"Polenkessel" 1915

Xeda

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Hallo, grad neu im Forum angemeldet (bin eigentlich eher ein stiller Mitleser)
und seid einiger Zeit stellt sich mir die Frage, was wäre der Plan von Ludendorff/Hindenburg 1915 gewesen?Falkenhayn hat sich dann ja für Gorlice-Tarnów entschieden. Hier ein kurzer Wiki-Auszug :

Die eine Fraktion bildeten die Sieger der Schlacht von Tannenberg Ludendorff und Hindenburg. Sie setzten sich für eine breitangelegte, strategische Umfassungsoperation ein. Zwei Hauptstöße, einerseits von Ostpreußen und andererseits von Galizien sollten die russische Front an ihren Flanken aufrollen und die russischen Truppen sollten in einem ganz Polen umfassenden Kessel abgeschnitten werden.
Ein Kessel der ganz Polen umfasst? Hatte das Kaiserreich überhaupt genug Truppen für solch eine Aktion?
Falkenhayn traute Österreich-Ungarn keine eigenständige Operation zu, war das der ausschlaggebende Grund dafür dass dieser Kessel-Plan abgelehnt wurde, oder doch eher die Rivalität zwischen Ludendorff/Hindenburg und Falkenhayn?
Hätte diese Kessel-Schlacht vielleicht ein noch früheres Ausscheiden Russlands aus dem Krieg bewirkt? Oder wäre der ganze Plan dank der "Unfähigkeit" Ö-Us gescheitert?

Einige Fragen...hoffe einer kann mir ein bisschen was dazu berichten und evtl auch ein Buch dazu empfehlen.
 
Folgt man Ludendorff (Meine Kriegserinneringen, S,.107ff + Karte 6), dann kann man aus dem realen Verlauf der Frontentwicklung nicht mehr die ursprünglichen Pläne erkennen.

1. Es sollte durchaus in 1915 eine Entscheidung im Osten gesucht werden
2. Es wurden Kräfte aus dem Westen herangeführt, um das ambitionierte Ziel zu erreichen
3. Der Angriff aus der tiefen Einbuchtung um Wahrschau heraus erfolgte mehr oder minder frontal gegen Bialystok und gegen Brest Litowsk.
4. Die Njemen-Armee (Otto v. Belo) operierte im Baltikum als eine einseitige
Umfassung, die aber nicht konsequent "eindrehte", um eine Kesselbildung im Sinne des "Polenkessels" zu erreichen.
5. Unabhängig davon erzielte die deutsche Armee auf der Hauptachse einen Geländegewinn von ca. 250 Km.

In Venohr (Ludendorff. Legende und Wirklichkeit, S. 108ff, besonders Krte S. 137) werden die Vermutungen zur Kesselbildung bestätigt.

Es gab mehrere grosszügige Umfassungsvorschläge für das Jahr 1915. Der "Polenkessel" ging auf Bockelbergs Vorschlag zurück, von Norden über Bialystok auf Brest Litowsk vorzustoßen und von Cholm kommen den Kessel dort zu schließen.

Ludendorff präferierte die Njemen-Variante, die eine noch großzügigere Umfassung aus dem Baltikum Richtung Minsk vorsah. Dabei hätte er sich die rechte Umfassung sparen könnn, da er die Sümpfe als natürliches Hinderniss mit einbezog.
 
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Hallo, grad neu im Forum angemeldet (bin eigentlich eher ein stiller Mitleser)
und seid einiger Zeit stellt sich mir die Frage, was wäre der Plan von Ludendorff/Hindenburg 1915 gewesen?Falkenhayn hat sich dann ja für Gorlice-Tarnów entschieden. Hier ein kurzer Wiki-Auszug :


Ein Kessel der ganz Polen umfasst? Hatte das Kaiserreich überhaupt genug Truppen für solch eine Aktion?
Falkenhayn traute Österreich-Ungarn keine eigenständige Operation zu, war das der ausschlaggebende Grund dafür dass dieser Kessel-Plan abgelehnt wurde, oder doch eher die Rivalität zwischen Ludendorff/Hindenburg und Falkenhayn?
Hätte diese Kessel-Schlacht vielleicht ein noch früheres Ausscheiden Russlands aus dem Krieg bewirkt? Oder wäre der ganze Plan dank der "Unfähigkeit" Ö-Us gescheitert?

Einige Fragen...hoffe einer kann mir ein bisschen was dazu berichten und evtl auch ein Buch dazu empfehlen.


Ich denke, dass es vor allem daran lag, dass Ludendorffs Konzept eines "Super- Tannenberg", also einer großangelegten Kesselschlacht mit den vorhandenen Kräften der deutschen Armee alleine nicht machbar gewesen wäre und man auf die Österreicher angewiesen war,die dabei selbstständig hätten operieren müssen. Der Schlagkraftund Organisation der k. k. Armee aber traute Falkenhayn das aber nicht zu, außerdem war das Verhältnis zwischen Falkenhayn und Conrad nicht gerade gut. Österreich- Ungarn war nach den Schlachten von Lemberg und der Karpatenschlacht bereits stark angeschlagen, die Russen hatten ganz Galizien mit der Festung Przemysl erobert und die Donaumonarchie war dringend auf eine Entlastung in Galizien angewiesen, zumal Italien in den Krieg eintrat.

Gorlice- Tarnow war das Resultat einer Kompromisslösung .
 
Ich denke, dass es vor allem daran lag, dass Ludendorffs Konzept eines "Super- Tannenberg", also einer großangelegten Kesselschlacht mit den vorhandenen Kräften der deutschen Armee alleine nicht machbar gewesen wäre und man auf die Österreicher angewiesen war,die dabei selbstständig hätten operieren müssen.

Die Anlehnung liegt nahe.

Allerdings war diese Konzeption einer großen Kesselschlacht in Polen bereits in den Ostplänen von Schlieffen zu finden.

@thanepower hat ganz richtig auf das Problem "Beweglichkeit" hingewiesen (und auf die notwendigen Reserven), und bei einer derart groß angelegten räumlichen Umfassung sollte man diejenige der russischen Truppen nicht unterschätzen.

Ein ähnliches Thema gab es übrigens schon hier:
http://www.geschichtsforum.de/f62/ostfront-1914-nach-tannenberg-26566/
 
Der ganze Plan, wenn es ihn denn wirklich so gab, wäre m.E. grandios gescheitert. @Silesia sprach das Problem "Beweglichkeit" an. So eine (schnelle) Umfassungsoperation wäre erst im Zeitalter der Motorisierung möglich gewesen und zudem waren die russiscnen Truppen keine statische Masse, die tatenlos zugesehen hätte. So dumm waren die Generäle des Zaren, obwohl sie oft genug durch Unfähigkeit und Divenhaftigkeit glänzten, nun auch wieder nicht.
 
...und zudem waren die russiscnen Truppen keine statische Masse, die tatenlos zugesehen hätte. So dumm waren die Generäle des Zaren, obwohl sie oft genug durch Unfähigkeit und Divenhaftigkeit glänzten, nun auch wieder nicht.

Genau diesen Rückzug haben sie vor Lodz vorgeführt, als die Umfassung drohte.

Die zT obskure Lage der nicht durchdringenden deutschen Verbände bei Lodz schildert selbst das Reichsarchiv.

Im übrigen kann man für den 1. Weltkrieg die Faustregel aufstellen, dass Entfernungen von über 100km zur letzten Eisenbahnstation nicht operabel sind, möglicherweise sogar nur 60-70km. Diese Faustregel galt (durch Motorisierung auf max. 300km) aufgestockt noch 25 Jahre später bei Halder 1940.
 
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Allerdings war diese Konzeption einer großen Kesselschlacht in Polen bereits in den Ostplänen von Schlieffen zu finden.

Nachsatz:

Das ist schon bei Moltke d.Ä. und Waldersee zu finden.

Waldersee hatte mit Moltkes Zustimmung nach den 1890 veränderten Aufmarschplänen Rußlands die deutschen Hauptkräfte im Plan weiter nach Osten vorgeschoben: diese sollten aus der Linie Ortelsburg-Lyck auf Bialystock/Kowno vorgeführt werden. Gleichzeitig sollte eine große Offensive der Österreicher rechts der Weichsel erfolgen, zusammen ergibt das ein weit ausgreifendes Umfassungsmanöver gegen das Festungsdreieck um Warschau.

Ritter, Der Schlieffenplan, S.21.

Allerdings war diese Planung insofern an der Realität, als nicht die "große Kesselschlacht" angestrebt wurde (die logistisch und von den Geschwindigkeiten nicht führbar wäre). Vielmehr diente das Manöver lediglich dazu, Rußland zur Entscheidungsschlacht durch Herausgehen aus dem Festungsdreieck zu zwingen. Außerdem wurde eine gewisse Überrumpelung im russischen Aufmarsch zumindest erhofft/einkalkuliert.

Das Motiv ist demnach über 20 Jahre alt, die operative Übertreibung mal ausgenommen.
 
Was hier noch gar nicht zur Sprache kam, es war ein sehr enges Zeitfenster.
Dass die Italiener umgehend eingreifen würden, damit war bei den Planungen zumindest schon zu rechnen.
Und die Landverbindung zu den Türken sollte auch noch her.

Was nützt ein "Polenkessel" wenn Cadorna rechtzeitig zum Heurigen in Grinzing ist.
 
Was hier noch gar nicht zur Sprache kam, es war ein sehr enges Zeitfenster.
Dass die Italiener umgehend eingreifen würden, damit war bei den Planungen zumindest schon zu rechnen.
Und die Landverbindung zu den Türken sollte auch noch her.

Was nützt ein "Polenkessel" wenn Cadorna rechtzeitig zum Heurigen in Grinzing ist.

Die Italiener mögen son saures Zeug nicht. Desshalb hielt sich ihr Angriffgeist in Grenzen.:pfeif:
 
Die Italiener mögen son saures Zeug nicht. Desshalb hielt sich ihr Angriffgeist in Grenzen.:pfeif:


Aber wenn die Russen im Mai nicht kräftig eines auf die Mütze bekommen hätten, woher wären dann die Truppen gekommen für eine Frontlinie von der Adria bis zur Schweizer Grenze?

1915 - 1916 - im Grund genommen ist es immer nur knapp gut gegangen.
 
Dass die Italiener umgehend eingreifen würden, damit war bei den Planungen zumindest schon zu rechnen.
Und die Landverbindung zu den Türken sollte auch noch her.

Beide Aspekte sind auch im Reichsarchiv, Band VII, behandelt. Hier könnte man zwei Phasen der Diskussion unterscheiden: Jan und April 1915.

Bereits in den ersten Januartagen - vom 1.1. bis 10.1. - ging es um die Bedrohung durch Italien. Weiterhin wurde um den "Schwerpunkt Ost" gerungen, was im Klartext hieß: es ging um die Zuteilung der 4 1/2 verfügbaren, neu bis März aufgestellten Armeekorps, also etwas über ein Dutzend schnell ausgebildeter Divisionen (XXXVIII. bis XXXXI. AK - deutsche Schreibweise :devil: ). Um die Zuteilung zu fundieren, wurde mit der Zangenoperation aus Ostpreußen und Karparten argumentiert. Das gleiche Spielchen wiederholte sich im April, als es um weitere Reserven ging.


Den "großen Sack" in Polen findet man auch bei Groener, Das Testament des Grafen Schlieffen, im ganzen Kapitel "Die Offensive im Osten" (aus Sicht der Vorkriegs-Aufmarschplanungen, kombiniert mit den Kriegserfahrungen). Groener hält diese Riesenoperationen ebenfalls für undurchführbar, und bestätigt das hier schon vorgetragene Argument in Bezug auf die Schnelligkeit der Russischen Armee im Rückzug, was sie "1915 bewiesen hätte".
 
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