Schlacht am Naratsch-See

Nakharar

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Ich habe vor einiger Zeit den wikipedia-Artikel über die Schlacht am Naratsch-See gelesen (Schlacht am Naratsch-See ? Wikipedia), in der eine deutliche russische Übermacht im März 1916 eine bittere Niederlage gegen die Deutschen einstecken musste. Die russischen Generäle, die ihre 350.000 Soldaten in drei Großverbände eingeteilt haben, schickten ihre Männer nach völlig unzureichender Artillerievorbereitung über 2000 Meter freies Feld gegen die deutschen Stellungen. Mit einer Ausnahme: Der Befehlshaber der südlichen Armeegruppe, ein General namens Sirelius (ich konnte weder den vollen Namen noch den genauen Rang herausfinden) rührte sich mit über 100.000 Soldaten nicht von der Stelle.
Gibt es Berichte warum das so war? So eine Verhaltensweise gab es anscheinend auch bei anderen Offizieren der alten Schule, Brussilow soll während der von ihm geführten Offensive im Juni 1916 seine Korpsbefehlshaber regelrecht zum Angreifen gezwungen haben müssen. Wikipedia spricht in dem Zusammenhang immer von einem Phlegma der alten Offiziere, aber ich glaube nicht so recht daran, das man aus diesem Grund seine Befehle verweigert. Gibt es bessere Erklärungen für ihr Verhalten?
 
Ich habe vor einiger Zeit den wikipedia-Artikel über die Schlacht am Naratsch-See gelesen (Schlacht am Naratsch-See ? Wikipedia) .. General namens Sirelius

Ausführlichere Informationen sind kurzfristig wohl nur hier zu bekommen:
Der große Krieg in Einzeldarstellungen : unter Benutzung amtlicher Quellen hrsg. im Auftr. des Generalstabes des Feldheeres. Teil 31: Die russische Frühjahrsoffensive 1916. Bearb. von Walter Flex. Oldenburg: Stalling, 1919
Sonst noch: Stegemann (Geschichte des Krieges, Bd. 4, S. 51-60), der jedoch nur 2 Armeegruppen (Balujew, Pleschkow) nennt (so auch in Der 1. Weltkrieg - Die russische Märzoffensive 1916).

Dar Name scheint aber zu stimmen, siehe web.genealogie, wo er als Korpskommandant auftaucht, oder The Navy Everywhere by Conrad Gato, wo ihm Ende 1916 das IV. sib. Korps unterstellt ist (was bedeuten würde, dass man ihm sein Verhalten im Frühjahr nicht krumm genommen hätte...)
 
Ich frage mich, wie berechtigt die Kritik am zaristischen Offizierskorps ist. Bei allen kriegführenden Nationen ergab sich recht früh das Problem der Munitionsbeschaffung, und Russland war mit seiner geringen Industrie am wenigsten auf einen industriellen Krieg vorbereitet. Wie auch die Donaumonarchie, war Russland völlig unzureichend mit MGs ausgestattet. Das Nachrichtenwesen war schwerfällig, bei Tannenberg sendeten die Russen unverschlüsselte Funksprüche. Nachdem die russische Armee im Jahr 1915 vernichtende Niederlagen zu verzeichnen hatte, erwies sie sich, nachdem das Problem der Munitionsbeschaffung gelindert war, schon im Herbst 1915 wieder recht schlagkräftig, und Ende 1915 erstarrte auch die Ostfront vom Baltikum bis Galizien.

Das war zwar nicht wie an der Westfront, streckenweise mangelte es sogar an Stacheldraht, doch die Front erstarrte. Die Russen adaptierten Foch- und Haigsche Strategie und machten sich das Dogma "Artillerie erobert, Infanterie besetzt zu eigen".

Es fehlten im Jahre 1916 allen Seiten noch Erfahrungen für Materialschlachten, und die Briten machten an der Somme und 1917 in Flandern ziemlich genau die gleichen Fehler, wie die Deutschen bei Verdun und die Franzosen 1917 am Chemin des Dames. So gesehen, waren die Russen nicht inkompetenter, als ihre Verbündeten, die sich freilich häufig als "donkeys, commanding lions" erwiesen.

Die Russen haben sich eigentlich nur die damals modernsten, geltenden Taktiken zueigen gemacht. Die Briten feuerten 7 Tage lang auf die deutschen Stellungen, doch verfügten sie über nicht ausreichend viele schwere Geschütze, und die Munition war oft qualitativ schlecht, da die meisten guten Facharbeiter inzwischen in Kitchners Armee dienten. Am 1. Juli erlitten sie an einem einzigen Vormittag mehr als 50.000 Mann Verluste, darunter 20.000 Tote.

Die Russen experimentierten am Naroschsee erstmals mit der Feuerwalze, die die Franzosen erstmals 1915 in der Lorettoschlacht erprobten. Es gab unter der russischen Generalität äußérste Konkurrenz, doch das war auch zwischen Haig und Rawlinson, Foch, Petain und Nivelle der Fall, ebenso wie zwischen Falkenhayn und Ludendorff.

Im Juni 1916 gelang Brussilow aus einer Improvisation heraus mit einer Taktik der Infiltration, die später Oscar von Hutier und Georg Bruchmüller inspirierte. Brussilows Erfolg brachte die Ostfront zum Wanken und die Österreicher an den Rand der Niederlage. Unbegreiflicher Weise verfolgte er die Sturmtruppentaktik nicht weiter, sondern ließ seine Soldaten frontal anrennen, was enorme Verluste zufolge hatte.
 
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Ich denke das kein General auf die Realität des 1. Weltkriegs vorbereitet war. Man war einfach noch zu sehr im alten Denken verhaftet. Lehren aus vorangegangenen Konflikten wie dem Krimkrieg, dem Amerikanischen Bürgerkrieg oder dem Russisch-Japanischen Krieg wurden entweder ignoriert oder falsch interpretiert. Die Russen haben sich dicke Schoten geleistet: So war die Artillerievorbereitung am Naratschsee völlig unzureichend, die Artillerie war in Schwere und Leichte Geschütze unterteilt, die Offiziere der Infanterie nicht an den Planungen beteiligt und der Beschuss erfolgte stur nach einem Feuerplan, ebenso wurde die Infanterie über 2000 Meter freies Feld gejagt - im wahrsten Sinne des Wortes: Die eigenen Unteroffiziere rannten hinterher und erschossen die Flüchtigen. So etwas ist an Idiotie schwerlich zu überbieten.
Aber auch die Offiziere anderer Nationen leisteten sich solche Klöpse.
Natürlich gab es immer wieder fähige, modern denkende Köpfe: Brussilow gehört unzweifelhaft dazu, ebenso wie Koch (Erfinder der deutschen Sturmtruppen), nur konnten diese ihre Ideen selten in vollem Maß einsetzen.
 
Wer ist Koch (Erfinder der Sturmtruppen)? Ich kenne nur Oskar von Hutier als die Person, der die Sturmtruppentaktik entwickelt oder weiter entwickelt haben soll.
 
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