Schlieffenplan vor 1914 bekannt?

G

Gast

Gast
Wussten die Ententemächte vor dem 1.weltkrieg etwas vom Schlieffenplan, bzw. waren sie speziell darauf vorbereitet? (der Schlieffenplan ist ja immerhin schon 1914 entstanden)
 
Was heißt bekannt. Die genaue Planung oder eine ungefähre Vorstellung, welche militärischen Optionen dem Kaiserreich zur Verfügung standen.

Es gibt Aussagen von Hötzendorf, in denen er die Kenntnis der deutschen Planungen verneinte.

Wieso sollten die Allierten besser informiert gewesen sein? Dass die Kenntnis der Franzosen nur sehr oberflächlich gewesen sein kann, zeigt sich bereits an der Dislozierung, die bei Ausbruch ja deutliche Defizite in Nord-Östlicher Richtung aufwies, gemessen an der deutschen Invasionsarmee.

Eine Kenntnis des Schlieffenplans hätte eine andere Planung nach sich ziehen müssen.
 
Es gibt Aussagen von Hötzendorf, in denen er die Kenntnis der deutschen Planungen verneinte.

Den Plan an sich kannte jeder "vaterländische Stammtisch". Dass er in der Praxis abgeändert wurde, zum Beispiel durch eine Schwächung des Angriffsflügels zugunsten der im Osten und Südwesten stehenden Defensivkräfte, ist eine andere Sache.
 
Als sich Frankreich und Großbritannien 1903/04 annäherten, gab es hierzu noch im Vorfeld militärische Überlegungen. England ging von zwei Szenarien aus, als über die Entsendung eines Expeditionskorps binnen 14 Tagen gesprochen wurde:

a) der deutsche Angriff auf Frankreich erfolgt unter sofortiger Verletzung des belgischen Gebietes und bewegt sich auf Nordwestfrankreich zu.
b) die Verletzung erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt, in dem sich die Kriegsaussichten zB wegen der beabsichtigten Blockade für Deutschland erheblich verschlechtern.

Man könnte zusammenfassen: der Durchmarsch durch belgisches Gebiet - die rechte Flanke - erfolgt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Ausgeschlossen wurde ferner, dass sich die Verletzungen der belgischen Neutralität auf niedrigem Niveau wie 1870/71 bewegen.

Hintergrund war die Diskussion, ob das britische Expeditionskorps besser in Nordfrankreich oder zu einer Landung in Schleswig-Holstein im Rücken eingesetzt werden soll. Man entschied sich später für die französische Lösung.

Ein Geheimnis kann mit der Zielsetzung des Planes schon deswegen nicht verbunden gewesen sein, weil die Szenarien früh diskutiert wurden und auf der Hand lagen. Das sollte man von der Frage trennen, ob Details bekannt waren (etwa Aufmarsch-, Zeitpläne, Taktung und genaue Anzahl von Divisionen oder Korps).
 
Literatur-Nachtrag zu dieser Vermutung:

Ein Geheimnis kann mit der Zielsetzung des Planes schon deswegen nicht verbunden gewesen sein, weil die Szenarien früh diskutiert wurden und auf der Hand lagen. Das sollte man von der Frage trennen, ob Details bekannt waren (etwa Aufmarsch-, Zeitpläne, Taktung und genaue Anzahl von Divisionen oder Korps).

Der Grundriß des strategischen Plans, den das Deutsche Reich für den Fall eines Koalitionskrieges besaß, war Frankreich bekannt. [Schmidt, Frankreichs Außenpolitik in der Julikrise 1914, mit Verweis u.a. auf den Aufsatz von Jan Karl Tanenbaum: French Estimates of Germanys Operational War Plans, in May: Knowing One´s Enemies - Intelligence Assessment before the two World Wars]
 
Anmerkung: Auch dieser Thread gehört in das Forum Deutsches Kaiserreich


Diese Aussage ist falsch. Der Schlieffenplan entstand schon früher, von 1892 - 1905.
Ausschlaggebend waren die Bündniskonstellationen nach Bismarcks Ausstieg aus der deutschen Außenpolitik bzw. des Machtantritts Wilhelm II.

Mehr kann man z.B. hier lesen:

http://www.geschichtsforum.de/f62/der-schlieffenplan-26022/

Schlieffen brachte bereits 1891 in seiner Denkschrift zutreffend zu der Erkenntnis, die Entscheidungschlacht im Westen schnell zu schlagen und dann gegen das Zarenreich vorzugehen. Er ging des Weiteren zutreffend davon aus, das die französische Armee den deutschen Angriff abwarten würde. Schlieffens Überlegungen kreisten darum, wie sich der Zeitraum des Abwartens abkürzen ließe. Auch sein kurzzeitiger Vorgänger Waldersee hatte sich bereits mit dieser Thematik beschäftig. Interessant ist hierbei, das es zu jenem Zeitpunkt überhaupt noch keine Militärkonvention zwischen Rußland und Frankreich gegeben hatte.

Moltke hingegen hielt es nicht für sicher, das sich Frankreich rein defensiv verhalten würde. Ausgangspunkt war seine Überlegung, wenn Frankreich Elsaß-Lothringen heim ins Reich holen wollte, müsse es offensiv vorgehen.
 
Das neue Buch von Zuber (The Real German War Plan 1904 - 1914) ist ein Musterbeispiel für die militär-autistische Herangehensweise unter Vernachlässigung des gesamten Kontextes.

Bismarcks Rückversicherung war weder genial noch Aushilfe. Er fällt in eine Phase (die Zuber gern abdecken möchte, wobei er versagt, und an deren Endpunkt 1891 steht), in der der Generalstab von der forcierten frz.-russ. Annäherung ausging, die nur noch davon abhängen würde, dass beide Länder in der Aufrüstung einen gewissen Status erreichen würden, der die gegenseitige Verpflichtung dann tragfähig macht. Die Rückversicherung wurde mit massiven außenpolitischen Pressionen auf Russland sowie einem "Wirtschaftskrieg" verknüpft, der die russischen Rüstungsfinanzen in den Offenbarungseid bzw. In die Knie zwingen sollte (und damit die drohende Verbindung mit Frankreich) und dann grandios scheiterte. Zugleich ließ er die germanophoben Fraktionen in Russland massiv erstarken. Der Rückversicherungsvertrag bildete damit auch keine "verzweifelte" Aushilfe, und dämmte die Präventivkriegsüberlegungen des Deutschen Generalstabs nur letztmalig ein.

Schlieffen steht an einem logischen Endpunkt der Entwicklung, bzw. am Startpunkt der nun 23-jährigen Konstellation eines aus Sicht der Generalität unvermeidbaren Zweifrontenkrieges im Fall der Fälle. Es wechselten nur die kriegsspieltheoretischen Ansätze zwischen Schwerpunkt Ost und Schwerpunkt West.
 
silesia schrieb:
Das neue Buch von Zuber (The Real German War Plan 1904 - 1914) ist ein Musterbeispiel für die militär-autistische Herangehensweise unter Vernachlässigung des gesamten Kontextes.

Zuber, ist das nicht der Amerikaner, der die Existenz des Schlieffenplans als solches bestreitet?

silesia schrieb:
Bismarcks Rückversicherung war weder genial noch Aushilfe. Er fällt in eine Phase (die Zuber gern abdecken möchte, wobei er versagt, und an deren Endpunkt 1891 steht), in der der Generalstab von der forcierten frz.-russ. Annäherung ausging, die nur noch davon abhängen würde, dass beide Länder in der Aufrüstung einen gewissen Status erreichen würden, der die gegenseitige Verpflichtung dann tragfähig macht. Die Rückversicherung wurde mit massiven außenpolitischen Pressionen auf Russland sowie einem "Wirtschaftskrieg" verknüpft, der die russischen Rüstungsfinanzen in den Offenbarungseid bzw. In die Knie zwingen sollte (und damit die drohende Verbindung mit Frankreich) und dann grandios scheiterte. Zugleich ließ er die germanophoben Fraktionen in Russland massiv erstarken. Der Rückversicherungsvertrag bildete damit auch keine "verzweifelte" Aushilfe, und dämmte die Präventivkriegsüberlegungen des Deutschen Generalstabs nur letztmalig ein.

Bismarck war jedes Mittel recht, um eine Ersatzlösung in seinem Sinne, für das Mitter der 1880ziger endgültig zu Bruch gegangene DreiKaiserBündnis zu finden. Mit seinen groben Methoden war zu jener Zeit jedenfalls kein blumentopf mehr zu gewinnen. Selbst wenn es gelungen wäre, den Rückversicherungs 1890 zu verlängern, die französisch-russische Annäherung wäre m.E. nach nicht mehr aufzuhalten gewesen.

Auch wird man konzedieren müssen, das Russland beispielsweise in der leidigen Bulgarienfrage gegenüber dem Deutschen Reich nicht gerade bescheidene Annsprüche gestellt hatte.
 
Ein kurioses Detail zum Kenntnisstand der übrigen europäischen Länder über den Schlieffen-Plan ist die Mobilmachung der Niederlande am 26.7.1914, als 3. Land überhaupt in der Juli-Krise.

Erstaunlich daran ist, dass der deutsche Angriffsplan 1905/06 die Verletzung der niederländischen Neutralität vorsah und diese Absicht bereits im Verlauf des Jahres 1906 bekannt geworden ist.

Die späteren Plan-Änderungen 1909/11 - Verletzung "nur" der Neutralität Belgiens und Luxenburgs, Beachtung der niederländischen Grenzen - bekam man dagegen nicht mit. Das hatte zur Folge, dass die Julikrise 1914 mit größter Sorge beobachtet wurde, man den deutschen Einmarsch befürchtete, und auch in den Jahren zuvor intensive Spionagetätigkeiten auf der deutschen Seite betrieb.

Der niederländischen Mobilmachung am 26.7. ging ein mysteriöses Telegramm vom 25.7. voraus. Dieses hatte den Inhalt "API API" - malayisch für "Feuer", abgesandt von niederländischen Militärangehörigen aus Köln. Daraufhin wurde die niederländische Mobilmachung befohlen, um einem überraschenden deutschen Einmarsch zuvorzukommen.

Quelle: Hubert P. van Tuyll: The Dutch Mobilization of 1914 - Reading the "Enemy" 's Intentions, JoMH 2000, S. 711-737.
 
Zuletzt bearbeitet:
silesia schrieb:
Der niederländischen Mobilmachung am 26.7. ging ein mysteriöses Telegramm vom 25.7. voraus. Dieses hatte den Inhalt "API API" - malayisch für "Feuer", abgesandt von niederländischen Militärangehörigen aus Köln. Daraufhin wurde die niederländische Mobilmachung befohlen, um einem überraschenden deutschen Einmarsch zuvorzukommen.

Ist ja ganz schön heftig. Wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt, hat Österreich-Ungarn am 25.07 die serbische Antwortnote erhalten und die Reichsregierung bekam diese erst am 27.07.1914 zugeleitet. Und die Niederländer machten am 26.07. mobil. Das war natürlich nicht gerade deeskalierend.
 
Van Tuyll schreibt, dass die Mobilmachung an sich unproblematisch war, da man das nirgends als Bedrohung oder Eskalation gewertet habe. Und die Moltke-Planung habe das niederländische Territorium nicht berücksichtigt, während es deutsche Hoffnungen gegeben haben soll, dass die Niederlande den Mittelmächten folgen könnten.
 
Van Tuyll schreibt, dass die Mobilmachung an sich unproblematisch war, da man das nirgends als Bedrohung oder Eskalation gewertet habe. Und die Moltke-Planung habe das niederländische Territorium nicht berücksichtigt, während es deutsche Hoffnungen gegeben haben soll, dass die Niederlande den Mittelmächten folgen könnten.

Reflektiert van Tuyll in seinem Buch auch auf Reaktionen seitens Frankreichs und Russlands?
 
Leider nein. Beide Länder wurden umgekehrt auch von den Niederlanden bei der Entscheidung nicht beachtet.

Die hastige Mobilisierung beruhte ausschließlich auf der Befürchtung, dass das Territorium durch das DR im Kriegsfall verletzt werden würde.
 
Dass die Kenntnis der Franzosen nur sehr oberflächlich gewesen sein kann, zeigt sich bereits an der Dislozierung, die bei Ausbruch ja deutliche Defizite in Nord-Östlicher Richtung aufwies, gemessen an der deutschen Invasionsarmee.

Eine Kenntnis des Schlieffenplans hätte eine andere Planung nach sich ziehen müssen.

Oder doch nicht? Ich meine es wäre General Castlenaus gewesen, der sagte ".. es könne uns (den Franzosen) nur Recht sein wenn die deutschen den rechten Flügel (zulasten der Mitte) stärken..". Denn der französische Plan 17 sah doch selbst ein offensives Vorgehen an der deutsch-französischen Grenze ins Elsaß vor. Was der französische Generalstab übersah, oder als marginal einschätzte, war der deutsche Einsatz der Reserve neben den Aktiven was zu einer quasi Verdoppelung der deutschen Angriffskräfte führte und die Truppen an der deutsch-französischen Grenze eben nicht ausdünnte. Für die Franzosen galt: " Les réserves c´est zero!"

Auch bedrängten die Franzosen ihren russischen Verbündeten zu übereiltem Vorstoß nach Ostpreussen um dem erwarteten(!) massiven deutschen Angriff abzumildern, was durch die deutsche Verlagerung von zwei Armeekorps von West nach Ost auch erreicht wurde
 
Franz-Ferdinand schrieb:
Auch bedrängten die Franzosen ihren russischen Verbündeten zu übereiltem Vorstoß nach Ostpreussen um dem erwarteten(!) massiven deutschen Angriff abzumildern, was durch die deutsche Verlagerung von zwei Armeekorps von West nach Ost auch erreicht wurde

Der rechte Flügel hatte nie die von Schlieffen vorgesehene numerische Überlegenheit besessen. Und die anfangsvorhandene Überlegenheit wurde auch immer geringen und zwar schon vor Abgabe der beiden Armeekorps. So mussten beispielsweise Truppen zur Belagerung von Antwerpen und Maubeuge abgegeen werden. Des Weiteren waren durch die enorme Hitze und die sehr starke körperliche Beanspruch der deutschen Truppen, Tagesmärsche bis 40 Kilometer viele Soldaten liegengeblieben. Als es zur Marneschlacht kam, war die personelle Decke ziemlich dünn.
 

Man muss hier zwischen dem "Prinzip" und den Details unterscheiden.

Das Prinzip war ein Vorstoß unter Verletzung der Neutralität Belgiens und Luxemburgs, mit dem Dreh- und Angelpunkt Metz im deutschen Zentrum. Der Rest sind Details.

Das "Prinzip" berücksichtigte die französische Seite mit unterschiedlichen Gewichtungen bereits ab 1892 im "Plan XII". Joffre wandelte hier nach dem Ergebnis von Kriegsspielen die Gewichtungen ab, in "Plan XVII" ab 1911. Grund war die Vorstellung der deutschen Verteilungen von Aktiven und Reserve-Korps, da sich die frz. Seite nie diesen Schwerpunkt in der realisierten Form vorstellen konnte (und die Konsequenz, Ostpreußen einer russischen Invasion zu überlassen).

Die neue Schrift von Herwig (Marne 1914) zeigt aber, dass Joffre diesen Flankenstoß und die Bedrohung seiner linken Seite nicht vernachlässigte, ebenso wie Doughty: French Strategy in 1914: Joffre's Own, JoMH 2003, S. 427.
 
Zurück
Oben