Die Sache ist wirklich ein wenig komplexer als es oft dargestellt wird. Napoleon und Preußen teilten ein ambivalentes Verhältnis zueinander. Warum hat Frankreich Preußen nach dem Friede von Tilsit nicht einfach von der Landkarte gestrichen? Weil Napoleon einen Mittelstaat benötigte, stark genug, um als Gegengewicht zu Österreich zu dienen, aber zu schwach, um für Frankreich eine Gefahr darzustellen.
Warum Stein? Bis zum Amtsantritt von Stein als leitender Minister, war Hardenberg an seiner Stelle. Napoleon zwang Friedrich Wilhelm III, Stein noch während der Friedensverhandlungen von Tilsit zu entlassen, weil er wusste, dass Hardenberg eine antifranzösische Meinung hatte (er dachte, nur durch eine offensive Außenpolitik könne man sich des Besatzers erwehren). Besatzung heißt hier, dass frz. Truppen im Westen des landes blieben und diesen Teil auf Kosten Preußens besetzt hielten, bis Preußen die extrem hohen Kriegskontributionen gezahlt hatte, obwohl Napoleon genau wusste, dass es das wirtschaftlich nicht könne, da es vor dem Staatsbankrott stand.
Stein war Napoleon nicht unbekannt, er hatte große Reformideen, die durchaus in die Richtung der Umwandlung nach Modell des frz. Staates gingen. Napoleon hoffte alo auf einen zukünftigen verbündeten. Er wird sich aber schon ein Jahr später täuschen und einen Brief Steins abfangen, in dem er die Meinung Hardenbergs teilte. So wurde er mit einer Acht belegt.
Was nun die Heeresreform anbelangt, so ist das ebenso ein zweischneidiges Schwert. Zum einen muss die Heeresreform als Teil der Bildungsreform verstanden werden, die Untertanen sollten zu Staatsbürgern erzogen werden, was durchaus im Sinne Napoleons war (Scharnhorst: "Das stehende Heer muss Hauptbildungsschule der Nation sein"). Zum anderen war diese auch mit einem sozialen Fortschritt verbunden, da die höheren Offiziersränge nun nicht mehr nach Geburt sondern nach Verdienst vergeben wurden, was sowohl dem französischen auch dem westphälischen Modell entsprach. Napoleon konnte damit nur einverstanden sein.
Andererseits hatte Scharnhorst eine geniale Idee. Napoleon hatte das stehende Heer auf 42.000 Mann beschränkt und Hardenberg, der 1810 zum Staatskanzler, übrigens auf Napoleons Empfehlung, ernaant wurde, hatte an seiner Einstellung nichts geändert. Preußen musste sich militärisch modernisieren. Dies geschah über humanere Ausbildungsmethoden. Um die Beschränkung zu umgehen, wurde das Krümpersystem eingeführt. Eine bestimmte Anzahl Rekruten wurden eingezogen, so dass die Zahl nicht überschritten wurde. Diese wurden ausgebildet und wieder entlassen und die nächsten Rekruten eingezogen. So schffte Preußen es, zu einem massiven, modern ausgebildeten Heer zu kommen. Hinzu kamen die freiwilligen Jägerkorps. In diese Logik fällt ebenfalls die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, die 1813 beschlossen wurde aber erst ein Jahr später wirklich eingeführt wurde.
Letztendlich ist alles kohärent. Die Reformen müssen nach Preußens Zusammenbruch als Defensivhaltung betrachtet werden, mit deren Hilfe es bereits nach wenigen Jahren wieder auf die Beine kam. Ich glaube, womit Napoleon nicht gerechnet hatte, war ganz einfach die mit den Bildungsreformen, der Heeresreform verbundene Bewusstwerdung eines Nationalgefühls, dass nach 1807 auf alle deutschen Länder übertragen wurde. Arndt sagte dazu: "soweit die deutsche Zunge klingt, und Gott seine Lieder singt, das soll es sein." Das endgültige Aus für Napoleon kam nach der Niederlage in Russland und schließlich der Nationalerhebung (siehe "An mein Volk" und "Proklamation von Kalisch" - "Welche Opfer auch gebracht werden müssen, sie wiegen die heiligen Güter nicht auf [...] für die wir streiten und siegen müssen, wenn wir nicht aufhören wollen, Preußen und Deutsche zu sein.")
Ich hoffe, ich konnte dir helfen. Und wenn du noch Details wissen möchtest, dann frag nur.
Gruß