Rainer F Schmidt und seine Beurteilung von Poincarre, Buch Kaiserdämmerung

Sehr interessant aus welcher Ecke die "erwartbare" Kritik kommt.
Wenn sie 'erwartbar' gewesen ist, was ist daran sehr interessant oder überraschend?

Ansonsten sind der Aufsatz und der Focus-Artikel schon 2016 erschienen und Rainer Schmidt nutzt reichlich die 'revisionistische' Arbeit von Stefan Schmidt, Frankreichs Außenpolitik im Juli 1914, schon 2009 erschienen und immer noch kostenfrei downloadbar....
 
Aus der Rezension http://www.sehepunkte.de/2010/01/16617.html

"Militärische Sachzwänge, Offensivkult, politische und militärische Fehleinschätzungen sowie ein übersteigertes Großmachtprestige kennzeichnen Frankreichs Weg in den Großen Krieg. Auch wenn die französischen militärischen Planungen durchaus offensiv gewesen seien, auch wenn Frankreich den russischen Verbündeten nicht zurückgehalten sondern eher angetrieben habe, dennoch erkennt Stefan Schmidt keine Anzeichen für einen Angriffs- oder Präventivkrieg Frankreichs - aber eben auch keine Zwangsläufigkeit der politischen Lage, die unvermeidbar in den Großen Krieg münden musste. Seine Forschung belegt, dass Frankreichs Anteil am Kriegsausbruch größer war als man einem "minor player" zugestehen würde."


In der FAZ vom 01.02.2010 steht zu lesen:

Schmidts Indizienreihe, die zeigt, dass Frankreich mit Raymond Poincare als maßgeblicher Akteur damals keinesfalls eine zu vernachlässigende Rolle spielte, so versichert uns der Rezensent, hat das Zeug dazu, das tradierte Bild "erheblich" zu verändern.
 
Zuletzt bearbeitet:
Es findet sich eine weitere Rezension zu Rainer F. Schmidt neuen Werk Kaiserdämmerung in der Welt

https://www.welt.de/geschichte/article158923155/Wie-Frankreich-Deutschland-in-den-Krieg-trieb.html

Her einmal ein kleiner Auszug aus der Rezension in der Welt:
Genau in dieser angespannten Situation unternahm Frankreichs Staatspräsident Mitte Juli 1914 einen zweiten Staatsbesuch in St. Petersburg. Sein dort erneuertes Beistandsversprechen war ein fatales Signal, das die Krise weiter anheizte. Doch für Poincaré war es konsequent, denn er hatte zwei Optionen, Deutschland aber zunehmend nur noch eine: die militärische.

„Im Pokerspiel der Juli-Krise besaßen Russland und Frankreich die besseren Karten“, schließt Rainer F. Schmidt. „Sie konnten glaubwürdig mit Krieg drohen, Deutschland aber musste ihn auslösen.“ Und da der modifizierte Schlieffen-Plan alternativlos den Angriff auf Belgien vorsah, würde es zwangsläufig zum Kriegseintritt Großbritanniens kommen und damit zum Weltkrieg.

Rainer F. Schmidts Neudeutung des Kriegsausbruchs wird absehbar zu Kontroversen führen. Schon eine zurückhaltendere These, die vier Historiker Anfang 2014 in der „Welt“ veröffentlichten, hatte rabiate Vorwürfe auf sich gezogen; der SPD-Historiker Heinrich August Winkler zum Beispiel hatte ihnen „nationalistische“, ja „nationalapologetische“ Ambitionen vorgeworfen; die Wochenzeitung „Die Zeit“ überschrieb Winklers Artikel mit den Worten: „Und erlöse uns von der Kriegsschuld“. In der linken „Tageszeitung“ war von einem „Pamphlet jungkonservativer Historiker“ die Rede.

Ähnliche Reflexe werden wohl auch dem übrigens 61-jährigen und daher kaum mehr „jungkonservativ“ zu nennenden Würzburger Professor Schmidt entgegenschlagen. Er dürfte es aushalten, denn seine Argumente sind gut und nicht leicht zu widerlegen.

Zumal er jeder apologetischen Instrumentalisierung vorbaut: Raymond Poincaré, sagt er unmissverständlich, habe das Sprungbrett über dem Abgrund gezimmert. Doch darauf gestiegen und dann gesprungen sei Deutschland sehenden Auges selbst. Allerdings hätte das hochriskante Kalkül des französischen Staatspräsidenten trotz aller Vorbereitungen sein Land beinahe in die Katastrophe geführt. Denn fast hätte die deutsche Armee im August und Anfang September 1914 die britisch-französisch-belgischen Truppen entscheidend geschlagen. Zugleich besiegte sie die unerwartet schnell mobilisierte russische Armee in Ostpreußen bei Tannenberg. Und in der Marne-Schlacht retteten Glück und Zufälle die Entente denkbar knapp.

Es mag an dieser haarscharf vermiedenen katastrophalen Konsequenz des eigenen Plans gelegen haben, dass Poincaré später lieber nicht allzu offen über seine Strategie vor Kriegsausbruch sprach. Denn vor allem Frankreich (und Belgien) litten unter den mörderischen Kämpfen der Jahre bis 1918.

Gespannt sein darf man, welche substanziellen Einwände deutsche und internationale Historiker gegen Rainer F. Schmidts Deutung erheben werden. Die pflichtgemäßen politisch motivierten Verdammungen hingegen kann man getrost ignorieren.
 
Überraschend oft landet die Diskussion immer noch in der Juli-Krise, und dies seit 1914. In der hundertjährigen Dis. sind nun keine neuen Argumente hervorgebracht worden, neue Dokumente schon - die wiederum der jeweiligen Position als 'Munition' für die Argumentation dienen.

Setzt man beispielsweise alle wichtigen WI-Editionen, -Großwerke zusammen, erhält man wohl eine relativ umfassende Darstellung, ein relativ umfassenden Bild, ein relativ umfassenden Eindruck der Komplexität der Auslöser, Gründe und Ursachen - und der vielen Möglichkeiten, eigene Schwerpunkte zu setzten, die Verantwortlichkeiten zu variieren, durchaus jeweils mit einer gewissen 'wissenschaftlichen' Plausibilität und Substanz.

Was also Rainer F. Schmidt vorbringt, kann als eine der möglichen Variationen betrachtet werden - neu ist das nicht, wie man sich das sicherlich vorstellen kann. Auch sind die Quellen ja bereits seit vielen Jahrzehnten veröffentlicht.
Daher mein Schmunzeln ob des Focus-Artikels.
 
^^
Vorsicht, auch bei den Historikern gibt es eine gewisse Selbstgefälligkeit. Man hat einfach bestimmte Aspekte ausgeblendet und sich eine vereinfachte Erklärung zu eigen gemacht.

Was ich wirklich schlimm finde ist, dass Schmidt dann in Fachzeitschriften durch anonyme Hetzbriefe angegriffen wurde. So etwas geht im wissenschaftlichen Betrieb gar nicht und ist ein Ausdruck von Intoleranz und Schwäche.

Es ist eine katastrophale Situation wenn Herfried Münkler und Jörg Baberowski in Deutschland attackiert werden.
Und teilweise Lehrveranstaltungen abbrechen müssen.
 
Zuletzt bearbeitet:
^^
Vorsicht, auch bei den Historikern gibt es eine gewisse Selbstgefälligkeit. Man hat einfach bestimmte Aspekte ausgeblendet und sich eine vereinfachte Erklärung zu eigen gemacht.

Was ich wirklich schlimm finde ist, dass Schmidt dann in Fachzeitschriften durch anonyme Hetzbriefe angegriffen wurde. So etwas geht im wissenschaftlichen Betrieb gar nicht und ist ein Ausdruck von Intoleranz und Schwäche.

Gibt doch bitte konkrete Beispiele welche Historiker du meinst.

Anonyme Hetzbriefe gehen weder in einer Fachzeitschrift noch in andern Medien, das ist ein Unding. Kannst du uns bitte mitteilen um welche Fachzeitschrift es sich handelt - es gibt doch einige in der Geschichtswissenschaft.

Es ist eine katastrophale Situation wenn Herfried Münkler und Jörg Baberowski in Deutschland attackiert werden. Und teilweise Lehrveranstaltungen abbrechen müssen.

Du sprichst vermutlich das an:
Holen wir die Meinungspolizei! | NZZ
 
Was ich wirklich schlimm finde ist, dass Schmidt dann in Fachzeitschriften durch anonyme Hetzbriefe angegriffen wurde. So etwas geht im wissenschaftlichen Betrieb gar nicht und ist ein Ausdruck von Intoleranz und Schwäche.
Welche geschichtswissenschaftliche Fachzeitschrift hat 'anonyme Hetzbriefe' gegen Rainer F. Schmidt abgedruckt?

Vorsicht, auch bei den Historikern gibt es eine gewisse Selbstgefälligkeit. Man hat einfach bestimmte Aspekte ausgeblendet und sich eine vereinfachte Erklärung zu eigen gemacht.
Gab und gibt es überall, Allgemeinplätze sind kein wissenschaftliches Kriterium. Derweil blenden starke Narrative stets 'gewisse Aspekte' aus. Du referierst hier ansonsten Jahre zurück liegende Vorfälle. Hat mit Rainer F. Schmidt was zu tun?

Vereinfachung: Siehe jenen Aufsatz von Rainer F. Schmidt, "Revanche pour Sedan"- Frankreich und der Schlieffenplan, in: Historische Zeitschrift, Band 303, Heft 2 (2016), S. 393-425, hier beispielsweise S. 411, worin liegen bei 'Erstens' und 'Zweitens' die auffallenden...tja...Vereinfachungen? Einfach zum üben für Dich....
 
Bitte nicht so stark nach dem Motto: getroffene Hunde bellen Muster argumentieren.

Ich beziehe mich auf folgenden Artikel:

Selten hat eine Ausgabe der hochseriösen „Historischen Zeitschrift“ (HZ) für so viel Aufsehen gesorgt wie die letzte Nummer des Jahrgangs 2019. Denn in dem kurz vor Weihnachten ausgelieferten Heft wurde eine wüste Polemik eines gewissen „Robert C. Moore“ abgedruckt. Darin griff er massiv den Würzburger Historiker Rainer F. Schmidt und eine Reihe weiterer Historiker an, die sich mit dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzen.
https://www.welt.de/geschichte/arti...umentation-ist-grobschlaechtig-polemisch.html
 
Ich beziehe mich auf folgenden Artikel:

Selten hat eine Ausgabe der hochseriösen „Historischen Zeitschrift“ (HZ) für so viel Aufsehen gesorgt wie die letzte Nummer des Jahrgangs 2019. Denn in dem kurz vor Weihnachten ausgelieferten Heft wurde eine wüste Polemik eines gewissen „Robert C. Moore“ abgedruckt. Darin griff er massiv den Würzburger Historiker Rainer F. Schmidt und eine Reihe weiterer Historiker an, die sich mit dem Ersten Weltkrieg auseinandersetzen.
https://www.welt.de/geschichte/arti...umentation-ist-grobschlaechtig-polemisch.html

Dieser Robert C. Moore hat wie mir scheint ein grosses Problem mit der These von Schmidt und er ist in der Geschichtswissenschaft ein unbekannter, das so etwas in der Historischen Zeitschrift abgedruckt wurde ist verwunderlich wie es auch Krumeich sagt. So wie es scheint sind aber beide Artikel fragwürdig.
Wenn du die kritische Aussage in der Welt von Gerd Krumeich als Selbstgefälligkeit eines Historikers ansiehst - dann ist das deine Meinung, die muss man nicht teilen.

Edit:
Und da ich mich gerne die Original Artikel lese um mir eine eigene Meinung zu bilden habe ich mir die beiden Artikel der Historischen Zeitschrift besorgt.
Wenn sich noch jemand die Artikel besorgen möchte hier die Angaben:
Historische Zeitschrift
Band 303, 2016 Heft 2: S. 393 - 425
Rainer F. Schmidt: "Revanche pour Sedan" -Frankreich und der Schlieffenplan. Militärische und bündnispolitische Vorbereitung des Ersten Weltkrieges.

Historische Zeitschrift
Band 309, 2019 Heft 3: S. 606 - 658
Robert C. Moore: Die deutsche Legende von "aufgezwungenen Verteidigungskrieg" 1914
 
Zuletzt bearbeitet:
Gerd Krumreich ist ein renommierter Historiker. Aber wenn er schreibt, das Schmidt sein Aufsatz nicht in der HZ veröffentlich hätte werden sollen, na ja....weiß ich nicht so recht, was ich davon halten soll.

Krumreich hat vor nicht soo langer Zeit mal in einem Vorwort geschrieben, [...] "Ich nahm mir vor, dem irgendwann einmal nachzugehen, und hatte dann Anderes zu tun, zumal diese Fragestellung äußerst unbequem war und drohte, einen in der internationalen scientific community zu isolieren."
Das unbequeme Thema waren die Beschießung deutscher Truppen durch belgische Freischärler. Ein heikles und äußerst sensibles Thema, an dem sich Krumreich nicht rantraute.
 
Rainer F. Schmidt hat sich in der Historischen Zeitschrift zum Artikel von Robert C. Moore geäussert.

Historische Zeitschrift
Band 310 Heft 2, 2020 S: 387 - 408
Rainer F. Schmidt: Frankreich und die Entfesselung des Ersten Weltkrieges. Zur Widerlegung von Robert C. Moore: "Die deutsche Legende vom "aufgezwungenen Verteidigungskrieg 1914"

Er hat den Artikel von Moore methodisch und sachlich wissenschaftlich "auseinander genommen".
Solche Beiträge findet man dann eben nicht im Focus oder in der Tageszeitung, da sie dann wohl doch zu wenig "klicks" und Aufregung erzeugen.
 
Zuletzt bearbeitet:
An der Darstellung von Schmidt ist einiges dran, so hatte ja auch Oberst House aus Potsdam am 29. Mai 1914 an Wilson gemeldet, dass:
Wann immer England dem zustimmt, werden Frankreich und Rußland über Deutschland und Österreich herfallen.
Ferguson, Der falsche Krieg, S.199


Man kann also feststellen, dass die Zeitgenossen die Politik Poincares und Russlands auch so verstanden haben, wie sie gedacht war.
 
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