Preußische Heeresreform

schwarzesschaf

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Hallo,

als Teil der Preußischen Reformen wurde auch das Heer reorganisiert, aber warum ließ Frankreich das zu? Soweit ich das verstanden habe, stand Preußen doch unter französischer Vorherrschaft (was genau bedeutet das überhaupt?!), und nutzte die Erneuerung um sich davon militärisch zu befreien, was dann ja auch passierte in der Völkerschlacht bei Leipzig. Hätte Napoleon das nicht ahnen müssen?!

Ebenso ist mir unklar, wieso Frankreich Stein zum leitenden Minister ernannte, obwohl der Preußen reformieren wollte. Ist mir da politisch irgendwas unklar? Dadurch wurde Preußen gestärkt, war das nötig, um mehr aus ihm wirtschaftlich rausholen zu können? Wollte Frankreich Preußen nich eher schaden? Was genau habe ich da falsch verstanden?!

Hoffe ich hab das Thema nicht irgendwo übersehen, wenn doch bitte entschuldigt.

Liebe Grüße,

schwarzesschaf
 
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Die Sache ist wirklich ein wenig komplexer als es oft dargestellt wird. Napoleon und Preußen teilten ein ambivalentes Verhältnis zueinander. Warum hat Frankreich Preußen nach dem Friede von Tilsit nicht einfach von der Landkarte gestrichen? Weil Napoleon einen Mittelstaat benötigte, stark genug, um als Gegengewicht zu Österreich zu dienen, aber zu schwach, um für Frankreich eine Gefahr darzustellen.

Warum Stein? Bis zum Amtsantritt von Stein als leitender Minister, war Hardenberg an seiner Stelle. Napoleon zwang Friedrich Wilhelm III, Stein noch während der Friedensverhandlungen von Tilsit zu entlassen, weil er wusste, dass Hardenberg eine antifranzösische Meinung hatte (er dachte, nur durch eine offensive Außenpolitik könne man sich des Besatzers erwehren). Besatzung heißt hier, dass frz. Truppen im Westen des landes blieben und diesen Teil auf Kosten Preußens besetzt hielten, bis Preußen die extrem hohen Kriegskontributionen gezahlt hatte, obwohl Napoleon genau wusste, dass es das wirtschaftlich nicht könne, da es vor dem Staatsbankrott stand.
Stein war Napoleon nicht unbekannt, er hatte große Reformideen, die durchaus in die Richtung der Umwandlung nach Modell des frz. Staates gingen. Napoleon hoffte alo auf einen zukünftigen verbündeten. Er wird sich aber schon ein Jahr später täuschen und einen Brief Steins abfangen, in dem er die Meinung Hardenbergs teilte. So wurde er mit einer Acht belegt.

Was nun die Heeresreform anbelangt, so ist das ebenso ein zweischneidiges Schwert. Zum einen muss die Heeresreform als Teil der Bildungsreform verstanden werden, die Untertanen sollten zu Staatsbürgern erzogen werden, was durchaus im Sinne Napoleons war (Scharnhorst: "Das stehende Heer muss Hauptbildungsschule der Nation sein"). Zum anderen war diese auch mit einem sozialen Fortschritt verbunden, da die höheren Offiziersränge nun nicht mehr nach Geburt sondern nach Verdienst vergeben wurden, was sowohl dem französischen auch dem westphälischen Modell entsprach. Napoleon konnte damit nur einverstanden sein.

Andererseits hatte Scharnhorst eine geniale Idee. Napoleon hatte das stehende Heer auf 42.000 Mann beschränkt und Hardenberg, der 1810 zum Staatskanzler, übrigens auf Napoleons Empfehlung, ernaant wurde, hatte an seiner Einstellung nichts geändert. Preußen musste sich militärisch modernisieren. Dies geschah über humanere Ausbildungsmethoden. Um die Beschränkung zu umgehen, wurde das Krümpersystem eingeführt. Eine bestimmte Anzahl Rekruten wurden eingezogen, so dass die Zahl nicht überschritten wurde. Diese wurden ausgebildet und wieder entlassen und die nächsten Rekruten eingezogen. So schffte Preußen es, zu einem massiven, modern ausgebildeten Heer zu kommen. Hinzu kamen die freiwilligen Jägerkorps. In diese Logik fällt ebenfalls die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, die 1813 beschlossen wurde aber erst ein Jahr später wirklich eingeführt wurde.

Letztendlich ist alles kohärent. Die Reformen müssen nach Preußens Zusammenbruch als Defensivhaltung betrachtet werden, mit deren Hilfe es bereits nach wenigen Jahren wieder auf die Beine kam. Ich glaube, womit Napoleon nicht gerechnet hatte, war ganz einfach die mit den Bildungsreformen, der Heeresreform verbundene Bewusstwerdung eines Nationalgefühls, dass nach 1807 auf alle deutschen Länder übertragen wurde. Arndt sagte dazu: "soweit die deutsche Zunge klingt, und Gott seine Lieder singt, das soll es sein." Das endgültige Aus für Napoleon kam nach der Niederlage in Russland und schließlich der Nationalerhebung (siehe "An mein Volk" und "Proklamation von Kalisch" - "Welche Opfer auch gebracht werden müssen, sie wiegen die heiligen Güter nicht auf [...] für die wir streiten und siegen müssen, wenn wir nicht aufhören wollen, Preußen und Deutsche zu sein.")

Ich hoffe, ich konnte dir helfen. Und wenn du noch Details wissen möchtest, dann frag nur.

Gruß
 
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Vielen Dank, jetzt ist mir so einiges viel klarer!

Doch wieso ernannte Napoleon erneut Hardenberg? Ging er davon aus, er habe seine Meinung geändert nachdem er damals von Stein abgelöst wurde? Was verfolgte er damit?

Für mich klingt das alles mehr nach dem zufallsprinzip, als wäre zufällig der Nationalstolz erwacht und schon wendete sich das Blatt zugunsten von Preußen. Es war also nicht geplant gewesen? Sicher, im Rückblick sagt sich sowas immer leicht, aber die Möglichkeit zu bekommen, Preußen zu stärken, muss doch zumidnest ein wenig damit assoziiert worden sein, dann gegen Frankreich vorzugehen, oder nicht?

Wenn ich das richtig gelesen habe, hat Napoleon vor allem deshalb so viel durchgehen lassen, weil es seinem Ego gut tat. Dass er den Gedanken mochte, Preußen würde sich seinen Staat als Vorbild nehmen. War das letzlich sein Schwachpunkt?

Und eine formale Frage: Kriegsentschädigungen werden imemr als Reparationen bezeichnet, Kontributionen auch, wo ist das der Unterschied?

Und warum brauchte er ein Gegengewicht zu Österreich? Was war mit Österreich, hat das noch was mit Metternich zu tun?

Ich hoffe, ich bin nicht zu weit abgeschweift, aber das sind die Fragen, die sich mir gestellt haben, vielleicht weißt du darauf die Antwort.

Dein Geschichtswissen ist übrigens beeindruckend! Muss ich dazu sagen.

Liebe grüße,

schwarzesschaf
 
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mir fällt grad ein, dass eine Freundin von mir als Grund für Steins Ernennung auch den Russischen Zar Alexander I nannte. Ihres Wissens nach, wird ihm und der Frau von friedrich Wilhelm III ein Verhältnis nachgesagt und es bestehe die Möglichkeit, dass dadurch Seitens Russland Druck auf Napoleon ausgeübt wurde, da er sich mit Russland gutstellen musste. Ist das wahrscheinlich? Nicht nur bezüglich der Affäre, auch allgemein, dass Russland Druck ausübte.
 
Dass Russland Druck ausübte, ist sehr wahrscheinlich. Dies kann auch der Fall für die Rückkehr Hardenbergs 1810 sein. Aber Stein inspirierte sich sehr von Hardenbergs Rigaer Denkschrift 1807 für seine Reformen. Hardenberg hatte ebenfalls eine gewissen Bewunderung bzw. Faszination Napoleon gegenüber und vielmehr den Modellcharakter in Frankreich erkannt als Stein. Das wird, denke ich, auch für seine Rückkehr gesprochen haben.

Der Nationalstolz ist nicht zufallig erwacht. Auf der historischen Ebene gab es bereits 1809 einen Erhebungsversuch seitens Österreich unter dem Major Schill und den Tiroler Aufstand unter Hofer. Der Erzerzog Karl hatte im Übrigen eine ähnliche Rede wie Friedrich Wilhelm III. gehalten. Aber die Zeit war noch nicht reif. Eine Auflehnung konnte nicht ohne Preußen stattfinden, das zu der Zeit mit seinem Wiederaufbau beschäftigt war. Daher scheitere der Versuch sehr schnell.
Das Nationalbewusstsein wurde ebenfalls von langer Hand durch eine philosophische Komponente vorbereitet. Es würde jetzt zu lange dauern, wenn ich dir erklären würde, welche Bedeutung die politischen Romantiker für das Nationalbewusstsein hatten. Nur kurz zusammengefasst besann man sich auf deutsches Kulturgut und deutsche Tradition (Grimms Volksmärchen, Arndts "Des Knaben Wunderhorn), aber es gab ebenfalls eine staatstheoretische Vorbereitung durch Novalis, Friedrich Schlegel, Joseph Görres und Adam Müller, die in einer Geschichtsphilosophie durch eine gedankliche Rückwendung an eine idealisierte, germanische, mittelalterliche Vergangenheit ihren Beitrag dazu leisteten, eine Vergangenheit, die besonders die Einheit des Reiches pries (eine Einheit, die nie so existiert hatte, aber das war nicht der Punkt). Es gab also eine lange gedankliche und dann politische Auseinandersetzung mit der Frage der deutschen Nation. Hierbei dürfen wir auch Fichte mit seinen "Reden an die deutsche Nation" (1807) nicht vergessen.

Alle durchgeführten Reformen in Preußen hatten zwei Zwecke: 1. Hardenberg und Stein hatten den Zäsurcharakter der Französischen Revolution erkannt, wie sie auch erkannten, dass die Zeit bestimmte Veränderungen erfordete. So hatte Hardenberg 1807 gesagt: "Demokratische Prinzipien in einer monarchischen Regierung scheinen mir am angemessensten für den Zeitgeist"
2. Waren die Reformen als Reaktion zu Frankreich verstehen. Preußen musste modernisiert und dem Zeitgeist angepasst werden, wenn es Frankreich die Stirn bieten wollte. Hierbei hatt besonders die Heeresreform ihre Bedeutung, denn man erkannte, dass das preußische Heer dem frz. nichts mehr entgegenhalten konnte. Für Frankreich handelte es sich um Volkskriege. das bedeutet, dass die Soldaten Bürger einer Nation waren und auch für diese kämpften. In Preußen hatte man noch die Kabinettskriegmentalität und das preußische Heer bestand vor allem aus Söldnern. Man musst den Untertan zum Bürger machen und diesen Bürger dann zur Waffe für den Staat bringen, um in einen direkten, Schlegel würde sagen "organischen", Kontakt mit dem Staat zu gelangen, damit er Teil des Staates werde.

Kriegskontributionen hieß konkret für Preußen drei Dinge:
1. Kriegsentschädigen in einer Summe von, glaube ich, 150 Mio. Francs.
2. Die Unterhaltung der frz Truppen, die den westlichen Teil Preußens besetzten. Preußen musste also für seine eigene Besatzung aufkommen. Genauso wie es im Russlandfeldzug Napoleons für die Truppen aufkommen musste, die durch preußisches Gebiet marschierten.
3. Preußen musste einen gewissen Teil des stehenden Heers der Grande Armée Napoleons integrieren. So nahmen beispielsweise preußische Truppen am Russlandfeldzug teil.

Ein Gegengewicht zu Österreich: Österreich war aus Tradition heraus mächtig und konnte Frankreich gefährlich werden. Diese Gefahr wurde 1809 endgültig gebannt. Aber Napoleon hat es geliebt, die deutschen Staaten gegeneinander auszuspielen. Kein Staat sollte ihm gefährlich werden können. Österreich diente also auch als Gegengewicht zu Preußen.

Ich hoffe, ich konnte deine Fragen beantworten.

Gruß

P.S. Bitte verzeiht mir Schreibfehler. Es ist spät und ich möchte ins Bett.
 
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Doch wieso ernannte Napoleon erneut Hardenberg?
Kleine Anmerkung: Napoleon ernannte ihn nicht!

Preußen war immer noch ein eigenständiger Staat und es war der preußische König, der Hardenberg ernannte. Das mag jetzt nur als formale Kleinigkeit erscheinen, ist aber schon wichtig: Napoleon konnte zwar solche Entscheidungen seiner Klientelstaaten beeinflussen, aber er war eben nicht dauernd in alle solche Fragen involviert und die meisten Entwicklungen in Preußen geschahen ohne seine Beteiligung (und bei vielen kleineren Sachen auch ohne sein Wissen).

Man darf nicht vergessen, daß Napoleon eigentlich nur 10 Jahre lang in Kontinentaleuropa dominierte, das reichte bei weitem nicht, um ein durchgängig straffes Herrschaftssystem zu installieren (nicht zu vergessen auch die damaligen begrenzten Kommunikations- und Verwaltungsmöglichkeiten).

Die verschiedenen Gebiete führten in vielen Punkten ein Eigenleben, daß Napoleon gar nicht unter Kontrolle haben konnte.
Man denke da nur an Holland, daß sich lange Zeit gegen die von ihm verhängte Kontinentalsperre sträubte - obwohl Napoleon dort seinen Bruder Louis als König eingesetzt hatte!
 
Ich glaube, dass ihr das bewusst ist. Was sie sagen wollte ist meines Erachtens schlichtweg, dass Napolean noch während der Friedensverhandlungen von Tilsit auf Hardenbergs Entlassung gedrängt hatte und sich nach der Acht/Ächtung Steins erneut für ihn eingesetzt hatte, auch wenn der Zar in dieser Entscheidung seine Finger im Spiel hatte. Denn Friedrich Wilhelm III, der selbstverständlich während Hardenbergs Exilzeit in Riga mit ihm in Kontakt blieb und sich weiterhin von ihm bearaten ließ, benötigte das Einverständnis Napoleons, um ihn in die Regierung zurückzuholen und ihn sogar zum Staatskanzler zu ernennen.
Du kannst mir glauben, dass Napoleon nach der Entdeckung des Briefes von Stein genau wissen und mitentscheiden wollte, wer da Nachfolger wird, wie das auch für die beiden zwischen Stein und Hardenberg der Fall war, ich glaube von und zum Altenstein und noch jemand, von dem ich den Namen vergessen habe.
 
Die preuß. Heeresreform von 1806-1815 hat nur bedingt etwas mit Napoleon zu tun.Es war die Niederlage von 1806 gegen Napoleon die zur preuß.Heeresreform führte.Die preuß.Heeresreform wurde erst nach Napoleon praktich umgesetzt,zu einer Zeit da saß Napoleon bereits auf St.Helena.
 
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