Scheer: Gefechtskehrtwenden in der Skagerrak-Schlacht 1916

Ich habe gesucht, welche konkreten Pläne die Engländer 1916 nach einer – erfolgreichen – Seeschlacht hatten und bin nicht fündig geworden. Die Pläne von 1914 waren obsolet. Die in #46 genannten Möglichkeiten sind extrem unwahrscheinlich. Die russische Munitionsmangel war 1915. Das Produktionsproblem war 1916 weitgehend gelöst. Das russische Problem war gesellschaftlicher Natur. Die rückständige Sozialordnung ließ unter der Last der deutschen Zermürbungsstrategie die Verwaltungsstruktur zerbrechen. Das zeigte sich 1916 schon (wenngleich es weder Deutsche noch Engländer sahen). Russland ist nicht in einer Schlacht geschlagen worden, Russland brach zusammen als sie die Frontverlängerung durch die deutsche Besetzung Rumäniens organisatorisch nicht mehr in den Griff bekamen. Die ganzen Ressourcen des riesigen Landes konnten nicht mehr genutzt werden, weil die Organisation zerbrach. Die schwedischen Erzzufuhren – ein sehr lohnendes Kriegsziel – bedurften der Anwesenheit der Navy in der Ostsee. Eine intakte deutsche Armee konnte aber die Belte und Sunde abriegeln, die Navy einschließen und damit den Hauptgegner England doch noch schlagen. Das sind theoretische Erwägungen, die Engländer hätten das nicht getan. Ohne ein intaktes Russland kann ich mir einen Einbruch in die Ostsee nicht vorstellen. Vermutlich hätte man die Drohung eines Einbruchs aufgebaut, die Blockade intensiviert und damit in der angespannten Lage Deutschlands Probleme weiter verschärft.

Lambert hat sicherlich recht, wenn er schreibt, dass Wilhelm II. (ihm persönlich schreit er den Verdienst zu) den Kampf der Überwasserstreitkräfte für Deutschland entscheiden konnte, da er den englischen Kriegsplan zerstörte. Allerdings hätte die Hochseeflotte mehr leisten können, sie wurde unterfordert.
 
Wir haben dies schon da
Stand 1914 diskutiert.

Als die in SH aufgestellte Nordarmee Teils an den rechten Flügel der Westfront, Teils nach Ostpreußen verlegt wurde.
In Ostpreußen -mit Tannenberg möglich machte, und im Westen -mit die Umfassung verhinderte.

Die Lage 1916 wurde durch Rumäniens Kriegserklärung überaus kritisch. Die Argumente wie "Frontverlängerung" nach der Eroberung Rumäniens treffen für die Mittelmächte mit Sicherheit wesentlich eher zu.
 
Die starke Flotten-Aufrüstung hat dem Reich die Feindschaft Englands eingebracht.
Der Auslaufbefehl Ende Oktober 1918 die Verhandlungsposition entscheidend geschwächt.
(Man kann es gar nicht oft genug sagen, in Merry Old England hätte man Hipper und Scheer dafür am Großmast der Baden aufgehängt, in Deutschland hat man noch in den 50ern Kriegsschiffe nach ihnen benannt.... Man beachte den Unterschied!)

Aber Einsatz und Führung der Flotte während des Krieges waren im Rahmen der Möglichkeiten in Ordnung.
 
Dieses hier:
Die russische Munitionsmangel war 1915. Das Produktionsproblem war 1916 weitgehend gelöst. Das russische Problem war gesellschaftlicher Natur. Die rückständige Sozialordnung ließ unter der Last der deutschen Zermürbungsstrategie die Verwaltungsstruktur zerbrechen. Das zeigte sich 1916 schon (wenngleich es weder Deutsche noch Engländer sahen). Russland ist nicht in einer Schlacht geschlagen worden, Russland brach zusammen als sie die Frontverlängerung durch die deutsche Besetzung Rumäniens organisatorisch nicht mehr in den Griff bekamen. Die ganzen Ressourcen des riesigen Landes konnten nicht mehr genutzt werden, weil die Organisation zerbrach.

wie auch dieser Hinweis:
So schlitterte man Ende 1914, Anfang 1915 in das Dardanellen-Unternehmen, was aber kein Substitut für den Ostseeplan war. Der Patt in Flandern und das nutzlose Herum dümpeln der riesigen Navy ließen – englischer Tradition entsprechend – ein peripheres Unternehmen angebracht erscheinen.

lassen eine völlige Verkennung der russischen Verhältnisse deutlich werden. Dieses Bild wurde einerseits von der deutschen Verdrängungsliteratur 1919-1945 über die verpaßten Chancen erfunden und gepflegt, leider aber auch in der rein militärischen Literatur mit "Tunnelblick" fortgeschrieben. Oberflächliche Darstellungen der Abläufe wie bei Massie oder Ferguson haben davon ebenfalls Teile übernommen, ohne sich den verfügbaren Monographien zu diesem Aspekt zuzuwenden.

Die strategische Bedeutung des Dardanellen-Unternehmens kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. In dieser Bewertung waren die tatsächlich eingegangenen Risiken und die verwendeten Mittel der Allierten als Preis noch zu gering. Das Unternehmen hätte vielmehr bis an die Grenze des Erträglichen auch Abzüge von den anderen Kriegsschauplätzen erfordert. Dazu eine kurze Erläuterung:

- die russische Ökonomie, insbesondere die industriellen Kapazitäten bis 1914 (die im Ersten Weltkrieg entscheidend wurden) waren in hohem Maße von außenwirtschaftlichen Zufuhren abhängig. Diese finanzierte man vor dem Krieg idR ausgeglichen durch Nahrungsmittelexporte, mit dem Schwerpunkt beim Deutschen Reich.

- kurz nach Kriegsausbruch stürzte dieses Gleichgewicht völlig zusammen: einerseits fiel durch den Kriegsgegner Deutschland der Haupt-Absatzmarkt (Haupt-Exportmarkt) weg, andererseits wurde durch die Sperrung der Dardanellen der Absatzweg für die Massengüter Nahrungsmittel blockiert (zusätzlich zur Blockade der Ostsee). Damit brach das System russischer Exportüberschüsse zur Bezahlung der Industrieimporte völlig zusammen, was innerrussisch kurzfristige Dominoeffekte auslöste: Wegen der Blockade der Mengengüter kollabierte zunächst der russische Export 1914/15, gleichzeitig stieg auch kriegsbedingt der Import an industriellen Gütern (Maschinen, Werkzeuge, Halbwaren, auch Munition) in gigantische Höhen: Russische TB 1913: +146, 1914: - 142, 1915: -737, 1916: -1.987, 1917: -2.011 Mio. Rubel). Die industriellen Importe (Haupt-Lieferländer: USA, GB) wurden zugleich zunehmend über die extrem langen Routen abgewickelt, was die Logistik zusätzlich belastete. Wenn die Defizite auch außenwirtschaftlich kreditiert wurden, schlugen die Belastungen in Form von Mangelwirtschaft, industriellen Engpässen, Stockungen in der Logistik, Preissteigerungen etc. durch.

Man könnte die Blockade Rußlands ähnlich zu der deutschen Seeblockade sehen, mit Beachtung der strukturellen Unterschiede der Warenströme. Die katastrophale Entwicklung war als forciert anzusehen, sofern der Krieg länger andauern würde. Dieser Kontext ist beachtenswert, wenn man das Dardanellen-Unternehmen abseits der eigentlichen militärischen Abläufe (die auch fehlerbehaftet waren) werten will und sich über die Initiatoren bzw. Planer auslassen möchte. Es ist vermutlich überflüssig anzumerken, dass diese ökomischen Faktoren damals nur verschwommen angedeutet wurden, mehr gefühlt bzw. besorgt als "gemessen".

Hinweis auf White: British&American Commercial Relations with Soviet Russia 1918-1924 sowie die dort wiedergegebenen Statistiken und Angaben zu den russischen außenwirtschaftlichen Warenströmen 1913.


Insofern steht ein solcher Hinweis zwar in Ludendorffscher Tradition der Wahrnehmung des Ostkriegs,
Die rückständige Sozialordnung ließ unter der Last der deutschen Zermürbungsstrategie die Verwaltungsstruktur zerbrechen.
ist aber zur Beschreibung der Abläufe völlig unzureichend.

________
Ganz am Rande sei zu den Blockade-Ausführungen in #56 bemerkt, dass die Roayal Navy stets und häufig vergeblich auslief, sofern auch nur ansatzweise die Aussicht auf eine Entscheidungsschlacht mit der Hochseeflotte bestand.

Allerdings hätte die Hochseeflotte mehr leisten können, sie wurde unterfordert.
Die diversen Fluchtmanöver der Hochseeflotte in die heimischen Häfen wurden recht effizient und zum Teil sicher mit etwas Glück realisiert. Hier kann man wohl kaum von einer "Unterforderung" sprechen, die sich legendenartig in der deutschen Nachkriegsliteratur und im "Marine-Archiv" begründet findet.

Leider ist eine deutsche militärhistorische, taktisch-technische Aufarbeitung der Skagerrak-Schlacht bis heute unterblieben. Man orientiert sich gerne noch an den Mythen des Marine-Archivs, bei dem man sich nur genötigt sah, den unerträglich tendenziösen und geschichtsfälschenden 7. Band umzuschreiben.

ME hat das MGFA hier auch bis heute versagt, sich mit den Abläufen der Skagerrakschlacht ausreichend zu beschäftigen. Der Band "Skagerrakschlacht" von Epkenhans etc. aus 2009 ist hier nur ein Anfang und setzt auch andere Schwerpunkte. Der dort enthaltene Beitrag von Rahn zum Ablauf der Schlacht ist leider oberflächlich und angesichts der inzwischen verfügbaren Spezialliteratur völlig ungenügend für die deutsche Perspektive.
 
War das so? Oder hat sie sich in Scapa Flow versteckt? Immerhin haben die deutschen Schlachtkreuzer rotzfrech sogar die britische Küste beschossen.

Bestes Beispiel für das Auslaufen ist die Skagerrak-Schlacht selbst: dies basierte auf Room-40-Meldungen vom Vorabend. Jellicoe lief daher sogar Stunden vor Scheer aus seinem Hafen. Der vereinbarte Treffung mit Beatty (von Rosyth kommend) war entsprechend so berechnet, dass man die Hochseeflotte dort antreffen könnte.
 
Zu allererst.
Mit dem 1.Weltkrieg hab ich mich relativ wenig beschäftigt. Darum die Frage:

Churchill wollte die Entscheidungsschlacht, eingeleitet durch die Besetzung einer Insel (Borkum, Sylt, Helgoland), was von der Admiralität als nicht machbar abgelehnt wurde.
Welche operativen oder strategischen Wert hätte der Besitz einer Insel ala Borkum oder Sylt? Als Flottenbasis - kann man wohl als wertlos bezeichnen.
Wie sollten die dort eingesetzten Truppen versorgt werden, etc. usw. ... ?

Gibt es tatsächlich britische Pläne dazu? Da wäre eine Quellenangabe durchaus wünschenswert.
 
Dein Fehler ist, mit dem Wissen von heut gedanklich an die damalige Situation zu gehen. Die Insel Helgoland war z.B. ein gewichtiger Grund für die deutsche Marineplanung. Diese Insel wurde tatsächlich als "Schiff" bzw. "Geschützplattform" gewertet.

Ausgehend von der Annahme, dass die große Seeschlacht auch vor Helgoland stattfindet.
Diese Annahme kam bei der deutschen Marine daher, dass man immer bei der britische Marine in einem Seekrieg die Offensive ergriff und munter daruflos "marschierte". Bestes Beispiel ist der britische Begriff eine Flotte zu "kopenhagen".

Somit sind diese Überlegungen garnicht soweit hergeholt, nach damaliger Sichtweise.:grübel:
Nicht umsonst habe ich Helgoland nicht aufgeführt. :winke:
 
[FONT=&quot]Ich verstehe die Ausführungen in #66 zur russischen Revolution nicht. Eine Revolution ist immer eine (gewaltsame) Änderung der innerstaatlichen Ordnung und diese wird durch gesellschaftliche Gruppen durchgeführt, die nicht oder nur gering an der politischen Macht (der Alten Ordnung). Das soziale System in Russland war extrem rückständig, da die Bauernbefreiung – Voraussetzung der industriellen Revolution – erst 1861 (in Preußen z.B. endgültig 1810) lediglich die Vorteile der Feudalherrschaft (ein gewisser Sozialschutz) beseitigte. Eine Revolution braucht auslösende Momente und die in #66 aufgezählten gehören dazu. Das hat auch niemand bezweifelt.[/FONT]

[FONT=&quot]Ich verstehe auch den Bezug zur Munitionskrise 1915 nicht. Diese wurde durch Lieferengpässe und durch das Vordringen der Mittelmächte (die Russen mussten viel Material zurücklassen) ausgelöst. Im Donezbecken wurden Waffenfabriken aufgebaut. Diese versorgten Russland mit Material, die sie 1916 zur Brussilow-Offensive befähigten. Diese brachte den Alliierten den größten Landgewinn des gesamten Krieges. Die Gesamtopferzahl (Tote, Verwundete, Gefangene) laut wikipedia betrug 2,35 Millionen Menschen. So etwas geht nur mit Waffen.[/FONT]

[FONT=&quot]Die Kritik an Niall Ferguson ist nicht qualifiziert. Man kann durchaus anderer Meinung sein, aber „oberflächlich“ ist kaum die richtige Bezeichnung für einen Harvard-Geschichtsprofessor (seit es Rankings gibt, wird Harvard unter den Spitzenuniversitäten geführt). Auch in Harvard kennt man Spezialliteratur und diese wird auch verarbeitet. Ich hatte in # 44 bereits bemerkt, dass einige hier zitierte – oft als Standardwerke bezeichnete – Literatur von anerkannten Bearbeitern nicht oder nur am Rande erwähnt wird.[/FONT]
 
[FONT=&quot]# 66[/FONT]
[FONT=&quot]Spezialliteratur behandelt Spezialthemen. Hier geht es um grundsätzliche Fragen. Andrew Lambert – Professor für Marinegeschichte am Kings College in London, der vorzügliches Ranking wikipedia beschreibt - hat den auch für seine Schlussfolgerungen lediglich unstreitige Sachverhalte verbunden. Den Ostseeplan (von Fisher und Churchill, vgl. #56), die Seeschlacht am Eingang zur Ostsee, das Faktum, dass die Navy (mit Überwasserschiffen) nie in die Ostsee kam. Da braucht man keine Spezialliteratur, das Ziel konnte nicht erreicht werden, da die Schlacht verloren wurde (und zwar strategisch, nicht nur taktisch).[/FONT]
[FONT=&quot] [/FONT]
[FONT=&quot]Die entgegengesetzte Meinung ist politisch motiviert, da England (durch die USA) zu den Siegermächten gehörte und die Navy innerhalb der Nachkriegsordnung nicht als Verlierer dastehen konnte (dafür habe ich volles Verständnis). Es half nichts. Der „Two-Power-Standard“ (von 1889) musste – ohne dass darüber Aufhebens gemacht wurde – aufgegeben werden, die Navy wurde deutlich reduziert, die USA und Japan wurden die großen Seemächte.[/FONT]
[FONT=&quot] [/FONT]
[FONT=&quot]Man versuchte Deutschland zum Angreifer zu machen. Das machte schon aufgrund der Stärkeverhältnisse (zum Angriff brauchte man nach damaliger Auffassung eine Überlegenheit von 30%) keinen Sinn. Niemand wollte etwas anderes als strategische Defensive, allerdings gab es über deren konkrete Ausgestaltung gab es erhebliche Differenzen. Tirpitz (frühe Seeschlacht unter Ausnutzung der Truppentransporte), Mitglieder des Admiralstabes (Kräfteausgleich durch Vernichtung von Teilstreitkräften durch Hochseeflotte), Wilhelm II. (Verhinderung des Einbruchs in der Ostsee, d.h. Flotte als Annex zum Heer). Der Operationsbefehl für den Nordseekriegsschauplatz war politisch motiviert (Bethmann‘s Gedanke England nicht zu reizen und einen frühen Frieden herbeizuführen, da seines Erachtens England gegen seinen Willen in den Krieg gezogen wurde sowie der Gedanke, die Flotte als Verhandlungsobjekt nach einem Sieg zu Lande unversehrt zu erhalten). Ein Kräfteausgleich allein durch Kleinkrieg ist vorher noch nie in Erwägung gezogen worden (Kleinkrieg bedeutet Krieg durch U-Boote – deren Möglichkeiten man damals noch gar nicht kannte, Minen – Deutschland hatte 3 Minenschiffe (Nautilus, Albatross, Pelikan) und 6 Hilfsminenschiffe) und Torpedoboote. [/FONT]
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[FONT=&quot]Die Angriffsversuche der Navy wurden nicht thematisiert (ich habe noch gelernt, dass der Bau der Hochseeflotte verfehlt war, da die Navy diese durch Inaktivität ausgeschaltet hat). Dagegen wendet sich Lambert ausdrücklich, das Marinearchiv (Bd. 2, Karte 7) hat die Vorstöße der Navy aufgeführt. Nur zwei (des englischen Gros) führten in die Nähe der Linie 100 sm von Helgoland (am 24.11.1914 und 24.01.1915). Das war nach Wilhelm II. Willen der äußerste für die Hochseeflotte in Betracht kommende Radius. Es wurde während des gesamten Krieges nicht ein einziges Geschoß auf die deutsche Küste abgefeuert (was man umgekehrt nicht behaupten kann; das letzte Mal gelang das dem holländischen Admiral de Ruyter, der 1667 die Themse hochfuhr). Damit war ein Zusammenstoß extrem unwahrscheinlich. Wenn aber die Navy in die Ostsee wollte, musste sie angreifen, und notwendige Bedingung eines Angriffs ist, den Angegriffenen auf einem Kampfplatz zu stellen. Jellicoe und die Admiralität haben eindeutig gesagt, dass für sie ein Kampf nur in der nördlichen Nordsee in Frage Kommt (Schreiben Jellicoes vom 30.10.1914, Tz. 5), also weit außerhalb eines realistischen Kampfplatzes. Nach Wilhelm II. brauchte die Hochseeflotte keinen Kampf, sie schütze die Ostsee allein durch ihre Existenz (doctrine of sea denial). Der Navy fehlte schon die Möglichkeit die Schlacht überhaupt zu eröffnen. Deutsche Vorstöße (Scarborough, Doggerbank) waren daher Abweichungen vom Grundsatz. Jellicoe fürchtete solche Vorstöße sehr, denn die Hochseeflotte konnte Ort und Zeit wählen und die Hochseeflotte vollständig versammeln, für die Navy war dies nur sehr bedingt möglich (die zu schützenden Küsten waren lang und die Ausfahrt der riesigen Flotte war ein großer Aufwand, dem Grenzen gesetzt waren). Das ist der Hintergrund der Streitigkeiten um diese Vorstöße. Waren sie – unter Einsatz der Hochseeflotte - große Chancen (insbesondere in Verbindung mit anderen Aktionen, z.B Truppentransporte, Ostasiengeschwader, Dardanellen-Operation) auf einen Teilerfolg (so große Teile der Kaiserlichen Marine) oder unnötige Risiken (so Lambert)? [/FONT]
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[FONT=&quot]Die konkreten Vorstöße (Kreuzervorstöße ohne Rückhalt des Gros) machten nach keiner der beiden Meinungen Sinn, die Vorstöße waren politischen Rücksichten (der Nation wurde die finanzielle Belastung des Flottenbaus zugemutet, jetzt wurde sie nicht eingesetzt) geschuldet. Die deutschen Schlachtkreuzer hatten Glück und entkamen (jedes Mal geführt von dem exzellenten Franz Hipper gegen den in England sehr geschätzten – aber überschätzten - David Beatty).[/FONT]
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[FONT=&quot]Die in #66 geäußerte Auffassung zur strategischen Bedeutung des Dardanellen-Unternehmens teile ich, nicht aber die weiteren Folgerungen. In Flandern hatten die Alliierten keine Möglichkeiten (John French lehnte radikal weitere Operationen ab, da er sogar meinte selbst einen unwahrscheinlichen Durchbruch nicht ausnutzen zu können). Das Ostseeunternehmen hatte auch keine Erfolgsaussichten (ausführlich #56). Das Dardanellen-Unternehmen hatte Erfolgsaussichten, wenn entsprechend Kräfte von der Nordsee abgezogen werden. Nur: Das Dardanellen-Unternehmen mag noch so bedeutungsvoll gewesen sein, die Nordsee war wichtiger. 1915 waren die Alliierten in einer strategischen Sackgasse (die die Deutschen aus innenpolitischen Gründen nicht zur Entscheidung nutzten).[/FONT]
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[FONT=&quot]Es ist bezeichnend, dass England erst dann eine Chance sah die Deutschen in eine Schlacht zu verwickeln als die Deutschen wiederum dem Ostseeunternehmen der Engländer keine Möglichkeiten mehr einräumten, da Russlands militärische Möglichkeiten gegenüber Deutschland deutlich reduziert waren. Jetzt (mit Scheer als Chef der Hochseeflotte im Januar 1916) wurden die Deutschen aktiver. Durch den entzifferten Signalcode konnten die Engländer ersehen, wann die Hochseeflotte ausfährt und ihr entgegenfahren. Dieser enorme Vorteil war für Jellicoe nicht ausreichend, musste aber laut Lambert auf Weisung der Admiralität doch am 30.05.1916 der Hochseeflotte entgegenlaufen. Das Ergebnis der Schlacht war wie von Jellicoe erwartet.[/FONT]
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[FONT=&quot]Beim Beginn der Schlacht zeigte Hipper hervorragende Führungseigenschaften und deklassierte Beatty (der aus einfachen Verhältnissen kommende Hipper wurde von Ludwig III. daraufhin nobilitiert). Die überlegenen Engländer hatten dazu noch das Glück, dass ihr scher getroffenes Flaggschiff HMS Lion durch den Einsatz eines Einzelnen gerettet wurde (des hierfür in England hoch geehrten Major Francis Harvey, dem posthum das Viktoriakreuz verliehen wurde). Sie hätten nicht nur einen weiteren Schlachtkreuzer verloren, sondern wären führungslos geworden. (Ein Hinweis zur technischen Überlegenheit: So hatte die Navy wie die Hochseeflotte deutsche Entfernungsmesser, die englischen vibrierten sehr stark - so der spätere Admiral Hubert Dannreuther, einer der 6 Überlebenden der HMS Invincible. Die Deutschen bekamen das infolge ihrer überlegenen Fertigungstechnik in den Griff. Ein Schiff reduziert sich nicht auf die Zusammenfügung von Einzelelementen, sondern ist ein eigenständiges Produkt.)[/FONT]
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[FONT=&quot]In der Hauptschlacht wollte Scheer (als Tirpitz-Schüler hat er die Zurückhaltung der Hochseeflotte für falsch gehalten, er wollte die Gelegenheit nutzen anzugreifen) das Nelson’sche Manöver von Trafalgar wiederholen und die englische Linien durchbrechen. Er erwischte genau den Moment als sich innerhalb von 4 Minuten die englische Linie erheblich verstärkte (näheres in #41). Diese riesige Chance konnte Jellicoe nicht nutzen, nach der Gefechtskehrtwende verfuhr er entspricht seinem Schreiben vom 30.10.1914.[/FONT]
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[FONT=&quot]Die Gefechtskehrtwende hatte für beide Seiten positive und negative Folgen. Sie bedeutete nämlich auch den Verlust der Fühlung der Hochseeflotte mit der Navy. Damit ging ein erheblicher Vorteil für die Deutschen verloren, nämlich die Nachtschlacht. Die technische Überlegenheit – die deutsche Industrie war unangefochten Weltmarktführer in der Optik und Lichttechnik – erreichte strategische Dimensionen (Jellicoe erwähnt als besonders wichtig, dass „kaum Ausrüstung für die Mittelartellerie mit Richtungsweiseranlagen“ vorhanden waren, zitiert nach Marinearchiv Bd. 5 S. 352). Eine Nachtschlacht mit der Hochseeflotte war für Jellicoe ausgeschlossen (ausdrücklich Jellicoe, der „ernste Verluste…ohne entsprechende Erfolge“ erwartete, zitiert nach Marinearchiv Bd. 5 S. 352). Man muss sich das vor Augen halten: Ein Teil des Tages fällt für die Navy völlig für Operationen gegen die Hochseeflotte (nicht gegen andere Flotten) aus. Für die Nacht nahmen die Deutschen Angriffsposition ein. Der vorsichtige Jellicoe sah es als das Beste an, die größte Flotte aller Zeiten ganz eng zusammen gedrängt fahren zu lassen (Marinearchiv Bd. 5 S. 360 ff.). Die Chance nicht entdeckt zu werden, war somit am größten. Das Risiko war enorm. Wären sie nämlich entdeckt worden, hätten (für die Engländer kaum auszumachende) Torpedoboote in der dichten Ansammlung ideale Ziele gefunden. Die kampfkräftigste und schnellste II. (deutsche) Flottille war noch im vollen Besitz ihrer Torpedos (Marinearchiv Bd. 5 S. 389). Es waren die Engländer, die einer Katastrophe entkamen (so auch oben Jellicoe). Scheer wollte die Schlacht vor den Minenfeldern in der Nähe der freien Fahrstraßen zu seiner Basis fortsetzen und fuhr Richtung Hornsriff (142 sm von seinem Standort entfernt). Jellicoe zog den unwahrscheinlichen Schluss und meinte Scheer würde zur Durchfahrt westlich von Helgoland fahren (175 sm von Scheers Standort entfernt; vgl. Marinearchiv Bd. 5 S. 361). Lediglich englische Zerstörer sollten Scheer den Weg verlegen und eventuell nach Westen treiben, ohne Erfolg. In Brand geschossene Schiffe leuchteten wie „brennende Alleen“ (so zitiert Tirpitz, Erinnerungen, S 336 einen Schlachtteilnehmer und will damit ausdrücken, dass Jellicoe positiv wusste, dass er die Hochseeflotte nicht treffen konnte), Jellicoe blieb auf Distanz.[/FONT]
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[FONT=&quot]Nach dem Krieg wurde weithin geschrieben, dass die Hochseeflotte durch den Durchbruch der Vernichtung entgangen ist. Jellicoe schreibt auch, dass er am nächsten Tag die Schlacht wieder aufnehmen wollte (Marinearchiv Bd. 5 S. 352). Tirpitz (Erinnerungen S. 336) bezweifelte dies, und wenn man Jellicoes allgemeine Annahmen (Schreiben vom 30.10.1914) und weitere Erkenntnisse nimmt, auch zu Recht. Schon die Grundvoraussetzung einer Schlacht, das Stellen des Gegners, war der Navy auch auf taktischer Ebene nicht möglich – oder sie es nicht wollte. Auf beiden Seiten waren die Kreuzer beschädigt, die Schlachtflotten unbeschädigt. Das Grundproblem der Engländer, nämlich den Gegner nicht halten zu können, hat sich über Nacht nicht geändert (letztlich bedeutet dies, dass die überlegene Feuerkraft nicht ausgenutzt werden kann). Der Vorteil Feuerkraft muss angesichts der starken Panzerung der deutschen Schlachtschiffe ohnehin relativiert werden. Der zweite Vorteil der Navy, die Geschwindigkeit, spielte vor den Minenfeldern kaum eine Rolle. Die Größe der Navy (16 km lange Linie), die schlechte Kommunikation führte dazu, dass die Navy schwer zu führen war. Das konnte vor den Minenfeldern ein entscheidender Nachteil sein. U-Boote hatten noch nicht in den Kampf eingegriffen (Jellicoe hielt es für möglich, dass die Hälfte der Schlachtflotte durch U-Boote außer Kraft gesetzt werden kann, Schreiben vom 30.10.1914 Tz. 13). Es boten sich mehrere Gelegenheiten, z.B. hatten havarierte englische Schiffen eine lange Heimfahrt (im Gegensatz zu den Deutschen). Das Wetter war zwar schlecht, das konnte sich aber in der Nordsee schnell ändern. Zeppeline (nach Jellicoe entsprach der Gefechtswert eines Zeppelins zweier kleiner Kreuzer, ich habe keine Ahnung, warum er diese Annahme machte) konnten Scheer durch Aufklärung einen wichtigen Vorsprung geben. Man muss dies vor dem Hintergrund sehen, dass den Engländern ein taktischer Erfolg nichts nutzte, ein unglücklicher Schlachtverlauf aber schnell strategische Dimensionen erreichen konnte. Churchills Satz, Jellicoe sei der einzige Mann, der den Krieg an einem Nachmittag verlieren kann, galt auch für den Vormittag. Entsprechend hat er gehandelt.[/FONT]
 
@Silesia: Die strategische Bedeutung des Dardanellen-Unternehmens kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. In dieser Bewertung waren die tatsächlich eingegangenen Risiken und die verwendeten Mittel der Allierten als Preis noch zu gering. Das Unternehmen hätte vielmehr bis an die Grenze des Erträglichen auch Abzüge von den anderen Kriegsschauplätzen erfordert.
Da bin ich anderer Meinung. Sir Winston als Seelord hat imho sich einfach schwer verkalkuliert und damit (fürs erste) seinen politischen Untergang bewirkt..
 
Zuletzt bearbeitet:
Da bin ich anderer Meinung. Sir Winston als Seelord hat imho sich einfach schwer verkalkuliert und damit (fürs erste) seinen politischen Untergang bewirkt..

hallo balticbirdy,

der Hinweis bezog sich nicht auf die Wertung von Churchills Kampagne, sondern auf den strategischen Faktor "Dardanellen" für die russische Wirtschaft nach Blockade in der Ostsee.


Ich habe das oben nur angedeutet, da @admiral auf diesen Aspekt in Verkennung der ökonomischen Hintergründe gesprungen ist. Wir können das das gern tiefer diskutieren, ist hier ("Gefechtskehrtwende") aber OT.
 
#69
Lord Fisher entwarf das Konzept des Ostseeunternehmens. Zumindest die Schlussphase des englischen Flottenbaus waren darauf eingerichtet. Ein von Julian Corbett – der führende damalige Militärtheoretiker in England - für seinen Freund Jackie Fisher erarbeitetes Papier verwies auf eine historische Parallele im Jahr 1761, in dem Russlands Flotte die preußische Küste bedrohte. Churchill – der eng mit Fisher zusammenarbeitete und dessen Ideen vor politischen Gremien vertrat - nannte am 28.01.1915 vor dem War Council den Fahrplan: 1st Phase: The clearing of the outer seas. 2nd Phase: The clearing of the North Sea. 3rd Phase: The clearing of the Baltic.

Eine weite Blockade war nach damaliger Auffassung rechtswidrig, und zwar deshalb, weil sie nicht effektiv durchgeführt werden konnte und daher per se die Rechte Neutraler verletzt. Die fehlende Effektivität war natürlich auch von militärischer Bedeutung, da sie lange brauchte um zu wirken und in dieser Zeit politische Probleme mit den Neutralen zu erwarten waren. In Bezug auf den Kriegsgegner Deutschland war Voraussetzung, dass dieser nicht mit Erfolg versuchte, die Entscheidung im Bewegungskrieg herbeizuführen (davon war zumindest seit Graf Schlieffen auszugehen, da er die Ausbildung des Heeres auf den Bewegungskrieg ausgerichtete; tatsächlich wechselte die 2. OHL zur Ermattungsstrategie, die vor Verdun endete, eine wirkliche Bewegungsstrategie war danach aber auch nicht mehr möglich). Eine Blockade musste daher immer eine enge Blockade sein. Eine Besetzung vorgelagerter Inseln ermöglichte eine solche Blockade, die deutsche Nordseeküste wird wie mit einem Verschluss verstopft. Nichts kann mehr rein, nichts geht mehr raus. Neutrale wären nur dann betroffen, wenn sie direkt mit Deutschland Handel treiben würden.

Eine solche Besetzung machte vielerlei Probleme, in #69 sind nur einige angedeutet. Der Gedanke kam aus der Politik (Churchill), die Admiralität hat sich mit Erfolg bemüht, die Idee zu kippen, da sie nicht an die Realisierbarkeit glaubte.

Aus englischer Sicht war der Gedanke sehr verlockend. Wichtiger als die sicherlich bedeutenden Auswirkungen einer engen Blockade wäre die politische Wirkung auf die Neutralen gewesen. Es wäre England vermutlich gelungen, einige der noch neutralen Länder als Kriegspartei auf ihre Seite zu ziehen.

Churchill lies zunächst die Besetzung deutscher Inseln (Borkum, Helgoland, Sylt) untersuchen, dan Holland, Dänemark (Esbjerg), angeblich auch Schweden. Die Admiralität winkte ab, sämtliche Aktionen waren wegen der Hochseeflotte undurchführbar. Letztlich führte dies – fern von der Hochseeflotte - zum Dardanellen-Unternehmen, strategisch eine Aufteilung der Navy (also ein Erfolg der Deutschen, der nicht genutzt wurde).

Die Frage nach der Literatur ist durchaus delikat. Der Pulizer-Preisträger Robert Massie hat mit Castles of Steal ein gutgeschriebenes populärwissenschaftliches Buch in englischer Sprache vorgelegt. Er beschreibt mit vielen weiteren Nachweisen im Kapital „Fishers Return to the Admirality“ den Ostseeplan. Ich kenne nicht die gesamte deutsche Nachkriegsliteratur, aber ich kann mich an kein Werk erinnern, in dem auf diese Problematik näher eingegangen wird (Ausnahme: Die Arbeit des Bundeswehrgenerals Uhle-Wettler, Tirpitz in seiner Zeit, S. 357 ff.). Ich persönlich habe davon zum ersten Male bei einer Touristenführung! auf Sylt gehört. Die deutsche Nachkriegsliteratur hat unter dem Eindruck des verlorenen Krieges (und des Umstandes, dass viele Persönlichkeiten des NS-Regimes in der Bundesrepublik führende Stellungen einnahmen) vom Ziel argumentiert. Der deutsche Flottenbau war schlecht fürs Land und dazu unnötig. Hätte man die Ostseepläne der Engländer in die Erwägungen mit einbezogen, wäre eine solche Auffassung unvertretbar gewesen, da bereits die bloße Existenz der Flotte das Unternehmen der Engländer – dessen strategische Bedeutung nicht unterschätzt werden kann - verhinderte. So bist Du vornehmlich auf englischsprachige Literatur angewiesen. Allerdings ist jetzt von Andrew Lambert (in Epkenhans, Skagerrakschlacht) eine gute Beschreibung eines angeerkannten Fachmanns in deutscher Übersetzung vorhanden.
 
#69
Zum Plan der Beschiessung Helgolands siehe Marinearchiv Bd. 2 21 f. und Jellicoe, The Grand Fleet, S. 129
 
Lord Fisher entwarf das Konzept des Ostseeunternehmens. Zumindest die Schlussphase des englischen Flottenbaus waren darauf eingerichtet. … Churchill – der eng mit Fisher zusammenarbeitete und dessen Ideen vor politischen Gremien vertrat - nannte am 28.01.1915 vor dem War Council den Fahrplan: 1st Phase: The clearing of the outer seas. 2nd Phase: The clearing of the North Sea. 3rd Phase: The clearing of the Baltic.

Hier wird so ziemlich alles vermengt.

Welches Konzept? Bei Fishers Ideen handelt es sich um eine Zieldefinition für eine maritime Kampagne, keine detailliertes Planungskonzept. Fisher entwarf übrigens ein detailliertes Dardanellen-Konzept 1906 und 1908.

Welche „Schlussphase“ des britischen Flottenbaus – sollte damit tatsächlich die Kriegsbauten und die „Light Battlecruiser“ gemeint sein? Das wäre schon quantitativ falsch, im Übrigen hat die Monographie von Roberts (British Battlecruisers) den Planungsverlauf detailliert aufgezeigt. Dazu kann man dann ein neues Thema aufmachen.

Churchills Vorschlag (Nordseeinseln, Ostsee -> diese standen bei ihm nicht in Konkurrenz zum Dardanellen-Abenteuer, siehe unten) steht im Kontext der einige Tage anhaltenden Euphorie der deutschen Flucht an der Doggerbank vom 24.1.1915 (sowie des erfolgreichen Helgoland-Vorstoßes) und ist auch nur im Kontext der Fisher-Churchill-Kontroverse über die Dardanellen-Frage am 28.1.1915 interpretierbar. [An der Doggerbank – so schien es – wurden zum ersten Mal die „baby killer“ erwischt. Hintergrund: die Beschießungen wurden britischerseits als völkerrechtswidrig betrachtet. In der Literatur zum Luftkrieg gegen Städte werden sie (zB Spaight) als Auftakt im Weltkrieg betrachtet.]

Churchills „Phasen“ waren kein Planungskonzept, sondern angedachte „milestones“ zum maritimen Erfolg im Weltkrieg. Diese sind bei Blockade der Ostsee durch britische Seestreitkräfte völlig logisch und plausibel.

Churchill lies zunächst die Besetzung deutscher Inseln (Borkum, Helgoland, Sylt) untersuchen, dan Holland, Dänemark (Esbjerg), angeblich auch Schweden. Die Admiralität winkte ab, sämtliche Aktionen waren wegen der Hochseeflotte undurchführbar. Letztlich führte dies – fern von der Hochseeflotte - zum Dardanellen-Unternehmen, strategisch eine Aufteilung der Navy (also ein Erfolg der Deutschen, der nicht genutzt wurde). … Eine Besetzung vorgelagerter Inseln ermöglichte eine solche Blockade, die deutsche Nordseeküste wird wie mit einem Verschluss verstopft.

Der einen solchen Namen erstmals tragende „Plan“ einer wirksamen Nordseeblockade (der die Admiralität als Vorschlag verließ) stammt vom August 1917 – unter dem direkten Eindruck des U-Boot-Krieges und der horrenden Versenkungszahlen. Helgoland und ausgewählte Nordseeinseln sollten blockiert werden (die britische Literatur spricht auch von „monster blocking operation“). Dabei wurden amphibische Operationen nebst Truppenanlandungen auf zB Helgoland und Wangerooge vorgesehen, dazu die Verwendung von 40 veralteten britischen und französischen Linienschiffen als ggf. zu versenkende „Blockschiffe“, dazu noch 43 alte Kreuzer und 277 Handelsschiffe. Diese Operation betrifft den angesprochenen „Pfropfen“ im Nordseeausgang. 1914/15 gab es keine derart detaillierten Planungen. Die weitreichenden Planungen 1917 wurden dagegen als undurchführbar angesehen (so bereits 50 Jahre vor Lambert NR 1959, S. 251) – ähnliche Planungen wurden 1939 erwogen, und aus den gleichen Gründen wie 1917 (Minen, U-Boote, Angriffe von Torpedobooten etc. in den Ostseeeingängen) verworfen.

Zum Realitätsbezug der Pläne ab August 1917 ist festzuhalten: diese wurden unter noch größerer Überlegenheit der Royal Navy (als 1915/16 vorhanden) durch Neubauten sowie mit Verstärkung der US-Marine um ein Schlachtschiffgeschwader erwogen. Das Kräfteverhältnis war ein völlig anderes als 1915.

Der Planungsstand 1917 widerlegt daneben den Zusammenhang mit dem taktischen deutschen Erfolg am Skagerrak 31.5.1916. Die Planungen wurden nicht etwa durch den Skagerrak-Ausgang verhindert, sondern eingestellt, obwohl die numerische und qualitative Überlegenheit der alliierten Marinen inzwischen noch weiter angewachsen war.

Übrigens teilen die „Ostseeambitionen“ bis 1915 und dann 1917 (die in den strategischen Wirkungen völlig richtig abgeschätzt wurden, aber eben als undurchführbar abgelehnt wurden) das Schicksal der „Dardanellen“-Vorkriegsplanungen.

@admiral: die Ausführungen suggerieren, dass die nur Ablehnung des Ostsee-Abenteuers zum Dardanellen-Abenteuer geführt habe. Das ist falsch. Tatsache ist, dass „Dardanellen“-Planungen schon unter Fisher 1906 und 1908 vorlagen (mit der Schlussfolgerung, dass nur eine kombinierte Aktion aussichtsreich erscheine). Die Planungen wurden dann im August 1914 aufgegriffen, vor der britischen Kriegserklärung an die Türkei. Diese Planungen (wie auch die vom Oktober und November 1914) sahen die Beteiligung Griechenlands/Bulgariens vor. Genau dieser Kontext wurde von Churchill ignoriert (u.a. aufgrund der überragenden Bedeutung für die Öffnung der russischen Versorgungswege). Churchills Aktivitäten ereigneten sich dann am 3., 5. und 11. Januar (->ohne größere Armeebeteiligung). Kitcheners Einwurf vom 8.1.1915 forderte 150.000 Mann an Truppen. Der Dardanellen-Plan wurde am 13.1.1915 dem War Council präsentiert, 2 Wochen vor der Präsentation der Nordsee-Ostsee-Ziele. In weiterem Memo direkt an den Prime Minister präsentierte Churchill die Dardanellen-Idee am 25.1.1915. Zur Sitzung des War Councils am 28.1.1915 hatte Fisher seine massive Opposition gegen die Planung ebenfalls beim Prime Minister plaziert und präferierte in der Sitzung die undetaillierte Ostsee-Lösung. Am 28.1. gab es dann die Churchill-/Fisher-Kontroverse, bei der Fisher von Kitchener mit Mühe gehindert werden konnte, den Raum zu verlassen. (Dewar, NR 1957)


Eine weite Blockade war nach damaliger Auffassung rechtswidrig, und zwar deshalb, weil sie nicht effektiv durchgeführt werden konnte und daher per se die Rechte Neutraler verletzt.

Das wäre die deutsche Ansicht, sowie die einiger Neutraler. Ebenso gab es Gegenmeinungen, die britische Kriegspartei sah das logischerweise anders als die deutsche Kriegspartei. Das Blockaderecht gab beide Interpretationen her. Im Übrigen sind diverse Verschärfungen folge deutscher Aktionen gewesen:
http://www.geschichtsforum.de/387265-post61.html

Eine Blockade musste daher immer eine enge Blockade sein. Eine Besetzung vorgelagerter Inseln ermöglichte eine solche Blockade, die deutsche Nordseeküste wird wie mit einem Verschluss verstopft. Nichts kann mehr rein, nichts geht mehr raus. Neutrale wären nur dann betroffen, wenn sie direkt mit Deutschland Handel treiben würden.
Die angestrebte “Nahblockade” 1917 ist von der Ostseefrage 1917 grundsätzlichzu trennen. Die Blockade an den Nordseeinseln war in erster Linie gegen die deutschen U-Boote gerichtet (siehe oben). Die deutschen Schlachtschiffe waren inzwischen mehr als 2:1 durch die Neubauten und durch die anlaufende US-Flotteneinheit unterlegen. Der Ostseedurchbruch war im Übrigen auf die Zufuhrwege von Skandinavien gerichtet, und auf kleinere Stör-Landungen im deutschen Rücken, nicht auf amphibische Operationen etwa in der Größe des britischen Expeditionskorps. Ein Randaspekt neben den Zufuhrwegen war daher die artilleristische Unterstüzung.
 
Die Frage nach der Literatur ist durchaus delikat. Der Pulizer-Preisträger Robert Massie hat mit Castles of Steal ein gutgeschriebenes populärwissenschaftliches Buch in englischer Sprache vorgelegt. Er beschreibt mit vielen weiteren Nachweisen im Kapital „Fishers Return to the Admirality“ den Ostseeplan.
Mehr als "populärwissenschaftlich" (weil gut lesbar, ansonsten lückenhaft) ist es tatsächlich nicht.
Das zitierte Kapitel ist im Wesentlichen von Marder (Teil II, Borkum/large light cruisers/baltic) und Churchill (inkl. der Gilbert-Biographie) abgeschrieben. Von "vielen weiteren Nachweisen" keine Spur. Ohne zu zitieren I [wie bei Massie jedenfalls in der mir vorliegenden Auflage nur seitenweise üblich], ist übrigens ein Teil des Kapitels ein glattes Plagiat, weil wortgleich aus den oben in #77 zitierten NR-Aufsätzen übernommen (zB Dewar, der nicht einmal die Aufnahme in das Literaturverzeichnis fand).

Ich kenne nicht die gesamte deutsche Nachkriegsliteratur, aber ich kann mich an kein Werk erinnern, in dem auf diese Problematik näher eingegangen wird
Die wichtige Einschränkung gilt natürlich nicht für die britische Literatur, insbesondere für den in Teilbereichen wohl überholten, aber immer noch lesenswerten Marder. Schließlich schreibt Massie dort auch überwiegend für sein Buch ab.

(Ausnahme: Die Arbeit des Bundeswehrgenerals Uhle-Wettler, Tirpitz in seiner Zeit, S. 357 ff.).
Mir war durchaus klar, woraus Du die Wertungen zu Tirpitz und den Schlachtflottenbau beziehst. ;)
Schön, dass er genannt ist, hier zum Hintergrund:
Franz Uhle-Wettler – Wikipedia


Die deutsche Nachkriegsliteratur hat unter dem Eindruck des verlorenen Krieges (und des Umstandes, dass viele Persönlichkeiten des NS-Regimes in der Bundesrepublik führende Stellungen einnahmen) vom Ziel argumentiert. Der deutsche Flottenbau war schlecht fürs Land und dazu unnötig. Hätte man die Ostseepläne der Engländer in die Erwägungen mit einbezogen, wäre eine solche Auffassung unvertretbar gewesen, da bereits die bloße Existenz der Flotte das Unternehmen der Engländer – dessen strategische Bedeutung nicht unterschätzt werden kann - verhinderte.
:cry: Meine Güte: die Nachkriegsliteratur der 20er und 30er ist doch wohl von den bösen Briten, deren Schlachtschiffbau stets auf das "to kopenhagen" der jungen deutschen Flotte gerichtet war. Tirpitz selber hat doch da kräftig mitgebastelt.

Für die Zeit nach 1945 ist das gerade vor dem Hintergrund von Hubatsch falsch, siehe hier:
Geschichtsbilder: Festschrift für ... - Google Books

Zu beachten ist auch Fußnote 118, die auf die "Arbeit" von Uhle-Wettler eingeht: "Rückfall in die längst überwunden geglaubte Tradition" (-> "die Marine war kein Angriffsinstrument, sondern Ausdruck des Reiches, eine Selbstdarstellung der geeinten deutschen Stämme im Waffenspiel auf den Wellen")


z Die kampfkräftigste und schnellste II. (deutsche) Flottille war noch im vollen Besitz ihrer Torpedos (Marinearchiv Bd. 5 S. 389). Es waren die Engländer, die einer Katastrophe entkamen (so auch oben Jellicoe).

Ja, so ähnlich wird das Märchen im Marinearchiv und in der "Aufarbeitungsliteratur" der 1920er und 30er Jahre vorgetragen. Die Legende von der "II. TB-Flottille" ist höchst populär. Die Verwendung der Flottille war indessen eine katastrophale Fehlleistung, die "60 [63] Torpedos" waren nämlich um 21.35 Uhr futsch.

Tatsächlich wäre die Flottille nämlich ein Fall für einen Untersuchungsausschuß gewesen, wie Scheer selbst danach sinngemäß vom Marinearchiv zitiert wird ("muss untersucht werden"). Die eine Hälfte der Flottille wurde auf Hippers Weisung an die angeschlagene "Lützow" gebunden und fehlte beim Entlastungsangriff im Rahmen der 3. Gefechtskehrtwende. Dabei handelte es sich um 4 große TB. Die anderen 6 kamen beim Entlastungsangriff zu spät, zuckelten dann hinter der Hochseeflotte her, und wurden gegen 21.30 und 22.00 Uhr zu einem Blindangriff viel zu weit nördlich angesetzt. Dort fanden sie natürlich nichts, weil Jellicoe sich auf Südkurs in der Verfolgung Scheers und eben nicht auf dem Heimweg befand. Nach einer Weile des Herumstocherns wurden sie sicherheitshalber (von der übrigen Hochseeflotte abgesprengt) durch das Kattegat nach Hause beordert.
 
Eine Blockade musste daher immer eine enge Blockade sein. Eine Besetzung vorgelagerter Inseln ermöglichte eine solche Blockade, die deutsche Nordseeküste wird wie mit einem Verschluss verstopft. Nichts kann mehr rein, nichts geht mehr raus. Neutrale wären nur dann betroffen, wenn sie direkt mit Deutschland Handel treiben würden.
Welcher wichtige Hafen liegt "hinter" Borkum und Sylt das der Besitz dieser Inseln lohnen würde? Wohl keine.
Selbst wenn man auf diesen Insel schwere Artillerie aufstellen würde wären die großen Häfen (Bremen / Hamburg) und ihre Wege nicht in Reichweite.
 
Welcher wichtige Hafen liegt "hinter" Borkum und Sylt das der Besitz dieser Inseln lohnen würde? Wohl keine.
Selbst wenn man auf diesen Insel schwere Artillerie aufstellen würde wären die großen Häfen (Bremen / Hamburg) und ihre Wege nicht in Reichweite.

Hallo mhorgran,

das war mE eine teilweise irrige britische Annahme/Wahrnehmung über Ausfahrtwege, U-Boote, etc. Man hatte tatsächlich die Absicht (jedenfalls in den Planungen), über Helgoland hinaus weitere Nordseeinseln abzuriegeln bzw. dort zu landen.

Entscheidend waren natürlich die Ausfahrten vom Emden (->Borkum), Jadebusen (-> Wangerooge, siehe oben zitiert neben Borkum), Weser und Elbe hätte man mit Schlachtschiffen abriegeln müssen (-> Versorgungsproblem, Helgoland). Sylt dient eher der Belustigung von Touristen.

Wo die Hunderte "Blockschiffe" versenkt werden sollten, kann man wohl nur vermuten. Sicher waren auch einige für die Elbe- und Wesermündung vorgesehen.

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Interessant wäre übrigens, über die oben von @admiral zitierten britischen Monitore nachzuschlagen. Diese wurden ua. intensiv vor der belgischen Küste zu Beschießungen eingesetzt (das war ihr Zweck bzw. die Intention des Baus, egal wo einzusetzen), und sind keinesfalls nur mit "Ostseeambitionen" in Verbindung zu bringen. Durch die Einsätze vor der belgischen Küste hatten sie die höchste Einsatzzahl aller britischen Schiffe, die schwerste Kaliber trugen (so laut einer Ausgabe der Naval Architects aus den ersten Nachkriegsjahren).
 
Hallo silesia

Die Besetzung von Wangerooge und Helgoland wäre vom Abriegelungsstandpunkt aus durchaus sinnvoll.
Aber warum Emden? Was das ein bedeutender U-Bootstützpunkt?
 
So ad hoc gibt es das:
Die deutschen Marinen im Minenkrieg ... - Google Bücher

dort zB S. 327: IV- U-Flottille in Emden 1918

wie in #77 ausgeführt: die konkreten Planungen zur "Inselblockade" sind Folge des U-Boot-Krieges und Überlegungen, wie man die Paralyse des Minenkrieges und der dahinter verschanzten Hochseeflotte durchbrechen kann. Es gab 1917/18 auch Aktionen der britischen Schlachtkreuzerflotten gegen die nordfriesischen Inseln, ich meine auch Beschießungen von Sylt etc.

Die Frage wäre auch, welches Aufklärungsbild die britische Seite von den U-Boot-Stützpunkten hatte (vermutlich ein genaues?) und ob sie über Emden unterrichtet waren. Vielleicht wurde die Bedeutung auch überschätzt?
 
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