Parlamentarisierung des Kaiserreiches?

Ich weiß nicht, ob Bill Clintion nun die Referenz für die Geschichte des Kaiserreichs ist.

Wahrscheinlich nicht, aber die Aussage ist doch zeitlos: Solange es dem Volk heute besser geht als gestern, solange die Auffassung gilt das es morgen besser geht als heute, solange besteht keine Veranlassung zu verfassungsändernden Aktionen, zu mehr Mitsprache bei den Staatsgeschäften.

So galt Wilhelm II. eben nicht als populärer Herrscher. Ganz im Gegenteil. Es bestand der Eindruck, das der monarchische Gedanke durch das persönliche Regiment und das öffentliche Auftreten des Monarchen eher belastet als gefördert wurde.

Ich denke schon, dass er Popularität besaß. Er verkörperte das junge und neue Deutschland. Er konnte es sich sogar leisten, den Kanzler der Einheit abzuservieren. Seine mediale Präsenz, seine ständigen Auftritte waren anfänglich gern gesehen. Das änderte sich jedoch gegen Ende seiner Regierungszeit, auch durch seine überhebliche Art. Die Unzufriedenheit nahm beständig zu. Aber bei einer 25-jährigen Regierungszeit - und der daraus resultierenden Vielzahl neuer Generationen bei anhaltendem Bevölkerungszuwachs - wäre es vermutlich eine Überraschung, wenn er am Ende ebenso populär wäre wie am Anfang!?

Mit den Staatstreichsplänen die am Hofe Wilhelm II. gehandelt wurden, wollte Hohenlohe nichts wissen. Naj ja, die Umsturzvorlage aus dem Jahre 1894 erfreute sich auch nicht gerade großer Beliebtheit. Gleiches gilt für die spätere Zuchthausvorlage aus dem Jahre 1899, die beide abgelehnt wurden, aber gerade die letztere hat für Unruhe gesorgt. Es gab große Demonstrationen.

Das war wohl der misslungene Versuch das Anwachsen der Sozialdemokraten im Allgemeinen und der SPD Fraktion im Reichstag im Besonderen entgegenzuwirken. Hätte er gewusst was Lenin wusste, nämlich das der deutsche Untertan, obrigkeitstreu bis zuletzt "..erst brav eine (Bahnsteig)Karte löst bevor er den Bahnsteig stürmt.." dann wären solcherart Versuche wohl unterlassen worden, im Deutschen des 2. Kaiserreichs steckt halt kein Revolutionär mehr drin.
 
Ist das nun Deine persönlich Meinung oder zitierst Du einen Historiker?

Nö, ist wirklich meine persönliche Einschätzung, kannst mir ruhig trauen :scheinheilig:. Schwebt dir denn Jemand vor?

Ich finde es halt ein interessanter Mittelweg zwischen Absolutismus und Demokratie. So eine Lösung ist typisch deutsch: so extrem kompliziert, dass es kein Gewinner gibt. Das mag negativ klingen, erweist sich aber oft als stabilisierend, weil sich nie die radikale Ideen durchsetzen.
 
Franz Ferdinand schrieb:
Ich denke schon, dass er Popularität besaß.

Du denkst es, weißt du es auch? Was sagst du beispielsweise zu den von mir zitierten Aussagen von Bülow und Holsteins?

Gleich zu Beginn seiner Regierungszeit kam es, auch öffentlich, zu einer Auseinandersetzung, da Wihelm II. nicht willens war, sich mit dem Etat seiner Vorgänger zu begnügen. Er verlangte deutlich mehr.

Auch wurde öffentlich, ebenfalls gleich nach Besteigung des Throns, über seine Reiselust diskutiert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Du denkst es, weißt du es auch?

Es gibt offensichtlich keine Meinungsumfragen die ich als Beleg heranziehen kann. Vielleicht meine Oma (1894-1983), die noch im hohen Alter (positiv!) vom Kaiser erzählte, wie z.B. von den "Rosinenbrötchen in der Schule" an Wilhelm´s Geburtstag, dem 27. Januar?

Mit Popularität meine ich natürlich die Beliebtheit Wilhelms im gemeinen Volk. Das er, schon aufgrund seines Naturells, die politisch Verantwortlichen zunehmend "vor den Kopf stieß" schließt anfänglich Gesagtes nicht aus?

Im Gegensatz zu seinem Großvater, dessen Werdegang vom verhassten "Kartätschenprinz" zum vergötterten "Wilhelm der Große" führte, war Wilhelm Zwo doch bei Amtsantritt aufgrund seiner Jugend, vielleicht auch ob seiner Behinderung, bei seinem Volk beliebt. Dies versuchte er noch auszubauen: Es gab das Verbot der Sonntagsarbeit, der Nachtarbeit für Frauen und Kinder, sowie die Einschränkung der Arbeit von Kindern unter vierzehn Jahren. War das nicht alles popularitätsfördernd?
 
Es gab das Verbot der Sonntagsarbeit, der Nachtarbeit für Frauen und Kinder, sowie die Einschränkung der Arbeit von Kindern unter vierzehn Jahren. War das nicht alles popularitätsfördernd?

Diese Maßnahmen dienten dazu die Arbeiterschaft zu gewinnen. Als diese ihm das nicht "dankte" verlor Wilhelm sehr schnell das Interesse an der sozialen Frage. Das angängliche freundliche Interesse an der Person Wilhelms wich relativ schnell einer gewissen Ernüchterung. Das geschah nicht erst zum Ende seiner Regentschaft.

Du hast immer noch nichts zu den Aussagen von Bülow oder Holstein geschrieben.
 
Franz-Ferdinand, du musst den unterschied zwischen die populärität der Monarchie im allgemeinen und die der politik von Willhelm II.. Als Beispiel: in meine Heimat (Niederlande) ist die Königin populär, wenn sier ihrgendwo erscheint kommen hunderte von Leute und wedeln mit orangene Fähnchen. Dass hat jedoch nichts mit Politik zu tun, weil sie überhaupt keine politsche macht besitzt.

So war auch Kaiser Wilhelm II. nicht populär wegen seine Sozialpolitik, sondern weil er eine Krone trug.
 
Zananga, Popularität begründet sich bei einem konstitutionellen Monarchen auf Vieles jedoch nicht auf die Politik (Obwohl bsp. die englische Queen zu Recht von "Ihrem" Minister spricht!). Bei einem Monarchen wie Wilhelm II. auf Vieles und die Politik. Ich behaupte nicht, dass es seine Politik war die ihn populär machte. Ich denke aber, dass seine anfängliche Begeisterung gerade für die Sozialpolitik seiner Popularität zugute kam. Wie Turgot anmerkt, verlor er bald sein Interesse daran und zwar weil er eben nie von der Richtigkeit überzeugt war, sondern es ihm allenfalls opportun erschien um die Sozialdemokratie zu bekämpfen, also allein Mittel zum Zweck war. Das Mittel war bekanntlich untauglich also stellte er seine Bemühungen ein und kehrte zurück zum Kampf gegen die Sozialdemokraten (Was Bismarck schon voraussah!)

Holstein und Bülows Kritik am Kaiser ist natürlich begründet und richtig, aber zumindest Bülow als Kanzler hätte sich die Einlassungen von Wilhelm in sein Ressort verbitten lassen sollen, wenn nötig bis hin zum Bruch, und nicht nach "oben buckeln" und "nach unten treten" - denn darauf hin relativiert sich seine nicht-öffentliche, teils nachträgliche Kritik.
 
Holstein und Bülows Kritik am Kaiser ist natürlich begründet und richtig, aber zumindest Bülow als Kanzler hätte sich die Einlassungen von Wilhelm in sein Ressort verbitten lassen sollen, wenn nötig bis hin zum Bruch, und nicht nach "oben buckeln" und "nach unten treten" - denn darauf hin relativiert sich seine nicht-öffentliche, teils nachträgliche Kritik.

Hast Du Dich überhaupt schon einmal mit der Sozialgeschichte des Kaiserreichs, und dem Verständnis von Obrigkeit, resp. ihrer Spitze in Form des Kaisers zB aus Sicht bürgerlicher Schichten beschäftigt?

Mir scheint, Du missdeutest hier das "Amalgan aus einer absolutistischen Spätblüte in Verbindung mit bürgerlicher Festkultur".
 
Es gab das Verbot der Sonntagsarbeit, der Nachtarbeit für Frauen und Kinder, sowie die Einschränkung der Arbeit von Kindern unter vierzehn Jahren. War das nicht alles popularitätsfördernd?

1) Wurden aber diese Maßnahmen von dem Volk als eine Leistung von Wilhelm (und nicht von seiner Regierung) aufgenommen?

2) Obwohl die Verbesserung der Arbeitsverhältnissen eine zweifellos Errungenschaft ist, konnte es so sein, dass diese Reforgem den Appetit des Volkes für die soziale Gerechtigkeit noch angekurbelt haben? Ich meine, die Leute wünschten noch mehr und mehr, und als sie verstanden, dass der Kaiser nicht geneigt war, Reformen fortzusetzen, dann fiel er beim Volk in Ungnade...
 
Es gab im Kaiserreich selbstredend ein - für unsere Zeit - abstruses Obrigkeitverständnis, gekennzeichnet von einer Unterwürfigkeit, die heute unvorstellbar ist: Man nehme Heinrich Mann´s "Der Untertan" zur Hand um es zu empfinden. Andersherum gab es aber auch eine Verfassung, damit verbunden auch Verfassungsorgane - wie beispielsweise das Amt des Reichskanzlers! Das Verhältnis der Verfassungsorgane untereinander sollte aber aus der Verfassung heraus bestimmt sein, nicht aus einem Obrigkeitsverständnis heraus entstehen: Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst, Reichskanzler von 1894-1900, hat sich anlässlich eines Redetextes gegen "seinen" Kaiser durchgesetzt mit den Worten: "Ich bin nicht Kanzleirat, sondern Reichskanzler und muss wissen, was ich zu sagen habe." Dieses führte (in dieser Sache) zu einem "Rückzieher" des Kaisers. Diese Haltung vermisse ich bei Bülow und seinen Nachfolgern völlig!
 
Der Reichskanzler war vom Kaiser abhängig, denn dieser ernannte und entließ die Kanzler nach eigenen Gutdünken, da er niemanden Rechenschaft schuldig war.

Zu Hohenlohe ist anzumerken, das er eigentlich ab 1897 "nur" noch als Platzhalter für Bülow diente, bis dieser so weit aufgebaut war, das er Reichskanzler werden konnte. So hat Hohenlohe beispielsweise nichts gegen den beginnenden Flottenbau getan, genauso wenig wie der sogenannten Weltpolitik. Die Ernennungen von Bülow und Tirpitz hatte Wilhelm in eigener Regie vorgenommen. Hohenlohe hatte hier wenig zu melden; obwohl er der Reichskanzler war.

Bülow verstand es bei Wilhelm die richtigen Saiten zu zupfen, um diesen von der Richtigkeit seiner Politik zu überzeugen. Bei einer Persönlichkeit wie Wilhelm gehörte eine Portion "Schleimerei" und eine tüchtige Portion Beharrlichkeit schon dazu. Außerdem hat Bülow, wenn auch reichlich spät, die fatalen Folgen des Flottenbaus erkannt und war bereit Großbritannien entsprechend entgegenzukommen. Doch gegen die Phalanx bestehend aus Tirpitz und Wilhelm hatte er keine Chance. Außerdem ist anzumerken, das er Wilhelm in der Nachbereitung der sogenannten Dailey Telegraph Affäre nur sehr lau in Schutz genommen hat und vom Kaiser Besserung verlangte.

Bethmann Hollweg war ebenfalls nicht nur der Lakai des Kaisers. So setzte Bethmann beispielseweise Kiderlen-Wächter als Staatssekretär des AA durch. Das hatte Bülow nicht erreicht gehabt. Es war beispielsweise Bethmann Hollweg der einen Hindenburg als Oberbefehlshaber der Ostfront im Ersten Weltkrieg durchsetzte. Es war auch Bethmann der nach langen verbissenen Ringen Wilhelm endlich die Reform des preussischen Wahlrechts abgerungen hatte. Auch konnte er sich lange Zeit in der Frage des UBootkrieges durchsetzten.
 
Der Reichskanzler war vom Kaiser abhängig, denn dieser ernannte und entließ die Kanzler nach eigenen Gutdünken, da er niemanden Rechenschaft schuldig war.

Richtig, der Kaiser konnte den Reichskanzler ernennen und absetzen (Art. 15 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1). Aber die Anordnungen des Kaiser bedurften der Gegenzeichnung durch den Reichskanzlers, der dadurch die Verantwortlichkeit übernahm (Art. 17 Satz 2). Das sprunghafte Naturell Wilhelm II. hätte eines Stein oder Hardenberg als "Gegensatz" bedurft - bekam aber nur einen Bülow...
 
Richtig, der Kaiser konnte den Reichskanzler ernennen und absetzen (Art. 15 Abs. 1, Art. 18 Abs. 1).

Vielen Dank auch.


Aber die Anordnungen des Kaiser bedurften der Gegenzeichnung durch den Reichskanzlers, der dadurch die Verantwortlichkeit übernahm (Art. 17 Satz 2).

Das war die Theorie! In der Praxis hat Wilhelm das nicht immer so genau mit der Verfassung genommen. Beispielsweise wurde der Vertrag von Bjorkö nicht vom Reichskanzler gegengezeichnet.



Das sprunghafte Naturell Wilhelm II. hätte eines Stein oder Hardenberg als "Gegensatz" bedurft - bekam aber nur einen Bülow...

Ein Stein oder Hardenberg stand nach der erzwungenen Entlassung Bismarcks aber eben nicht zur Verfügung. Der amtierende Reichskanzler musste schon in der Lage sein, sich auf die gewöhungsbedürftige Persönlichkeit Wilhelms einzulassen und entsprechend zu handhaben und das verstand Bülow durchaus. Ich glaube, das du ihm in diesen Kontext zu streng beurteilst.

Worauf basiert dein negatives Urteil über die Reichskanzlerschaften Bülows oder Bethmann Hollwegs?
 
Zuletzt bearbeitet:
Bjorkö war bekanntlich eine Totgeburt. Selbst Bülow war sich im Klaren darüber, dass die russische Regierung den Vertrag zwischen Wilhelm und Nikolaus sofort kassieren wird, dieser widersprach dem russisch-französischen Freundschaftsvertrag!

Anders als Bismarck, anders auch als Stein, sind Bülow und Bethmann-Hollweg meines Erachtens keine Kanzler mehr sondern Verwaltungsbeamte, Erfüllungsgehilfen. Wenn es Bülow klar war, dass der vom Kaiser eingeschlagene Weg der Flottenpolitik in den Krieg gegen England führt und er dies zu verhindern sucht, so hätte er wie Bismarck in Nikolsburg seinen Kaiser vor die Wahl stellen, oder wie Stein, die "Brocken hinschmeißen" müssen. Galt ihre Pflicht doch vornehmlich dem Reich!
 
Bjorkö war bekanntlich eine Totgeburt. Selbst Bülow war sich im Klaren darüber, dass die russische Regierung den Vertrag zwischen Wilhelm und Nikolaus sofort kassieren wird, dieser widersprach dem russisch-französischen Freundschaftsvertrag!

Wo lag denn genau der Widerspruch? Wann wurde denn dieser Freundschaftsvertrag abgeschlossen und was war sein Inhalt? Mit ist lediglich die Militärkonvention zwischen dem Zarenreich und Frankreich aus dem Jahren 1892/94 bekannt.

Nein, das war Bülow so nicht klar. Bülow hatte mit dem geographischen Geltungsbereich erhebliche Probleme. Weshalb, weißt du sicherlich. Deshalb hat Bülow übrigens ja auch sein Rücktritt eingereicht.

Das ändert aber nichts daran, das Wilhelm sich in diesem konkreten Falle nicht an die Verfassung gehalten hat.

Du hast des Weiteren noch nicht ausgeführt, worauf dein negatives Urteil über Bülow und Bethmann basiert. Damit meine ich, auf welche Belege und Quellen du deine Aussagen stützt.

Anders als Bismarck, anders auch als Stein, sind Bülow und Bethmann-Hollweg meines Erachtens keine Kanzler mehr sondern Verwaltungsbeamte, Erfüllungsgehilfen.

Bülow ist durch die Schule Bismarcks gegangen und war unter ihm beispielsweise Botschafter in Rom. Schon sei Vater war unter Bismarck Staatssekretär des Auswärtigen Amtes gewesen. Bethmann Hollweg war preussischer Innenminister und Staatssekretär des Inneren gewesen. Der Begriff Erfüllungsgehilfe ist so nicht zutreffend. Beispiele dafür habe ich schon genannt.


Wenn es Bülow klar war, dass der vom Kaiser eingeschlagene Weg der Flottenpolitik in den Krieg gegen England führt und er dies zu verhindern sucht, so hätte er wie Bismarck in Nikolsburg seinen Kaiser vor die Wahl stellen, oder wie Stein, die "Brocken hinschmeißen" müssen. Galt ihre Pflicht doch vornehmlich dem Reich!

Ach ja. Und was hätte er damit konkret erreicht?
 
Diese Militär-Konvention meinte ich. Der Widerspruch zu dieser Konvention durch den Vertrag von Bjorkö begründet sich wohl in der Tatsache, dass Russland dadurch sowohl dem Deutschen Reich wie auch Frankreich zu Beistand verpflichtet ist. Das ist doch die Negation des Abkommens zwischen Russland und Frankreich? Ich denke, das war Bülow klar. Die Tatsache, das der Geltungsbereich allein Europa umfasste - meinst du dies, wenn du von Bülows Problemen sprichst? - bedeutet doch nicht, das der Vertrag kein Erfolg gewesen wäre. Immerhin hätte man eine Großmacht neutralisiert.
Auch denke ich nicht dass Wilhelm hier verfassungswidrig handelte: Er durfte ja Aussenpolitik betreiben, dass diese "diletantisch" war steht auf einem anderen Blatt.

Wer wann, durch wessen Schule gegangen ist, Meriten als Botschafter oder Staatssekretär "gesammelt" hat, macht die Bewertung Bülow´s nicht positiver.

Was wäre denn, wenn Bismarck sich 1866 in Nikolsburg mit Wilhelm´s Großvater nicht geeinigt hätte, respektive wenn es dort zum Bruch gekommen wäre? Aber bekannter Weise hat ja Wilhelms Großvater nachgegeben und die Frage ist müßig zu beantworten. Wenn Bülow ein solcherart couragiertes Auftreten an den Tag gelegt hätte, Anlässe dazu gab es wohl, dann stelle ich mir 2 denkbare Enwicklungen vor: 1. Der Kaiser knickt ein und Bülow kann nun wirklich "Wilhelm´s Bismarck" werden, oder 2. Bülow dankt ab und es kommt mittelfristig zu einer Staatskrise da: a.) Wilhelm weder einen "Stein, Hardenberg oder Bismarck" findet -die es wohl auch nicht gab- b.) Wilhelm die "willigen Schmeichler" ausgehen, bzw. sich nicht mehr finden oder es zu ständig wechselnden "Witzblattfiguren" auf dem Posten des Reichskanzlers führt die letztendlich auf eine Verfassungsänderung im Hinblick auf parlamentarische Kontrolle des Kanzlers (Wahl durch - , und Verantwortung gegenüber dem Parlament).

Beide Entwicklungen versprachen eine bessere Zukunft für das Reich.
 
Zwischen einer Militärkonvention und einen Freundschaftsvertrag bestehen aber schon gewissen Unterschiede. Das ist dir doch sicher klar- Du solltest dann mit den Begriffen doch etwas sorgfältiger umgehen!

Der Vertrag von Björkö war ein Defensivbündnis, nach dem der eine Partner dem anderen bei einem Angriff durch eine europäische Macht beistehen musste. Es war beabsichtigt, Frankreich in diese Abmachung einzuweihen und dann aufzufordern diesem Vertrag beizutreten.

Das Probelm lag darin begründet, das bei einem Angriff Großbritanniens, Rußland Großbritannien an der einzigen wirklich verwundbaren Stelle, Indien, eben nicht angreifen musste, da der Geltungsbereich des Vertragwerkes auf Europa begrenzt gewesen war.


Was wäre denn, wenn Bismarck sich 1866 in Nikolsburg mit Wilhelm´s Großvater nicht geeinigt hätte, respektive wenn es dort zum Bruch gekommen wäre? Aber bekannter Weise hat ja Wilhelms Großvater nachgegeben und die Frage ist müßig zu beantworten.

Vielleicht könnten wir ja beim Thema bleiben.

Wenn Bülow ein solcherart couragiertes Auftreten an den Tag gelegt hätte, Anlässe dazu gab es wohl, dann stelle ich mir 2 denkbare Enwicklungen vor: 1. Der Kaiser knickt ein und Bülow kann nun wirklich "Wilhelm´s Bismarck" werden, oder 2. Bülow dankt ab und es kommt mittelfristig zu einer Staatskrise da: a.) Wilhelm weder einen "Stein, Hardenberg oder Bismarck" findet -die es wohl auch nicht gab- b.) Wilhelm die "willigen Schmeichler" ausgehen, bzw. sich nicht mehr finden oder es zu ständig wechselnden "Witzblattfiguren" auf dem Posten des Reichskanzlers führt die letztendlich auf eine Verfassungsänderung im Hinblick auf parlamentarische Kontrolle des Kanzlers (Wahl durch - , und Verantwortung gegenüber dem Parlament).

Auch das beantwortet meine Frage nicht. Und außerdem vergleichst du auch hier zwei grundverschiedene Monarchen. Der eine kannte seine Grenzen, der andere eben nicht. Und Stein und Hardenberg gehören nun wirklich nicht in diese Diskussion.


Also nochmals: Worauf genau basiert dein negatives Urteil über Bülow?
 
Zuletzt bearbeitet:
Witzblattfiguren

Bülow und auch Bethmann-Hollweg hatten es mit einen ganz anderen Herrscher zu tun als Bismarck. Das gilt es bei dem Vergleich zu berücksichtigen. Ebenfalls sollte der Zeitgeist in Rechnung gestellt werden. Bülow und Bethmann hatten es mit einer Nation zu tun, die eben nicht mehr mit dem erreichten zufrieden war. Man wollte mehr. Sowohl Bülow als auch Bethmann blieb aber in der Sache doch gar nichts andres übrig, als die Wünsche (Befehle) des Kaisers zu akzeptieren. Sicherlich haben sich darum bemüht, das Schlimmste zu verhüten und Wilhelms Anweisungen im Bedarfsfalle zu kanalisieren. Aber deine abqualifizierende Bezeichnung Witzblattfigur kann ich so nicht teilen. Das weder ein Bülow noch ein Bethmann die Militärs in Griff hatten, ist nicht zuletzt Wilhelm II. geschuldet, der diesen mehr Einfluss einräumte. Das ergab sich schon durch die sogenannte Weltpolitik, in der man nacheinander mit den Großmächten aneinander geriet und am Ende durch diese isoliert worden war.
 
Zwischen einer Militärkonvention und einen Freundschaftsvertrag bestehen aber schon gewissen Unterschiede. Das ist dir doch sicher klar- Du solltest dann mit den Begriffen doch etwas sorgfältiger umgehen!?

Schon recht, aber manchmal ist halt kein Nachschlagewerk zur Hand und der Gaul geht mit dem Schreiben durch. Welcher Art, Vertrag o.ä., war denn der Abschluß nach dem ersten Zusammenkommen zwischen Russland-Frankreich 1892 - mE galt die Militärkonvention erst seit 1894?

Der Vertrag von Björkö war ein Defensivbündnis, nach dem der eine Partner dem anderen bei einem Angriff durch eine europäische Macht beistehen musste. Es war beabsichtigt, Frankreich in diese Abmachung einzuweihen und dann aufzufordern diesem Vertrag beizutreten.!?

Auch als Defensivbündnis kam für Russland nicht in Betracht je nach Aktenlage mit A gegen B oder mit B gegen A zu marschieren. Das würde bedeuten, zwei sich widersprechende Feldzugspläne vorzuhalten. Wie sollten denn da vorher Absprachen mit A und/oder B stattfinden? Keiner würde Russland mehr vertrauen. Des weiteren hätte im Kriegsfall zwischen A und B eine Bewertung durch Russland stattfinden müssen à la "Kriegsschuldfrage", um dann die Armee entweder gegen A oder B in Marsch zu setzen. Kriegsschuldfragen sind bekannterweise sehr schwer zu beantworten, vor allem nicht in der im eventuellen Bündnisfall gebotenen Kürze.

Auch denke ich - weiss es aber jetzt nicht und sehe gerne deiner Antwort entgegen - dass beide Verträge nicht nur Bündnispflicht vorsahen sondern eine wohlwollende Neutralität bei anderen Konflikten. Wenn dem so ist, wäre Russland bei einem provozierten Angriff des Reichs auf Frankreich diesem zur Unterstützung, dem Reich aber zur Neutralität verpflichtet. Bjorkö wäre "zu schön um wahr zu sein" gewesen, es ging aber einfach nicht. Deutschland hätte sich der Militärkonvention zwischen Russland und Frankreich anschliessen müssen - ich meine gelesen zu haben, dass dieser sog. "Kontinentalblock" Wilhelm auch vorschwebte - was jedoch von Frankreich, respektive der Beziehung zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich abhing, also nicht machbar war.

Das Probelm lag darin begründet, das bei einem Angriff Großbritanniens, Rußland Großbritannien an der einzigen wirklich verwundbaren Stelle, Indien, eben nicht angreifen musste, da der Geltungsbereich des Vertragwerkes auf Europa begrenzt gewesen war.

Wenn Bülow - wie du vermutest - mit diesem Passus Probleme hatte, zeigt dies meiner Meinung nach seine gedankliche Begrenztheit: Wenn es zum Krieg zwischen Grossbritannien und dem Deutschen Reich gekommen wäre (als Bündnisfall zwischen Entente und Dreibund) dann braucht man Russland für den Landkrieg nicht, im Seekrieg ist es ebenfalls keine Hilfe, durch seine Neutralität hingegen gewinnt der Dreibund und Grossbritannien stünde einsam wie 1940.

Also nochmals: Worauf genau basiert dein negatives Urteil über Bülow?

Mein negatives Urteil über Bülow begründet sich auf eine Summe von Fehleinschätzungen die Bülows Politik begleiten (z.B. Russland und England kommen nie zusammen), verantwortungslosem Handeln (z.B. in der Daily Telegraph Affaire) und gemeingefährlichem "Krisenmanagement" bei Krisen, die man z.T noch selbst verursacht hat (z.B. Marokko-Krise, bosnische Annexionskrise 1908). Alles in Allem stand das Deutsche Reich bei seinem Abgang als Reichskanzler isolierter da als zu Beginn. Seine "Weltpolitik" war ein Disaster, die Scherben hinterließ er seinem Nachfolger (an dem er kein "gutes Haar" liess - was seinen Charakter trefflich kennzeichnet!)
 
Welcher Art, Vertrag o.ä., war denn der Abschluß nach dem ersten Zusammenkommen zwischen Russland-Frankreich 1892 - mE galt die Militärkonvention erst seit 1894?

Erst 1894 wurde die Militärkonvention ratifiziert.

Auch als Defensivbündnis kam für Russland nicht in Betracht je nach Aktenlage mit A gegen B oder mit B gegen A zu marschieren. Das würde bedeuten, zwei sich widersprechende Feldzugspläne vorzuhalten. Wie sollten denn da vorher Absprachen mit A und/oder B stattfinden?

Es war Zar Nikolaus seine eigene Idee. Übirgens kann man Abmachungen modifizieren und ein Generalstab ist immer in der Lage mehrere Feldzugspläne zu erstellen und der aktuellen Sitaution entsprechend zu aktualisieren. Der Grund für das Scheitern von Björkö liegt nicht hier, sondern weil die russische Regierung aus rein prinzipiellen Erwägungen so eine Abmachung mit dem Deutschen Reich ablehnte. Es war schon ein unschönes Spiel, was die Russen da mit den Deutschen gespielt haben. Und für Frankreich kam eine Allianz mit dem Deutschen Reich ebenfalls grundsätzlich nicht in Frage, denn das hätte ja bedeutet, das man definitv auf eine Revanche und der Rückgewinnung von Elasß-Lothringen verzichtet hätte.

Auch denke ich - weiss es aber jetzt nicht und sehe gerne deiner Antwort entgegen - dass beide Verträge nicht nur Bündnispflicht vorsahen sondern eine wohlwollende Neutralität bei anderen Konflikten.

Björkö sah nur, wie ich schon oben schrieb, das der eine Partner dem anderen beisteht, wenn dieser von einer anderen dritten europäischen Macht angegriffen wird. Nach Lage der Dinge konnte es sich nur um Großbritannien handeln. Und Frankreich sollte ja beitreten.

Wenn Bülow - wie du vermutest - mit diesem Passus Probleme hatte, zeigt dies meiner Meinung nach seine gedankliche Begrenztheit

Ich vermute es nicht, ich weiß es.

Wenn es zum Krieg zwischen Grossbritannien und dem Deutschen Reich gekommen wäre (als Bündnisfall zwischen Entente und Dreibund) dann braucht man Russland für den Landkrieg nicht, im Seekrieg ist es ebenfalls keine Hilfe, durch seine Neutralität hingegen gewinnt der Dreibund und Grossbritannien stünde einsam wie 1940

Im Jahre 1905 gab es keine militärischen Abmachungen zwischen Großbritannien und Frankreich. Die Entente Cordiale war ein weltweiter kolonialpolitischer Interessenausgleich zwischen diesen beiden Ländern. Militärische Absprachen wurden erst viel später getroffen. Großbritannien und Russland hatten zu jener Zeit noch reichlich Konflikstoff, der noch auf eine Lösung, die erst im Jahre 1907 zustande kam, gefunden wurde. Italien war zu dieser Zeit als Bündnisparter bereits reichlich unzuverlässig und mindest ein unsicherer Kantonist. Russland wurde also benötigt, denn die britsche Flotte konnte von der deutschen nicht bezwungen werden.

Mein negatives Urteil über Bülow begründet sich auf eine Summe von Fehleinschätzungen die Bülows Politik begleiten (z.B. Russland und England kommen nie zusammen), verantwortungslosem Handeln (z.B. in der Daily Telegraph Affaire) und gemeingefährlichem "Krisenmanagement" bei Krisen, die man z.T noch selbst verursacht hat (z.B. Marokko-Krise, bosnische Annexionskrise 1908). Alles in Allem stand das Deutsche Reich bei seinem Abgang als Reichskanzler isolierter da als zu Beginn. Seine "Weltpolitik" war ein Disaster, die Scherben hinterließ er seinem Nachfolger (an dem er kein "gutes Haar" liess - was seinen Charakter trefflich kennzeichnet!)

Mit der Fehleinschätzung, das auf den britisch-russischen Gegensatz dauerhaft zu rechnen ist, befand sich Bülow aber in bester Gesellsschaft. Mit ist kein deutscher Diplomat bekannt, der diesen Ausgleich vorhergesehen hat. Die deutsche Außenpolitik hat damit erheblich an Bewegungsspielraum verloren gehabt. Man hat ja auch nicht an den Ausgleich zwischen Frankreich und Großbritannien glauben wollen, obwohl es hier Warnungen aus deutsche Botschaft in London gegeben hat.

Die Weltpolitik wurde von Kaiser und Nation gefordert. Bülow hatte diese zu vollstrecken. Sicher, er war ein Nationalist und Imperialist, aber das war zu jener Zeit keiner Besonderheit. Die ganzen außenpolitischen Zusammenhänge sind reichlich kompliziert und lassen sich nicht auf wenige Zeilen darstellen.

Zur Dailey Telegraph Affäre möchte ich nur anmerken, das es m.E. nach fragwürdig ist, das Bülow das Interview wirklich nicht gelesen hat. Er verfügte über viel zu viel Erfahrung und gerade mit Wilhelm, als das er sich so einen Faupax leisten würde. Es stellt sich vielmehr die Frage, ob er Wilhelm nicht mit Absicht "ins offene Messer" hat laufen lassen, um Wilhelm ein wenig zu diziplinieren; was ja dann auch tatsächlich gelungen ist. Bülow war sauer auf Wilhelm, weil dieser meinte sich in die Personalpolitik das AA einmischen zu müssen. So hatte Bülow seine Kandiaten für das Amt des Staatssekretärs mehrfach nicht durchsetzten können, sondern musste die des Kaisers akzeptieren.
 
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