Eigentlich hat Mercy das Ganze sachlich nüchtern auf den Punkt gebracht, und darüber sollte weitgehend auch Einigkeit herrschen.
Auch collos und ponzelars letzte Antworten haben weitere Aspekte aufgezeigt.
Dennoch muß ich einhaken... :winke:
ponzelar schrieb:
1. kann, muß man regime vergleichen und auch bewerten?
2. war z.b. der nationalsozialismus "schlimmer" als z.b. das sowjetsystem?
3. sind bestimmte regime in der art singulär, daß vergleiche sich "verbieten"?
4.ist der jeweilige standort des betrachters ein gravierendes erkenntnishindernis oder nicht?
5. kann man aus dem regimevergleich nützliches lernen?
6. kann man aus geschichte überhaupt lernen?
7. und da eine bewertung sowieso und immer standortbezogen sein muss, sollte man sich auch nicht scheuen, dies einfließen zu lassen. fairerweise sollte der standpunkt natürlich erkennbar sein.
Da ich aufgrund der letzten Beiträge 8. bereits als "Mißverständnis" ausgeräumt sehe, lasse ich es hier aus.
collo schrieb:
... ich will mal meine antworten darauf geben:
1. ein vergleich ist möglich, ob ein muss, ist ansichtssache. auf jeden fall sollten die kriterien feststehen, die man vergleicht.
das gilt auch für eine bewertung, hier müssen die kriterien feststehen, wobei ich glaube, dass man "weiche" faktoren wie ideologie oder staatsaufbau nicht bewerten kann. blieben die "harten" fakten wie anzahl der spitzel, oder auch die zahlen der opfer. das wäre zynisch, wie ponzelar selbst eingestanden hat.
2. hier wird ein apfel mit verschiedenen birnen verglichen, welches sowjetsystem meint ponzelar, den bürgerkriegskommunismus, stalin, chrustschow, breschnew, gorbatschow, die "quersumme" aus allen? was ist schlimm?
3. leider nein, wie die jüngste vergangenheit zeigt, sind selbst heutzutage völkermord, massenvergewaltigungen und vertreibungen irgendwelcher minderheiten möglich. auch wenn es vielleicht nicht mehr die ausmasse hat wie vor 60 jahren.
4. erkenntnishindernd wäre allenfalls die opfersicht, ein von der roten armee befreiter kz-häftling hat eine andere sicht, als ein von stalin verschleppter kalmüke.
5. mindestens eins: wehret den anfängen, egal aus welcher richtung.
6. wie das leben lehrt, hat man viel zu wenig aus der geschichte gelernt.
7. eigentlich keine frage, aber mich würde schon interessieren, welchen standort ponzelar meint, politische ausrichtung, herkunft...?
1. Zunächst sind Diktaturen als solche charakterisierbar - wie jede andere Staats-, Gesellschafts- und Herrschaftsform auch. Ansonsten würde ja keiner zwischen verschiedenen Formen unterscheiden können (z.B. Demokratie, Diktatur, Monarchie etc.). Definition und Charakteristik der Diktatur, s. bspw.
http://de.wikipedia.org/wiki/Diktatur
Bezüglich der per Definitionen genannten Charakteristika sind verschiedene Dikaturen schon vergleichbar - wie man dies bewertet, hängt u.a. auch vom eigenen Weltbild ab (Nicht jeder ist ein Demokrat!)
Der Staatsaufbau ist im Sinne dieser Charakteristika ebenfalls vergleichbar (Beispielstichworte: keine Rechtsstaatlichkeit, Fehlen/Einschränkung von Parlamentarismus, faktisch keine Gewaltenteilung, von Staats Wegen Reglementierung des Individuums etc.).
In den verschiedenen Ausprägungen dieses staatlichen Aufbaus muß man freilich schon differenzieren (Bsp.: offiziell keine Wahlen und Einparteienherrschaft vs. offiziell Wahlen und Parlament, de facto aber Scheinparlamentarismus mit gleichgeschalteten Parteien).
Nicht vergleichbar ist die aus einer bestimmten Weltanschauung gespeiste Ideologie, welche hinter den betrachteten Diktaturen steht - es gibt bzw. gab verschiedene Formen faschistischer Diktaturen (klerikal-faschistisch bis hin zu nationalsozialistisch), Militärdiktaturen (die in Südamerika anders sind als im Nahen Osten) oder auch sozialistischen Diktaturen (UdSSR, China, Kambodscha, Jugoslawien).
Unterscheidungskriterien bestehen dann übrigens im Ausmaß der für den Staatsaufbau einer Diktatur typischen Merkmale bzw. ihrer Auprägung.
2. Der Vergleich (NS-Diktatur vs. Sowjet-Diktatur) hinkt tatsächlich - wiewohl ich ponzelars "Vergleich" eher als rhetorisch verstanden hatte.
Für sozialistische Diktaturen müßte man unterscheiden zwischen folgenden Grundmodellen:
- die stalinistisch vorgeprägten Diktaturen (UdSSR und die "gleichgeschalteten" Warschauer Pakt Staaten): auch wenn sich nach Stalin einiges "milderte" und es von Land zu Land Unterschiede gab, wurden die politischen Grundzüge der Staaten in der Zeit von 1945/49 gelegt und - von Gorbatschows Glasnost & Perestroika Politik abgesehen - weitgehend beibehalten; um einen treffenden Slogan zu zitieren "Von der Sowjetunion lernen heißt siegen lernen"
- die maoistische Diktatur in China
- Titos "Sonderweg" in Jugoslawien
- das Pol Pot Regime in Kambodscha; danach geriet dieses Land politisch unter vietnamesischen Einfluß (das seinerseits als "Moskau hörig" angesehen werden muß)
3. Ich denke, daß ponzelar die Frage anders gemeint hatte, und sage deswegen ja und nein...
Ja, wenn man die Ausprägung betrachtet.
Nein, da man laut 1. per Definition Diktaturen eindeutig als solche charakterisieren kann, und außerdem - wie collo schrieb - sind Regimes bis in die heutige Zeit allgegenwärtig.
Falls ich ponzelar an der Stelle mißverstanden habe, will ich aber nicht weiter darauf "herumreiten"...
4. Erkenntnishindernd ist beileibe nicht nur die Opfersicht, sondern ebenso die Sicht dessen, der in seinem Denken mit der hinter der Ideologie der betreffenden Diktatur stehenden Weltanschauung konform gegangen ist bzw. noch immer geht. Oder glaubt Ihr wirklich, daß es nicht noch Leute gibt, welche bspw. die Zeit des Dritten Reiches als positiv empfinden?
Es ist hoffentlich nicht die Mehrheit - und es werden hoffentlich auch nicht mehr -, aber auch diese gibt es!
Siehe auch meine Anmerkung zu 1., daß nicht jeder ein Demokrat ist...
Übrigens muß es auch nicht einmal ein derart "diktaturkonformer" Mensch sein, dessen Sicht nicht ungetrübt ist. Hier spielen die eigenen Erfahrungen in der Diktatur eine nicht zu unterschätzende Rolle. Derjenige nämlich, der in einem solchen Staat z.B. rein vom Lebensstandard u.ä. gut leben konnte - oder sogar etwas besser als seine Nachbarn -, sieht die Gesellschaft in einer Diktatur anders als derjenige, dem aufgrund von Herkunft, Glaube o.ä. Dingen viele Karrierewege verschlossen blieben (und damit sind jetzt nicht politische Karrieren gemeint!).
5. Ja, collo, das sehe ich auch so.
6. Die "richtigen" Schlüsse aus der Geschichte muß jeder selbst ziehen. Hitler hat dies bspw. nicht getan, denn sonst hätte er nach dem Scheitern vorheriger Feldherren (Karl XII. von Schweden, Napoleon I. von Frankreich) niemals Rußland angegriffen. Das Beispiel zeigt übrigens auch, daß Napoleon selbst schon nicht aus der Geschichte gelernt hat...
Anm.: Das "richtig" habe ich deswegen in "" gesetzt, weil man es oft sehr schwer beurteilen kann, welche Schlüsse die richtigen sind!
7. ergibt sich aus den genannten Punkten eigentlich von selbst.
So - verdammt langer Beitrag, aber ich konnte es wirklich nicht kürzer fassen.
In diesem Sinne
Timo