Reichsgruendung ohne Bismarck?

Wenn die Franzosen in der Frage des Vatikans pragmatischer gewesen wären, dann wäre Italien möglicherweise auf seiten Frankreichs in den Krieg eingetreten. Gerade diese Frage aber hat es verhindert.
 
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Eine Reichsgründung ohne Bismarck wäre wohl sehr viel später, wenn überhaupt, erfolgt. Was-wäre-wenn-Spielchen sind allerdings nur begrenzt interessant.

Bismarck war niemals leichtfertig für den Krieg, aber er hielt ihn gegen Österreich und Frankreich wohl für unausweichlich und für sinnvoll, um ein Deutschland unter preußischer Führung im ersten und ein preußisch bestimmtes Deutschland mit den Südstaaten zusammen im zweiten Fall zu schaffen. Preußen war für Bismarck wichtiger als Deutschland. Da Frankreich auf den Krieg gegen Preußen brannte und es wohl nur eine Frage der Zeit gewesen wäre, dass es dazu ohnehin gekommen wäre, nutzte Bismarck die eigentlich unerwartete "günstige Gelegenheit" für den kleinen Schubs in den Krieg im Sommer 1870. Obwohl es nicht so klar ist, welche Rolle die Änderungen an der Emser Depesche spielten und ob Frankreich nicht sowieso den Krieg erklärt hätte, wollte Bismarck diesen Krieg eindeutig. Die Kunst war es eigentlich, Frankreich als den alleinigen Aggressor darzustellen, was aber auch nicht so schwer war.

Kriege sind immer kalkulierte Risiken. 1870 hätte es z.B. schief gehen können, wenn die Erfolge nicht so schnell gekommen wären und Österreich sowie Dänemark evtl. länger über einen Kriegseintritt hätten nachdenken können.

Was die Chancen für eine Einheit in Freiheit nach 1848 anging, wurden die Chancen auch durch übergroße Forderungen der Extremen verspielt, die weite Teile des Mittelstands verprellten und der konservativen Kamarilla so in die Hände arbeiteten. Und was mit einem damals erfolgreich geeinigten Deutschland weiter passiert wäre, ist ungewiß, könnte aber zum Teil wenig anheimelnd gewesen sein. Teile der Liberalen in der Paulskirche wollten 1849 den europäischen Krieg, die noch weiter links Stehenden hofften mitunter sogar auf einen Weltkrieg, um das Alte hinweg zu fegen.
 
Nun, sieht man sich da mal die Verteilung der Länder erstmal in Norddeutschland an:
http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/6c/Deutscher_Bund.png
So ein kleines Land wie Braunschweig und Oldenburg brauchte so etwas wie nen Norddeutschen Bund/Zollverein um leichter Handel treiben zu können. Hannover hatte zwar die Möglichkeiten des Empire, ist aber mit Hamburg und Bremen doch eingeschränkt im See bzw Flußhandel. Oldenburg gehts ähnlich, von Lippe -Detmold mal zu schweigen, die konnten sich alleine ja nun garnicht rühren.

Wäre Preußen ohne Bismarck sich selbst genug gewesen, hätten die anderen den "norddeutschen Bund " ohne Preußen stattfinden lassen, das Bürgertum und die Grundbesitzer brauchten einfach nen freieren Handel. Die Landstände Westfalens hätten dann schon dafür gesorgt, das zumindest ihr Teil von Preußen an diesem Gebilde teilhaben würde. Sie wären sonst abgeschnitten gewesen. Nun geben Fürsten ungern Macht ab, und vorallem mögen die niemanden über sich. Bei "ohne Peußen" wäre es wohl auf eine Art "Fürstenkammer" mit "Parlament" rausgelaufen, denn die Mehrzahl der Staaten/der Bewohner dieser Region hatten ja Verfassungen, in denen die Landtage für die Zeit weitreichende Befugnisse hatten.

So ein Gebilde "mitten in Preußen" hätte sich Preußen nie leisten können, Autokratie wie in Preußen und "Anarchie " mittendrin, das ist für die Autokraten zu gefährlich. Entweder hätte der preußische König auf einen kleinen Teil seiner Befugnisse verzichten müssen oder diesen Bund gewaltsam schlucken.
Dank Bismarck geschah letzteres durch Gewaltandrohung/Eroberung unter dem Deckmantel des "Nationalen"

Mit einem reformbereiten König und "gebildetem" Landadel wäre dies eventuell gewaltfrei gegangen

Die sächsischen und hessischen Fürstentümer hätten da eben dann noch die Wahl gehabt, sich diesem Gebilde anzuschließen oder sich nach Süden zu orientieren, es hätte eine Art Süddeutschen Bund gegeben, wegen Bayern aber ohne Österreich hier aber garantiert mit dem König in Bayern als Oberhaupt. Was den Hessen und Sachsen sicher nicht gefallen hätte, die wären als zum norddeutschen Gebilde gewechselt.

Ich denke mal, spätestens jetzt hätte es zwischen Preußen/Norddeutschland und Bayern Österreich gekracht. Es sei denn , die Franzosen hätten ein Mitglied des ja immer noch bestehenden deutschen Bundes angegriffen , um die Situation aus zu nutzen.
Die Einigung Deutschlands ohne Österreich hätte dann genauso stattgefunden, wie sie passierte, vielleicht , ohne das der König in Preußen Kaiser des deutschen Reiches genannt worden wäre. Das Primat hätte er am Ende gehabt.
 
@Wilfried

Wenn ich deine Zeilen so lese, konstatiere ich, das du, wieder einmal, die Antibismarck, die Antiwilhelm und erst Recht die Antipreußen Keule schwingst. Preußen war eine europäische Großmacht und der einzige Staat, der die Einheit befördern wollte. Österreich, Bayern sowieso, hatte gar kein Interesse an der Einheit und die anderen auch nicht. Bayern pflegte lieber seine Beziehungen zu Frankreich und Österreich.

Von den Fürsten der Kleinstaaten erst gar nicht zu reden. Da sie zu schwach waren, um ihre Interssen im Zweifelsfall zu vertreten, wurden dann auch gerne auch die anderen europäischen Großmächte bemüht, die sich dann zum Schiedrichter in deutschen Anglegenheiten aufspielen konnten.

Italien seine nationale Einigung vollzog sich auch nicht beim Kaffeekräznchen.
 
Turgot, egal , ob du das jetzt pro oder antipreußisch siehst, mit und ohne Bismarck wäre nach 1815 um eventuelle ein paar Jahre versetzt, der selbe "film" gelaufen.

Es sei denn , Preußen hätte freiwillig auf Westfalen und das Rheinland sowie die Stammlande verzichtet und Österreich auf seine nicht deutschen Staatsteile. Also beide quasi Selbstmord begangen. Und das war und ist wohl unwahrscheinlich. (So Österreich als Bundesland/Regierungsbezirk von Bayern)

Bismarck stand nun mal an dem Platz an dem er stand zu der Zeit, in der es passierte.

Ohne ihn wäre das ganze ähnlich gelaufen, eventuell mit mehr Blutvergießen, wenn später, oder weniger, wenn eher. Aber das "zweite" Deutsche Reich wäre entstanden
 
Jein, ich denke auch, es hätte eine Entwicklung weg von der Kleinstaaterei gegeben. Allerdings sehe ich auch die Möglichkeit eines größeren Preußens und eines Bundesstaates auf Basis der Zollunion unter Beteiligung auch der süddeutschen Länder.
Zum Thema Alternative gibt es einen interessanten Artikel:

Heinrich August Winkler: "Das russische Zarenreich war auf sehr viel militantere Weise antisemitisch" | ZEIT ONLINE

ZEIT Geschichte: Die Frage nach dem deutschen Sonderweg wirft immer auch die Frage nach Wendepunkten und Alternativen auf. Hätte es eine Alternative zur kleindeutschen Lösung gegeben, wie Bismarck sie gewaltsam durchgesetzt hat?
Winkler: Einige Historiker postulieren das bis heute – dass es einen ganz anderen Weg gegeben hätte und der 1815 geschaffene Deutsche Bund enorm entwicklungsfähig gewesen wäre. Das liberale Bürgertum hätte sich mit einer solchen restaurativen Scheinlösung der deutschen Frage jedoch nicht abgefunden, schon gar nicht die Unternehmer, die sich im kleindeutschen Zollverein eingerichtet hatten und dessen Weiterentwicklung zum Nationalstaat wünschten. Auch die Arbeiterbewegung hätte sich nie und nimmer mit einer Teilung Deutschlands in einen preußisch dominierten Norden und einen österreichisch dominierten Süden zufriedengegeben. Die Arbeiterbewegung war in ihrem von Karl Marx und Friedrich Engels beeinflussten Flügel großdeutsch, während der Begründer der deutschen Sozialdemokratie, Ferdinand Lassalle, die kleindeutsche Position vertrat. Kurzum: Keine Alternative zum Nationalstaat hätte einen ausreichenden Rückhalt in der Gesellschaft gefunden. Alles andere ist rückwärtsgewandtes Wunschdenken.

Grüße
excideuil
 
Ohne Bismarck wäre die Einigung deutlich später, wenn überhaupt, dann auch wohl nur auf Druck von unten hin gekommen.

Österreich war bis Bismarck viel zu sehr als die Vormacht im Deutschen Bund anerkannt und Wien hatte kein Interesse an einer Einheit. Wien wollte den Deutschen Bund weitherin für seine Zwecke instrumentalisieren. Und dann die ganzen Fürsten, die sich nicht von ihrer Macht trennen konnten und wollten.
Das sehe ich ähnlich. Preußen musste nach den Ergebnissen des Wiener Kongress als kleinste Großmacht - schon aus geografischen Gründen - auf dem Kontinent anders agieren als Österreich dies tat.

Mit der 48. Revolution wurde dann deutlich:
Zu Beginn der Revolution kam für alle Beteiligten im Grunde nur die großdeutsche Lösung infrage: Niemand im liberalen und demokratischen Lager dachte damals an ein Deutschland ohne Österreich. Während der Revolution begann sich dann die Einsicht durchzusetzen, dass die Einheit mit Österreich nicht zu erreichen war. Realistisch war einzig ein Kleindeutschland ohne Österreich unter preußischer Führung. Doch auch diese Lösung erwies sich 1849 als nicht mehr durchsetzbar, weil die alten Gewalten inzwischen zu sehr wiedererstarkt waren. Zudem hätte auch Preußen die Kraftprobe mit Österreich nicht gewagt, die wahrscheinlich einen Konflikt mit Russland nach sich gezogen hätte. Nicht zuletzt hätte die kleindeutsche Lösung im Sinne der Frankfurter Nationalversammlung den Übergang von einem Königtum von Gottes Gnaden zu einem Kaisertum von Volkes Gnaden bedeutet – eine Vorstellung, die Friedrich Wilhelm IV. brüsk von sich wies.
Heinrich August Winkler: Deutschlands sonderbarer Weg | ZEIT ONLINE

Bismarcks "Einigungskriege" hatten zwar das Deutsche Reich zur Folge, übersehen werden darf aber nicht, dass diese Einheit auch "erkauft" wurde, indem den Fürsten neben dem Münzrecht - was sicher noch heute Sammler und Händler begeistert - noch beträchtliche innenpolitische Entscheidungsbefugnisse belassen werden mussten. Etwas, was noch bis heute nachwirkt.

Wahrscheinlich, dass eine deutsche Einheit einer "NichtBismarckLösung" wohl das gleiche kleindeutsche Ergebnis gehabt hätte, sicherlich später und mit anderen Befugnissen im Reich und in den Ländern erfolgt wäre.

Grüße
excideuil
 
Wahrscheinlich, dass eine deutsche Einheit einer "NichtBismarckLösung" wohl das gleiche kleindeutsche Ergebnis gehabt hätte, sicherlich später und mit anderen Befugnissen im Reich und in den Ländern erfolgt wäre.l

Das ist wohl richtig. Bei Winkler finden sich wohl auch die entscheidenden Hinweise.

1. Die Entwicklung des Nationalstaates war kaum mehr aufzuhalten.

2. Die Dynamik der kapitalistischen Produktion erzwang neue Beschaffungs- und Absatzmärkte

3. die Nationalstaatliche Konkurrenz mit ihren bürokratischen Zwängen und Machtapparaten (Armee) hatte eine ausreichende Eigendynamik

Ob mit oder ohne Bismarck, die "Geschichte" hätte sich einen Akteur gesucht, der diese "Zwänge" exekutiert hätte.

Das Ergebnis hätte allerdings natürlich auch ganz anders ausfallen können.
 
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Dieser Mann war weit und breit aber nicht in Sicht.

Diese empirische Evidenz ist nur eine scheinbare. Am Anfang seiner politischen Karriere hätte man das Potential von Bismarck auch nicht sofort erkennen können.

Personen wachsen mit ihren Aufgaben. Und es wäre ein anderer an seiner Stelle gewesen, der die Aufgaben auf seine Art auch erledigt hätte.

Es ist sichelrich aber auch eine Frage, welche Rolle man einzelnen Personen im gesamten historischen Prozesse zugestehen möchte. Und ich verneine durchaus nicht die Bedeutung der "Person", aber sie ist vor den historischen Rahmenbedingungen zu interpretieren und diese entscheiden, für welche Entwicklung die "Zeit reif ist".

Das ist natürlich alles normativ, kontrafaktisch und spekulativ.
 
Ich finde, da muß man sehr vorsichtig sein, diese "zwangsläufig"-Interpretation geht mir oft zu sehr aus der wohlwissenden Rückschau vor. Dann greift natürlich immer eins ins andere. Was Winkler (den ich sehr schätze, "Geschichte des Westens" oder "Der lange Weg nach Westen" zählen zu meinen Lieblingsbüchern) über den Drang zum Nationalstaat schreibt, halte ich zwar für richtig, aber die genannten Kräfte hatten sich 1848/49 etwas verausgabt und spielten eine Zeitlang nicht mehr so stark eine Rolle, sie waren eher der Hinterton einer diffusen öffentlichen Meinung ohne echte eigene politische Kraft. Das galt für Frankreich wie für die deutschen Staaten.

Was Personen für eine Rolle spielen können, sieht man doch bei Bismarcks Entlassung. Ein paar Monate länger im Amt und der Rückversicherungsvertrag wäre wahrscheinlich verlängert worden, zu den möglichen Folgen will ich jetzt aber kein neues Spekulationsspielchen eröffnen.

Was den Tribut an die deutschen Staaten bei der Reichsgründung angeht, zeitigt der in der Tat Folgen bis heute, und zwar insgesamt sehr positive, da der Förderalismus erhebliche Vorteile bietet, die den üblicherweise nach dem Zentralstaat schreienden und schreibenden Exponenten mangels praktischer Erfahrung mit Verwaltung und Gesetzgebung in der Regel nicht bekannt sind. Aber das wäre Zeitgeschichte, und die gehört hier ja nicht her. ;)
 
Personen wachsen mit ihren Aufgaben. Und es wäre ein anderer an seiner Stelle gewesen, der die Aufgaben auf seine Art auch erledigt hätte.

Wenn auch theoretischer Art, vielleicht kønnen wir ja "Kandidaten" finden...
Muessen wir ihn in Preussen suchen, bei den Diplomaten oder vielleicht beim Militær? Welche Rolle hætte der preuss. Kønig spielen kønnen?

Gruss, muheijo
 
Und als nächstes besprechen wir dann, was passiert wäre, wenn Friedrich III. nicht so früh an Kehlkopfkrebs gestorben wäre.
 
Es ist sichelrich aber auch eine Frage, welche Rolle man einzelnen Personen im gesamten historischen Prozesse zugestehen möchte. Und ich verneine durchaus nicht die Bedeutung der "Person", aber sie ist vor den historischen Rahmenbedingungen zu interpretieren und diese entscheiden, für welche Entwicklung die "Zeit reif ist".

Im vorliegenden Fall hatte Bismarck die historischen Rahmenbedingungen entscheidend mitgestaltet und geprägt, so das eben die Reichsgründung möglich wurde.
 
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