Schloss-Wiederaufbau - ein deutscher Trendsport?

Rovere

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Aus aktuellem Anlass - der Architektenwettbewerb zum Berliner Stadtschloss-Wiederaufbau ist abgeschlossen - habe ich mir ein wenig die Seiten der SCHLOSSDEBATTE durchgelesen und erstaunt festgestellt dass es anscheinend einen Trend zum Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Schlösser gibt!

  • Das Schloss von Dresden ist ja übers fertig werden
  • Stadtschloss-Braunschweig entstand als Fassade eines Einkaufszentrums wieder
  • Stadtschloss Potsdam wird bereits geplant.
  • Schloss Herrenhausen in Hannover wird realisiert, ein entsprechender Beschluss wurde im niedersächischen Landtag gefasst.

Vielleicht gibt´s ja noch mehr solcher Projekte, anscheindend will nun jede Stadt wieder "ihr" Schloss haben (wie schon vor 300 Jahren).

Ich will da jetzt gar nicht werten, grundsätzlich ists ja was Gutes denn historische Architektur stiftet Identität. Aber die große Anzahl derartiger Projekte erstaunt mich nun doch etwas.
 
Ein hochinteressantes Thema, Rovere.

M. E. kommen hier mehrere Interessen zusammen:
1. die Bemühung, interessantere Innenstädte zu bekommen – zwischen 1945 und heute wurden die städtebaulichen Maßnahmen vieler Großstädte in Deutschland davon geprägt, als Einkaufszentren zu funktionieren. Damit wurde ein Trend fortgesetzt, der bereits seit der Jahrhundertwende und vorher das Großkaufhaus als bürgerliche Errungenschaft zelebrierte. Die mir bekannte Ablehnung dieser Strukturen beginnt mit dem Protest gegen den Neubau des "kARSCHtadt" am Ludwigsplatz in Darmstadt, Anfangs der 80er Jahre.
Die historischen Rekonstruktionen in städtebaulich dominanter Position sind ein schwächlicher Gegenentwurf gegen die Einkaufsstraßen der Innenstädte; meistens nichts als eine Verbrämung eines historischen Platzes (der den Krieg überstand) mit einer historischen Fassade. Im Falle Braunschweigs wurde sich hier selber ein Bein gestellt, aber was solls.

2. die Bemühung, durch Entmodernisierung glücklichere vormoderne Zeiten heraufzubeschwören. Ein bemerkenswerter Stumpfsinn bricht hier durchs dünne Eis der vernunftgemäßen Argumentation; zum einen sind die meisten der rekonstruierten Schlösser bereits "modern" (nämlich historisierende Zweckbauten des 19. Jahrhunderts), zum anderen ist es mit der Vormoderne wie mit der verlorenen Jungfernschaft: da kann man noch so lange leugnen und beten, sie kommt nicht mehr wieder. Das Hätscheln und Wiederherrichten postnapoleonischer Herrschaftssymbole versucht obendrein, einen zu Gummibändern zerschnittenen Fahrradschlauch zu flicken: aus den Resten eines obsoleten Adels, einer destruktiv-suprematistischen Ideologie und eines korrupten Bündnissystems lässt sich keine kulturelle Kontinuität herbeizaubern (oder, wenn es tatsächlich das Ziel wäre, würde es sich für Terrororganisationen rentieren, dieses Ziel zu bekämpfen).

3. die Bemühung, städtebauliches Gleichgewicht zu finden – die Baukrise nach dem 2. Weltkrieg füllte Deutschland mit einem Baustil, der in seiner Zeit keine solche Vollendung erreicht hatte, dass er das schiere Volumen des Baubedarfs decken konnte – vielerorts wurde auch die architektonische Moderne falsch verstanden, die Lust am Neu-Schaffen ganzer Städte ging auf Kosten der ohnehin schon zerstörten. Der Wiederaufbau von Stadtschlössern ist z. T. auch ein Gegensteuern gegen die krasse Brutalität, mit der z. B. in Dresden und Berlin ganze Stadtviertel platt gemacht wurden. Nun bringt ein "Humboldtforum" getauftes Schloss nicht die Stadtviertel der Karl-Marx-Allee wieder, noch gleicht ein Dresdner Schloss die Prager Straße aus. Aber der Wiederaufbau versucht, durch solche Kernakzente den eigentlichen Verlust – die historisch gewachsenen Altstädte – durch einen "historischen" Baukörper auszutarieren; die Stadt bleibt "modern", wird aber auch wieder "historisch". Tragischerweise beide Male nur in Gänsefüßchen, aber in einer ironischen Kultur nimmt man die schon gar nicht mehr richtig wahr, also, wen kümmerts? (Nb. In Frankfurt, das nie ein Schloß hatte, wird am Römerberg genau diese Innenstadt wiederaufgebaut, als Entschuldigung für die Zerstörungen nach dem Krieg – und eingehend auf das touristische Bedürfnis nach Altstadt in einer modernen Geldmetropole)

Glücklicherweise haben historisierende Baustile ein schlummerndes Talent: sie sind niedlich anzusehen, und wenn man die Bauwerke lange genug stehen lässt, sehen sie wirklich alt aus. Eine halbwegs sorgsam rekonstruierte Stadtschloßfassade sieht nach 30, 40 Jahren so "original" aus wie die Teilrekonstruktion des Xantener Hafentempels diesen in das bessere Erlebnis eines Tempels verwandelt als z. B. der Kapitolstempel in Pompeji. Moderne Bauwerke haben ein Problem mit Alterungserscheinungen – die Stile haben sich zu schnell zu entschieden gewandelt, als dass man stilistische Konstanten formulieren könnte; am ehesten lässt sich sowas noch bei Wolkenkratzern feststellen. Die "passen" aber auch nicht überall hin, und zum Glück hat die Wirtschaft nicht mehr genug Geld, um sie trotzdem überall hin zu stellen. Statt dessen: Schlösser. Nunja. Solange nicht auch noch Fürsten reingesetzt werden, soll es mir egal sein.

Nb. Hierzu könnte man endlos schreiben. Das hier ist nur das, was bei mir auf einer Durhschnittsbahnfahrt zw. Köln und Frankfurt hochspülte.
 
Aus aktuellem Anlass - der Architektenwettbewerb zum Berliner Stadtschloss-Wiederaufbau ist abgeschlossen - habe ich mir ein wenig die Seiten der SCHLOSSDEBATTE durchgelesen und erstaunt festgestellt dass es anscheinend einen Trend zum Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Schlösser gibt!

  • Das Schloss von Dresden ist ja übers fertig werden
  • Stadtschloss-Braunschweig entstand als Fassade eines Einkaufszentrums wieder
  • Stadtschloss Potsdam wird bereits geplant.
  • Schloss Herrenhausen in Hannover wird realisiert, ein entsprechender Beschluss wurde im niedersächischen Landtag gefasst.

Vielleicht gibt´s ja noch mehr solcher Projekte, anscheindend will nun jede Stadt wieder "ihr" Schloss haben (wie schon vor 300 Jahren).

Ich will da jetzt gar nicht werten, grundsätzlich ists ja was Gutes denn historische Architektur stiftet Identität. Aber die große Anzahl derartiger Projekte erstaunt mich nun doch etwas.


Zu den genannten kann ich nichts sagen.
Was mir bekannt ist, das Stuttgarter, das Karlsruher, das Mannheimer Schloss waren total zerstört.

Vom Stadtbild her musste man die aber wiederaufbauen. Kein Zweifel.

Dem Stgt. Neuen Schloss gegenüber war das Kronprinzenpalais, wesentlich weniger zerstört, hat man Anfangs der 60er ein engagiertes Projekt hingesetzt, Arbeitstitel "Planie-Durchbruch" später dann "kleiner Schlossplatz". Eine echte Katastrophe. Vom Missgriff her durchaus mit dem Palast der Republik vergleichbar.

In den Innenstädten der deutschen Großstädte ist bis 45 so immens viel zu Grunde gegangen, da ist so ein Wunsch, so eine Rekonstruktion verständlich.

Die Städte haben über weite Strecken jedes Gesicht, jeden Ausdruck verloren. Einheitsbrei der 50er60er.
Sehr schade.
 
Aus aktuellem Anlass - der Architektenwettbewerb zum Berliner Stadtschloss-Wiederaufbau ist abgeschlossen - habe ich mir ein wenig die Seiten der SCHLOSSDEBATTE durchgelesen und erstaunt festgestellt dass es anscheinend einen Trend zum Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Schlösser gibt!

  • Das Schloss von Dresden ist ja übers fertig werden
  • Stadtschloss-Braunschweig entstand als Fassade eines Einkaufszentrums wieder
  • Stadtschloss Potsdam wird bereits geplant.
  • Schloss Herrenhausen in Hannover wird realisiert, ein entsprechender Beschluss wurde im niedersächischen Landtag gefasst.
Vielleicht gibt´s ja noch mehr solcher Projekte, anscheindend will nun jede Stadt wieder "ihr" Schloss haben (wie schon vor 300 Jahren).
Schau Dir mal die Städte an, um die es geht! Das sind oder waren Hauptstädte. Das spielte bei Mannheim, Stuttgart (Neues Schloss) und Karlsruhe sicherlich nicht zuletzt eine Rolle. Wir Mitteleuopäer haben uns an repräsentative Gebäude in Innenstädten der wichtigen, großen Städte gewöhnt. Das ist auch gut so. Und nun klaffen hier und dort Wunden in der Stadt da eben solche Residenzschlösser immer noch viel mehr waren als nur ein Bezugspunkt und Identifikationsort für die Stadt selbst, es war auch ein Bezugspunkt für die ganze Region, ein primärer Handlungsort von Landesgeschichte, das Zentrum, wo Politik ersten Ranges gemacht wurde. Hier haben wir allerdings ein Bewusstsein, das für Wiederaufbau in Großstädten spricht, während Baudenkmäler in der Fläche nicht von der selben Beachtung profitieren können. Aber da muss man sicherlich vorsichtig sein, denn dieses Thema ist auch immer wieder Landespolitik - Tagespolitik.
 
Stimmt mit Sicherheit.
Karlsruhe ohne Schloss, undenkbar. (Schaut Euch mal einen Stadtplan an, das geht nicht ohne)
Von daher ich denke mal, dass das Ensemble durchaus auch eine Rolle spielt.

Trendsport hin oder her, es gibt mit Sicherheit dümmere Arten die Steuergelder zu verpulvern.
 
Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe - natürlich auch München mit der Residenz - all diese Projekte sind vollständig nachvollziehbar und auch aus dem Geist der Nachkriegszeit (meines Wissens waren die meisten dieser Projekte in den 60er Jahren abgeschlossen) erklärbar.

Mich überrascht eher diese Dichte der Wiederaufbauprojekte heute. Sehr interessant fande ich dazu den Beitrag von Mummius, vor allem den 2. Punkt daraus. Aus der österreichischen Perspektive ist Deutschland eines der modernesten und aufgeschlossensten Länder der Welt, dieser Rückgriff stellt sich, würde man Mummus Argumentation folgen, eigentlich als Widerspruch dazu dar.

Interessant ist auch die Lust am Wiederaufbau inzwischen auch andere Länder erfasst hat. In Frankreich gibts sogar eine Initiative zur Wiedererrichtung der Tuilerien die in Argumentation auf das Berliner Schloss-Projekt Bezug nehmen.
 
Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe - natürlich auch München mit der Residenz - all diese Projekte sind vollständig nachvollziehbar und auch aus dem Geist der Nachkriegszeit (meines Wissens waren die meisten dieser Projekte in den 60er Jahren abgeschlossen) erklärbar.

Mich überrascht eher diese Dichte der Wiederaufbauprojekte heute. Sehr interessant fande ich dazu den Beitrag von Mummius, vor allem den 2. Punkt daraus. Aus der österreichischen Perspektive ist Deutschland eines der modernesten und aufgeschlossensten Länder der Welt, dieser Rückgriff stellt sich, würde man Mummus Argumentation folgen, eigentlich als Widerspruch dazu dar.

Interessant ist auch die Lust am Wiederaufbau inzwischen auch andere Länder erfasst hat. In Frankreich gibts sogar eine Initiative zur Wiedererrichtung der Tuilerien die in Argumentation auf das Berliner Schloss-Projekt Bezug nehmen.


Eigentlich erst erklärbar mit dem überaus gelungenen Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden.

Wobei man das nicht vollständig vergleichen kann, das Stgt. Neue Schloss zB ist im Innern ein moderner Bürobau
 
Mich überrascht eher diese Dichte der Wiederaufbauprojekte heute. Sehr interessant fande ich dazu den Beitrag von Mummius, vor allem den 2. Punkt daraus. Aus der österreichischen Perspektive ist Deutschland eines der modernesten und aufgeschlossensten Länder der Welt, dieser Rückgriff stellt sich, würde man Mummus Argumentation folgen, eigentlich als Widerspruch dazu dar.
Österreich hat auch noch in den Städten der alten Regierungen wie Wien, Linz und Innsbruck haben auch noch ein adäquates Schloss. Das zum einen, zum anderen fehlte dort wohl die Teilung wie in der BRD, welche sicherlich manches Wiederaufbauen antrieb.
 
Eigentlich erst erklärbar mit dem überaus gelungenen Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden.

Wobei man das nicht vollständig vergleichen kann, das Stgt. Neue Schloss zB ist im Innern ein moderner Bürobau
In Karlsruhe ist es ein morderner Museumsbau.

Nur in Mannheim und das noch dieser Tage, wird eine umfangreiche Rekonstruktion unternommen bzw. zu großen Teilen abgeschlossen.:)
 
Am Beispiel der im WK II vollständig zerstörten Pforzheimer Innenstadt, kann man sehr schön sehen, dass historisierende Bauten dem Stadtkern durchaus ein wenig Flair zurückgeben kann. Während in weiten Teilen der City noch die Zweckbauten der 50er und 60er dominieren haben zwei Neubauten, nämlich die der "Schmuckwelten" und der "Schlössle-Galerie" ganz neue Akzente gesetzt ohne wirklichen historischen Bezug zu haben. Beide haben keinen Repräsentationszweck sondern sind Geschäftgebäude, passen aber hervorragend in das verschiedentlich erhaltene Ensemble aus der Vergangenheit der Stadt und fügen sich passend in das Gesamtbild der Stadt ein.
 
Wie schon gesagt: historisierende Stile haben die hervorragende Eigenschaft, historisch gewachsen auszusehen, auch wenn sie herbeikonfabulierter Blödsinn sind (z. B. das Schloss in Schwerin). Die Moderne hat noch keine Tradition geschaffen, die diese "Freude am schönen Alten" hervorriefe (neben einer gewissen Nierentischbegeisterung). Vielleicht ist es auch die Frage, inwieweit eine rückwärts orientierte Geisteshaltung Freude am schönen neuen hat bzw. wie die vorwärts orientierte Geisteshaltung der Moderne mit ansehen kann, wie die realisierten Utopien auf einmal Patina und Muff ansetzen. Das meine ich mit Traditionseingebundenheit moderner Bauten: wo sie nicht wirklich gut gelungen sind, wirken sie nach ein paar Jahrzehnten lächerlich und alt. Und lassen die stilistisch und ideologisch alten und lächerlichen Wilhelminismen toll und schön erscheinen, dabei war diese Zeit in dieser Hinsicht so hilflos wie ein Baby: wenn ein Haus gebaut werden sollte, fragten die Architekten allen Ernstes "In welchem Stile sollen wir bauen?" – was dann zu romanischen Bahnhöfen, gotischen Gerichten und Flügeltüren zu 9-Quadratmeter-Zimmern führte.

Ich habe aber kein Problem mit Rekonstruktionen, zumal von "wirklichen" historischen Bauprojekten (die Frauenkirche entspricht z. B. in ihrem heutigen Bauzustand den Originalplänen mehr als es die "echte" Kirche tat); die bizarre Stil- und Bauwut der 50er-00er Jahre ist ein architekturhistorisches Ausnahmephänomen, auch wenn es Megalomanie oder Neomanie in solchen Projekten wie dem Kölner Dom (inkl. seiner "Vollendung") und z. B. dem Trajansforum schon immer gab.
Womit ich ein Problem habe, ist Vergangenheit durch solche Rekonstruktionen zu idealisieren – nichts anderes wurde z. B. durch das Cinderella-Schloß in Schwerin getan; die Pseudogotik zitiert eine nie dagewesene feudale Landesherrlichkeit herbei. Rekonstruktionen zu rekonstruieren ist allerdings der größtmögliche Mumpitz, den man als Bauherr veranstalten kann.
 
Stutt

Mich überrascht eher diese Dichte der Wiederaufbauprojekte heute. Sehr .


Ich würde, wie gesagt, die Frauenkirche als ganz wichtigen Auslöser sehen.

Wird ja immer wieder wegen Überfüllung geschlossen. Macht Investoren hellhörig.

Abgesehen davon, die Tradition ist lang, Neuschwanstein, Burg Hohenzollern, Schloss Lichtenstein um nur ein paar zu nennen.
Sind doch die Turisziele überhaupt. Die spielen richtig Geld rein.

Und wie MP schon schrieb, Kölner Dom und Ulmer Münster sind soooooo authentisch auch nicht.
 
Ich wollte noch schnell zwei Bilder nachreichen, zum einen das Industriehaus am Leopoldplatz in Pforzheim (Bild links), das einen Teil der Schmuckwelten bildet. Zum anderen die Schlössle-Galerie, die obwohl auf den ersten Blick wirklich modern designed hervorragend ins Ensemble passt, was wohl vor allem auf die Verwendung des traditionellen Sandsteins zurückzuführen ist. Auf den ersten Blick wirkt das im Bild nicht so, aber live schon. Vor allem wenn man dann noch die Bausünden in der Umgebung im Vergleich sieht.

Übrigens sehe ich die Frauenkirche auch als wirklich gelungene Rekonstruktion, hinter der auch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stand und steht. Ich glaube über die "Rekonstruktionen" und "historischen" Neubauten der Romantik läßt sich sicher streiten, aber ich empfinde Neuschwanstein als Kitsch und das Hermannsdenkmal... ach lassen wir das.
 

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Ich hab mir am Wochenende ein wenig das Projekt Braunschweiger Schloss angesehen (natürlich nur online) und ich weiß echt nicht was ich dazu sagen soll. Zum einen ist die Fassade ja gut gelungen und viel Originalbausubstanz konnte dafür verwendet werden. Auch die Rekonstruktion der Quadriga ist imposant und beeindruckend.
Aber irgendwie hat diese Kombination aus Schlossfassade und dem dahinterliegenden Einkaufszentrum etwas mehr als Potemkinsches. Man schreitet durch das gewaltige Entree und steht vor einer "New Yorker"-Filiale.

Ist jemand aus dem Forum vielleicht schon dort gewesen? Wie wirkt das ganze wenn man in Natura davor steht?
 
..... Zum anderen die Schlössle-Galerie, die obwohl auf den ersten Blick wirklich modern designed hervorragend ins Ensemble passt, was wohl vor allem auf die Verwendung des traditionellen Sandsteins zurückzuführen ist.

Dieser Trend fällt mir auch bei profaner Wohnbebauung positiv auf. Man baut modern oder vielleicht eher zeitlos, wieder maximal vierstöckig und versucht die Elemente der Umgebung aufzunehmen, so zB den in Norddeutschland traditionellen roten Klinker.


..... Übrigens sehe ich die Frauenkirche auch als wirklich gelungene Rekonstruktion, hinter der auch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung stand und steht. Ich glaube über die "Rekonstruktionen" und "historischen" Neubauten der Romantik läßt sich sicher streiten, aber ich empfinde Neuschwanstein als Kitsch und das Hermannsdenkmal... ach lassen wir das.

Naja, jede Epoche hat ihre Entgleisungen, wir haben uns in den 70ern etliche aus Beton geleistet. Zur Zeit entgleisen wir gern in Glas und Stahl........ ich kann die wenigen Architekten schon verstehen, die nicht etwas "noch nie dagewesenes" bauen wollen, sondern etwas gewünschtes, bewährtes.
 
Ich würde vorsichtig sein die Architektur der Romantik als "Rekonstruktion" zu sehen, ganz im Gegenteil, wir haben es hier mit einem eigenständigen Stil zu tun. Sowohl ein Viollet-le-Duc als auch ein Friedrich von Schmidt sahen sich zwar in der Tradition der gotischen Architektur, waren sich aber sehr wohl bewusst dass sie etwas Neues schufen. Auch Neuschwanstein ist etwas gänzlich neues und die Baumeisters des Schlosses hatten kein Problem dabei neueste Technik oder Dekor einfließen zu lassen (und Neuschwanstein ist zu Recht eine Ikone geworden, gefallen oder nicht, es ist ein geniales Stück Architektur das der Kini da in die Berge stellen hat lassen).

Was hingegen jetzt passiert ist eben kein romantisierendes Weiterbauen sondern der Versuch architektonische Klone zu schaffen (zumindest in der Aussenwirkung). Ich bin ja absolut dafür dass man diese "Wahrzeichen" wieder erstehen lässt - aber zumindest sollte auch das Nutzungskonzept bzw. die Innengestaltung harmonieren. Oder nicht? Oder ists ohnehin egal weil es sich nur um Kulissen handelt?

Einkaufen in Braunschweig Willkommen in den Schloss-Arkaden Braunschweig - was sagt ihr dazu?
 
Ich würde vorsichtig sein die Architektur der Romantik als "Rekonstruktion" zu sehen, ganz im Gegenteil, wir haben es hier mit einem eigenständigen Stil zu tun. Sowohl ein Viollet-le-Duc als auch ein Friedrich von Schmidt sahen sich zwar in der Tradition der gotischen Architektur, waren sich aber sehr wohl bewusst dass sie etwas Neues schufen. Auch Neuschwanstein ist etwas gänzlich neues und die Baumeisters des Schlosses hatten kein Problem dabei neueste Technik oder Dekor einfließen zu lassen (und Neuschwanstein ist zu Recht eine Ikone geworden, gefallen oder nicht, es ist ein geniales Stück Architektur das der Kini da in die Berge stellen hat lassen).

Du hast mit den Rekonstruktionen sicher recht, aber mir fiel kein anderes Wort dafür ein, richtiger wäre mit Sicherheit angelehnt oder idealisierend. Imho ist aber auch nicht jeder neue Stil gut, auch wenn er natürlich seine Zeit charakterisiert. Ich könnte mir vorstellen, dass auch die Zeitgenossen die neuen Stile nicht immer toll fanden, egal jetzt welche bzw. man hat auf die vergangenen Baustile mit Verachtung oder einem milden Lächeln herabgeblickt. Ich will da aber auch niemand was vorschreiben, Architekturgeschmack ist nunmal auch Geschmack und über den läßt sich bekanntlich nicht streiten.
 
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