(Reichs)Verweser

Die ahd Form ist firwesan oder fuerwesan, da steckt also das Verb sein drin. Verwesen und verwesen sind also falsche Brüder. (Falsche Brüder = wie falsche Freunde nur nicht sprachübergreifend, sondern innersprachlich).
Ich dachte, Reichverweser wäre jemand, der den "Staat" lenkt/verwaltet in Abwesenheit eines entsprechendem Monarchen?
 
"Reichsverweser" ist ja eher ein Sammelbegriff und nur selten (1848/49) die konkrete Amtsbezeichnung. Die konkreten Aufgaben und Befugnisse hingen dann von der jeweiligen Ausgestaltung ab.

Z.B. fungierte auch Admiral Horthy als "Reichsverweser" (im Ungarischen wurde er natürlich nicht mit dem deutschen Ausdruck bezeichnet) Ungarns (das formal nach dem Sturz der Habsburger bis nach dem 2. WK Königreich blieb). Mit Erzherzog Johann von 1848/49 kann man ihn natürlich nicht vergleichen, und beide nicht mit den mittelalterlichen Reichsvikaren im HRR.
 
"Reichsverweser" ist ja eher ein Sammelbegriff und nur selten (1848/49) die konkrete Amtsbezeichnung. Die konkreten Aufgaben und Befugnisse hingen dann von der jeweiligen Ausgestaltung ab.
Ich würde sagen, letztendlich ist es in der Theorie vor allem ein Platzhalter, für einen zukünftigen Monarchen. In Deutschland hat es, meine ich, 1918 auch mal Gedenkenspiele gegeben, einen Reichsverweser zu installieren, um die Monarchie zu erhalten.

Hintergrund war, dass nach Wilhelm II. Abdankung auch seine Söhne, im Besonderen der Kronprinz zu kompromittiert waren, als dass man sie sich in interessierten Kreisen ernsthaft als Monarchen hätte denken können, während Wilhelms Enkel zu jung waren um das übernehmen zu könnnen, also wurde hier zeitweise über ein Provisorium nachgedacht.

Bei der monarschischen Rechten während der Weimarer Republik existierte, wenn ich das richtig im Kopf habe, auch mal die Idee dass Amt des Reichspräsidenten zu dem eines (Quasi)Reichsverwesers umzubauen um damit den Boden für die Wiederaufrichtung der Monarchie zu bereiten.

Z.B. fungierte auch Admiral Horthy als "Reichsverweser" (im Ungarischen wurde er natürlich nicht mit dem deutschen Ausdruck bezeichnet) Ungarns (das formal nach dem Sturz der Habsburger bis nach dem 2. WK Königreich blieb). Mit Erzherzog Johann von 1848/49 kann man ihn natürlich nicht vergleichen, und beide nicht mit den mittelalterlichen Reichsvikaren im HRR.
Wobei in Ungarn die "Reichsverweserschaft", bzw. das Amt an und für sich ja insgesamt mehr als Feigenblatt für die Horthys mehr oder weniger autokratische Position diente.
Ungarn hatte sich ja nach dem 1. Weltkrieg und dem Scheitern der ungarischen Kommunisten um Béla Kun, selbst zur "Monarchie mit vakantem Thron" erklärt, aber nach meiner Kenntnis ist auch nie besonders viel unternommen worden, um das zu beenden und den Thron zu besetzen.

Die beiden Versuche des Ex-Königs Karl 1921 als Monarch restauriert zu werden, fanden ja anscheinend innerhalb Ungarns eher bescheidenen Anklang und spätestens, als die Entente-Mächte beim zweiten Versuch ihr Veto einlegten, war ja mehr oder minder klar, dass kein Weg mehr zu den Habsburgern zurückführen würde.
Konsequent widerrief das Ungarische parlament danach auch die Pragmatische Sanktion von 1713 und damit den Nachfolgeanspruch anderer Habsburger, meines Wissens nach aber, ohne jemals ernsthaft die Installation eines anderen Monarchen anzustreben und diese Regelung durch irgendetwas anderes zu ersetzen.

Insofern würde ich sagen, dass abseits der Person Horthy in Ungarn spätestens nach 1921 die Fiktion tatsächlich weniger dem Übergang diente, wie es die Bezeichnung eigentlich vorsehen würde, sondern mehr einen mehr oder weniger unklar begrenzten Machtanspruch seines Innhabers legitimierte, der sich auf diese Weise weder einer Wahl stellen, noch offiziell nach der Macht greifen musste.
In diesem Modell diente ja mehr oder weniger der absente Monarch zur dauerhaften Legitimation der umfangreichen politischen Vollmachten eines pro-forma Vertreters mit aber de facto dauerhaften Charakter.

In anderen Fällen war die der Reichsverweserschaft zu Grunde liegende Vorstellung einer tatsächlichen Übergangsphase zu einem anderen Monarchen oder insgesamt einer anderen staatlichen Ordnung ja durchaus ernst gemeint.

Der Unterschied zu den mittelalterlichen Reichsvikaren liegt glaube ich vor allem darin, dass Aufgabe der Reichsvikare mehr oder weniger war, den Übergang von einem Monarchen zum anderen zu moderieren, aber nicht das Staatswesen an und für sich auf einen bestimmten Zweck hin auszuformen.
 
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Es musste nicht gleich ein Reichsverweser (Reichsverwalter) sein - in älteren Texten findet sich oft die Bezeichnung wie Burgverweser (Burgpfleger, Burghüter, Burgvogt, Burggraf), Gutverweser (Gutverwalter), Grundverweser, Spitalsverweser etc. Verweser wurden gewöhnlich mit Aufgaben betraut, für die der "Besitzer" oder die "Besitzerin" selbst "keine Zeit" hatte bzw. die er sozusagen an andere delegierte. Der Verweser war bis zu einem bestimmten Grad selbständig. Mit dem Vikar wurde zusammengearbeitet.

Beispiel: In den 1450er-Jahre war der ungarische und böhmische König Ladislaus Postumus, zudem "de jure" Herrscher über das Herzogtum Österreich (zu Ende des Mittelalter / in der frühen Neuzeit auch "Donauöstereich" bzw. "Niederösterreich", das Gebiet entsprach in etwa von der Ausdehnung Teilen der heutigen Bundesländer Oberösterreich und Wien und dem heutigen Bundesland Wien). Als Vormund fungierte seit Jahren Kaiser Friedrich III., ein Verwandter von Ladislaus Postumus (der Kaiser war ein Cousin 2. Grades von Ladislaus Vater Albrecht). Dieser akzeptierte oder setzte (je nach Quelle) für das ungarische und das böhmische Königreich einen Reichsverweser ein (Janos Hunyady für das ungarische Reich, Georg Podiebrad für das böhmische Reich), er überließ also die Herrschaft über beide Reiche anderen - allerdings nur als Vertretung für König Ladislaus. De facto aber konnten sie relativ autonom handeln, mussten sich aber auch um die Probleme in diesen Reichen selbst kümmern. (Sehr aufschlussreich ist übrigens, dass der Kaiser für das Herzogtum Österreich keinen eigenen Verweser für seinen Verwandten einsetzte.)
 
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Wahrscheinlich wollte Albrecht von Habsburg 1281 zwischen "gemeinem Verweser" und "gewaltigem Pfleger" keine Nuancierung ausdrücken, sondern nur mit mittelalterlicher Sprachgewalt das Blatt füllen.
..uns uber Osterrich und uber Steyr vollen gewalt und allen sein selbes gewalt gegeben hat, und hat uns in deu selben lant gesazt ze einem gemainen verweser und ze einem gewaltigen pfleger und hat daz getan vor allen den lantherren, vor den purgern, vor den steten, vor armen und vor richen noch ir aller willen und noch ir pêt und bestaetet uns allen sinen gewalt an der vorgenannten pfleg mit sinen hantfesten die wir ouch do uber haben

Jedenfalls lebte der König noch, somit war mit Verweser hier wohl vor allem ein Stellvertreter, Statthalter gemeint.

Ab dann findet man vermehrt den Ausdruck "Vorweser" für die Stellung des Verwesers, wie z.B. 1312 bei Johann von Luxemburg, König von Böhmen und Polen und "gemeiner Vorweser des heiligen Kaisertums"
'die stadtrechte von brünn aus dem xiii. u. xiv. jahrhundert : nach bisher ungedruckten handschriften' - Digitalisat | MDZ
was wiederum bei anderen Textstellen Verwirrung stiften könnte, wenn man Vorweser als "Vorgänger" liest oder dies, wo es berechtigt ist, nicht tut.

OT? In der Schweiz gab es bis etwa anfangs dieses Jahrhunderts sog. Verweser im Schulwesen.
Dabei handelte es sich eigentlich um Lehrpersonen mit befristeten Verträgen, wobei sich dies daraus ergab, dass Lehrer nach Abschluss ihrer Ausbildung (Lehrerpatent) erst nach frühestens zwei Jahren ein "Wählbarkeitszeugnis" erhalten konnten. Sie waren also zuerst nur als Verweser angestellt und nicht als Lehrer gewählt.

Bei vorübergehendem Ausfall eines Lehrers wurden sog. Vikare eingesetzt. Verweser waren für Stellen vorgesehen, die es z.B. wegen großer Schülerzahl nur vorübergehend gab oder die mangels wählbarer Lehrer nicht anders besetzt werden konnten. Die Erziehungsdirektionen bzw. Erziehungsräte der Kantone schickten die Verweser aus dem Pool der Junglehrer an die entsprechenden Orte. Dabei gab es noch einen weiteren Unterschied zwischen Vikar und Verweser: Der Vikar musste nicht zwingend patentierter Lehrer sein.

Die Bedeutung des Begriffs Verweser betonte den vorübergehenden Aspekt, wobei auch die Übergangszeit vom patentierten zum wählbaren Lehrer gemeint war. Als quasi Ersatz für einen "richtigen" Lehrer, war wohl auch der stellvertretende Aspekt in der Bedeutung enthalten, der verwaltende jedoch nicht. Dafür hätte es den Begriff des Schulpflegers gegeben.
 
Wahrscheinlich wollte Albrecht von Habsburg 1281 zwischen "gemeinem Verweser" und "gewaltigem Pfleger" keine Nuancierung ausdrücken, sondern nur mit mittelalterlicher Sprachgewalt das Blatt füllen.


Jedenfalls lebte der König noch, somit war mit Verweser hier wohl vor allem ein Stellvertreter, Statthalter gemeint.

Ab dann findet man vermehrt den Ausdruck "Vorweser" für die Stellung des Verwesers, wie z.B. 1312 bei Johann von Luxemburg, König von Böhmen und Polen und "gemeiner Vorweser des heiligen Kaisertums"
'die stadtrechte von brünn aus dem xiii. u. xiv. jahrhundert : nach bisher ungedruckten handschriften' - Digitalisat | MDZ
was wiederum bei anderen Textstellen Verwirrung stiften könnte, wenn man Vorweser als "Vorgänger" liest oder dies, wo es berechtigt ist, nicht tut.

OT? In der Schweiz gab es bis etwa anfangs dieses Jahrhunderts sog. Verweser im Schulwesen.
Dabei handelte es sich eigentlich um Lehrpersonen mit befristeten Verträgen, wobei sich dies daraus ergab, dass Lehrer nach Abschluss ihrer Ausbildung (Lehrerpatent) erst nach frühestens zwei Jahren ein "Wählbarkeitszeugnis" erhalten konnten. Sie waren also zuerst nur als Verweser angestellt und nicht als Lehrer gewählt.

Bei vorübergehendem Ausfall eines Lehrers wurden sog. Vikare eingesetzt. Verweser waren für Stellen vorgesehen, die es z.B. wegen großer Schülerzahl nur vorübergehend gab oder die mangels wählbarer Lehrer nicht anders besetzt werden konnten. Die Erziehungsdirektionen bzw. Erziehungsräte der Kantone schickten die Verweser aus dem Pool der Junglehrer an die entsprechenden Orte. Dabei gab es noch einen weiteren Unterschied zwischen Vikar und Verweser: Der Vikar musste nicht zwingend patentierter Lehrer sein.

Die Bedeutung des Begriffs Verweser betonte den vorübergehenden Aspekt, wobei auch die Übergangszeit vom patentierten zum wählbaren Lehrer gemeint war. Als quasi Ersatz für einen "richtigen" Lehrer, war wohl auch der stellvertretende Aspekt in der Bedeutung enthalten, der verwaltende jedoch nicht. Dafür hätte es den Begriff des Schulpflegers gegeben.

Allerdings wurde Albrecht sicher nicht als Verweser und Pfleger der Herzogtümer Österreich und Steier (Steyr) eingesetzt, weil sein Vater, der römische König Rudolf, noch lebte, sondern es war eine Übergangslösung. Rudolf konnte sich nicht ständig als Herrscher des Reiches in den Herzogtümern aufhalten, indem er aber einen Verweser, nämlich seinen ältesten Sohn, einsetzte, konnte er die eigentlich längst erforderliche Neuvergabe der Herzogtümer, nachdem er diese dem böhmischen König Przemysl Ottokar (II.) abgenommen hatte, noch ein wenig verzögern. Rudolf dürfte längst geplant haben, seine eigenen Söhne mit den Herzogtümern zu belehnen, allerdings dürfte er zu jenen mittelalterlichen Politikern gehört haben, die so etwas wie Augenmaß besaßen, hinsichtlich dessen, wie weit sie gehen konnten.

Rudolf konnte es sich nicht leisten, die Reichsfürsten durch die Bevorzugung der eigenen Familie gegen sich aufzubringen, zudem er sich - im Unterschied zu seinen Nachfolgern (seit seinen Enkeln Ludwig und Friedrich) - noch reelle Chancen darauf ausrechnete, dass er eine neue "Kaiserdynastie" begründen würde, wie dies den Ottonen und Saliern noch gelungen war. Also galt es die Einsetzung seiner Söhne vorzubereiten und sich für diesen Schritt die Zustimmung der Reichsfürsten und die Zustimmung des herzoglichen Landadels zu sichern.

Bei der Weitervergabe des Herzogtums Kärnten setzte Rudolf etwas später seinen Sohn Albrecht ebenfalls als Verweser ein, allerdings nicht, weil er die Absicht hatte, diesen auch noch mit dem Herzogtum Kärnten zu belehnen, sondern weil sich der dafür vorgesehene neue Herzog, Albrechts Schwiegervater Meinhard (II.), gerade wieder einmal im Kirchenbann befand. Offensichtlich hielt es Rudolf mit Blick auf die Anerkennung dieser Einsetzung für vernünftiger, abzuwarten, bis Meinhard wieder aus dem Kirchenbann gelöst wurde. Tatsächlich wurde Meinhard erst dann Herzog von Kärnten. Die Einsetzung eines Verwesers dürfte auch hier den Zweck gehabt haben, die Weitervergabe zu verzögern.

Häufig finden wir Verweser für Bischofspfründen. Der Grund dafür war meistens, dass ein Bischof nicht über mehrere Hochstifte bzw. Bistümer herrschen durfte. Beispiel: der Erzbischof von Trier konnte nicht gleichzeitig Erzbischof von Köln sein, aber er konnte Erzbischof von Trier (oder Köln) sein und das andere Erzbistum bzw. Erzstift als Verweser übernehmen. War ein Bischof noch nicht geweiht (oder wollte er sich nicht weihen lassen), konnte er als Elekt (wenn er vom Kapitel gewählt worden war) oder als Verweser sein Hochstift / Bistum leiten. Bei der Übernahme eines anderen Stiftes kam es oft genug zu Komplikationen, eine häufige Lösung war, dass Bischof von Chur zum Beispiel, der Bischof von Brixen werden sollte, für das erste weiterhin Bischof von Chur blieb und zunächst nur der Verweser des Bistums / Hochstifts Brixen war. Sobald er sich dort durchgesetzt hatte, konnte er dort zum Bischof geweiht werden und seine frühere Bischofswürde aufgeben. (Besonders, wenn die Einsetzung umstritten war, war das eine gute Lösung, mit der verhindert wurde, dass ein Kleriker plötzlich überhaupt nicht mehr Bischof war.)
 
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