Plinius' Erklärung vom Wechsel zur Brandbestattung - von Germanenkriegen beeinflusst?

El Quijote

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Häufig lesen wir hier im Forum die Behauptung, die in Kalkriese angelegten Knochengruben könnten nicht von Germanicus' Legionen angelegt sein, denn die Römer jener Zeit hätten kremiert (dabei wird dann gerne übersehen, dass nämliches auch für die Germanen gilt: Sie verbrannten ihre Toten). Das ist auch im wesentlichen richtig, aber eben nur einTeil der Wahrheit. Sowohl in Italien als auch in den Provinzen legten die Römer neben verschiedenenArten der Brandbestattung auch Körperbestattungen an. Cicero äußert sich in de legibus recht klar: Wichtig war nicht, ob der Römer/die Römerin verbrannt oder bestattet wurde, sondern dass das außerhalb des städtischen Raumes geschah. Und prominente Römer wie die Scipionen waren bekannt dafür, dass sie ihre Toten nicht verbrannten (Sulla brach dann mit dieser cornelischen Familientradition), auch die Terentier verbrannten ihre Toten nicht. Ebenso erfahren wir, dass sich Varro nach pythagoreischem Ritus nicht verbrennen sondern einsargen ließ oder dass Nero seine Frau Poppea, nachdem er die Schwangere wohl im Ehekrach mit einem Fußtritt zu einem tödlichen Sturz gebracht hatte, einbalsamieren ließ.
Plinius berichtet in seiner Naturalis historia, im siebten Buch, dass die Körperbestattung die früher bei den Römern üblichere Bestattungsform gewesen sei, dann aber, mit der Expansion der Römer deshalb aufgegeben worden sei, weil man die Schändung des Grabes in der Fremde verhindern wolle. Abgesehen davon, dass man auch Brandgräber schänden kann, wird das archäologisch nicht bestätigt. Auch wenn Plinius' Geschichte der Germanenkriege leider nicht auf uns gekommen ist, so wissen wir doch, dass Tacitus sich aus ihr bedient hat, wahrscheinlich also auch die Passage über die Schändung des von Germanicus' Legionen angelegen tumulus für ihre unter Varus umgekommenen Kameraden. Kann es sein, dass Plinius die Idee von der Grabschändung im Ausland als in Germanien stationierter Offizier als Grund für die Einführung der Brandbestattung von diesem Ereignis herleitete und in die Vergangenheit transferierte?
 
@ ELQ,

Auch "Knochenlager" waren keine Seltenheit bei den Germanen. Eines des bekanntesten Friedhöfe war der von Putensen. In den Jahren 1938, 1939, 1956 und 1961 wurden neben Urnenbeisetzungen auch zahlreiche Knochenlager und Brandgrubengräber ausgegraben. Es wurden insgesamt 982 Bestattungen und 6 Brandgruben geborgen.

Quelle: Willi Wegewitz - "Das langobardische Brandgräberfeld von Putensen, Kreis Harburg. In: Die Urnenfriedhöfe in Niedersachsen. Band 10. Lax, Hildesheim 1972, S. VII-IX"

Die Knochen in Kalkriese können genauso gut Germanen zusammen getragen haben.

Grüße

@Sepiola,

schön wenn man noch so viel Freude am Selbstbespaßen hat.
 
Das Nebeneinander von Brand- und Körperbehaarung gab es in Italien ja schon seit der Vorgeschichte. Da sind erklärende Mythen, Sagen oder Legenden zu erwarten und es ist auch zu fragen, inwieweit sich Plinius davon frei machte.

Wenn er die Beispiele aus dem Eingangspost kannte, bezieht er sich sicher nicht auf die Germanenkriege.
 
Zuletzt bearbeitet:
Plinius berichtet in seiner Naturalis historia, im siebten Buch, dass die Körperbestattung die früher bei den Römern üblichere Bestattungsform gewesen sei, dann aber, mit der Expansion der Römer deshalb aufgegeben worden sei, weil man die Schändung des Grabes in der Fremde verhindern wolle.

Hier muss ich dreifachen Einspruch erheben: Von "Expansion" ist hier eigentlich nicht die Rede, schon gar nicht von der "Fremde" - und genaugenommen auch nicht von der "Schändung des Grabes" - sondern der Schändung des Leichnams.

Es heißt ganz einfach: Als man aber später in den langwierigen Kriegen wahrnahm, dass die Begrabenen ausgegraben wurden, wurde (das Verbrennen) eingeführt.

"Ipsum cremare apud Romanos non fuit veteris instituti: terra condebantur. at postquam longinquis bellis obrutos erui cognovere, tunc institutum. et tamen multae familiae priscos servavere ritus, sicut in Cornelia nemo ante Sullam dictatorem traditur crematus, idque voluisse veritum talionem eruto C. Mari cadavere."

Bei den Corneliern hatte Sulla die Sitte eingeführt, der zuvor den des Marius geschändet hatte und nun fürchtete, dass aus Vergeltung dafür auch sein Leichnam geschändet werden könnte.

Das ganze hat Plinius offenbar von Cicero. Dazu habe ich einen schönen alten Beitrag gefunden:




Cicero schreibt in seiner rechtsphilosophsichen Schrift de legibus, II, 22 - 23 folgendes:

Iam tanta religio est sepulcrorum, ut extra sacra et gentem inferri fas negent esse, idque apud maiores nostros A. Torquatus in gente Popillia iudicavit. [...]
neque necesse est edisseri a nobis, quae finis funestae familiae, quod genus sacrificii Lari vervecibus fiat, quem ad modum os resectum terra obtegatur, quaeque in porca contracta iura sint, quo tempore incipiat sepulcrum esse et religione teneatur.
At mihi quidem antiquissimum sepulturae genus illud fuisse videtur quo apud Xenophontem Cyrus utitur: redditur enim terrae corpus, et ita locatum ac situm quasi operimento matris obducitur. Eodemque ritu in eo sepulcro quod <haud> procul a Fontis ara est, regem nostrum Numam conditum accepimus, gentemque Corneliam usque ad memoriam nostram hac sepultura scimus esse usam. C. Mari sitas reliquias apud Anienem dissipari iussit Sylla victor, acerbiore odio incitatus, quam si tam sapiens fuisset quam fuit vehemens.
Quod haud scio an timens <ne> suo corpori posset accidere, primus e patriciis Corneliis igni voluit cremari. Dedarat enim Ennius de Africano: 'Hic est ille situs', vere, nam siti dicuntur ii qui conditi sunt. Nec tamen eorum ante sepulcrum est quam iusta facta et porcus caesus est. Et quod nunc communiter in omnibus sepultis venit usu <ut> humati dicantur, id erat proprium tum in iis quos humus iniecta contexerat, eumque morem ius pontificale confirmat. Nam prius quam in os iniecta gleba est, locus ille ubi crematum est corpus nihil habet religionis; iniecta gleba tum et ille humatus est et sepulcrum vocatur, ac tum denique multa religiosa iura conplectitur. Itaque in eo qui in nave necatus, deinde in mare proiectus esset, decrevit P. Mucius familiam puram, quod os supra terram non extaret; [...]
'Hominem mortuum' inquit lex in XII ' in urbe ne sepelito neve urito.' Credo vel propter ignis periculum. Quod autem addit 'neve urito', indicat non qui uratur sepeliri, sed qui humetur.


Schon ist die Ehrfurcht vor den Gräbern so groß, dass sie es zu einem Verbrechen erklären, wenn dort eine Bestattung ohne entsprechende Kulthandlungen und Zugehörigkeit zum Familienverband durchgeführt wird. Und so hat es bei unseren Alten A. Torquatus im Falle der gens Popillia entschieden. [...] Und es ist nicht nötig, uns darzugelegen, wie die Trauerzeit in der Familie beendet wird, in welcher Form einem Laren ein Hammelkopf dargebracht wird, nach welcher Weise ein abgeschnittener Knochen der Erde in der Erde verborgen wird und welche Rechte bei der Opferung einer Sau vereinbart wurden, ab welchem Zeitpunkt ein Grab beginnt eines zu sein und Ehrfurcht zu erhalten. Mir jedenfalls scheint die älteste Form des Begräbnisses die zu sein, die Kyros bei Xenophon anordnet: der Korpus wird nämlich der Erde zurück gegeben. Und wenn er so bestattet und niedergelegt ist, wird er gleichsam vom mütterlichen Mantel umhüllt. In eben diesem Ritus wurde unser König in dem Grab bei dem Quellaltar bestattet und wir wissen, dass in der gens Cornelia bis in unsere Erinnerung diese Art der Bestattung die übliche war. Die sterblichen Überreste des Gaius Marius, die am Anio bestattet waren, befahl der Sieger Sulla zu zerstreuen, angestachelt vom Hass [...]. Vielleicht, weil er befürchtete, dass dies auch seinem eigenen Leichnam angetan werden könnte wollte er als erster von den patrizischen Corneliern verbrannt werden. Ennius sagte nämlich noch von Africanus: „Hier ist jener beigesetzt.“ Mit Recht, denn nur von denen, die mit Erde begraben (conditi) sind sagt man, sie seien beigesetzt (siti). Doch ist es noch nicht ihr Grab, bevor die vom Recht beschriebenen Handlungen vollzogen sind und das Schwein geschlachtet ist. Und was jetzt allgemein bei allen Bestatteten als Brauch daherkommt (venit usu), dass man sie als Humati bezeichnet, das war seinerzeit auf diejenigen beschränkt, die von der auf sie geworfenenen Erde bedeckt waren und diese Sitte bestätigt das pontifikale Recht. Denn bevor man die Klumpen auf die Knochen geworfen hat, ist jener Ort, wo der Korpus verbrannt wird, ohne Ehrfurcht. Wenn aber Erde auf die Gebeine geworfen ist, dann ist der Tote beerdigt und dann erst hat er viele religiöse Rechte. Deshalb entschied P. Mucius, dass die Familie dessen, der auf einem Schiff getötet und dann ins Meer geworfen wurde, rein sei, weil die Gebeine nicht unbestattet auf der Erde liegen. [...]
"Einen toten Menschen", sagt das Zwölftafelgesetz, "soll man nicht in der Stadt verbrennen." Ich glaube, wegen der Feuergefahr. Wenn es aber hinzufügt "neve urito (und nicht verbrennen)" zeigt es an, dass nicht derjenige, den man verbrennt, bestattet wird, sondern nur derjenige, den man beerdigt.
Aufgrund dieser Ausführungen Ciceros komme ich zu dem Schluss, dass die Brandbestattung keinen zeremoniellen Hintergrund hatte, sondern andere Gründe. Kann man vom Usus, wie in Marcus Tullius beschreibt, auf das Verhalten des Germanicus schließen? Bedingt. Zu Octavians Programm der staatlichen Erneuerung gehörte neben Investitionen im edifikatorischen Bereich auch die Rückbesinnung auf das Kultische. Eine Wiederaugnahme von vernachlässigten Kulten geht aber häufig auch mit Neuerungen einher, so wie Octavian ja auch nicht der restitutor re publicae sondern zum princeps wurde. Insofern ist natürlich vom ciceronischen Text her nicht völlig auszuschließen, dass aus der zunächst pragmatisch veranlassten Feuerbestattung eine zeremonielle Handlung wurde. So ähnlich wie das Zölibat im Mittelalter zwar aus ökonomischen Gründen eingeführt, heute aber aus theologischen Gründen beibehalten wird. Nach Cicero reicht also zur pietas die Erdbestattung, allerdings sagt er auch, dass – heute – also ca. 50 v. Chr. eine Bedeutungsübertragung stattgefunden habe, dass alle Bestatteten als Beerdigte (Humati) bezeichnet würden. Dennoch ist die Verbrennung offensichtlich nicht notwendiger Bestandteil der Kulthandlung.

Peter Lebrecht Schmidt meint, bei den "langwierigen Kriegen" sei an den marianischen Bürgerkrieg zu denken.

EDIT: Riothamus' Leistung* habe ich erst nach dem Abschicken gesehen.



* "Leistung" statt "Beitrag" finde ich eine wirklich hübsche emendatio...
 
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Vielleicht spielen auch praktische Überlegungen eine Rolle.
Für eine Brandbestattung braucht man jede Menge Holz.
In Germanien und Gallien war Brennholz mutmaßlich leichter verfügbar, als in Italien - soweit meine Mutmaßung.:grübel:
 
Vielleicht spielen auch praktische Überlegungen eine Rolle.
Für eine Brandbestattung braucht man jede Menge Holz.
In Germanien und Gallien war Brennholz mutmaßlich leichter verfügbar, als in Italien - soweit meine Mutmaßung.:grübel:

Cicero hat um 50 v. Chr. geschrieben. Da war Gallien gerade erst frisch erobert, von Germanien ganz zu schweigen.
Die Brandbestattung war aber damals bei den Römern schon lange Sitte. (Und zwar noch viel länger, als Cicero ahnte.)

Wie kann man da einen Zusammenhang mit Gallien und Germanien konstruieren?
 
Die Knochen in Kalkriese können genauso gut Germanen zusammen getragen haben.

Ich will nicht schon wieder über Kalkriese reden. Meine Frage war die:

Kann es sein, dass Plinius die Idee von der Grabschändung im Ausland als in Germanien stationierter Offizier als Grund für die Einführung der Brandbestattung von diesem Ereignis herleitete und in die Vergangenheit transferierte?

Jedoch muss, wer auch immer behauptet, die Knochenlager in Kalkriese seien von Germanen angelegt worden, auch plausibel die Frage beantworten, warum das erst geschah, nachdem die Knochen über mehrere Jahre an der Erdoberfläche gelegen haben. Das kann (und sollte) dann aber in einem anderen Thread geschehen.
 
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