Jahre später) und welches dann, weitere 900 Jahre später, in den 1230ern von Ba(l)douin von Konstantinopel an Ludwig den Heiligen verkauft worden sei. Vielleicht ist es tatsächlich das Stück, das Kaiserin Helena aus Jerusalem mitbrachte, es muss ja damals eine regelrechte Fälscherindustrie in Jerusalem angekurbelt worden sein.
 
In Anbetracht dessen, kann mal wohl behaupten, dass die größte Katastrophe von der Feuerwehr abgewendet werden konnte.

In der Tat. Ich will nicht die entstandenen Schäden kleinreden, und es wird wohl auch noch einige Tage dauern, bis die Experten die Schäden am Mauerwerk bewertet haben, aber gestern abend wurde befürchtet, dass Notre Dame wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen könnte. Erst am späten Abend konnte man in der Hinsicht vorsichtige Entwarnung geben.

Gotische Kathedralen gibt es in Frankreich (vor allem im Norden) viele. Aber es sind m. E. zwei Kathedralen, die in Frankreich eine besondere Bedeutung haben: zum einen die Kathedrale von Reims, in der die meisten französischen Könige gekrönt worden sind, zum anderen die von Paris, Notre Dame. Über die Rolle, die letztere in der französischen Geschichte spielt, mag man sich in der Wikipedia informieren. Aber es ist auch ein Symbol von Paris. Vermutlich haben die meisten von uns, wenn sie Paris hören, bestimmte Bilder vor Augen. Ich denke da zuerst an den Eiffelturm, Sacré-Coeur, Arc-de-Triomphe und an Notre Dame (die Liste läßt sich wohl noch lange fortsetzen). Von all diesen touristischen Sehenswürdigkeiten ist Notre Dame die älteste. Auch international dürfte sie bekannt sein. Wenn man als Japaner oder Amerikaner eine Europa-Reise macht, fahren bestimmt die meisten nach Paris. Deswegen auch das große Medienecho.

Im übrigen ist die Kathedrale von Reims auch in ihrer Geschichte schwer zerstört worden: im 1. Weltkrieg wurde sie unter Artilleriefeuer genommen. Der Dachstuhl wurde zerstört und in der Zwischenkriegszeit neu aus Betonelementen gebaut.

Ich sehe gerade noch einen Artikel aus SPON, der einiges zur Bedeutung von Notre Dame schreibt:

https://www.spiegel.de/reise/staedt...besuchte-wahrzeichen-von-paris-a-1263069.html
 
Nicht zu vergessen, die Abteikirche von Saint-Denis. Von Abt Suger im frühen 12. Jahrhundert maßgeblich vorangetrieben, wurde sie der stilbildende Mutterbau der Gotik und natürlich die Grablege der Könige.
 
Eine zweite Dornenkrone wird mit dieser Kirche in Saint-Denis in Verbindung gebracht. Die Kirche steht im Norden von Paris. Der Heilige Dionysius hatte den Platz bestimmt, als er nach seiner Enthauptung auf dem Montmartre seinen Kopf unter den Arm nahm und sechs Kilometer nach Norden wanderte.

Karl der Große brachte die Dornenkrone von seiner Reise nach Jerusalem und sechs weitere Reliquien mit, in einem Sack aus Büffelhaut. Es waren dies die Dornenkrone, ein Nagel, ein Stückchen vom Kreuz, das Schweißtuch des Herrn, das Hemd der hochheiligen Jungfrau Maria, ein Windelband und einen Arm des greisen Simeon. In Aachen baute er dafür seine Kirche. Später ließ Karl der Kahle drei dieser Reliquien nach Saint-Denis verbringen und zwar die Dornenkrone, den Nagel und das Stückchen vom Kreuz. Das Schweißtuch des Herrn überließ er Compiègne.

Die andere Dornenkrone aus Notre-Dame verkaufte der in finanziellen Nöten befindliche Balduin II. an den Heiligen Ludwig (Ludwig IX.) Am 19. August 1239 kam die Prozession in Paris an, der König zog seine königliche Kleidung aus, eine einfache Tunika an und trug barfuß, unterstützt von seinem Bruder, die heilige Dornenkrone nach Notre-Dame. Er ließ einen Reliquienschrein nach Maß für diese Reliquien bauen: die Sainte-Chapelle.

Könnte sein, daß diese Tunika identisch ist mit dem Leinenhemd in Notre-Dame.

(Vita Karoli Magni, Descriptio)
 
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Karl der Große brachte die Dornenkrone von seiner Reise nach Jerusalem und sechs weitere Reliquien mit, in einem Sack aus Büffelhaut. Es waren dies die Dornenkrone, ein Nagel, ein Stückchen vom Kreuz, das Schweißtuch des Herrn, das Hemd der hochheiligen Jungfrau Maria, ein Windelband und einen Arm des greisen Simeon. In Aachen baute er dafür seine Kirche. Später ließ Karl der Kahle drei dieser Reliquien nach Saint-Denis verbringen und zwar die Dornenkrone, den Nagel und das Stückchen vom Kreuz. Das Schweißtuch des Herrn überließ er Compiègne.
Da KdG nie in Jerusalem war, dürfte das wohl alles Legende sein, vermutlich aus dem 11. - 13. Jhdt., das ist nämlich die Zeit, in der auf wundersame Weise die meisten Passions- und Christusreliquien auftauchen und ins Licht der Geschichte treten.
 
Vergleiche mit anderen Großbränden werden allerorten gezogen. So sind beim Brand des brasilianischen Nationalmuseums letztes Jahr Massen an Kunstgegenständen verloren gegangen.
Neue archäologische Entdeckungen

LiveScience zB bringt den Abdruck eines Artikels Artikels aus dem The Conversation, der an den Brand eines anderen nationalen Symbols 1837, den Winterpalast in Petersburg, erinnert.

Beim Wiederaufbau wurde Holz weitgehend ausgespart, um das Gebäude weniger feuergefährdet zu halten.
In Notre Dame fire, echoes of the 1837 blaze that destroyed Russia's Winter Palace
 
Notre-Dame de Paris beherbergt drei Orgeln, darunter eine bemerkenswerte Orgel, die seit dem 15. Jahrhundert gebaut und von dem berühmten Erbauer Aristide Cavaillé-Coll mit fast 8.000 Pfeifen verbessert wurde. Die Pfeifen, die aus einer Legierung aus Zinn und Blei bestehen, sind nicht sehr hitzebeständig, haben aber auf wundersame Weise noch dem Feuer standgehalten. "Es ist ein echtes Wunder, dass das Wasser nicht in das Innere eindrang", staunte Olivier Latry, Koorganist der großen Orgel. Tatsächlich wurde die gesamte Struktur, der Prospekt, die Pfeifen, die Konsolen, kaum beeinträchtigt. Das Instrument befindet sich unter der Nordrosette, die zum Schutz ihrer Bleisiegel stark bewässert wurde, und wurde durch die großen Steinbrücken darüber geschützt und erhalten. Ob Ruß und Staub in die Pfeifen und Bälge eingedrungen sind, ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt.

Die Orgel von Notre-Dame de Paris | ARTE
 
Vergleiche mit anderen Großbränden werden allerorten gezogen. So sind beim Brand des brasilianischen Nationalmuseums letztes Jahr Massen an Kunstgegenständen verloren gegangen.
Neue archäologische Entdeckungen

Die Bedeutung des Brandes in Brasilien ist sehr viel deutlich gravierender gewesen für die Kulturgeschichte der Region wie das Ereignis in Paris. In Brasilien ging unwiderrruflich vieles verloren. Und die mediale Resonanz war relativ gering.

Das Ereignis und seine mediale Inszenierung sagt mehr aus über die Eurozentrierung und einen bevorstehenden Wahlkampf aus.

Der reale kulturhistorische Schaden, der durch den Brand ausgelöst wurde, dürfte deutlich unter dem der Zerstörung von "Palmyra" oder in Brasilien liegen.
 
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