"Rechtschreibung" im 16. Jahrhundert?

KeineAhnung

Aktives Mitglied
Von meinen Gästen (Teilnehmer bei Führungen) werde ich immer wieder zur 'auffälligen' Schreibweise einiger Wörter auf Inschriften (z.B. Gedenkplatten) aber auch auf Dokumenten aus dem 15. und 16. Jh. befragt und kann nur unzureichend antworten. Um zu verdeutlichen, was ich damit meine, kopiere ich einen typischen Auszug eines Schreibens von 1578 hier rein, (der Inhalt sei mal dahin gestellt):

„Vnnd nachdem es an der Straßen bey diser Kürchen vill Wandels, von frembden Badgesten dem Wildbad und Zeller Bad zu, auch anderen fembden Personen vnd also diser Kürchen halben ein böß Ansehen hatt vnd zweifelsone allerhand nachreden gibt, sonderlichen da etwa fembde fürwitzige Personen solche Kürch inwendig zu besehen begeren, oder für sich selber hineinkommen,...“

1. Sehr auffällig ist das *vnnd*. Warum wird in bestimmten Wörtern wie -und- ein -v- und kein -u- verwendet, in anderen hingegen doch (z.B. in -zu-)?

2. Gab es überhaupt schon so etwas wie Rechtschreibregeln?
Je nach Verfasser variieren die Schreibweisen bestimmter Wörter deutlich. Beispiel hier: -frembden-, in einem anderen Text aus dem gleichen Jahrzehnt: -fremmden-. Man hat den Eindruck, dass einerseits geschrieben wurde, wie der Verfasser dachte zu sprechen (oft auch im Dialekt), andererseits hören sich verschiedene Wörter wie z.B. -Kürchen- schon wieder gestelzt an. Als ob der Verfasser bemüht gewesen wäre, einen besonders 'fürnehmen' Eindruck bei seinen Lesern zu hinterlassen.

3. Kann man eventuell einen Zusammenhang zwischen der Schreibweise und dem Rang des "Urhebers" ablesen?
Beispiel: In herzoglichen Dokumenten finden sich häufiger Wortendungen mit -th- ( z.B. -seyth- (seid)) als in "bürgerlichen" Schriftstücken (-seyd-), als ob der Verfasser mit dem umhauchten -t- die besondere "Durchlauchtigkeit" zum Ausdruck bringen wollte.

Da ich in sprachwissenschaftlicher Hinsicht leider überhaupt nicht beleckt bin, würde ich mich sehr freuen, wenn mir jemand da auf die Sprünge helfen könnte.

Liebe Grüße
KeineAhnung
 
Ein v statt einem u wurde hauptsächlich in Inschriften verwendet, weil eckige Buchstaben einfach leichter einzumeißeln sind als runde.

Allgemeine Rechtschreibregeln gab es bis ins 19. Jhdt. nicht. Erst dann wurden in den einzelnen deutschen Staaten zunehmend Rechtschreibregeln für Schulen und Behörden erlassen, aber eine gesamtdeutsche Rechtschreibung gab es immer noch nicht. Bahnbrechende Arbeit leistete auf diesem Gebiet der "Duden", der großen Einfluss auf künftige Orthographieversuche ausübte. Erst 1901 wurde dann eine einheitliche deutsche Rechtschreibung eingeführt, die sich am Duden orientierte
 
Danke Ravenik, für deine Antwort

Ein v statt einem u wurde hauptsächlich in Inschriften verwendet, weil eckige Buchstaben einfach leichter einzumeißeln sind als runde.

So habe ich es meinen Gästen auch immer erklärt, aber es ist nicht ganz schlüssig da auf den gleichen Gedenktafeln durchaus auch 'gerundete' Buchstaben zu finden sind.
Ausserdem erklärt es leider nicht die Verwendung des v in geschriebenen Texten, wie in dem Beispieltext. Es handelt sich bei diesem um einen Auszug eines Berichtes einer Baukommission an das zuständige Kameralamt. Das haben die Herren sicher nicht in Stein gemeißelt ;)

Dennoch herzlichen Dank
 
Ausserdem erklärt es leider nicht die Verwendung des v in geschriebenen Texten, wie in dem Beispieltext. Es handelt sich bei diesem um einen Auszug eines Berichtes einer Baukommission an das zuständige Kameralamt. Das haben die Herren sicher nicht in Stein gemeißelt ;)
Das ist einfach eine orthographische Praxis, die in solchen Texten nicht mal konsistent sein muss und sich mitunter regional und zeitlich unterscheidet. Über die Orthographie der Lutherbibel schreibt der renommierte Germanist Peter Eisenberg:
»Variation im Vergleich zu heute besteht bei einigen Schreibungen der geschlossenen Vokale und bzw. der ihnen entsprechenden Halbvokale oder Approximanten [j] und [ʋ]. In beiden Fällen kann man davon sprechen, daß die im lateinischen Alphabet nicht vorhandene Unterscheidung 〈i–j〉 sowie 〈u–v〉 anders als heute genutzt wird. 〈v〉 und 〈u〉 unterliegen einer formalen Distribution: wortinitial vs. medial, vgl. vnter vs. ertzuater Dauid, obwohl dort 1522 schon ertzvater Dauid gestanden hatte.«
Peter Eisenberg, Jeder versteht jeden. Wie Luther die Pfingstgeschichte schreibt, http://opus.kobv.de/ubp/volltexte/2006/996/pdf/eisenberg.pdf, S. 137.
Die Schreibung von /u/ am Wortanfang als 〈v〉, wie z.B. 〈vnd〉 oder 〈vnter〉 für heute übliches 〈und, unter〉 war jedenfalls weit verbreitet – wenigstens bin ich häufiger darauf gestoßen. Allerdings kenne ich mich auch mit der orthographischen Praxis von früherem Deutsch auch nicht aus. ;)
 
Wer erstellte denn Inschriften? Das waren - mehr oder minder geübte - Steinmetze, die nach Vorlagen arbeiteten.
So unterschiedlich fallen da die "Produkte" auch aus.
 
Herzlichen Dank,

@Ilan, der Link hilft mir schon etwas weiter (wenn ich auch nicht wirklich viel verstehe). Jetzt muss ich mir nur noch überlegen, wie ich das in ein oder zwei prägnanten (und vor allem inhaltlich einigermassen richtigen) Sätzen für meine Gäste zusammenfassen kann.

Liebe Grüße
KeineAhnung
 
Weil du fragtest, ob man von der Schreibweise den Stand des Schreibers ableiten kann... ich denke mal das wird schon gewissermaßen möglich sein. Vor allem gibt es die Unterteilung latein oder "deutsch". Ganz wichtige Dokumente sind oft auch auf Latein verfasst... irgendwelche alltäglichen Dinge, wie z.B. Rechnungen, natürlich in der Volkssprache.
Was man an den volkssprachlichen Dingen eher herleiten kann ist, wo der Schreiber herkam. Die unterschiedlichen Schreibweisen kommen vor allem auch daher, welchen Dialekt der Schreiber sprach. Es wurde ja so geschrieben wie gesprochen wurde. Da gibt es, wenn du einen Text aus Augsburg mit einem Text aus Bremen vergleichst, schon viele Unterschiede bei Vokalen und auch Konsonanten, weil es ja die althochdeutsche Lautverschiebung (2. Lautverschiebung) gibt. Am krassesten ist sie in der Schweiz, die versteht man ja kaum. ;) Dagegen klingen einige Dialekte von der Küste fast schwedisch, weil sie sich seit der ersten Lautverschiebung, wo schwedisch, englisch usw. entstanden ist, kaum unterscheiden. Strenggenommen ist das gar kein "Deutsch", weil es die 2. Lautverschiebung nicht mitgemacht hat. Ein Beispiel ist das Wort "Apfel". Wenn in einem Text "Appel" steht, dann ist der eher aus nördlichem Gebiet und wenn "Apfel" dasteht, dann eher südlich. Auf englisch heißt es "apple", also blieben die "Appel"-Schreiber von der 2. Lautverschiebung verschont. ;)
 
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