Reparationsforderungen nach dem 2. Weltkrieg

Mir scheint, dir ist nicht klar, dass die PiS eine Partei ist, die rechter und fundamentalistischer als die AfD ist.

Das ist mir durchaus klar.
Meine Gegenfrage wäre jetzt, ob dir klar ist, wie schwierig es für eine so extreme Partei sein muss, einen veritablen Massenanhang dauerhaft bei der Stange zu halten, im Besonderen, wenn sie sich nicht darauf beschränken kann aus der Opposition heraus Unsinn zu parolieren, sondern wenn sie als verantwortliche Regierungspartei liefern muss?

Da dürfte das Loyalitätsgefüge zu so manchem Wähler doch eher fragil sein und das kann man nutzen.

Ich denke aber auch, dass das jetzt eindeutig zu weit in Richtung Tagespolitik abgleitet und würde anregen wieder auf das Thema der Reparationsforderungen zurück zu kommen.
 
Meine Gegenfrage wäre jetzt, ob dir klar ist, wie schwierig es für eine so extreme Partei sein muss, einen veritablen Massenanhang dauerhaft bei der Stange zu halten, im Besonderen, wenn sie sich nicht darauf beschränken kann aus der Opposition heraus Unsinn zu parolieren, sondern wenn sie als verantwortliche Regierungspartei liefern muss?
Das klingt nach einem Verständnis für die Situation der PiS.

Das kannst du natürlich tun, aber sei dir bewusst, dass wir nicht weiterkommen, wenn wir Parteien, die wie PiS nationalistisch-religiös argumentieren, Verständnis entgegenbringen – weil wir ihnen damit indirekt recht für ihre Klagen geben, was sie wiederum als Wasser für ihre Mühlen deuten.
 
Wie ist denn eine solche Kompensation mit dem Grundsatz der Unverletzlichkeit der territorialen Integrität eines Staatswesens zu vereinbaren?
Denn genau darauf beruft man sich in Polen ja zeitgleich auch, wenn es um die ehemals polnischen Gebiete geht, die sich die Sowjetunion im Gefolge des 2. Weltkriegs nahm.
Polen war das Opfer 1939 ff. genau wie 1945 ff. Es war erst Spielball Hitlers und Stalins und dann Stalins. Deutschland hatte den Krieg begonnen und die Maßstäbe des Krieges und der Kriegführung verschoben.
Stalin wollte seine Gebiete für die SU haben, die Polen wurden da nicht gefragt. Aber ihnen wurde eben Gebiete des Kriegsbeginners und -verlierers zugesprochen. Ich weiß nicht, ob man da mit dem Grundsatz der Unverlässlichkeit der territorialen Integrität argumentieren kann, nachdem Deutschland gerade sechs Jahre die Welt und insbesonders Osteuropa terrorisiert hatte.

Die Argumentation für volkswirtschaftlichen Schaden durch Menschenverluste Reparationen erhalten zu wollen, erscheint mir vor dem Hintergrund der Vertreibungs- und "Umsiedlungsaktionen" nach 1945 ebenfalls schwierig.
Auch hier wieder: Die Polen waren von September 1939 bis Dezember 1944 Opfer deutscher Gewaltherrschaft. Wer wollte ihnen Rekompensation verdenken? Wer wollte ihren verdenken, dass sie von dem Urheber des Krieges das forderten, was ihnen an anderer Stelle weggenommen wurde? Wer wollte 1945 in schuldige und unschuldige Deutsche unterscheiden, wenn der polnische Staat mit mehreren Millionen Obdach- und Heimatlosen umzugehen hatte?

Natürlich haben Deutsche im Nachgang des Krieges viel Leid und Unrecht erdulden müssen und viele davon waren tatsächlich keine Nazis und haben sich während des Krieges nichts zu Schulden kommen lassen. Aber wie sollte man mit den Deutschen umgehen, wo es plötzlich keine Nazis mehr gab und niemanden, der je einer gewesen war?

Immerhin sind da eine ganze Menge gut ausgebildeter Leute, die zum Wirtschaftsleben und zum allgemeinen Wohlstand einiges beitragen konnten, nicht ganz freiwillig aus dem Land komplementiert worden.
Siehe oben: Wie sollte man mit den Deutschen umgehen, wo plötzlich alle Nazis sich in Luft aufgelöst hatten? Wie vom Erdboden verschluckt waren?

Die ehemaligen deutschen Ostgebiete befinden sich heute rechtmäßig im Besitz des polnischen Staates, weil die vom deutschen Volk legitimierte Vertretung ihrerzeit beschlossen hat, den Anspruch darauf aufzugeben und die de facto bestehenden Verhältnisse zu legitimieren und nicht wegen irgendwelcher dem Grundsatz der territorialen Integrität widersprechender und in ihrer Legitimation widersprüchlicher Kompensationsvorstellungen.
Was die Regierung Brandt gegen den Widerstand der CDU gemacht hat - nebenbei: In Büchern (auch offiziellen Schulbüchern) wurde noch Jahre später bei den nunmehr polnischen Gebieten "unter polnischer Verwaltung" abgedruckt. Solche Bücher hatten wir noch fast zwanzig Jahre nach der Anerkennung durch Brandt in der Schule - wurde erst mit den Zwei-plus-Vier-Verträgen auch in CDU/CSU-Kreisen als verbindlich anerkannt. De facto hat Brandt in Anerkennung der deutschen Kriegsschuld und der bestehenden Fakten, nämlich dass die DDR den Anspruch auf die nunmehr polnischen Gebiete nicht erhob und die Bundesrepublik überhaupt keine Handhabe hatte, dass es sich um eine Chimäre handelte, diese Gebiete als deutsch zu beanspruchen, zumal weder Polen noch die SU bereit gewesen wären den status quo ante herzustellen und eine Wiederherstellung desselben wiederum ein Herausreißen von Millionen Sowjetbürgern, Polen und Deutschen aus ihrem geordneten Alltag in Friedenszeiten und Jahrzehnte nach dem Krieg bedeutet hätte. Natürlich war es Kompensation: Kompensation für die eigenen Gebietsverluste auf Kosten derer, die den Krieg begonnen und sich dann mit heruntergelassener Hose haben erwischen lassen. Dass es da vielleicht auch den ein oder anderen Unschuldigen oder gar Gegner des NS-Regimes traf, ist so gut wie sicher. Aber wie hätte das eine polnische Regierung ihren eigenen Vertriebenen verklickern sollen, dass man die Deutschen, welche die Polen fünf Jahre lang unter einer entsetzlichen Knute gehalten hatten, jetzt fein säuberlich nach guten und schlechten Deutschen trennte?

Ebenso sich über entstandenen volkswirtschaftlichen Schaden durch Menschenverluste zu beschweren, nachdem man Millionen von Menschen, die diesen volkswirtschaftlichen Schaden hätten auffangen können, selbst des Landes verwiesen hatte.
Hätte man diese Deutschen, diese mutmaßliche Fünfte Kolonne, denn im Land haben wollen?

Auf solche Winkelzüge der PiS unsererseits publizistisch zu reagieren, ist kontraproduktiv, weil sie das nach innen verkaufen kann: Seht, auch in Deutschland wird über unsere Reparationsforderungen gesprochen, also sind sie rechtens.
Seltsame Logik.

Das klingt nach einem Verständnis für die Situation der PiS.

Das kannst du natürlich tun, aber sei dir bewusst, dass wir nicht weiterkommen, wenn wir Parteien, die wie PiS nationalistisch-religiös argumentieren, Verständnis entgegenbringen – weil wir ihnen damit indirekt recht für ihre Klagen geben, was sie wiederum als Wasser für ihre Mühlen deuten.
Verständnis im Sinne eines Mitfühlens kannst du Shinigami nun wirklich nicht unterstellen. Intelektuelles Nachvollziehen von Mechanismen und mitfühlendes Verständnis sind zwei unterschiedliche Paar Schuh.
 
Ich weiß nicht, ob man da mit dem Grundsatz der Unverlässlichkeit der territorialen Integrität argumentieren kann, nachdem Deutschland gerade sechs Jahre die Welt und insbesonders Osteuropa terrorisiert hatte.

Den Gedanken das Völkerrecht hier einfach mal auszuklammern halte ich für problematisch, weil das zu massiven Abgrenzungsproblemen führt.
Natürlich kann man damit argumentieren, dass beispiellose Verbrechen Ausnahmesituationen begründen könnten, nur dann müsste man sich darüber unterhalten, wie krass die Verbrechen sein müssten, damit das nicht den ganzen Grundsatz zur Beliebigkeit degradiert und dann müsste man sich auch darüber unterhalten, wie weit diese Eingriffe gehen dürften.


Die andere Problematik dieser Situation ist mMn aber dass sie sich nur auf das Verhältnis der Staaten untereinander anwenden ließe, selbst wenn man das einmal bejaen wollte.

Dann müsste man sich aber auch noch über die Problematik des Selbstbestimmungsrechts der Bevölkerung dieser Gebiete unterhalten.

Zu polstulieren ein Staat habe den anderen wegen erlittener Schäden mit Territorien zu kompensieren, funktioniert vielleicht wenn man voraussetzt, dass diese Territorien menschenleer sind.

Zu behaupten, es handle sich um eine Ausnahmesituation, die dem polnischen Staat das außerordentliche Recht auf Kompensation territorialer Art einräumt, würde hier gleichzeitig postulieren, dass der polnische Staat das Recht habe im Rahmen seiner Forderungen das Selbstbestimmungsrecht auch solcher Bewohner zu kassieren, denen man keine Mitwirkung an irgendwelchen Verbrechen nachweisen konnte.

Solche Kompensationsansprüche als rechtens anzuerkennen bedeutet dann nichts anderes mehr, als nicht nur den Anspruch eines Geschädigten gegenüber einem Übeltäter anzuerkennen, sondern auch ihm Ansprüche gegenüber Dritten zuzuerkennen, die sich keiner Verfehlungen (Selbst wenn man da alle NS-Wähler, Funktionäre und Wehrmachtsangehörigen etc. rausrechnete) schuldig gemacht hatten.

Und spätestens an diesem Punkt, möchte ich sagen, dass mir kein denkbarer juristischer Winkelzug mehr einfällt, der geeignet wäre so etwas unter dem Schlagwort "Kompensation" zu rechtfertigen, selbst wenn man die Vorstellung, das territoriale Kompensationen in Ausnahmefällen ihre Berechtigung haben können (und schon das macht mir wie oben angemerkt ganz erhebliche Bauchschmerzen), einmal als gegeben annehmen möchte.

Und dann haben wir über die Vertreibungen noch gar nicht gesprochen.


Ich bitte mich da nicht falsch zu verstehen, ich kann die polnischen Vorstellungen und Vorgehensweisen auf der emotionalen Ebene, auch wenn sich das oftmals gegen die Falschen richtete durchaus nachvollziehen.

Ich sehe aber wirklich keine völkerrechtliche Handhabe, die dass willkürliche Verschieben von Territorien über den Willen ihrer Bewohner hinweg rechtfertigen könnte.
Das ein Staat in bestimmten Situationen zu Kompensationen verpflichtet werden könnt, halte ich für schwierig, aber immerhin noch für diskutabel.
Das in in diesem Zuge das Selbstbestimmungsrecht sämtlicher Bewohner einer bestimmten Staatsangehörigkeit unterschiedslos einfach mal kassiert wird, nicht.
Und über die Unrechtmäßigkeit (auch wenn ich es emotional, wie gesagt durchaus nachvollziehen kann) von Vertreibungen/Deportationen unliebsamer Bevölkerungsgruppen, brauchen wir, denke ich nicht zu diskutieren.


Entsprechend kann ich auch eine Argumentation, die darauf hinaus läuft Entschädigung wegen volkswirtschaftlicher Schäden durch Bevölkerungsverluste haben zu wollen nicht nachvollziehen.
Polens Bevölkerungsverluste wären auf der volkswirtschaftlichen Ebene, wenn man in Polen die deutschsprachigen Bewohner dieser Gebiete an ihren Platz gelassen hätte ausgeglichen gewesen.
Polen hat diese Leute nicht haben wollen und sie aus dem Land komplementiert.

Menschen völkerrechtswidirger Weise zu vertreiben und dann Ersatz für volkswirtschaftliche Schäden haben zu wollen, weil die Vertreibenen zur allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung nichts mehr beitragen konnten, ist argumentativ abenteuerlich, wie ich finde.
Das wie gesagt, deutlich auf die Volkswirtsschaftliche Ebene bezogen.

Das die persönlichen Verluste von Familienangehörigen etc. eine völlig andere Nummer und eine vollkommen andere Diskussion sind, darüber müssen wir uns nicht unterhalten.
 
Steht da wirklich Unverlässlichkeit bei mir? Selbstverständlich Unverletzlichkeit. Da ich den Beitrag auf dem Rechner und nicht auf dem eigenwilligen Tablet geschrieben habe, mein Fehler.
 
Das klingt nach einem Verständnis für die Situation der PiS.

Das kannst du natürlich tun, aber sei dir bewusst, dass wir nicht weiterkommen, wenn wir Parteien, die wie PiS nationalistisch-religiös argumentieren, Verständnis entgegenbringen – weil wir ihnen damit indirekt recht für ihre Klagen geben, was sie wiederum als Wasser für ihre Mühlen deuten.

Und das klingt danach, als könntest du den Versuch Handlungsspielräume und Problematiken eines Akteurs zu erfassen nicht von der Rechtfertigung und Unterstützung seiner Ziele, Sicht- und Vorgehensweisen unterscheiden.

Ich sehe nicht, wo ich irgendetwas geschrieben haben sollte, aus dem sich ableiten ließe, dass ich irgendwelche Forderungen der PiS-Partei als rechtens, akzeptabel oder unterstützenswert beurteilen würde.
 
Steht da wirklich Unverlässlichkeit bei mir? Selbstverständlich Unverletzlichkeit. Da ich den Beitrag auf dem Rechner und nicht auf dem eigenwilligen Tablet geschrieben habe, mein Fehler.

Steht dort tatsächlich so. Mir hat die Autokorrektur auch schon den einen oder anderen kuriosen Streich gespielt, der Sinn, was ausgesagt werden sollte ist aber selbstredend verstanden worden. :)
 
Den Gedanken das Völkerrecht hier einfach mal auszuklammern halte ich für problematisch, weil das zu massiven Abgrenzungsproblemen führt.
Natürlich kann man damit argumentieren, dass beispiellose Verbrechen Ausnahmesituationen begründen könnten, nur dann müsste man sich darüber unterhalten, wie krass die Verbrechen sein müssten, damit das nicht den ganzen Grundsatz zur Beliebigkeit degradiert und dann müsste man sich auch darüber unterhalten, wie weit diese Eingriffe gehen dürften.

Dann wäre Polen nach dem Zweiten Weltkrieg dafür bestraft worden, dass es das erste Kriegsopfer der Deutschen gewesen wäre. Es hätte den Verlust seiner Ostgebiete hinnehmen müssen, ohne ihn irgendwie kompensieren zu können, weil seine Ostgrenze eben nicht unverletzlich war, aber die des Aggressors schon.

Polens Bevölkerungsverluste wären auf der volkswirtschaftlichen Ebene, wenn man in Polen die deutschsprachigen Bewohner dieser Gebiete an ihren Platz gelassen hätte ausgeglichen gewesen.
Polen hat diese Leute nicht haben wollen und sie aus dem Land komplementiert.
Weil man
a) den freigewordenen Wohnraum für die eigenen Ostvertriebenen und Obdachlosen (Warschau ist beim Abzug der Deutschen zu 90 % zerstört gewesen, nicht nur aufgrund der Kämpfe, sondern auch wegen einer systematischen Niederlegung der Stadt nach den Kämpfen) benötigte.
b) weil man die Deutschen als Fünfte Kolonne fürchtete.
Meine Schwiegereltern sind in Polen aufgewachsen, als Polen. Sie haben erst im Teenageralter, als ihre Eltern ihnen vertrauten, dass sie nicht alles ausplappern würden, erfahren, dass sie deutsch-polnischer Herkunft waren. Meine Schwiegermutter und ihre Schwester haben heimlich deutsch gelernt, damit sie verstanden, was ihre Eltern und Großeltern miteinander sprachen, was sie vor den Mädchen verbergen wollten. Bei der zurückgebliebenen Bevölkerung, die meist eben nicht so einfach in deutsch oder polnisch zu differenzieren war (wie eben die Familien meiner Schwiegereltern) hatte es in den 50er Jahren eine erhebliche Polonisierungspolitik gegeben.
Auch sie, obwohl eben auch polnischstämmig - und sich durchaus auch polnisch fühlend - wurden von Polen bis in die 1970er Jahre wegen ihrer gemischten Herkunft kritisch beäugt.
Einfach zu sagen, man habe sich mit der Vertreibung der Deutschen um wichtiges Humankapital gebracht, ist zu kurz gesprungen. Man fürchtete die Deutschen als politische - ggf. antipolnische, nazistische - Kraft, im schlimmsten Fall sogar als potentielle Saboteure. Mag man für paranoid halten, aber nach fünf Jahren Nazisherrschaft im Generalgouvernement Polen mag ich das niemandem verdenken. Und wie sollten die Polen, die polnischeen Ostvertriebenen, die Überlebenden des Warschauer Aufstandes etc., wie sollten die verstehen, dass man einem deutschen Bevölkerungsteil nach dem von Deutschen verursachten Leid der letzten fünf Jahre Zugeständnisse machte, während sie, die vertrieben worden waren oder in Warschau ihr Land verteidigt hatten, zwischen Ruinen hausen mussten?
 
Steht dort tatsächlich so. Mir hat die Autokorrektur auch schon den einen oder anderen kuriosen Streich gespielt, der Sinn, was ausgesagt werden sollte ist aber selbstredend verstanden worden. :)
Das war natürlich ne rhetorische Frage.

[Edit: die Ruppigkeit im Ton, die man hier herauslesen könnte, ist nicht intendiert.]
 
Zuletzt bearbeitet:
Dann wäre Polen nach dem Zweiten Weltkrieg dafür bestraft worden, dass es das erste Kriegsopfer der Deutschen gewesen wäre. Es hätte den Verlust seiner Ostgebiete hinnehmen müssen, ohne ihn irgendwie kompensieren zu können, weil seine Ostgrenze eben nicht unverletzlich war, aber die des Aggressors schon.

Das ist ein Apell an das Gerechtigkeitsempfinden (den ich grundsätzlich versehen kann).
Ich hatte aber nach einer juristischen Kategorie gefragt, die es irgendwie legitim erscheinen lässt, jemanden der absolut nichts verbrochen hat seiner Rechte zu berauben um damit das Unrecht, dass andere angerichtet hatten zu kompensieren.

Mir geht es nicht daraum, dass man das von polnischer Seite her damals vor dem Hintergrund eines eigenen Gerechtigkeitsbedürfnisses so betrieb.
Mir geht es darum, dass es mir schwerfällt diesen Akt rhetrospektiv als rechtens zu betrachten.
Denn vor welchem Recht hätte er das gewesen sein sollen?

Wenn von polnischer Seite postuliert wird, dass man einen Anspruch auf Kompensationen dieser Art ungeachtet der Rechte der Bevölkerung hatte, muss dieser Anspruch sich ja aus irgendeinem Recht herleiten lassen.
Und ich wüsste einfach gerne um welches Recht es sich dabei handeln sollte.
Lässt sich dieser Akt in seiner ganzen Komplexität nicht aus irgendeinem Recht herleiten, handelt es sich meinem Verständnis nach um Willkühr.

Wenn es sich aber um Willkühr handelte kann darauf kein Anspruch bestanden haben, folglich handelt es sich, wenn diese Willkür nachträglich legitimiert wird um ein Akt des besonderen Entgegenkommens und nichts anderes.





a) den freigewordenen Wohnraum für die eigenen Ostvertriebenen und Obdachlosen (Warschau ist beim Abzug der Deutschen zu 90 % zerstört gewesen, nicht nur aufgrund der Kämpfe, sondern auch wegen einer systematischen Niederlegung der Stadt nach den Kämpfen) benötigte.

Deswegen hätte man nicht gleich ganze Bevölkerungsgruppen vertreiben müssen.
Das hätte sich auch über Zwangseinquartierungen und zeitweilige Beschlagnahmung intakter Immobilien machen lassen.
Mal davon abgesehen, hätte man, wenn man die Leute im Land behalten hätte mehr Arbeitskräfte gehabt, was den Wiederaufbau beschleunigt hätte, vor allem hätte man gelernte Facharbeiter gehabt, die in der Lage gewesen wären die schlesische Industrie wieder ans Laufen zu bringen, denn mit ungelernten Kräften aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten musste das naturgemäß länger dauern.

Was im Besonderen die Aufrechterhaltung der Steinkohleförderung in Oberschlesien und im Waldenburger Revier und die Wiederinstandsetzung des Eisenbahnnetzes und der Häfen im Hinblick auf die Versorgung der Bevölkerung in der schwierigen Situation am Ende des Krieges bedeutete, dürfte klar sein.

Mal davon abgesehen, wäre die Wohnraumfrage entscheidend gewesen, hätte es nach Beseitigung des Wohnraummangels keinen Grund gegeben Rückkehrwilligen die Rückkehr in die alte Heimat zu verweigern.


b) weil man die Deutschen als Fünfte Kolonne fürchtete. [...]

Die Tatsache, dass man eine bestimmte Bevölkerungsgruppe einer bestimmten politischen Haltung verdächtigt, rechtfertigt nicht, ihre Rechte anzutasten.
Das ist weder mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung, noch mit dem Grundsatz der Gleichbehandlung aller vor dem Gesetz zu vereinbaren und sofern es sich um elementare Menschenrechte handelt ohnehin mit nichts.

Das alles mögen die Zeitgenossen auf Grund der vorangegangenen Ereignisse etwas anders gesehen haben.
Will ich den Leuten, die diese scheußlichen Erfahrungen gemacht hatten auch gar nicht vorhalten, dass ist nur zu verständlich.

In der Zwischenzeit ist allerdings einiges passiert.
Inzwischen ist die Republik Polen diversen politischen Organisationen, sei das die UN, sei das die EU etc. beigetreten, nach deren jeweiligen Satzungen das polnische Vorgehen damals, würde es heute stattfinden, scharf verurteilt würde, weil es auf diversen Ebenen Rechtsgrundsätzen widerspricht, die die Republik Polen anerkannt hat.
Wie kann man das aber einerseits anerkennen, gleichzeitig aber behaupten wollen dass man seinerzeit rechtens gehandelt hätte?
Wie kann man vor den Grundsätzen der Unverletzlichkeit der territorialen Integrität, des Selbstbestimmungsrechts, dem Grundsatz der Unschuldsvermutung oder demjenigen der Gleichbehandlung aller vor dem Gesetz, alles Dinge, zu denen sich der Polnische Staat erklärt hat, behaupten, die Übernahme der ehemaligen deutschen Ostgebiete und die Vertreibungen wären rechtens gewesen?
Aus der Perspektive der Konventionen, zu denen sich die Republik Polen heute bekennt, kann man das eindeutig nicht.
Wenn man das aber aus heutiger Perspektive nicht als rechtens betrachten kann, kann man sich auch schwerlich einbilden, man habe Anspruch darauf gehabt.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich sehe nicht, wo ich irgendetwas geschrieben haben sollte, aus dem sich ableiten ließe, dass ich irgendwelche Forderungen der PiS-Partei als rechtens, akzeptabel oder unterstützenswert beurteilen würde.
Nein, das hast du nicht geschrieben – und ich habe dir das auch nicht unterstellst.

Du hast geschrieben:
Meine Gegenfrage wäre jetzt, ob dir klar ist, wie schwierig es für eine so extreme Partei sein muss, einen veritablen Massenanhang dauerhaft bei der Stange zu halten, im Besonderen, wenn sie sich nicht darauf beschränken kann aus der Opposition heraus Unsinn zu parolieren, sondern wenn sie als verantwortliche Regierungspartei liefern muss?
Das klingt für mich nach wie vor wie Verständnis für die Nöte der PiS – deren Anwalt würde nicht anders argumentieren.

Aber das sind Kinkerlitzchen, kaum wert, noch ein weiteres Wort darüber zu verlieren.

Deswegen hätte man nicht gleich ganze Bevölkerungsgruppen vertreiben müssen.
Natürlich nicht, aber man hat es getan – und das nicht nur in Polen, sondern auch in der Tschechoslowakei und in Jugoslawien. In Polen kann noch erschwerend hinzu, dass Hitler dort Südtiroler angesiedelt hatte, zum Teil mussten die polnischen Bauern, zu Knechten auf eigenem Grund und Boden degradiert, ins Gesindehaus umziehen, während die Südtiroler das Herrenhaus zugewiesen bekamen und sich dort auch als die neuen Herren benahmen.

Das hinterlässt tiefe Spuren, die in Ressentiments und Hass umschlugen, sobald der Krieg vorbei war.

Insofern hat @El Quijote Recht, wenn er sagt
Man fürchtete die Deutschen als politische - ggf. antipolnische, nazistische - Kraft, im schlimmsten Fall sogar als potentielle Saboteure. Mag man für paranoid halten, aber nach fünf Jahren Nazisherrschaft im Generalgouvernement Polen mag ich das niemandem verdenken.
Eben. Das alles ist zu verstehen, nichtsdestotrotz muss sich ein Rechtsstaat an das gegebene Wort halten. Und wenn der polnische Staat sich 1953 mit den bis dahin erfolgten Reparationszahlungen zufriedengab und auf weitere Ansprüche verzichtete, dann gibt es heute keinen Grund mehr, noch darüber zu reden.
 
Eben. Das alles ist zu verstehen, nichtsdestotrotz muss sich ein Rechtsstaat an das gegebene Wort halten. Und wenn der polnische Staat sich 1953 mit den bis dahin erfolgten Reparationszahlungen zufriedengab und auf weitere Ansprüche verzichtete, dann gibt es heute keinen Grund mehr, noch darüber zu reden.

Mit sich auf den Rechtsstatus berufenden "Schwamm drüber"-Argumentationen habe ich mich noch nie so recht anfreunden können.
Wir sind uns - sofern ich das sehe - alle einig, dass die polnischen Forderungen (selbst die PiS gibt das indirekt zu, indem sie sagt, dass in Dtld. noch ein dickes Brett zu bohren sei, um die polnischen Forderungen an Dtld. in Dtld. durchzubekommen) keine rechtliche Grundlage haben.

Nichtsdestotrotz gilt was ich zu meinem Einstieg in diese Diskussion schrieb:

Lassen wir mal das Übereinkommen von 1953 und die Verträge von 1970, 1990 und 1991 beiseite. Jenseits allen ins polnische Inland gerichtete Kalkül - denn die PiS weiß ja ganz genau, dass sie von Dtld. kein Geld erhalten wird, sie betreibt auf Kosten der deutsch-polnischen Freundschaft einen nationalistischen Wahlkampf - muss man sich tatsächlich fragen, ob BRD und DDR bis 1953 wirklich in der Lage waren, zu kompensieren, was Polen in den sechs Jahren Krieg zu erdulden hatte.
Ja, das sozialistische Polen hat sich gegenüber der DDR 1953 und gegenüber der Bundesrepublik 1970 entsprechend verhalten, dass keine weiteren Forderungen an Dtld. mehr ergingen. Das ist der rechtliche Status. Aber wir sind doch hier kein Juristenforum, sondern ein Geschichtsforum. Und es bricht doch niemand Dtld. einen Zacken aus der Krone, wenn man feststellt, dass unmöglich DDR und BRD in den Zeiträumen kompensiert haben können, was in Polen verloren gegangen ist. Selbst, wenn wir uns auf Gebäudebestand beschränkten. (Hat die Bundesrepublik überhaupt ans sowjetisch kontrollierte kommunistische Ausland Reparationen gezahlt?)
Polen wird das gemacht zu haben, um into terms zu kommen, zunächst mit dem sozialistischen Bruderstaat und später mit der Brandtregierung (seit den 1970ern waren volksrepublikanisch-polnisch-westdeutschen Beziehungen oft besser, als die zwischen den sozialistischen Bruderstaaten, das durfte man nur nicht laut sagen).

Ich weiß nicht, ob Brandt nicht ggf. attraktive wirtschaftliche Angebote im Gepäck hatte, die für die Polen interessanter waren, als von Westdeutschland Reparationen einzufordern. Zumal Gomułka schwächelte und jeden politischen Erfolg brauchen konnte. Da fordert man keine Dinge, die einem eh abgeschlagen werden, sondern macht Angebote (z.B. Verzicht auf Reparationsforderungen) in Hoffnung auf gute Gegenangebote.

[edit: ungünstige und nebenbei unrichtige Formulierung]
 
Zuletzt bearbeitet:
Das klingt für mich nach wie vor wie Verständnis für die Nöte der PiS – deren Anwalt würde nicht anders argumentieren.

Hast du eigentlich die anderen Beiträge gelesen?
Der Anwalt der PiS würde wohl kaum deren Schwächung durch Spaltung ihres Anhangs begrüßenswert finden.


Wozu eigentlich der abermalige Hinweis auf die Sentiments in Polen am Ende des Zweiten Weltkriegs?

Ich habe dem doch an keiner Stelle widersprochen.

Mir geht es nicht darum, welche Sentiments die damalige polnische Bevölkerung und Regierung hatte und welche Entscheidungen auf Grund dessen getroffen wurden.
Das habe ich schon ganz gut verstanden und es ist durchaus nicht notwendig mir das zu erklären, ich möchte darüber auch gar nicht in irgendeiner Form urteilen.

Mir geht es einfach daraum, dass wenn heute in Polen behauptet wird, alles was man erhalten habe, inklusive der Territorien sei Kompensation, auf die man ohnehin Anspruch habe, dass nichts anderes ist als die Behauptung, alles was damals gelaufen ist, sei in diesem Sinne rechtens gewesen, denn sonst ließe sich ja kein Anspruch darauf herleiten.

Es geht mir nicht darum dass, was nach dem 2. Weltkrieg und folgend passiert ist, zu verdammen oder rückabzuwickeln oder darum, dass ich für die damaligen Reaktionen und Emotionen kein Verständnis hätte, sondern es geeht mir darum, wie das in Polen heute rhetrospektiv bewertet wird, denn genau da liegt ja auch der Ansatz für heute artikulierte Forderungen und dass Schüren der Vorstellung in dieser Hinsicht von Deutschland permanent schlecht behandelt zu werden.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wie ist das eigentlich mit den anderen Parteien in Polen die auch im Sejem und Senat sitzen?
Geldforderungen an Deutschland höre ich immer nur von der PiS Partei.

Anmerkung: Erste Zahl Sitze im Sejem; Zweite Zahl Sitze im Senat.

Im Sejem und Senat haben wir ja neben der PiS (235/48 Sitze) seit 2019 noch:

· Ko = 134/43 Sitze (KO = Koalicja Obywatelska/ Bürgerkoalition),
· Lewica = 49/2 Sitze (Lewica = Polska Lewica/ Polnische Linke),
· KP = 30/31 Sitze (KP = Koalicja Polska/ Koalition Polen)
· KON = 11/0 Sitze (KON = Konfederacja Wolność i Niepodległość / Konföderation der Freiheit und Unabhängigkeit)
· MN = 1/0 Sitz (MN = Komitet Wyborczy Mniejszość Niemiecka/ Wahlkomitee Deutsche Minderheit).

Kennt sich da hier wer aus?

Meine Meinung...
Sicher müssen die Regierungen miteinander darüber reden und zu Lösungen kommen mit denen dann jeder leben kann.
 
Geldforderungen an Deutschland höre ich immer nur von der PiS Partei.

Ich würde vermuten, dass das daran liegt, dass es maßgeblich die PiS ist, die eine ziemlich labile Regierungskoalition zusammenhalten muss.
So weit mir bekannt, hat die Regierung Morawiecki II in den letzten Jahren zwei mal zwischenzeitlich ihre Mehrheit im Sejm verloren und konnte zwischenzeitlich nur als Minderheitsregierung agieren.
Eine solide Mehrheit im Senat hat sie auch nicht, da kommt es nachdem die Parteien der Regierungskoalition nur 46 von 100 Sitzen halten wohl sehr stark auf zeitweilige Kooperationen und wechselnde Mehrheiten an.

Insofern würde diese Forderungen ohnehin vor allem auch als Ablenkungsmanöver von den innenpolitischen Problemen auffassen.
 
Polen war das Opfer 1939 ff. genau wie 1945 ff. (...)
Stalin wollte seine Gebiete für die SU haben, die Polen wurden da nicht gefragt.

Man sollte bei der Diskussion um die polnische Ostgrenze aber auch den polnisch-sowjetischen Krieg von 1920/21 nicht außer Acht lassen, ebensowenig wie Pilsudskis Großmacht-Fantasien
 
Politisches Ablenkungsmanöver...
Sehe ich auch so.
Ich glaube aber nicht das die Mehrheit der Polen an ein schlechtes Verhältnis mit uns interessiert sind.
Würde es sich um Russland handeln, da wäre ich mir nicht sicher.
Wenn ich mit Polen während meiner Berufszeit (DDR und vereinigtes Deutschland) zu tun hatte, hatte ich immer den Eindruck, man ist an einen harmonischen Verhältnis sehr stark interessiert.

Mit der Forderung von 1,3 Billionen €, das wären rund 2,5 Billionen Mark der ehemaligen BRD-Währung, ist man ja bei den Mandatsträgern der PiS Partei auf den besten Weg das Klima nachhaltig zu vergiften.
 
Nachtrag.
Ich meine geschäftliche Beziehungen, ich meine kein Stammtischgequatsche.

Zum Beispiel habe ich nach der Wende bei einen Verpackungsfolienhersteller in Wrocław über Jahre Verpackungsfolie für ca. 10.000 t Nudeln/Jahr eingekauft.
 
Ja, das sozialistische Polen hat sich gegenüber der DDR 1953 und gegenüber der Bundesrepublik 1970 entsprechend verhalten, dass keine weiteren Forderungen an Dtld. mehr ergingen. Das ist der rechtliche Status.
An was sollten sich Staaten denn halten, wenn nicht an den rechtlichen Status?

Nur Diktatoren brechen Verträge nach Belieben, aber weil Polen nach wie vor eine Demokratie ist, ist ein Vertragsbruch hier nicht zu erwarten.

Es kann ja sein, dass Polen 1953 und 1970 Fehler gemacht hatte. Aber das ist deren Bier – auch Deutschland musste und muss für Fehler seiner (vergangenen) Regierungen einstehen.

Warum also trotzdem dieses Gerede über 1,3 Billionen €, die wir ihnen jetzt angeblich schulden?

Wir sind uns alle einig: PiS veranstaltet das, um von eigenen Problemen abzulenken. Deshalb braucht man auf diese Absurdität gar nicht eingehen.
 
An was sollten sich Staaten denn halten, wenn nicht an den rechtlichen Status?

Nur Diktatoren brechen Verträge nach Belieben, aber weil Polen nach wie vor eine Demokratie ist, ist ein Vertragsbruch hier nicht zu erwarten.

Es kann ja sein, dass Polen 1953 und 1970 Fehler gemacht hatte. Aber das ist deren Bier – auch Deutschland musste und muss für Fehler seiner (vergangenen) Regierungen einstehen.
Das geht an dem vorbei, was ich schrieb. Wir sind ein Geschichtsforum. Ich mache hier keine Politik und betreibe dementsprechend auch keine politische Agitation, versuche keine politische Meinungsbildung (mal abgesehen davon, dass ich, wenn ich dies täte, dies Reichweite des Forums maßlos überschätzen würde). Mir geht es um historische Diskussion. Das ist der Grund, warum ich die Verträge und Abkommen für die Diskussion beiseite schieben will.
 
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