Ritter und Reichsritter

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Gast obwalden

Gast
Wisst ihr vielleicht, was der Unterschied zwischen einem Reichsritter und einem "normalen" Ritter ist?
Haben die Reichsritter einen höheren gesellschaftlichen Status?
Könntet ihr vielleicht sagen, wie hoch der Gesellschaftliche Status der Ritter war bzw. ist?
Viele Grüsse
obwalden
 
Die Entstehung der Reichsritterschaft ist eine Entwicklung des ausgehenden Spätmittelalters und als feste Institution generell ein Phänomen des frühneuzeitlichen Reiches.

Während der landesherrlich-fürstliche Adel im Prozeß der Territorialisierung seine Herrschaft und seine Kompetenzen ausdehnen konnte, hatte sich der nicht-landesherrliche, nicht-fürstliche Adel, also der niedere Adel, militärisch, wirtschaftlich und politisch überlebt. Dieser niedere Adel, die sogenannten Ritter, verloren ihre ehemals größere Handlungsautonomie und wurden ein Teil des frühneuzeitlichen Territorialstaates. Als landständische Ritterschaft hatten sie selbstverständlich noch immer viele Vorrechte und konnten einen unterschiedlichen Grad der Mitregierung eines Territoriums beanspruchen, doch der fürstliche Landesherr besaß das deutlich größere politische Gewicht.

In einigen Gebieten insbesondere im Südwesten des Reiches, wo sich keine starken fürstlichen Landesherren etablieren konnten und die Herrschaftsverhältnisse stark zersplittert blieben, gelang es einem Teil des niederen Adels eine beschränkte eigene Landesherrschaft zu entwickeln, die territorial wie politisch sehr begrenzt war. Diese Ritter fanden eine reichsrechtliche Anerkennung eben als Reichsritter und hatten keinen Landesherren über sich, sondern nur den Kaiser als Reichsoberhaupt. Eine Vertretung im System des Reiches konnten sie jedoch nicht erreichen (keine Reichsstandschaft). In kaiserlichen Diensten und als zumeist kaisertreue Klientel im Reich konnten sie durchaus glänzende politische Karrieren machen, was jedoch nichts daran änderte, dass ihre eigene souveräne Herrschaft nicht annähernd an fürstliche Machtentfaltung heranreichte.
 
Vielen Dank für die Antwort!
Demnach konnte sich nicht jeder Ritter Reichsritter nennen. Aber gab es auch Ritter, die wirklich den Titel eines Fürsten bekamen?
 
Ja, wenn sie aus reichsritterschaftlicher Abstammung zum geistlichen Landesfürsten aufstiegen.
Beispiel: Friedrich Karl von Erthal.
Die Erthal waren Reichsritter. Friedrich Karl wurde als Erzbischof von Mainz (1774-1802) auch Kurfürst.
Wie überhaupt - Hochstift Würzburg und Erzstift Mainz z.B. (man muss sich mal die Epitaphien anschauen) eine Domäne der Reichsritterschaft waren.
 
obwalden schrieb:
Aber gab es auch Ritter, die wirklich den Titel eines Fürsten bekamen?

Nun, Fürst war ja weniger ein verliehener Titel als vielmehr eine Art Berufsbezeichnung und in diese Kategorie fielen die Reichsritter nun wirklich nicht. (Wären sie Fürsten gewesen, hätten sie ja auch Zugang zur Fürstenkurie des Reichstages gehabt, was ja im Allgemeinen nicht der Fall war.)

Dem Dasein als Fürst steht auch entgegen, dass Reichsritter in ihren Territorien überhaupt nicht die Mehrzahl aller Hoheitsrechte ausüben konnten. Bestimmte Rechte übernahmen die reichsritterlichen Kantone, eine übergeordnete Institution, in der die Reichsritter organisiert waren. Als Einzelpersonen fehlten ihnen also zentrale Herrschaftskompetenzen, die fürstliche Landesherren selbstverständlich innehatten.

Wie von Mercy schon gesagt war die zentrale Möglichkeit für den Aufstieg eines Reichsritters die Reichskirche. Alle süd- und mitteldeutschen Fürstbistümer wurden in mehr oder weniger großem Maße von reichsritterlichen Familien dominiert, was Einzelpersonen eben den Aufstieg in den Reichsfürstenstand erlaubte. Auch hohe Ämter in geistlichen Orden bzw. Ritterorden erlaubte einen solchen Aufstieg wie natürlich auch die persönliche Standeserhöhung, in dem eine Einzelperson oder ganze Familie wegen besonderer Leistungen gefürstet wurde (das ist dann natürlich wieder der Anknüpfungspunkt für kaiserliche Dienste, denn nur der Kaiser war derjenige, der Rangerhöhungen vornehmen durfte).
 
Bestimmte Rechte übernahmen die reichsritterlichen Kantone, eine übergeordnete Institution, in der die Reichsritter organisiert waren. Als Einzelpersonen fehlten ihnen also zentrale Herrschaftskompetenzen, die fürstliche Landesherren selbstverständlich innehatten.
Wie schaute das im Detail aus, zum Beispiel in der Gerichtsbarkeit? Die Reichsritter geboten über die niedere Gerichtsbarkeit. Wurde dann die höhere von einem Gremium der dieser Kantone entschieden?:grübel:
 
Wie schaute das im Detail aus, zum Beispiel in der Gerichtsbarkeit? Die Reichsritter geboten über die niedere Gerichtsbarkeit. Wurde dann die höhere von einem Gremium der dieser Kantone entschieden?:grübel:

Hermann Conrad bemerkt in seiner Publikation "Deutsche Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 203 f." hierzu:

Die Reichsritter übten in ihren reichsunmittelbaren Gebieten eine Landesherrschaft (umstritten ob Landeshoheit) aus, zu der auch das jus reformandi gehörte ... Zu den hoheitlichen Rechten der Reichsritter gehörten die Gerichtsbarkeit (evtl. Hochgerichtsbarkeit) und Polizeigewalt. Mit ihren nicht reichsunmittelbaren Gütern (landsässigen Gütern) waren sie der jeweiligen Territorialgewalt unterworfen.

Das erweckt den Eindruck, als ob manche Reichsritter die Hochgerichtsbarkeit besaßen, andere hingegen nur die niedere Gerichtsbarkeit. In diesem Fall wird vermutlich der Territorialherr, der die Oberlehnsherrschaft besaß, zuständig gewesen sein.
 
Ich darf mich diesbezüglich Dieter anschließen, daß die Frage nicht so einfach zu beantworten ist...

Die Reichsritter übten in den meisten Fällen wohl lediglich die Niedere Gerichtsbarkeit aus, während die Hohe Gerichtsbarkeit in der Regel dem nächsten Landesherrn oblag.
Rechte, welche durch einen Ritterkanton wahrgenommen wurden, bezogen sich dabei zunächst nicht vordergründig auf Gerichtsbarkeiten, sondern darauf, Rittertage abzuhalten, Steuerrecht und Militärhoheit auszuüben und Rechte der adligen Mitglieder nach außen wahrzunehmen.
Vgl. dazu https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/einfueh.php?bestand=10942 und https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/einfueh.php?bestand=10940 sowie https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/einfueh.php?bestand=3779

Wie ich jedoch schon angedeutet habe, ist der Kontext damit nicht abgeschlossen, und jetzt wird es spannend...

Die in einem Ritterkanton zusammengefaßten Reichsritter konnten bspw. die Hohe Gerichtsbarkeit in Form zusätzlicher Privilegien später durchaus erhalten: https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/einfueh.php?bestand=10946
Ebenso war es möglich, daß der entsprechende Landesherr einem Reichsritter, der eigentlich nicht mehr als Ortsherr war, entsprechende Rechte übertrug: https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/einfueh.php?bestand=19197
Richtig kompliziert wird dieser Kontext jedoch für unsere Betrachtung heute, wenn sich bspw. reichsritterliche Herrschaft und Ordensherrschaft (Deutscher Orden) samt ihren Privilegien durchdrangen: https://www2.landesarchiv-bw.de/ofs21/olf/einfueh.php?bestand=3856

Ich hoffe, zur allgemeinen Verwirrung beigetragen zu haben - vielleicht finde ich dazu ja auch noch etwas... :fs:
 
Wirklich kompliziert wird das Ganze, wo Reichsritter sich aus ihren angestammten Gebieten begaben und Besitzungen innerhalb der Territorien anderer Landesherren annahmen, welche dann zwar rechtlich dem entsprechenden Landesherren unterstellt waren, aber der Reichsritter selbst war es nicht.

Die Ritterorden sind ja auch immer ein schönes Beispiel. War das Ordensgebiet Teil des Territoriums eines Landesherren und war der Prälat, der diesem Gebiet vorstand dann aber Reichsfürst geworden, waren auch wiederum die Streitigkeiten in der Frage der Libertät dieser Gebiete möglich.
 
Zuletzt bearbeitet:
Wirklich kompliziert wird das Ganze, wo Reichsritter sich aus ihren angestammten Gebieten begaben und Besitzungen innerhalb der Territorien anderer Landesherren annahmen, welche dann zwar rechtlich dem entsprechenden Landesherren unterstellt waren, aber der Reichsritter selbst war es nicht.

Die Ritterorden sind ja auch immer ein schönes Beispiel. War das Ordensgebiet Teil des Territoriums eines Landesherren und war der Prälat, der diesem Gebiet vorstand dann aber Reichsfürst geworden, waren auch wiederum die Streitigkeiten in der Frage der Libertät dieser Gebiete möglich.


Beispiel:
Die Abtei St. Blasien im Schwarzwald war östereichisch, der Abtei gehörte aber die Herrschaft Bonndorf, ebenfalls im Schwarzwald, die Reichsunmittelbar war.
Hohenzollern-Sigmaringen, der Hauptsitz Sigmaringen war österreichisches Lehen, deshalb hatten die Hzl.-Sig. zeitweilig ihren Sitz nach Haigerloch, das reichsunmittelbar war, verlegt.

Unter diesen unterschiedlichsten Rechten litt natürlich die Bevölkerung sehr. Endgültig vorbei war es damit erst 1848, ein Ergebnis der Revolution das niemand mehr in Frage stellte.
 
Viele Zeitgenossen schrieben boshaft, dass man die Territorien der Reichsritter schon an ihrem verlotterten Zusatand erkennen könne. Doch die Territorien der Reichsritter waren auch Zufluchtsorte für Leute, die sonst nirgendwo Bleiberecht bekommen hätten. Darunter sehr viele Juden, Vaganten und Gauner, die dort natürlich zur Kasse gebeten wurden, aber sicher vor Verfolgung und ausweisung waren. Besonders Berühmt berüchtigt war der "Huttensche Grund" nahe Schlüchtern mit den Dörfern Eckardroth und Romsthal wo sich jahrelang internationale banditenprominenz die Klinke in die Hand gab.
 
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