Revolution 1848 und der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte

thanepower

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Mich erinnerte der ganze Text an den berühmten Satz von Marx aus dem Vorwort vom achtzehnten Brumaire:

Hegel bemerkte irgendwo, daß alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sich sozusagen zweimal ereignen. Er hat vergessen, hinzuzufügen: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.


Die Urheberschaft für dieses Zitat liegt bei Engels, der dieses an Marx geschrieben hatte (vgl. Jones). Ansonsten ist die Analyse von Marx durchaus – aus seiner Zeit – nachvollziehbar. Er erklärt im einzelnen – wenn man den 18. Brumaire liest – was er mit einer „Farce“ gemeint hat und wie Louis Napoleon populistische Anleihen aus der Periode der Französischen Revolution bzw. der Ära Napoleons gemacht hatte. Und er erklärt den Unterschied bei den historischen Anleihen während der Französischen Revolution und der populistischen Umdeutung durch Louis Napoleon.

Der Aussage von Marx wird beispielsweise bei Jones und Rapport widersprochen, indem sie Marx vorhalten, dass er die Tiefendimension der Veränderung der politischen Kultur durch die Revolution von 1848 in Frankreich und auch im restlichen Europa nicht richtig erkannt hatte.

Was wohl, so Jones, auch an der generell kritischen Sicht von Marx auf die isolierte Betrachtung der Erlangung des allgemeinen Wahlrechts – ohne wirtschaftliche Gleichheit – lag.

Ansonsten kann der Thread ein Einstieg sein in die die spannende europäische Periode nach 1848, da die „48er“ entscheidende Akteure waren bei der Liberalisierung und Demokratisierung der Nationalstaaten in Europa.

Zumal diese Periode der Entwicklung Frankreich in der Pariser Commune 1871 und der blutigen Niederschlagung einen gewissen Zenit und auch ein revolutionäres Ende fand.

https://de.wikipedia.org/wiki/Der_achtzehnte_Brumaire_des_Louis_Bonaparte

Marx, Karl; Brunkhorst, Hauke (2007): Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Frankfurt am Main: Suhrkamp
Rapport, Michael (2008): 1848, Year of Revolution. London: Little Brown.
Stedman Jones, Gareth: Karl Marx. Greatness and Illusion. Penguin books.
 
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Ansonsten kann der Thread ein Einstieg sein in die die spannende europäische Periode nach 1848, da die „48er“ entscheidende Akteure waren bei der Liberalisierung und Demokratisierung der Nationalstaaten in Europa.
1848 mag der dritte Napoleon in Frankreich eine Farce der Tragödie des ersten gewesen sein. In Deutschland, Ungarn, Italien, Irland, etc. war 1848 keine Wiederholung, inwiefern immer eine Tragödie sei dahingestellt.

OT: Ich bin kein Freund eines Geschichtsbildes, das irgendwelche Determinanten benutzt, sei es die marxistische Geschichtstheorie oder irgendwelche esoterische Nornen, die die Fäden stricken - die calvinistische Prädestinationslehre geht in eine ähnliche Richtung, denke ich. Determinanten sind mir zu deterministisch.
 
1848 mag der dritte Napoleon in Frankreich eine Farce der Tragödie des ersten gewesen sein. In Deutschland, Ungarn, Italien, Irland, etc. war 1848 keine Wiederholung, inwiefern immer eine Tragödie sei dahingestellt.

Hat auch niemand behauptet. Und somit hast Du sehr elegant einem Popanz, den Du selber hingestellt hast, widersprochen.

Mein Bezug auf Rapport, der wohl mit zu den wichtigeren Büchern zu diesem Thema gehört, ist eigentlich ein deutlicher Hinweis auf den europäischen Bezug des Themas.

Es ist aus meiner Sicht ärgerlich, wenn gerade am Anfang eines Threads der Versuch gemacht wird, ein Thema "abzuwürgen". Und dazu passt:

OT: Ich bin kein Freund eines Geschichtsbildes, das irgendwelche Determinanten benutzt, sei es die marxistische Geschichtstheorie oder irgendwelche esoterische Nornen, die die Fäden stricken - die calvinistische Prädestinationslehre geht in eine ähnliche Richtung, denke ich. Determinanten sind mir zu deterministisch.

Derartige Ausführungen können wohl kaum ernst gemeint sein und der Vergleich des historischen Materialismus mit "irgendwelchen esoterischen Nornen" ist dann wohl der Versuch einer Provokation.

Ansonsten zeigst Du mit derartigen Ausführungen, dass Deine Sicht mehr an "projizierten Popanzen" orientiert ist, aber kaum an einer fundierten Kritik der historisch materialistischen Analyse. Statt Meinungen wäre eine fundierte Analyse sinnvoll, wie der Hinweis auf Jones es verdeutlichen sollte. Daneben: Es finden sich bürgerliche Historiker, die sie verwenden ohne explizit Marxist zu sein. Soviel Differenzierung sollte schon sein.

Der Thread orientiert sich nicht an "Geschichtsbildern", sondern an der historischen Entwicklung der europäischen politischen Kultur seit 1848. Und es waren "48er", die beispielsweise in Österreich wichtige Reformen initierten, die zur Trennung in Österreich-Ungarn führte, um die realpolitische Dimension des Themas zu zeigen. Aber offensichtlich läßt sich sowas wohl kaum mehr sinnvoll und fundiert diskutieren. Dann eben nicht.
 
1848 mag der dritte Napoleon in Frankreich eine Farce der Tragödie des ersten gewesen sein.

1848 war der "dritte Napoleon" in Frankreich gar nichts, mindestens im Bezug auf seinen "18. Brumaire", sondern frühestens 1851.



OT: Ich bin kein Freund eines Geschichtsbildes, das irgendwelche Determinanten benutzt, sei es die marxistische Geschichtstheorie oder irgendwelche esoterische Nornen, die die Fäden stricken - die calvinistische Prädestinationslehre geht in eine ähnliche Richtung, denke ich. Determinanten sind mir zu deterministisch.

Hinsichtlich der Gleichsetzung des historischen Materialismus und esoterischer Phänomene hat @thanepower ja bereits ein bisschen was gesagt.
Sicherlich hat auch der historische Materialismus seine Probleme im Hinblick auf sein Steckenpferd bezüglich Zukunftsprognosen, lässt man diese Determinierung in einem modifizierten Ansatz aber bei Seite, ist der Ansaz für einige Fassetten der Geschichtsbetrachtung sicherlich sehr brauchbar, setzt allerdings Vorraus, dass man zwischen dem Gesellschaftstheoretiker Marx und dem politischen Marx unterscheidet, was nicht immer ganz einfach ist.



@ thanepower

Bezüglich Veränderung der nicht erkannten Tiefendimension und und auch der Dauer der "Liberalisierungsperiode" müsste man, meine ich stärker nach geographischen Gesichtspunkten und Ausrichtung der einzelnen Strömungen der liberalisierenden Elemente differenzieren.

Die Auswirkungen der 1848er Revolution im Hinblick auf die latente verschiebung der politischen Kultur- und Rahmenbedingungen in Europa sind sicherlich retrospektiv kaum zu überschätzen.
Auf der anderen Seite betraten zwischen 1848 und 1871 aber auch wieder Akteure die politische Bühne, die der Liberalisierung, nicht unbedingt in wirtschaftlicher, aber doch zumindest in gesellschaftlicher hinsicht mindestens zeitweise eine Absage erteilten.

- Ein Bismarck regierte von Anfang an pronounciert konservativ.
- Napoleon III. trat, soweit mir bekannt als relativ liberale Gestalt an und als eher konservativer Akteur wieder ab.

Um zwei Beispiele zu nennen.

Davon einmal abgesehen, veränderten sich die politische Kultur Europas und die Gesellschaften innerhalb Europas sicherlich in zunehmend bürgerlich-demokratische Richtung. Dann sollte man fairerweise in die Rechnung aber auch mit einbeziehen, das erst ab den 1850er und 1860er Jahren die zweite Welle des europäischen Kolonialismus und entsprechnde, alles andere als bürgerlich-liberale Praktiken in den außereuropäischen Territorien begannen.

Auch innerhalb Europas beginnt sich in diesem Zeitabschnitt bereits eine gesellschaftliche Tendenz abzuzeichnen, wenn man etwa als Manifest derselben Gobineaus 1853-1855 erschinenen "Versuch über die Ungeichheit der Menschenrassen", der ja bekanntlich großen Anhang fand und bis heute als ein Prototyp rassistischer Theorie gelten kann, als Beispiel nehmen mag, zeigt sich, dass nicht nur in der politischen Elite, sondern durchaus auch in der gebildeten Bevölkerung die Formierung einer entgegengesetzten, antiegalitären und antiliberalen Geistesströmung bereits im vollen Gange war.


Ich denke, wenn man Marx unterstellt, er habe die Tiefenwirkung der 1848er Revolution und der darauf folgenden Periode unterschätzt, müsste man sich fragen, ob er diese Entwicklung tatsächlich zu wenig wahr genommen oder ihr eine andere Entwicklungsrichtung attestiert hat.
Seine - um bei der Peson zu bleiben - Ablehung des Reformweges und seine Hinwendung zur radikaleren, revolutionären Hinwendung habe ich mir bis dato eigentlich eher aus der Sozialisation während der Restaurationsperiode und dem stagnieren der Reformpolitik, durch den konservativen Umschwung im Europa der 1850er und 1860er Jahre, wie nicht zuletzt auch aus der Enttäuschung aus der gescheiterten 1848er Revolution hergeleitet.
Ich denke, dass die in diese Richtung gehenden deterministischen Betrachtung zur Notwendigkeit von Revolutionen durchaus mit auf die eigenen Erfahrungen zurück zu führen sind, dass die alten Eliten, in einem Moment der poitischen Schwäche vielleicht zeitweise zurückweichen, aber sobald sie diesen überstanden haben, stets versuchen werden den hier verlorenen Boden wieder zurück zu gewinnen.
Die endgültige Parlamentariserung und Durchsetzung sozialer Sicherungssysteme etc. hat er ja zu einem großen Teil nicht mehr erlebt, insofern ist dieses Fehlurteil, dass man ihm hier retrospektiv sicherlich attestieren kann unter Betrachtung der politischen Entwicklungen auch der Gegenströmungen möglicherweise einfach nur logisch, wenn auch eindimensional, da dieses Modell im Grunde genommen den vorhandenen Eliten Fähigkeit und Willen zu tiefgreifenden, progressiven Reformen abspricht.
Die besonders die letzten beiden Dekaden des 19. Jahrhunderts sollten zumindest andeuten, dass er sich hier irrte, nur wie gesagt, diese erlebte er ja zum ganz überwiegenden Teil nicht mehr.
 
1848 war der "dritte Napoleon" in Frankreich gar nichts, mindestens im Bezug auf seinen "18. Brumaire", sondern frühestens 1851.

48 war er immerhin schon (ordentlich gewählter) Präsident und hatte 2 unprofessionelle, ja lachhafte Putschversuche hinter sich. Die würde ich als Farce - im Gegensatz zur Rückkehr des Napoleons I. von Elba - gelten lassen.
Was er auch anstellte, die Stiefel seines grossen Onkels waren im zu gross.

Gruss, muheijo
 
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