Russland und Lenin

ichichich

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Weiß einer zufällig, inwiefern die Verhältnisse in der damaligen Sowjetunion (Russland) auf die Lehren Lenins eingewirkt haben? Aus dem Internet und sämtlichen Büchern werd' ich nicht so wirklich schlau.. :help:
 
Weiß einer zufällig, inwiefern die Verhältnisse in der damaligen Sowjetunion (Russland) auf die Lehren Lenins eingewirkt haben?

Ein wenig, da er ja in Russland die Lehren von Marx&Engels zur praktischen Anwendung führen wollte.

Es gab eine spezielle Tradition der Aneignung der Ideen der französischen Revolution in Russland [vgl. z.B. 1]. In Teilen deutlich radikaler formuliert als in Westeuropa und in seinem politischen Aktionismus deutlich militanter und gewaltbereiter. Wie bei Figes als Studie zum russischen Volk auf dem Lande und in den Städten sehr gut beschrieben [4]

Teilweise lag das auch an dem starken Antagonismus der liberalen russischen Intelligenz und dem autokratischen russischen Regime [vgl. z.B. 2]. Bei Pipes sind diese - teils ineffektiven - polizeistaatlichen Strukturen sehr gut beschrieben [3].

Nach 1905 bestand für Lenin und die Bolschewiken das Problem, die Unzufriedenheit im Land politisch zu kanalisieren. Die Zuspitzung der sozialen und politischen Verhältnisse während des WW 1 schuf eine Situation, in der eine "Revolution" möglich schien. Es war eher die Schwäche des politischen Regime und weniger die Stärke der Bolschewiken, die den Erfolg ermöglichte.

Es gab dabei ein theoretisches Problem, das Marx benannt hatte und mit dem Entwicklungsgrad der Produktivkräfte und dem Umfang des "Proletariats" zusammen hing.

Es gab in 1917 kein entwickeltes Proletariat als "politisches Subjekt" in Russland, das eine Revolution hätte durchführen können. Dieses wurde jedoch als Voraussetzung von Marx&Engels und auch beispielsweise laut deutscher Sozialdemokratie (Kautsky, Bernstein etc. postuliert.

In dieser Situation müßte er die Rolle der Industriearbeiter und der Bauern neu definieren. Aus diesen theoretischen Überlegungen resultieren die heftigsten Konflikte innerhalb der KP.

Einer der Protagonisten, der sich für die Bauern als gleichberechtigten politischen Akteur einsetzte war Bukharin, wie Cohen es darstellt. [5]

1. D. Shlapentokh: The French Revolution in Russian Intellectual Life. 1865-1905
2. I. Berlin: Russian Thinkers
3. R. Pipes: Russia under the old Regime
4. O. Figes: Die Tragödie eines Volkes
5. S. Cohen: Bukharin and the Bolshevik Revolution
 
Danke erstmal für die Antwort :)
Ich hab das jetzt so verstanden: Die Verhältnisse in Russland - also die generelle Unzufriedenheit in politischer und sozialer Hinsicht, sowie die provisorische, schwache Regierung, ermöglichten es Lenin, mit seinen Lehren was zu ändern. Der Erfolg ist aber weniger auf die Stärke der Bolschewiki zurück zu führen, sondern auf die politisch schwache provisorische Regierung? - kommt das hin?
Und den Satz "In dieser Situation müsste er die Rolle der Industriearbeiter und der Bauern neu definieren. Aus diesen theoretischen Überlegungen resultieren die heftigsten Konflikte innerhalb der KP. " verstehe ich gar nicht.:S
 
In der eigentlichen Lehre von Marx spielte das industrielle Proletariat eine wichtige Rolle als Träger der Revolution. Das aber gab es in Russland kaum. Russland war ein agrarisch geprägtes, bäuerliches Land, in der Vorstellung von Marx denkbar ungeeignet für eine Revolution.
 
Danke :)
Und kommt meine Zusammenfassung trotzdem hin? Oder kann das nochmal jemand ganz einfach, für "Geschichtsunwissende" erklaeren? :(
 
Aus den Beitrag von Thanepower ersiehst Du ja, dies ist ein sehr komplexes Thema.
Dies so in 2-3 Sätzen abzuhandeln würde ich mir nicht zu trauen.
Mich würde mal interessieren für was Du dies brauchst?
 
Das haben wir als Hausaufgabe auf bzw ein.ähnliches Thema, aus dem sich die Frage für mich ergab. :eek: aber generell und kinderleicht könnte ich es so erklären, wie oben beschrieben -oder eher nicht?
 
Nach dem Sturz des Zaren in der Februarrevolution 1917 entstanden in Russland zwei parallele Machtstrukturen: Auf der einen Seite die Provisorische Regierung, auf der anderen die Arbeiter- Bauern- und Soldatenräte, russisch Sowjets. Bis zum Herbst 1917 konnten die Bolschewiki in den Sowjets erheblichen Einfluss gewinnen. Lenin kehrte im April aus dem Schweizer Exil nach Russland zurück und stellte in seinen "Aprilthesen" u.a. die Forderungen nach dem Sturz der Provisorischen Regierung, sofortigem Friedensschluss und Übernahme der gesamten Macht durch die Sowjets auf.

Die Provisorische Regierung hatte beschlossen, den Krieg gegen Deutschland und Österreich-Ungarn an der Seite der Entente fortzusetzen. Auch vor Eingriffen in die Eigentums- und Sozialstruktur (Enteignung der Grundbesitzer) schreckte sie zurück, weil über diese Fragen erst die noch zu wählende verfassungsgebende Versammlung (Konstituante) entscheiden sollte. Die russische Bevölkerung, insbesondere natürlich die Soldaten, waren 1917 aber extrem kriegsmüde und sahen in der Fortsetzung des Krieges keinen Sinn mehr. Es kam zu massenhaften Fällen von Desertion und Befehlsverweigerung. Zudem hatte auf dem Land bereits eine "wilde" Umverteilung des Grundbesitzes begonnen, vielerorts wurden die adeligen Grundbesitzer einfach verjagt. Da die Masse der russischen Soldaten Bauern waren, wollten sie natürlich so schnell wie möglich in die Heimat zurück, um bei der Umverteilung des Landes nicht leer auszugehen.

Vor diesem Hintergrund konnten die Bolschewiki mit ihren Losungen erheblichen Zulauf gewinnen. Lenin handelte in dieser Situation vor allem als Praktiker der Macht. Er war natürlich intellektuell genug, eine entsprechende theoretische Unterfütterung seines Handelns zu entwickeln, z.B in seiner Auseinandersetzung mit Karl Kautsky ("Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky", 1918). Der marxistische Historiker Eric Hobsbawm formulierte es so: Lenins (und der Bolschewiki) einzige wirkliche Leistung sei gewesen, "dass er zu erkennen in der Lage war, was die Massen wollten, und dementsprechend eben auch wusste, dass er führen musste, indem er ihnen folgte." (E. Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, München 1995, S. 86).
 
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