Philosophen vergöttlicht?

WandaS

Neues Mitglied
Hallo zusammen,

Ich lese gerade über Apollonios von Tyana, den neupythagoräsischen Philosophen, der im 1. Jahrhundert lebte und als Wanderlehrer und - zumindest in der Legende - auch als Wundertäter grosse Bekanntheit erlangte.

In Wikipedia steht dazu u.a.:
«Julias Sohn Kaiser Caracalla (211-217) verehrte Apollonios kultisch und errichtete ihm ein Heiligtum. Dieses ist vermutlich mit dem von Philostratos bezeugten Apollonios-Heiligtum in Tyana zu identifizieren.»

Meine Frage: Es ist ja geschichtlich bezeugt, dass Apollonius tatsächlich - als Mensch - gelebt hat.
Wie kommt es dann, dass ein römischer Kaiser einem "gewöhnlichen Menschen" ein Heiligtum widmet und ihn kultisch verehrt? Habe das sonst noch nie gehört.
Ich weiss, dass römische Kaiser nach ihrem Tod vergöttlicht und kultisch verehrt wurden - aber einen Philosophen? Kann mir das jemand erklären?

Vielen Dank im voraus, Wanda
 
Hadrian hat Antinoos vergöttlicht und seinen Kult mit Tempelbauten im ganzen Reich verbreitet. Und Antinoos war auch ein gewöhnlicher Mensch. Klar, Beziehung zu Hadrian usw., es ist schon eine andere Situation als mit Caracalla und Apollonios, dieser Fall ist mir neu.
In jedem Fall aber ist Apollonios also nicht der erste, der in der Kaiserzeit als "normaler" Mensch einen Kult erhält.

Ist natürlich nur Wiki, kann auch am Artikel liegen, aber ich finde es höchst interessant, dass nur die Rede ist von kultischer Verehrung, nicht von Vergöttlichung. Frage ist, warum wurde er verehrt? Womit hat Caracalla sich an ihn gewandt, welche Rolle hatte Apollonios? Warum hat er plötzlich so große Verehrung durch Caracalla erfahren, 100 Jahre nach seinem Tod, und sogar einen Tempel bekommen? Und vor allem, für mich eine zentrale Frage an dieser Stelle: Welche Rolle spielt Julia Domna dabei, was hatte sie vor?

Die Bemerkung in der Historia Augusta, Severus Alexander habe Apollonios' Kultbild ins Lararium gestellt, könnte ein guter Hinweis sein. Bleibt die Frage der Glaubwürdigkeit - vermutlich liegen immerhin über 150 Jahre zwischen den betreffenden Kaisern und der Entstehung der HA. Ganz abgesehen von den Absichten des Autors.
Trotzdem mal ein Blick in den Kontext von HA Sev. Alex. 29,2: Es geht um den Alltag des Kaisers. Ich zitiere die Übersetzung von Ernst Hohl.
"Sein normaler Tagesablauf war folgender: zuvörderst verrichtete er womöglich, das heißt, wenn er nicht mit seiner Gattin geschlafen hatte, in den Morgenstunden seine Andacht in seiner Hauskapelle; dort hatte er sowohl die vergöttlichten Kaiser, aber nur eine Auswahl der besten, als auch besonders ehrwürdige Geister, darunter den Apollonius und - laut einem zeitgenössischen Autor - Christus, Abraham und Orpheus und die übrigen ihresgleichen, im Bilde mit seinen Ahnenporträts beisammen."

Das ist ja spannend. Nur mal angenommen, es würde vielleicht stimmen, zumindest grob. Die Aufstellung ist gar nicht so wild zusammengewürfelt, wie mir zunächst schien. Es sind nur drei "Gruppierungen". Die Ahnen sind klar. Die besten Kaiser daneben, macht auch Sinn, leider werden hier keine Namen genannt. Und Orpheus, Apollonios, Abraham und Christus scheinen mir alle in dieselbe Kerbe zu schlagen - Glaube mit dem Wunsch nach einer Fortsetzung im Jenseits, mit einem Weiterleben.
(Die Umschreibung ist nicht gut - es gab irgendeinen Begriff dafür, was die Menschen in den Jenseitsvorstellungen der Mysterienkulte und des Christentums gesucht und gefunden haben, was der "klassische" griechisch-römische Polytheismus nicht bieten konnte. Aber ich komme nicht mehr darauf :confused:)
Wenn man das als Gemeinsamkeit der vier sieht, stellt sich mir noch die Frage: Warum genau Apollonios? Und dann lande ich wieder bei Julia Domna.

Unabhängig davon: glaubwürdig? Fraglich. Zu dem "zeitgenössischen Autor" liefert der Text leider keine weiteren Details. Bei Wiki ist zur Glaubwürdigkeit dieser Stelle je ein Werk pro und contra angegeben, das werde ich mir morgen mal anschauen, wenn in in der Bibliothek noch die Zeit finde.
 
Ist natürlich nur Wiki, kann auch am Artikel liegen, aber ich finde es höchst interessant, dass nur die Rede ist von kultischer Verehrung, nicht von Vergöttlichung.
Ja, ist nur von kultischer Verehrung die Rede, aber ich dachte, ein Kult und kultische Verehrung käme nur Göttern zu, auch in der Antike? (Ausser man meint es im übertragenen Sinn: "er machte einen Kult daraus", was hier ziemlich sicher nicht gemeint ist.)

In Wikipedia steht über den von Caracalla errichteten Tempel: "Dieses ist vermutlich mit dem von Philostratos bezeugten Apollonios-Heiligtum in Tyana zu identifizieren."

Aber andernorts ist nicht von einem Apollonius-Heiligtum die Rede, sondern:
"… the shrine of Asclepius at Aegeae in Cilicia, famous for its association with Apollonius of Tyana"
(Der Asklepios-Schrein in Aegeae in Kilikien, berühmt für seine Assoziation mit Apollonius von Tyana)

Der Tempel war also offenbar dem Heilgott Asklepios geweiht, und auf welche Weise er mit Apollonius assoziert war, bleibt (mir) schleierhaft. Durch diesen Artikel bin ich eigentlich auf Apollonius aufmerksam geworden, hatte aber dieses "Detail" übersehen. Und Wikipedia ist ja mit grösster Vorsicht zu geniessen!

Zitat Korbi:
"Sein normaler Tagesablauf war folgender: zuvörderst verrichtete er womöglich, das heißt, wenn er nicht mit seiner Gattin geschlafen hatte, in den Morgenstunden seine Andacht in seiner Hauskapelle; dort hatte er sowohl die vergöttlichten Kaiser, aber nur eine Auswahl der besten, als auch besonders ehrwürdige Geister, darunter den Apollonius und - laut einem zeitgenössischen Autor - Christus, Abraham und Orpheus und die übrigen ihresgleichen, im Bilde mit seinen Ahnenporträts beisammen."
Finde diese Auswahl auch höchst interessant, Christus in einem Zuge mit Orpheus und Apollonius. Das zu einer Zeit, da Jesus noch nicht vergöttlicht war, das geschah erst später durch die Trinitarier. Es scheint mir, als hätten Apollonius und Jesus etwa den gleichen "Status" gehabt: Wunder vollbringende Wanderlehrer. Auch Porphyrios (und Sossianus Hierocles), beide um 300, verglichen in ihren Schriften gegen die Christen Jesus mit Apollonius.

Und in dem Text steht "besonders ehrwürdige Geister, darunter den Apollonius" - nichts von einem vergöttlichten Apollonius.

Und vor allem, für mich eine zentrale Frage an dieser Stelle: Welche Rolle spielt Julia Domna dabei, was hatte sie vor?
Ja, das ist wohl eine wichtige Frage. Sie beauftragte ja Philostratos mit einer Lebensbeschreibung des Apollonius, und Philostratos behauptete, seine Biographie sei im Wesentlichen eine Überarbeitung der (viel älteren) Aufzeichnungen des Apollonius-Schülers Damis.

Die Frage ist wohl, ob das wahr ist, oder ob erst Julia Domna den Apollonius "promotete"? und vielleicht sogar mit Wundertaten ausschmücken liess? und falls ja, aus welchem Grund?

Ich denke eher, Apollonius wurde schon vor Caracallas Zeit verehrt, und dass die Legenden um seine Wundertaten schon viel früher im Umlauf und in weiten Kreisen bekannt waren - aber eben, ist nur meine Vermutung … Und warum Caracalla und seine Mutter gerade Apollonius "auserwählten" wäre auch noch nicht beantwortet.

Hadrian hat Antinoos vergöttlicht und seinen Kult mit Tempelbauten im ganzen Reich verbreitet.
Das wusste ich nicht, dabei habe ich vor vielen Jahren mal seine Villa bei Tivoli besucht :) Und war vielleicht eben eine andere Situation.

Vielen Dank für die interessanten Ausführungen.
 
Erst einmal bedeutet "kultische Verehrung" nicht zwingend Vergöttlichung. Auch "Heroen" wurden "kultisch verehrt". Verehrt (mit Opfern, mitunter auch Spielen) wurden mythische Gestalten (wenngleich sie für historisch gehalten wurden) der Vorzeit wie z.B. Achilleus oder ein Stadtgründer, aber auch ganz reale Personen aus historischer Zeit wie z.B. der im Peloponnesischen Krieg gefallene spartanische Feldherr Brasidas. Für Götter gehalten wurden sie dennoch nicht.
So ist es auch hier: Bei Cassius Dio (eigentlich Xiphilinos, einem byzantinischen Autor, der ihn exzerpiert hat), der Quelle zu Caracallas "Heiligtum", steht "Heroon", also eine Kultstätte für einen Heroen, nicht für einen Gott.

Die "Assoziation" des Asklepios-Heiligtums in Aigai ergibt sich wohl einfach aus Apollonios' Wirken dort. Asklepios selbst soll sich positiv über ihn geäußert haben.

Philostratos' romanhafte Apollonios-Biographie ist von geringem historischem Wert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Erst einmal bedeutet "kultische Verehrung" nicht zwingend Vergöttlichung. Auch "Heroen" wurden "kultisch verehrt". Verehrt (mit Opfern, mitunter auch Spielen) wurden mythische Gestalten (wenngleich sie für historisch gehalten wurden) der Vorzeit wie z.B. Achilleus oder ein Stadtgründer, aber auch ganz reale Personen aus historischer Zeit wie z.B. der im Peloponnesischen Krieg gefallene spartanische Feldherr Brasidas. Für Götter gehalten wurden sie dennoch nicht.
So ist es auch hier: Bei Cassius Dio (eigentlich Xiphilinos, einem byzantinischen Autor, der ihn exzerpiert hat), der Quelle zu Caracallas "Heiligtum", steht "Heroon", also eine Kultstätte für einen Heroen, nicht für einen Gott.
Hatte schon oft gehört, dass Heroen "Halbgötter" waren, wusste aber nicht, dass (auch) verstorbene Menschen zu Heroen wurden: Man glaubte von ihnen, dass sie infolge ihrer aussergewöhnlichen Taten nach dem Tode in den Olymp aufgenommen wurden. Bin eben in manchen Dingen nicht so bewandert …

Und das sei auch hier der Fall, Caracallas "Heiligtum" war also ein "Heroon". Danke für die Klarstellung.

Die "Assoziation" des Asklepios-Heiligtums in Aigai ergibt sich wohl einfach aus Apollonios' Wirken dort. Asklepios selbst soll sich positiv über ihn geäußert haben.
Ja, das ist naheliegend. Aber: Asklepios soll sich positiv über Apollonios geäussert haben? Wohl umgekehrt, dass Apollonios sich positiv über Asklepios geäussert hat?

Philostratos' romanhafte Apollonios-Biographie ist von geringem historischem Wert.
Das ist mir (hoffentlich) schon klar … :)

Vielen Dank Euch beiden, war aufschlussreich.
 
Hatte schon oft gehört, dass Heroen "Halbgötter" waren, wusste aber nicht, dass (auch) verstorbene Menschen zu Heroen wurden: Man glaubte von ihnen, dass sie infolge ihrer aussergewöhnlichen Taten nach dem Tode in den Olymp aufgenommen wurden. Bin eben in manchen Dingen nicht so bewandert …
In den Olymp aufgenommen wurde Herakles (in der römischen Mythologie wurde außerdem der Stadtgründer Romulus als Quirinus unter die Götter aufgenommen), "normale" Heroen nicht. Achilleus z.B. musste laut "Odyssee" in der Unterwelt weilen. Allenfalls schafften sie es ins Elysion, gewissermaßen das Paradies.
Ja, das ist naheliegend. Aber: Asklepios soll sich positiv über Apollonios geäussert haben? Wohl umgekehrt, dass Apollonios sich positiv über Asklepios geäussert hat?
Nein, laut Philostratos äußerte sich Asklepios zu einem Priester lobend über Apollonios: Er sei froh, Apollonios als Zeugen seiner Heilungen zu haben.
Ich sag's ja, die Historizität ...
 
In den Olymp aufgenommen wurde Herakles (in der römischen Mythologie wurde außerdem der Stadtgründer Romulus als Quirinus unter die Götter aufgenommen), "normale" Heroen nicht. Achilleus z.B. musste laut "Odyssee" in der Unterwelt weilen. Allenfalls schafften sie es ins Elysion, gewissermaßen das Paradies.
"Normale" Heroen also nicht. Habe vorhin "Heroen" in Google eingegeben, und als erstes kam eben obiger Hinweis. Ich sag's ja, Google ... :rolleyes:

Nein, laut Philostratos äußerte sich Asklepios zu einem Priester lobend über Apollonios: Er sei froh, Apollonios als Zeugen seiner Heilungen zu haben.
Ich sag's ja, die Historizität ...
Ja, historisch höchst glaubhaft, so etwa wie Google ...
Nochmals vielen Dank!
 
Duris von Samos berichtet über Lysander von Sparta:
Denn er [d.h. Lysander] war der erste Grieche, dem die Städte Altäre errichteten und Opfer darbrachten wie einem Gott
Das wäre dann im Jahre 404 v. u. Z. gewesen, allerdings bereits Empedokles (485 - 435 v. u. Z.) möchte von sich sagen:
Als ein unsterblicher Gott reise ich umher, nicht mehr sterblich, bei allen, wie es sich in meinem Fall gehört, mit Ehren ausgezeichnet

Neben Heroen wurden insbesondere Euergeten, Wohltäter, von einzelnen Poleis mit Kulten geehrt und darin liegt auch der bedeutende Unterschied zur altorientalischen Vergötterung: in der griechischen Welt konnte es prinzipiell jeder erlangen sofern man sich dafür ausreichend verdient gemacht hatte. In der Praxis sieht es mit dem aristokratischen Prinzip eher so aus, dass sich bald eine Elite bildet die alle Vorteile in der Hand hält und ein Aufsteigen oder fairen Wettkampf für Neue schwer macht.

Lukian hält Appollonius für einen Schwindler, Trickser und Magier der Erbschaften erschleicht.
Die Hauptquelle Vita Apollonii Tyanei von Philostrat ist mit der üblichen Vorsicht zu lesen:

Hans-Josef Klauck - Die religiöse Umwelt des Urchristentums I schrieb:
Philostrat behauptet selbst, er arbeite mit den Aufzeichnungen eines gewissen Damis, der zu den ältesten und treuesten Jüngern des Apollonius gehörte und seine Erlebnisse mit dem Meister schriftlich festhielt (1,3: "Dieser widmete sich unter der Führung des Apollonius der Philosophie und zeichnete die Reisen seines Meisters auf, an denen er selbst, wie er uns versichert, teilgenommen hat. Dabei vergaß er auch nicht, dessen Gedanken, Reden und Weissagungen zu erwähnen"). Aber das läßt sich leicht als durchsichtige Fiktion entlarven, die dem eigenen Buch mehr Glaubwürdigkeit verleihen soll (so die Mehrzahl der Autoren spätestens seit Meyer; vgl. nur Bowie, Mumprecht, Dzielska, Koskenniemi; zuversichtlich urteilt hinsichtlich der Existenz von Damismemoiren wieder Anderson, während Speyer mit einer Fälschung rechnet, die aber Philostrat schon vorlag). Nimmt man den zeitlichen Abstand, die offenkundigen Tendenzen und die unsichere Quellenlage zusammen, erscheint Vorsicht angebracht. Man muß die Skepsis nicht zu weit treiben und an der Existenz eines historischen Apollonius zweifeln. Aber man darf auch das Bild, das Philostrat zeichnet, nicht unbesehen für bare Münze nehmen. Es paßt eher ins 2. und 3. Jh.n.Chr., wo es zu einem Erstarken des Wunderglaubens auf heidnischer Seite kam, als ins 1. Jh.n.Chr.

Die Biographie attestiert ihm Exorzismus, Totenerweckung, und dass er als θείος άνήρ, göttlicher Mensch, bezeichnet wurde und dabei "in Relation gesetzt zu Pythagoras, Empedokles, Demokrit, Plato, Sokrates und Anaxagoras und in Verbindung gebracht mit babylonischen Magiern, indischen Brahmanen und ägyptischen Gymnosophisten."

Apollonius hält sich in Rom auf, wo er sich u. a. bei Nero unbeliebt macht und sich später in Auseinandersetzung mit Kaiser Domitian als echter Tyrannenfeind erweist. Besonders seine Wahrsagekunst wird als politisch subversiv empfunden. [...] sich seine Gegner aber wegen seiner "dämonischen, übermenschlichen Art" (4,44) nicht trauen, ihn gefangen zu setzen [...]
Auf der anderen Seite:
Seine [Philostratis] umfangreiche Lebensbeschreibung des Apollonius hat er auf Verlangen von Julia Domna, der syrischen Frau des römischen Kaisers Septimius Severus, als Auftragswerk verfaßt (1,3). In ihren Kreisen herrschte eine besondere Vorliebe fur Wundermänner mit orientalischem Einschlag, den Apollonius durch seine Reisen - u. a. nach Babylon, Ägypten und Indien - erworben hatte.
 
Duris von Samos berichtet über Lysander von Sparta:
Denn er [d.h. Lysander] war der erste Grieche, dem die Städte Altäre errichteten und Opfer darbrachten wie einem Gott
Das wäre dann im Jahre 404 v. u. Z. gewesen, allerdings bereits Empedokles (485 - 435 v. u. Z.) möchte von sich sagen:
Als ein unsterblicher Gott reise ich umher, nicht mehr sterblich, bei allen, wie es sich in meinem Fall gehört, mit Ehren ausgezeichnet

Neben Heroen wurden insbesondere Euergeten, Wohltäter, von einzelnen Poleis mit Kulten geehrt und darin liegt auch der bedeutende Unterschied zur altorientalischen Vergötterung: in der griechischen Welt konnte es prinzipiell jeder erlangen sofern man sich dafür ausreichend verdient gemacht hatte. In der Praxis sieht es mit dem aristokratischen Prinzip eher so aus, dass sich bald eine Elite bildet die alle Vorteile in der Hand hält und ein Aufsteigen oder fairen Wettkampf für Neue schwer macht.
Kannte den Begriff "Euergeten" nicht - also auch solche konnten kultisch verehrt werden. Und in vielen Kulturen gab oder gibt es ja auch einen Ahnenkult, auch da gilt die kultische Verehrung ja nicht einem Gott … ist mir erst heute eingefallen : )

Lukian hält Appollonius für einen Schwindler, Trickser und Magier der Erbschaften erschleicht.
Die Hauptquelle Vita Apollonii Tyanei von Philostrat ist mit der üblichen Vorsicht zu lesen:
Lukian von Antiochia nehme ich an? Dass Christen ihn so "demontieren", war ja abzusehen und sagt genau so viel oder wenig über Apollonios aus wie die Biographie Philostratos'. Ausserdem scheinen christliche Würdenträger Apollonios kopiert zu haben, was Erbschaften erschleichen angeht: z.B. Chrysostomos oder Damasus von Rom, um nur zwei mir bekannte Beispiele zu nennen.

Dass die "Vita Apollonii Tyanei" mit Vorsicht zu lesen ist, ist mir (hoffentlich) klar …

Die Biographie attestiert ihm Exorzismus, Totenerweckung, und dass er als θείος άνήρ, göttlicher Mensch, bezeichnet wurde und dabei "in Relation gesetzt zu Pythagoras, Empedokles, Demokrit, Plato, Sokrates und Anaxagoras und in Verbindung gebracht mit babylonischen Magiern, indischen Brahmanen und ägyptischen Gymnosophisten."
Die Biographie, also jene von Philostratos nehme ich an, sagt, dass er als göttlicher Mensch bezeichnet wurde? Das ist interessant, ungeachtet davon, ob es historisch wahr ist, dass Apollonius von seinen Zeitgenossen so bezeichnet wurde - vielmehr dass Porphyrius Philostratos um 200 solches behauptet. (Wobei eben: ist wohl für uns heutige schwer zu sagen, was hier mit "göttlicher Mensch" genau gemeint war.)

Habe hier noch die Biographie des Philostratos online gefunden, bisher aber nur zwei Abschnitte gelesen:
2.14 Die Geburt des Apollonios (Philostrat, Das Leben des Apollonius von Tyana I 5) | Fakultät I: Philosophische Fakultät =

Was mir zu Apollonios besonders bemerkenswert scheint:
"Philostratos betont, dass das Wunder ohne vorheriges Gebet und Opfer geschah, also nicht durch das Eingreifen einer Gottheit, sondern durch Apollonios' eigene Macht bewirkt wurde."
oder
"Der Verfasser bezeichnet Gott als das schönste Wesen, das durch Gebete und Opfer nicht beeinflussbar und an Verehrung durch die Menschen nicht interessiert sei, aber auf geistigem Wege erreicht werden könne." - (beides aus Wikipedia)
Direkt revolutionär wie mir scheint … und wohl der Hauptgrund, warum ihn die "etablierten Kirche" so vehement ablehnt(e) oder gar verteufelte.

Danke für diese interessanten "Nachschübe".
 
Zuletzt bearbeitet:
Und in vielen Kulturen gab oder gibt es ja auch einen Ahnenkult, auch da gilt die kultische Verehrung ja nicht einem Gott … ist mir erst heute eingefallen : )
Ja, in den Zehnjahresannalen Mursilis II. (reg. ca. 1330-1295 v.) heißt es etwa: Als nämlich mein Vater Gott geworden war, also gestorben war. Sie konnten also durchaus mit dem Gottbegriff bezeichnet werden. Aus Ugarit (mit den Hethitern im Seevölkersturm ~1185 v. zerstört) wissen wir manches von der vorisraelitischen kanaanäischen und insbesondere der nordsyrischen Religion. Sie bezeichneten die Toten allgemein mit (transkribiert, sie schrieben eine alphabetische Keilschrift) mtm "Tote", rpm Rapiuma, Totengeister, ilnym "Göttliche" und ilm (ars) "Götter (der Unterwelt)".


Lukian von Antiochia nehme ich an?
Nein, Lukian von Samosata (* ca 120 † ca 180-200) in Alexander oder Der falsche Prophet über den Apollonius-Schüler Alexandros, das zugleich auch einen bissigen satirischen Seitenhieb auf Alexander den Großen darstellt.
Die Biographie, also jene von Philostratos
Ja, die Vita Apollonius.
Wobei eben: ist wohl für uns heutige schwer zu sagen, was hier mit "göttlicher Mensch" genau gemeint war.
Betz 236: "Der Ausdruck θείος άνήρ wird speziell auf solche Personen bezogen, die kraft besonderer charismatischer Begabung über das allgemein-menschliche Maß hinausragen"
 
Alexander oder Der falsche Prophet
Ich habs herausgesucht:

Alexander oder Der Lügenprophet Übers. Ulrich Victor schrieb:
1 Du glaubst vielleicht, mein lieber Kelsos, daß dies ein sehr kleiner und unbedeutender Auftrag ist, wenn du mich veranlaßt, Dir ein Buch über Leben, Erfindungsreichtum, Unternehmungsgeist und Betrügereien des Scharlatans Alexander von Abonuteichos zu schreiben und zu widmen.
Wenn man aber allem bis in alle Einzelheiten genau nachgehen will, ist diese Aufgabe nicht geringer als die, einen Tatenbericht über Alexander den Großen zu geben. Denn über den einen gibt es ebensoviel Schlechtes zu berichten wie Großartiges über den andern. Wenn du jedoch bereit bist, das Buch mit Nachsicht zu lesen und manche weniger vollständigen Seiten meines Berichtes dir selbst auszumalen, will ich für dich die Mühe auf mich nehmen und versuchen, den Augiasstall, wenn auch nicht ganz, wenigstens soweit es in meinen schwachen Kraften steht, zu säubern, indem ich wenigstens einige Körbe hinausschleppe. Du kannst dann daraus schließen, wie unbeschreiblich groß der ganze Berg Mist ist, den nicht einmal dreitausend Rinder in vielen Jahren zustande bringen konnten.
2 [...] Wir aber halten die Erinnerung an einen viel grausameren Rauber wach, der nicht in den Wäldern und Bergen, sondern in Städten auf Raub ausging, nicht nur Mysien und das Idagebirge durchzog und nicht nur wenige sehr abgelegene Gegenden Kleinasiens plünderte, sondern sozusagen das gesamte Römische Reich mit seinen Plünderungen heimsuchte.
5 Als er noch ein junger Mann war und sehr schön, wie man aus dem, was geblieben war, schließen konnte und auch erzählen hörte, verkaufte er sich ohne Bedenken an jeden, der ihn wollte. Unter seinen Liebhabern war auch einer der Scharlatane, die jede Art von Magie und Zauber anbieten, Liebeszauber, Verfluchungen von Feinden, Schatzfunde, Erbschaften. Dieser sah nun einen schönen Knaben vor sich, der höchst bereit war, ihm bei seinen Tatigkeiten zu helfen, und der seine üblen Seiten ebenso zu schätzen wußte, wie er selbst dessen Schönheit, bildete ihn aus und hatte in ihm von Stund an einen Diener, Helfer und Assistenten. Seinem Beruf nach war dieser Mann angeblich Arzt, kannte aber wie die Frau des Ägypters Thos "Zaubertranke in großer Zahl, gute und schlechte". All dies nun erbte er und wurde sein Nachfolger. Jener Lehrer und Liebhaber stammte aus Tyana und gehörte zu denen, die zu dem großen Apollonius in enger Verbindung gestanden und um alle seine Auftritte und Machenschaften gewußt hatten. Du siehst, aus welcher Schule der Mann ist, von dem ich hier zu reden habe.
 
Alexander oder Der falsche Prophet über den Apollonius-Schüler Alexandros, das zugleich auch einen bissigen satirischen Seitenhieb auf Alexander den Großen darstellt.
Korrektur, es ist doch keins seiner satirischen Werke:

Ulrich Victor - Lukian von Samosata - Alexander oder der Lügenprophet schrieb:
In der antiken Geschichtsschreibung wird immer wieder betont, daß der Historiker erhabene Themen wahlen muß. Und nur weil sich Lukian die Aufgabe gestellt hat, wahrheitsgemäß d. h. als Historiker über das Leben des Alexandros zu berichten, muß er sich wegen des Gegenstandes seiner Schrift, der eigentlich einer ernsthaften historischen Berichterstattung unwürdig ist, entschuldigen (Alex. 2). Wenn Lukian mit dem ''Alexandros'' nur eines seiner satirischen Kabinettstücke hätte liefern wollen, ware eine solche Entschuldigung unverstandlich und fehl am Platz. Eine solche Entschuldigung fehlt daher in seiner betont satirischen Schrift über das Ende des Peregrinus, der nach Lukians Einschätzung dem "Lügenpropheten" nahe verwandt war.[...]
Das Wort Biographie scheint ihm einen geringeren Anspruch auszudrücken, als er sich selbst stellt. Er hat den Auftrag, einen Bericht über das Leben und die Einfalle und die dreisten Unternehmungen und die Betrügereien des Alexandros zu schreiben. Lukian weiß, daß er - im antiken Sinne keine Geschichte schreibt.
[...]
Daß dieses Bild erheblich besser zu der unbezweifelbaren Bedeutung des historischen Alexandros paßt als das des windigen Hochstaplers und Scharlatans, den Lukian uns vorstellt, spricht zusatzlich für diese ohnehin vollig unverdächtige Angabe Lukians. Es bestatigt sich hier, was oben schon festgestellt worden war: Lukians Urteile sind mit Vorsicht aufzunehmen, während die Tatsachen, die er berichtet, Vertrauen verdienen.
 
Dass mir das nicht früher einfiel: es gibt ja noch die "Heiligen", die ja auch verehrt und oft sogar angebetet werden, Maria vor allem, aber auch die anderen Heiligen, und das waren ja alle ganz "irdische" Menschen gewesen.

Ja, in den Zehnjahresannalen Mursilis II. (reg. ca. 1330-1295 v.) heißt es etwa: Als nämlich mein Vater Gott geworden war, also gestorben war. Sie konnten also durchaus mit dem Gottbegriff bezeichnet werden. Aus Ugarit (mit den Hethitern im Seevölkersturm ~1185 v. zerstört) wissen wir manches von der vorisraelitischen kanaanäischen und insbesondere der nordsyrischen Religion. Sie bezeichneten die Toten allgemein mit (transkribiert, sie schrieben eine alphabetische Keilschrift) mtm "Tote", rpm Rapiuma, Totengeister, ilnym "Göttliche" und ilm (ars) "Götter (der Unterwelt)".
Ja, ist etwas kompliziert, zeigt aber, dass durchaus verstorbene Menschen als "göttlich" oder "gottähnlich" bezeichnet werden konnten. (Und diese Texte sind ja nochmals mehr als 1000 Jahre älter als "unsere" Protagonisten …)

Nein, Lukian von Samosata (* ca 120 † ca 180-200) in Alexander oder Der falsche Prophet über den Apollonius-Schüler Alexandros, das zugleich auch einen bissigen satirischen Seitenhieb auf Alexander den Großen darstellt.
Kannte ihn nicht, er kritisierte ja offenbar jegliche Religion und auch die Philosophen, die nicht mehr das seien, was sie früher einmal waren? (soweit ich das aus meinem 10-minütigen Internet-Exkurs richtig verstanden habe :) Und: beweist, dass Apollonios durchaus schon vor Caracallas Zeit berühmt war, zumindest im Osten des Reiches.

Das sagte also Lukian über Apollonios bzw. einen seiner Schüler. Und man nimmt an, es sei Sossianus Hierocles gewesen, der um 300 folgendes über Jesus schrieb:

"… that Christ, driven out by the Jews, gathered a band of nine hundred brigands, with whom he ravaged Palestine. It was for this criminal behaviour that he was crucified."
("… dass Christus, von den Juden verjagt, eine Bande von 900 Briganten zusammenraffte und mit ihnen Palästina verwüstete. Eben wegen dieses kriminellen Verhaltens wurde er gekreuzigt.")

Scheint, als hätte man auch im Negativen Vergleiche zwischen Jesus und Apollonios angestellt :)))

Betz 236: "Der Ausdruck θείος άνήρ wird speziell auf solche Personen bezogen, die kraft besonderer charismatischer Begabung über das allgemein-menschliche Maß hinausragen"
Ganz ähnliches habe ich kürzlich auch über die "Heroen" gelesen.

Nochmals vielen Dank.
 
Ich habs herausgesucht:
Vielen Dank! Kelsos war wohl ein weitverbreiteter Name nehme ich an, es muss sich also nicht um jenen Kelsos handeln, der so vehement gegen die Christen hetzte?
Auch von Alexander von Abonuteichos hatte ich noch nie gehört, ist interessant, danke. Denke schon, dass es in jener Zeit nicht wenige solcher Scharlatane gab. Ob aber Apollonios selber auch ein solcher war - ich denke eher nicht.
 
Ulrich Victor über Lukian von Samosata:
[...] Daß dieses Bild erheblich besser zu der unbezweifelbaren Bedeutung des historischen Alexandros paßt als das des windigen Hochstaplers und Scharlatans, den Lukian uns vorstellt, spricht zusatzlich für diese ohnehin vollig unverdächtige Angabe Lukians. Es bestatigt sich hier, was oben schon festgestellt worden war: Lukians Urteile sind mit Vorsicht aufzunehmen, während die Tatsachen, die er berichtet, Vertrauen verdienen.
Danke für die Richtigstellung! Werde mich gleich auch über diesen Alexandros informieren, scheint auch hochinteressant : )
 
Dass mir das nicht früher einfiel: es gibt ja noch die "Heiligen", die ja auch verehrt und oft sogar angebetet werden, Maria vor allem, aber auch die anderen Heiligen, und das waren ja alle ganz "irdische" Menschen gewesen.
Bei der mittelalterlichen Heiligenverehrung möchte ich mich noch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber in der ursprünglichen römischen Religion hatte das was zu heilig wurde eine ganz andere Bedeutung und zwar ebenso eine magisch-kultische.
Im Zwölftafelgesetz steht:
8,21 Patronus si clienti fraudem fecerit, sacer esto.
sacer
...sakral bedeutete hier noch genau das Gegenteil: verflucht.
Wenn der Patron seinen Klienten betrügt, soll er verflucht sein.


Ich kenne ihn auch nicht weiter als aus den beiden zitierten Büchern, aber habe nicht den Eindruck, dass er über die für antike Intellektuelle üblichen Maße an negativer Kritik ggü. spezifischen Philosophen/schulen weit hinaus geht, insbesondere für Satiriker. Epikur wird im Alex. zB gelobt, Herodot hingegen als schlechter Geschichtsschreiber bezeichnet, was auch viele andere meinten und gemessen and der praktisch universalen Rezeption von Herodot nicht verwunderlich ist sondern nur natürlicher Teil des Spektrums aller möglichen Einstellungen zu einem Thema.


Scheint, als hätte man auch im Negativen Vergleiche zwischen Jesus und Apollonios angestellt :)))
Ja, da wurden Zusammenhänge hergestellt:

Im 4. Jh.n.Chr. wurde auf der Grundlage des philostratischen Werks Apollonius als Konkurrenzfigur zu Jesus Christus aufgebaut. Auch die alte Religion hatte, so die Argumentation, ihre Heils- und Rettergestalten. In der Tat erinnert manches bei Philostrat an die Evangelien, mehr noch an die apokryphen als an die kanonischen. [...]
Angesichts der zeitlichen Verhältnisse kann man die Frage nicht unterdrücken, ob eventuell schon Philostrat selbst einen Gegenentwurf zur christlichen Jesusüberlieferung schaffen wollte. Während sie im 19. Jh. häufig bejaht wurde, beantwortet die neuere Forschung sie für Philostrat durchgängig und entschieden mit Nein. Philostrat war nachweislich am Christentum, auch wenn er um dessen Existenz wußte, nicht interessiert. Die verwandten Züge erklären sich aus gattungstypischen Erzählgesetzen, aus der Stimmung der Zeit, aus dem allgemeinen Glauben an Wunderkräfte heraus.


es muss sich also nicht um jenen Kelsos handeln, der so vehement gegen die Christen hetzte?
Nein, dieser Kelsos ist uns nur aus diesem Werk Lukians bekannt.

Ob aber Apollonios selber auch ein solcher war - ich denke eher nicht.
Das ist eben was Lukian damit sagt, Alexander/Alexandros hat bei Apollonius die Betrügerei, Trankmischerei usw. gelernt. Philostratos erwähnt keine Schwindlereien sondern nur Wundergeschichten.
 
Im Zwölftafelgesetz steht:
8,21 Patronus si clienti fraudem fecerit, sacer esto.
sacer
...sakral bedeutete hier noch genau das Gegenteil: verflucht.
Wenn der Patron seinen Klienten betrügt, soll er verflucht sein.
Das ist ja höchst interessant! - Kopfschüttel - :)

Während sie im 19. Jh. häufig bejaht wurde, beantwortet die neuere Forschung sie für Philostrat durchgängig und entschieden mit Nein. Philostrat war nachweislich am Christentum, auch wenn er um dessen Existenz wußte, nicht interessiert. Die verwandten Züge erklären sich aus gattungstypischen Erzählgesetzen, aus der Stimmung der Zeit, aus dem allgemeinen Glauben an Wunderkräfte heraus.
Kann ich mir gut vorstellen, da ja Domna Julia, die das Werk in Auftrag gab, aus dem Osten, aus Syrien stammte und vielleicht nur daran interessiert war, Apollonios auch im Westen bekannt(er) zu machen.

Das ist eben was Lukian damit sagt, Alexander/Alexandros hat bei Apollonius die Betrügerei, Trankmischerei usw. gelernt. Philostratos erwähnt keine Schwindlereien sondern nur Wundergeschichten.
Ah, gut …

Danke!
 
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