Ökonomisches Denken im Mittelalter

JetLeechan

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Früher befasste ich mich hauptsächlich mit der Geschichte der Kreuzzüge und insbesondere ihrer finanziellen Aspekte. Dabei fiel mir eine Rezension auf, in der der Hans Eberhard Meyer, eine Institution in der Kreuzzugsforschung, einen Text kritisierte in dem die Möglichkeit diskutiert wurde, die Kreuzfahrer hätte im 12. Jahrhundert versucht, durch das Einschleusen von Münzen mit niedrigem Edelmetallgehalt, die ägyptische Wirtschaft in die Knie zu zwingen.

Damals fand ich im Bericht eines arabischen Chronisten, der um 1202 und 1204 von der großen Hungersnot in Ägypten berichtete eine Passage, die zwar keinen Bezug nimmt auf etwaige "Wirtschaftskriegsführung" der Kreuzfahrer, doch aber beträchtlichen ökonomischen Sachverstand verriet. Das In-Umlauf-Bringen entwerteter Münzen durch die Herrschenden und das Krisensparen der Leute, die ihre (vollwertigen) Münzen aus Furcht im Boden vergruben oder anderweitig dem monetären Kreislauf entzogen hatten, wurde mit der Krise in Verbindung gebracht. Der Wortlaut ist mir leider nicht mehr geläufig, jedoch nahm ich diese Passage als Indiz dafür, dass derlei withschaftliche Zusammenhänge durchaus geläufig waren. Auch in Mitteleuropa waren Probleme mit der Zirkulation von solchen Münzen seit der Antike bekannt.

In wie weit eine solche Maßnahme durch die Kreuzfahrer tatsächlich möglich gewesen wäre, darüber möchte ich hier nicht spekulieren. Mir erscheint es nur unwahrscheinlich, dass man unseren mittelalterlichen Vorfahren so wenig wirtschaftliche Verstand zutrauen sollte.

Daher möchte ich an dieser Stelle die Frage in den Raum stellen, was wussten die Zeitgenossen von "Ökonomie"? Da die moderne Ökonomie ein Kind vor allem des 19. Jahrhunderts ist frage ich mich, wie man vorher über Wirtschaft "gedacht" (theoretisiert) und "Wirtschaftspolitik" betrieben hat.
 
Unser Geld heute hat seinen Wert, weil er festgelegt ist. Egal ob nun eine Kupfermünze, wo in D-Mark-Zeiten das 2-Pfennig-Stück Kupfer ein wenig mehr wert war, als der Nennwert, oder ein 500 €-Schein, der auf Papier gedruckt ist, das eben keine 500 € wert ist, sondern nur aufgrund der Tatsache, dass wir uns alle sicher sein können, dass wir für dieses Stück Papier den entsprechenden Gegenwert, der darauf steht bekommen, funktioniert.
Im Mittelalter war es dagegen weniger interessant, was auf einer Münze stand, als vielmehr, wie hoch der Edelmetallgehalt war. In Inflationszeiten wurde der Edelmetallgehalt reduziert (oder gar gefälscht), diese Münzen waren entsprechend unbeliebt.
 
Allerdings gab es doch lange Erfahrungen mit sinkendem Edelmetallgehalt und "Inflation" seit der Antike.

Eine Frage vorab: die "Große Hungersnot" in Ägypten wird in der englischen "Enzyklopädie der Kreuzzeuge" mit 1200/1202 angegeben, u.a. im Kontext mit bereits existierenden Finanzschwierigkeiten, Wertverfall und Preissteigerungen.

Ich meine, so etwas auch in einer Wirschaftsgeschichte Ägyptens gelesen zu haben.

Welche Daten stimmen denn?
 
Damals fand ich im Bericht eines arabischen Chronisten, der um 1202 und 1204 von der großen Hungersnot in Ägypten berichtete eine Passage, die zwar keinen Bezug nimmt auf etwaige "Wirtschaftskriegsführung" der Kreuzfahrer, doch aber beträchtlichen ökonomischen Sachverstand verriet. Das In-Umlauf-Bringen entwerteter Münzen durch die Herrschenden und das Krisensparen der Leute, die ihre (vollwertigen) Münzen aus Furcht im Boden vergruben oder anderweitig dem monetären Kreislauf entzogen hatten, wurde mit der Krise in Verbindung gebracht. Der Wortlaut ist mir leider nicht mehr geläufig, jedoch nahm ich diese Passage als Indiz dafür, dass derlei withschaftliche Zusammenhänge durchaus geläufig waren. Auch in Mitteleuropa waren Probleme mit der Zirkulation von solchen Münzen seit der Antike bekannt.

Es sind nur allzu naheliegende Probleme bei einer auf Metallwert beruhenden Münzwährung. Der reine Tausch Ware gegen Metallmenge ist verdammt umständlich. Geprägte Münzen mit "Materialwert" bergen aber immer die Gefahr der Fälschung, auch von Seiten derer, die die Münzen prägen (dürfen). Denn auch die Idee "Lass doch aus 100 Einheiten Metall nicht 100, sondern 150 Münzen prägen, merkt schon niemand", ist nur allzu naheliegend. Natürlich wird jede Gesellschaft, die mit solchen Münzen umgeht, mit den damit verbundenen Problemen konfrontiert. Und wenn man dann schon bei Münzverschlechterung ist, na klar probiert man die schlechten Münzen möglichst "woanders" abzusetzen, sonst kriegt man den Schrott am Ende noch zurück. ;)

Daher möchte ich an dieser Stelle die Frage in den Raum stellen, was wussten die Zeitgenossen von "Ökonomie"? Da die moderne Ökonomie ein Kind vor allem des 19. Jahrhunderts ist frage ich mich, wie man vorher über Wirtschaft "gedacht" (theoretisiert) und "Wirtschaftspolitik" betrieben hat.

Die Finanzsysteme des Mittelalters waren so komlex, dass damals die doppelte Buchführung entwickelt wurde, die wir im Prinzip noch heute nutzen. Eine zentrale staatliche Wirtschaftspolitik scheiterte weniger am mangelnden ökonomischen Wissen denn am Mangel an zentralstaatlichen Institutionen. Gerade in den italienischen "Stadtstaaten" wie Venedig, Genua, Florenz, sah das anders aus. Die waren dann auch entsprechend erfolgreich. Wie auch der während der Kreuzzüge entstandene Templerorden, der in ganz Europa nicht nur als religiöse, sondern auch als wirtschaftliche Institution von erheblichen Einfluss auftrat, solange es ihn gab.

Unser Geld heute hat seinen Wert, weil er festgelegt ist.
(...)
Im Mittelalter war es dagegen weniger interessant, was auf einer Münze stand, als vielmehr, wie hoch der Edelmetallgehalt war. In Inflationszeiten wurde der Edelmetallgehalt reduziert (oder gar gefälscht), diese Münzen waren entsprechend unbeliebt.

Auch eine beliebte Methode: Das Abfeilend er Ränder in der Hoffnung, keiner merkt es. Der Abschliff war ob seines Edelmetallgehaltes wertvoll, und die Münze verlor nicht offensichtlich an Wert... bis jemand mit eienr Wage kam, natürlich. Das geht mit modernen Münzen natürlich nicht mehr.

Der Wert eines Euro (oder Dollars, Pfund etc) ist allerdings auch heute nicht festgelegt, sondern entscheidet sich am Markt; wär im Prinzip kaum anders als mit 10 Gramm Gold, würden moderne Währungen nicht aus dem Nichts entstehen, oder vielleicht eher aus dem Aufeinandertreffen von Buchhaltung und Träumerei...
 
Allerdings gab es doch lange Erfahrungen mit sinkendem Edelmetallgehalt und "Inflation" seit der Antike.

Eine Frage vorab: die "Große Hungersnot" in Ägypten wird in der englischen "Enzyklopädie der Kreuzzeuge" mit 1200/1202 angegeben, u.a. im Kontext mit bereits existierenden Finanzschwierigkeiten, Wertverfall und Preissteigerungen.

Ich meine, so etwas auch in einer Wirschaftsgeschichte Ägyptens gelesen zu haben.

Welche Daten stimmen denn?

Im Zweifelsfall Deine, da ich alles aus dem Kopf niedergeschrieben habe und nicht mehr sicher bin. Vielen Dank für die Richtigstellung!:) Das es solche Erfahrungen mit Münzen seit der Antike bereits gab, schrieb ich ja bereits und umso mehr verwunderte mich damalige Aussage. Nun möchte ich Herrn Meyer aber nicht Unrecht tun. Seine Kritik bezog sich wahrscheinlich auf die Transferleistung der Kreuzfahrer vorherige Erfahrungen mit Münzentwertung in praktische, den Kreuzzügen dienliche Maßnahmen, umzusetzen. Jedenfalls erinnere ich mich aber an meine Überraschung darüber, dass von mangelndem wirtschaftlichen Sachverstand die Rede war.
 
Danke für alle bisherigen Antworten! Jedoch habe ich mich wohl wieder in Gedanken verloren und gemeint, ich müsse erst alles, was mir im Kopf zum Thema rummschwirrt zu Forum bringen. Meine Frage ist eigentlich ganz konkret, wie dachte man über Wirtschaft im Mittelalter? Gibt es ökonomische Theorien, Traktakte oder irgendwelche Quellen und welche Probleme und Ereignisse kennt Ihr, die dazu führten, dass man intensiver über Wirtschaft nachzudenken begann bzw. welche Kräfte entpuppten sich als Hindernisse einer mittelalterlichen Ökonomik, d.h. wo befanden sich die Grenzen? Und vor allem, wer waren die Akteure?

Fiskalpolitische Innovationen beispielweise gingen von der Königen in England und Frankreich und vor allem der Kurie aus. Finanzwirtschaftlich waren Klöster und Kirchen lange Zeit ganz vorne mit dabei. Was die Unternehmensführung und Buchhaltung angeht, haben sich unter anderem norditalienische, sowie süd- und norddeutsche Kaufleute einen Namen gemacht.

Mein Wissen dazu ist leider begrenzt und bezieht speziell auf die Kreuzzugsfinanzierung bzw. die der "Gegenkreuzzüge" im Nahen Osten. Ein klein wenig über Venedig und die Stromer aus Nürnberg kann ich noch sagen, aber das wars auch schon.

Eine erste Hypothese wäre wohl, dass sich ökonomisches Wissen zunächst vor allem im Bereich der christlichen Kirche sammelte und auch angewandt wurde. [Kann natürlich auch komplett daneben liegen!:]
 
Eine erste Hypothese wäre wohl, dass sich ökonomisches Wissen zunächst vor allem im Bereich der christlichen Kirche sammelte und auch angewandt wurde. [Kann natürlich auch komplett daneben liegen!:]

Also, das ist schon richtig. Die Reichsklöster in Deutschland erlebten schon im 8. Jahrhundert einen "Schenkungsboom" und erwarben große, aber auch sehr zerstückelte Besitze, die im Gegensatz zu den Adelsherrschaften weniger organisch gewachsen waren. Als einen der frühesten Ansätze zu langfristig planerischem Handeln sehe ich die großen Kopialbücher (z.B. Lorscher Urbar), in denen Rechte und Abgaben gesammelt wurden. Besonders die Orden blieben bis weit in die Neuzeit findige und geschickte Wirtschafter; manche Deutschordenskommende wirkt in ihrem Handeln, überspitzt gesagt, wie eine Sparkasse oder ländlicher Konzern.

Der zweite Motor für wirtschaftliche Innovationen waren die großen Städte/Reichsstädte. Das lag m.E. nicht nur an dem unternehmerischen Ansporn für die Kaufleute, sondern auch, dass eine Reihe von Gemeinschaftsaufgaben wie Stadtplanung, Verteidigung, Versorgung etc. bewältigt werden mussten.

Abgesehen davon, gab es von Seiten der damaligen "Macher" eine Menge langfristiger ökonomische Perspektiven, deren genauer Ablauf bzw. deren Gedankengänge sich uns mangels Schriftquellen entziehen. Der Kathedralenbau ist z.B. ein Bereich, der notorisch langsam vor sich ging.
Die Marburger Elisabethenkirche gilt z.B. als "schneller" und relativ einheitlicher frühgotischer Bau. "Schnell" heißt hier, dass die Kirche nach ca. 50 Jahren geweiht wurde und die letzten Bauarbeiten nach über 100 Jahren beendet waren.

Elisabethkirche (Marburg) ? Wikipedia

Entsprechend gibt es viele solcher Kirchen, die nie völlig fertig wurden - berühmtestes Beispiel natürlich der erst im 19. Jahrhundert beendete Kölner Dom, auf dem sogar noch der Kran aus dem Mittelalter stand.

Andererseits stand dahinter aber auch ein Planungswesen, dass über Jahrzehnte das Ziel nicht aus den Augen verlor und dafür sorgte, dass so Bauten entstanden, die in den Dimensionen und der Ästhetik das meiste übertrafen, was es an Privatbauten gab (von besonders großen Burgen/Palästen mal abgesehen). Leider wissen wir nur wenig darüber, wie eine Stadt/ein Fürstentum/eine geistliche Herrschaft solche mittelalterlichen Bauprojekte jahrelang am Laufen hielt.
 
.... Meine Frage ist eigentlich ganz konkret, wie dachte man über Wirtschaft im Mittelalter? Gibt es ökonomische Theorien, Traktakte oder irgendwelche Quellen und welche Probleme und Ereignisse kennt Ihr, die dazu führten, dass man intensiver über Wirtschaft nachzudenken begann bzw. welche Kräfte entpuppten sich als Hindernisse einer mittelalterlichen Ökonomik, d.h. wo befanden sich die Grenzen? Und vor allem, wer waren die Akteure?
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@JetLeechan

Deine Fragestellung ist wirtschaftshistorisch bzw. wirtschaftstheoretisch sehr komplex und ich fürchte aus ferner Sicht, daß Du ein systematisches Problem bei den Antworten bekommst.

Aber sei es drum:

Lateranum IV., Can. 59 "Wiederholung und Bekräftigung des kanonischen Zinsverbotes".

Internet History Sourcebooks Project

Vergleiche auch aus kirchenrechtlicher Sicht:

Luthers Wirtschaftsethik. - Hans-Jürgen Prien - Google Books

S. 56, dort Anmerkung 86, da sind viele Quellenangaben.

Das zum Zinsverbot. Gib einmal in die Suchmaschine Deines Vertrauens folgende Begriffe ein: "Gerechter Preis", "Gerechter Lohn", da findest Du Informationen und "Einstiege" in Dein Thema.

M. :winke:
 
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