Schwarze Legende des Deutschen Orden

PostmodernAtheist

Aktives Mitglied
Ich würde gerne wissen inwiefern der deutsche Orden seinen schlechten Ruf verdient, grade jetzt wo ich das eher pro-deutsche Buch "Heinrich von Plauen", wohlgemerkt ein Roman, lese. Es wäre einfach zu sagen, dass der Orden nicht brutaler war als die Templer etc, aber grade im östlichen Raum hat er doch schlechte Presse. Immerhin ist er verantwortlich für das verschwinden einiger Ethnien aus dem Lauf der Geschichte. Außerdem meine ich mal etwas von einem großen Massaker (in Danzig?) gehört zu haben. Selbst das eigentlich ideologisch neutrale Videospiel Medieval II: Total War, das ich als Kind gerne gezockt habe, beschreibt den Orden kurzum als "rabiat". Was ist denn daran drann?
 
Ich würde gerne wissen inwiefern der deutsche Orden seinen schlechten Ruf verdient, grade jetzt wo ich das eher pro-deutsche Buch "Heinrich von Plauen", wohlgemerkt ein Roman, lese. Es wäre einfach zu sagen, dass der Orden nicht brutaler war als die Templer etc, aber grade im östlichen Raum hat er doch schlechte Presse.

Das ist angesichts der Herrschaftsstrukturen, die er durch Import einer neuen sozialen Elite in Form der Ritterschaften auf Jahrhunderte etablierte und der Tatsache, dass die Geschichtsschreibung des letzten Jahrhunderts noch weitgehend nationalen Paradigmen folgt, auch nicht verwunderlich.
Zeitweilig ist das von verschiedenen politischen Systemen auch politisch ausgeschlachtet worden. Wir hatten hier im Forum vor einiger Zeit mal eine Diskussion über angebliche Ereignisse bei der Eroberung von Pskow durch den Orden, in Verbingung mit einem entsprechenden sowjetischen Propaganda-Machwerk, namentlich "Aleksandr Newskij" von Sergej Eisenstein.

Immerhin ist er verantwortlich für das verschwinden einiger Ethnien aus dem Lauf der Geschichte.

Das wird man ihm mit Recht kaum vorwerfen können. Richtiger ist, dass die altprussischen Gruppen einfach weitgehend kulturell in der Vermischung mit den ins Land gekommenen Deutschen aufgegangen sind.

Die letzten sprachlichen Zeugnisse des Altprussischen datieren auf das 17. Jahrhundert, da war der Deutsche Orden in Preußen bereits seit über 100 Jahen Geschichte.


Außerdem meine ich mal etwas von einem großen Massaker (in Danzig?) gehört zu haben.

Auch über solches ist sich an andere Stelle schon auseinandergesetzt worden. Das im Zuge einer Erstürmung, mitunter Blutaten angerichtet wurden, ist für das gesamte Mittelalter auch teile der frühen Neuzeit zwar nichts alltägliches. aber es stellt auch keine ausgesprochene Besonderheit dar.


Auch ist ausuferndes Plündern und Gewalt (was in den damaligen Rechtsvorstellungen bei einer Erstürmung nichts unrechtes war), von einem Massaker im Sinne eines gezielten Pogroms zu unterscheiden.
Zumal das nicht die Zeiten soldatischer Disziplin im modernen Sinne sind. Es ist ja bereits in der Neuzeit mitunter den Offizieren schwer gefallen ihre Truppen diszipliniert und im Zaum zu halten.
Um so mehr in Zeiten, als es keine festen Heeresstrukturen, Disziplinarreglements etc. gab und man den Kriegern zumutete, mitunter unter witterungstechnischen Extrembedingungen, Nahrungs- und Wassermangel monatelange Belagerungen zu führen und dann unter massiver Gefahr für das eigene Leben noch zu stürmen.

Selbst das eigentlich ideologisch neutrale Videospiel Medieval II: Total War, das ich als Kind gerne gezockt habe, beschreibt den Orden kurzum als "rabiat". Was ist denn daran drann?

Also wenn ich das etwas dramatisierende Intro von damals noch richtig im Kopf habe, sprach es genau genommen von den "rabiaten Rittern des deutschen Ordens", nicht von einem deutschen Orden an und für sich.
Dass das Rittertum des Mittelalters mitunter an und für sich etwas rabiat war, halte ich jetzt für keine besondere Erkenntnis.

Mal abgesehen davon, wenn du das Spiel gespielt hast, ist dir ja auch klar, dass es für jede spielbare Fraktion ein mitunter etwas martialisches Intro-Video gibt.
Und auch ein Blick in diese Videos und die Darstellungen im Spiel an und für sich zeigt doch recht deutlich, dass es da eher um Action und Animation geht, als um historische Tatsachen.

Ich meine wir reden von einem Spiel bei dem, auch in den Dialogen kein einziger HRR-Charakter einen Satz sprechen kann (ich überzeichne jetzt), in dem nicht wenigstens 3 Mal das Wort "Reich" genannt wird, in dem alle französischen Charaktäre als ziemlich affektiert und arrogant dargestellt werden und in dem gepanzerte Schwertkämpfer in Quadratformation durch die Gegend laufen und Aufeinandertreffen von einheiten nicht etwa so aussieht, dass beide in einer gewaltigen caramboulage auf einander rennen und sich gegenseitig erdrücken, sondern so, dass sich die ersten reihen der Formationen bzw. deren Einzelkämpfer in hübsch animierten Zweikämpfen gegenüberstehen.
Das ist ein Spiel, in dem man Meuchelmördern regelmäßigen Unterhalt bezahlt und gleichermaßen problemlos Hexen und Päpste umbringen lassen kann.
Allein das und schon die Bezeichnung des Spiels "Medieval II, Total War", sollte doch hinreichend deutlich machen, was Ansprüche auf historische Autentizität angeht.

Ist eben ein ganz nettes, die Phantasie anregendes Strategiespiel. Hat aber nicht viel mit historischen Tatsachen zu tun.
 
Ich würde gerne wissen inwiefern der deutsche Orden seinen schlechten Ruf verdient, grade jetzt wo ich das eher pro-deutsche Buch "Heinrich von Plauen", wohlgemerkt ein Roman, lese.
du könntest als Leseratte einen anderen Roman lesen, welcher den deutschen Orden gehörig negativ darstellt:Die Kreuzritter (Roman) – Wikipedia

Natürlich ist damit nicht gesagt, dass diese beiden Romane historische Fachliteratur seien oder gar dass einer davon richtig liege und der andere falsch - aber du hättest unterhaltsam zwei konträre literarische Perspektiven.

Selbst das eigentlich ideologisch neutrale Videospiel Medieval II: Total War, das ich als Kind gerne gezockt habe, beschreibt den Orden kurzum als "rabiat".
totaler Krieg (total war) im Mittelalter und ideologisch neutral - man lernt nie aus... ;)
 
du könntest als Leseratte einen anderen Roman lesen, welcher den deutschen Orden gehörig negativ darstellt:Die Kreuzritter (Roman) – Wikipedia

Natürlich ist damit nicht gesagt, dass diese beiden Romane historische Fachliteratur seien oder gar dass einer davon richtig liege und der andere falsch - aber du hättest unterhaltsam zwei konträre literarische Perspektiven.

Sienkiewitz war ein Meister des Genres historischer Roman, und "Quo Vadis" merkt man an, dass sein Verfasser die antiken Quellen (Tacitus, Sueton, Plinius und Petronius) gut kannte und mit großer Souveränität klassische Zitate einflicht. Er wurde vor allem für "Quo Vadis" mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.

Als "Sittengemälde" oder realistische Skizzierung des neronischen Roms ist Quo Vadis freilich ungeeignet. Dem Lesevergnügen tut das freilich keinen Abbruch. Die "Kreuzritter" sind natürlich auch im Zusammenhang und vor dem Hintergrund der polnischen Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts zu betrachten.

Die Beurteilung des Deutschen Ordens ist natürlich auch abhängig vom Blickwinkel des Betrachters. Im deutschsprachigen Raum wurde der Deutsche Orden bis zum Ende des 2. Weltkriegs überwiegend positiv beurteilt. Es wurde dem Orden eine Vorreiterrolle als Kolonisatoren der Ostgebiete zugeschrieben.

Bei der Erwähnung Sienkewicz fällt mir aber noch ein anderer Klassiker von einem "Großen" der Filmgeschichte ein:

Alexander Newski von Sergej Eisenstein. Eisenstein hatte mit Panzerkreuzer Potemkin die Filmgeschichte revolutioniert, und sein Werk über die Oktoberrevolution schuf so etwas wie eine sowjetische Ästhetik. In Alexander Newski inszeniert Eisenstein eine Schlacht auf dem zugefrorenen Peipussee zwischen dem deutschen Orden und dem russischen Heer Alexander Newskis. Die Geschichtswissenschaft ist sich nicht ganz einig, ob diese Schlacht wirklich historisch war.

Der Film war ein Meilenstein, brachte aber den Regisseur in Schwierigkeiten. Als Eisenstein den Film drehte, war die Berichterstattung über Deutschland negativ, plötzlich aber drehte sich der Wind, und mit dem Hitler-Stalin-Pakt waren Deutschland und die SU plötzlich Verbündete, und die Presse drehte sich um 180 °.
 
Die Beurteilung des Deutschen Ordens ist natürlich auch abhängig vom Blickwinkel des Betrachters. Im deutschsprachigen Raum wurde der Deutsche Orden bis zum Ende des 2. Weltkriegs überwiegend positiv beurteilt. Es wurde dem Orden eine Vorreiterrolle als Kolonisatoren der Ostgebiete zugeschrieben.

Ich denke, da wird man unterscheiden müssen.
Eine positive Beurteilung des Ordens hatte sicherlich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts mit dem Aufkommen der Wirkmächtigkeit der Nationalgeschichte, der Kolonialbegeisterung und der sozialdarwinistischen Vorstellung des "Drangs nach Osten" und der eingebildeten paradigmatischen Auseinandersetzung zwischen "Germanentum" und "Slawentum" ihre Konjunkturen.

Noch im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert wird eine solche Lesart nicht unbedingt en vogue gewesen sein und dass der katholischen Kreuzfahrerorden, sich im doch ganz überwiegend lutherischen Preußen in den Erzählungen besonderer Beliebtheit erfreute, wird man bezweifeln dürfen.
Im Besonderen nachdem ja ein gewisser Dr. Martin Luther aus Wittenberg höchst selbst im Sinne einer Säkularisation auf den letzten Hochmeister Albrecht von Brandenburg-Ansbach eingewirkt und damit gegen den Ordensstaat votiert, möglicherweise einen Anteil am Entstehen des Hzm. Preußen aus den südlichen Ordensterritorien (Livland bestand ja noch etwas darüber hinaus) hatte.

Jedenfalls im protestantischen Deutschland dürfte der Deutschordensstaat vor dem Aufkommen nationaler Paradigmen keine besonders gute Presse gehabt haben.
Weil Manifestation katholischer Machtansprüche und Missionierungsabsichten usw.
Auch vor dem Hintergrund der Aufklärung und der zunehmenden Infragestellung der weltlichen Macht der Kirche im ausgehenden 17. und 18. Jahrhundert, dürfte die zutiefst religiös verbandelte Ordensherrschaft kein politisches Vorzeigeprodukt mehr gewesen sein.
 
Nun ja, die Brutalität dürfte sich bei allen Beteiligten an einem Scharmützel im üblichen Rahmen der jeweiligen Epoche gehalten haben. Geschenkt hat man sich vor der Haager Landkriegsordnung nix und die "Zivilbevölkerung" war gerade bei Belagerungen in die Kampfhandlung mit eingebunden..eine Differenzierung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten gab es vorher schlicht nicht.
Und zum politischen Ausschlachten in der ex ante-Betrachtung unter nationalistischen Gesichtspunkten wurde ja schon einiges gesagt.
Dass im protestantischen Deutschland der Deutsche Orden und der Deutschordensstaat keine besonders gute Presse gehabt hätte würde ich allerdings so nicht sehen. Grosse Teile der Ordensballeien,gerade im Norden konvertierten ja recht schnell unter brandenburgisch-preussischer Führung zum Protestantismus und Brandenburg selbst war eine der protestantischen Mächte.Insofern war der Orden als einer der "Rechtsvorgänger" bei den Protestanten eher positiv besetzt. Hinzu kam, dass der Orden ja in der Vergangenheit die auch während der Reformation erzkatholisch gebliebenen Polen und Litauer bekämpft hatte.
Insofern war der Orden bei den Protestanten eher positiv besetzt- das zeigt sich nicht zuletzt an der Übernahme von Ordenskreuz (schwarzes Kreuz auf weissem Grund) und Farben in die Hoheitszeichen von Brandenburg-Preussen.
Die negativen Bewertungen kamen im wesentlichen aus dem Bereich Polen,Baltikum und später auch Russland.
 
Vielleicht täuscht mich ja meine Erinnerung, ich verliere in diesem Forum leicht den Faden, aber hatten wir dieses Thema nicht schon, @PostmodernAtheist? In dem Strang über im Spätmittelalter spielende Romane?

Es gibt in meinen Augen jedenfalls nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass der Deutsche Orden brutaler Krieg führte als irgendein anderer Akteur des Mittelalters. Selbst dass der Orden Krieg als Selbstzweck führte, ist kein Alleinstellungsmerkmal, den gleichen Vorwurf könnte man der ganzen Ritterschaft machen.

Man kann ihm vorhalten, dass er an der Kreuzzugsideologie selbst dann festhielt, als Litauen christianisiert war, aber das geschah vor allem aus Gewinn- und Machtstreben; der Orden brauchte einen Gegner. Polnische Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts haben zu Unrecht daraus einen anti-slawischen Rassismus abgeleitet.

Denn die Jagiellonen und ihre Untertanen waren beileibe nicht die einzigen Bekehrten, die von ihren christlichen Nachbarn der Apostasie verdächtigt wurden. Schon Jahrhunderte zuvor waren die Franken den Sachsen und Dänen mit ähnlichem Misstrauen begegnet. Ähnliches geschah im Nachgang der Reconquista, noch im 17. Jahrhundert sahen sich die Nachkommen konvertierter Muslime Anfeindungen ausgesetzt.

Was 'Die Kreuzritter' und 'Heinrich von Plauen' angeht, sind beide Autoren Kinder ihrer Zeit und ihrer persönlichen politischen Überzeugungen. Keiner der beiden zeichnet ein verlässliches Bild der Realität im Ostseeraum des frühen 15. Jahrhunderts, was aber nicht heißt, die Wirklichkeit läge einfach in der Mitte. Persönlich halte ich Ernst Wichert tatsächlich für den besseren, zuverlässigeren Chronisten.

Anders als der Kleinpole Henryk Sienkiewicz war Wichert in Ostpreußen geboren; als Heimatforscher und Königsberger Richter mit Zugriff auf die Staatsarchive hatte er einen besseren Einblick in das Land und in dessen Zeugnisse seiner eigenen Geschichte. Außerdem spart er nicht mit Kritik am Orden oder mit deutschen Antagonisten, während Sienkiewicz eigentlich auf keinen Polen etwas kommen lässt.

Ich weiß nicht einmal, ob ich unterschreiben würde, dass 'Heinrich von Plauen' "pro-deutsch" gewesen sei. "Pro-preußisch" und "pro-protestantisch" trifft es vielleicht eher. Deutschland, das ist für Wichert ein dysfunktionales, rückwärtsgewandtes Reich, regiert von tyrannischen Duodezfürsten und korrupten Klerikern, während in Preußen bescheidene Strebsamkeit und religiöse Toleranz daheim gewesen seien.

Sienkiewicz hingegen ist polnisch-nationalistisch beeinflusst. Er übertragt den Nationalstaatsgedanken ins Mittelalter, der Orden ist für ihn ein Vorläufer für oder sogar identisch mit späteren Aggressionen fremder Mächte, die Polen noch bedrängen würden. Ulrich von Jungingen ist bei ihm ein geharnischter Wilhelm II., die deutschsprachigen Preußen könnten alle auch im Stechschritt durch Zabern marschiert sein.

Dieser Kontrast dürfte an der unterschiedlichen Zielsetzung liegen. Sienkiewicz war einer der großen polnischen Schriftsteller und Sprecher jener Polen, die sich mit Recht gegen die Bevormundung durch das Ausland wehrten (Stichwort polnische Teilungen), und er versorgte diese mit einem veritablen Nationalepos. Wichert hingegen war ein nicht unbedeutender, aber keineswegs überragender Autor von Heimatromanen.
 
Insofern war der Orden als einer der "Rechtsvorgänger" bei den Protestanten eher positiv besetzt.
Darf man auch fragen, woher du diese Idee nimmst?

Hinzu kam, dass der Orden ja in der Vergangenheit die auch während der Reformation erzkatholisch gebliebenen Polen und Litauer bekämpft hatte.

Polen und Litauer in der frühen Neuzeit erzkatholisch? Dir ist aber klar, dass der polnisch-litauische Reichsverband sich bis in die Ostukraine und weit nach Weißrussland hinein erstreckte, wo selbstredend der größte Teil der Bevölkerung dem orthodoxen Ritus anhing?
Dir ist selbstverständlich ebenfalls bekannt, dass es zu keinerlei Repression der Protestanten in Westpreußen kam, dass man im Rahmen der Kirchenunion von Brest auch sehr bemüht darum war eine Ausgleich zwischen Katholiken und Orthodoxen zu schaffen, so wie der sehr große jüdische Bevölkerungsanteil, gerade in Polen?

Erzkatholisch ist was anderes. Das mag auf das heutige Polen bzw. Polen und Litauen nach dem Abhandenkommen ihrer östlichen Gebiete ja viellleicht einigermaßen zutreffen.
Aber auf die Zeit vor den Teilungen sicherlich nicht.

Insofern war der Orden bei den Protestanten eher positiv besetzt- das zeigt sich nicht zuletzt an der Übernahme von Ordenskreuz (schwarzes Kreuz auf weissem Grund) und Farben in die Hoheitszeichen von Brandenburg-Preussen.
Ähm, zum einen sind mir solche Hoheitszeichen nicht bekannt, zum Anderen warum sollte das ein Indiz für beliebtheit in der Bevölkerung sein?
Es wäre allenfalls ein Hinweis auf die Territorien aus denen das, was danach kam, sich mal zusammensetzte.

England führte noch bis zu seinem Aufgehen im Vereinigten Königreich und selbiges bis heute die Fleur-de-lis auf blauem Grund im Hoheitszeichen:

Müsste man demnach annehmen die Bevölkerung hätte sich über all die Jahrhunderte eigentlich für Franzosen gehalten, die Franzosen wären zu jeder Zeit besonders beliebt gewesen oder das Vereinigte Königreich würde sich noch heute als Rechtsnachfolger Frankreichs verstehen?
Das halte ich für ziemlich weit hergeholt.
 
Polen blieb in der frühen Neuzeit auch in seinem Kernland nicht "erzkatholisch". Vor allem in den Städten verbreitete sich die Reformation früh und rasch, zum Teil getragen von Gelehrten, die in Deutschland studiert hatten, unterstützt auch von manchen Magnaten und höfischen Kreisen. König Sigismund II. August stand dem Protestantismus recht wohlwollend gegenüber, wenngleich er selbst nicht konvertierte. 1573 brachte die "Warschauer Konföderation" die formale Anerkennung. Sigismund III. war wieder klar katholisch, und die auch hier von den Jesuiten angetriebene Gegenreformation konnte ab dem 17. Jhdt. die protestantischen Strömungen wieder zurückdrängen.
 
Im 16. Jhdt. dürfte Polen eines der religiös tolerantesten Gebiete Europas gewesen sein. Der Zweite Nordische Krieg in der zweiten Hälfte des 17. Jhdts. (auch als Teilkriege Polnisch-Schwedischer Krieg und Russisch-Polnischer Krieg) änderte diesen Zustand, weil das protestantische Schweden fast ganz Polen besetzte und weitere Mächte die polnische Schwäche nutzten, u.a. das orthodoxe Russland. Diese Kombination aus konfessionell zu identifizierenden Feinden und dass die Klosterfestung Jasna Góra/Częstochowa der schwedischen Belagerung standhielt, führte zum polnischen Nationalkatholizismus: einmal das Wunder von Jasna Góra und zum anderen, dass fortan jeder der nicht katholisch war als vierte Kolonne wahrgenommen wurde. Der Seitenwechsel der verbündeten sunnitischen Krimtataren einige Jahre später, verschärfte die konfessionell-nationalistische Selbstwahrnehmung noch.
 
Jetzt wird es mir doch etwas arg off topic. Sorry.

Also, können wir mal zusammenfassen? Der Deutsche Orden hat seinen schlechten Ruf in Osteuropa nicht verdient und wer das Gegenteil behauptet, das Polen irgendwie "moralisch überlegen" war erzählt Quatsch? Weil ich mein ich hab da mal in die Richtung gehört. Eben verbunden mit der gewaltsamen Verbreitung des Glaubens. Ein Film über Prussen Rebellen Herkus Monte widmete sich sogar diesem "verschwundenen" Volk. Also waren die Prussen gar nicht verschwunden, sondern nur "integriert" in den Ordensstaat?
 
Also waren die Prussen gar nicht verschwunden, sondern nur "integriert" in den Ordensstaat?

"Aus der Reformationszeit sind dann drei Katechismen erhalten, die unter Albrecht von Brandenburg-Ansbach angelegt wurden. Die Übersetzungen des Lutherischen Katechismus erschienen 1545 (I. und II. Katechismus) und 1561 (III. Katechismus) in Königsberg. Während der I. und II. Katechismus von unbekannten Verfassern stammen, kann für den III. Katechismus Abel Will, Pfarrer an der Kirche Pobethen (russisch: Romanowo) als Verfasser benannt werden. Dieses Enchiridion ist für die Erforschung des Altpreußischen aufgrund des größeren Umfangs und der Markierung von Intonations- und Akzentverhältnissen besonders wichtig. Die drei Katechismen werden dem samländischen Dialekt zugeordnet. Besonders im Enchiridion machen sich jedoch deutliche deutsche Einflüsse bemerkbar.

Neben den drei Paternostern dieser Katechismen ist noch der 1938 entdeckte Anfang eines vierten altpreußischen Paternosters (15. Jahrhundert) bekannt. Die von anderen Autoren stammenden angeblich altpreußischen Paternoster sind entweder korrumpiertes Lettisch oder Litauisch"

Altpreußische Sprache – Wikipedia


So. Nun stellen wir uns einfach mal die Frage, warum, wenn das Altprussische schon zu Zeiten des Deutschen Ordens als signifikante, lebendige Sprache verschwunden wäre, man noch 1545, also 20 Jahre nach dem Ende des Ordensstaates auf die Idee hätte kommen sollen, den lutherischen Katechismus ins Altprussische zu übersetzen und zu drucken oder warum man (Obrigkeit) überhaupt den Druck eines solchen übersetzten Katechismus hätte genehmigen sollen, wenn man darauf aus gewesen wäre eine (physische) Vertilgung der prussischen Kultur in irgendeiner Form herbeizuführen?
Das ist nun wirklich ganz großer Kokolores.

Was die alteingesessene Bevölkerung angeht, so vermischte sich diese über die Jahrhunderte zunehmend mit den Siedlern, die der Ordensstaat aus dem Reich angeworben hatte, zwecks Urbarmachung weiterer Gebiete, Infrastruktur etc.

Außerhalb der Phantasie von Leuten mit bestimmten politischen Ideen, kommt es einmal nicht vor, dass Menschen mit verschiedenen kulturellen Hintergründen über Jahrhunderte feinsäuberlich von einander separiert bleiben.
Das wirst du nirgendwo auf der Welt finden.

Zumal in Gebieten mit dörflichen Strukturen, mit nicht selten < 100 Einwohnern, die letztendlich alle Mitglieder der dort lebenden 2-3 Großfamilien waren.
Hast du eine Vorstellung, was passiert, wenn in solchen Strukturen, die Leute aus Dorf X über Generationen immer wieder in die benachbarten Dörfer Y und Z einheiraten und umgekehrt?
Das gibt Inzestschäden ohne Ende.
Und die eigenen Nachkommen um sowohl dieses Problem zu vermeiden, als auch sie nicht an die Nachbarn, deren Sprache man vielleicht nen bisschen seltsam findet verheiraten zu müssen, irgendwo an den Anus der Welt zu verheiraten funktionierte in mittelalterlich-dörflichen Strukturen auch nicht.
Schließlich wollte man in einer Zeit ohne Versicherungen, Krankenversorgung, Katastrophenhilfe etc. im Fall von Schicksalschlägen, die Familie und Verwandschaft, wenn es darauf ankam zackig zusammentrommeln können, um Hilfe zu bekommen.
Das hätte nicht mehr funktioniert, wenn man die eigenen Nachkommen 3-Tagesreisen weit weg verheiratet hätte, um damit einerseits die Inzestprobleme zu umgehen, weil man seit Generationen in die Dörfer in der Umgebung geheiratet hat und auch ja nichts mit diesen komisch sprechenden Leuten im Nachbardorf zu tun haben wollte.

Im Zweifel war damals unter diesen Bedingungen, zeitnahe Hilfe von Verwandten die etwas komisch sprechen, mit ner etwas lustigen Abstammung nämlich immer noch besser, als massiv inzestgeschädigter Nachwuchs, dem man selbst hätte helfen müssen oder gar keine Hilfe, weil die Verwandschaft so weit weg war, dass das Kind längst in den Brunnen gefallen war, bis man sie mal erreichte.

Man darf sich das nicht im Rahmen von Bevölkerungsgrößen und Mobilität neuzeitlich-industrieller Strukturen vorstellen.
Die Leute waren in diesem Sinne darauf angewiesen früher oder später mit ihren Nachbarn verwandtschaftliche Bindungen einzugehen, auch wenn die andere Hintergründe hatten.
Das hatte natürlich seine ganz eigenen Probleme, angefangen bei der strukturellen Marotte arangierter Ehen etc. von denen man natürlich mit modernem Hintergrund nicht so viel halten kann, in den damaligen Strukturen ohne moderne Sozialsystem kam man aber nicht umhin,.

Auch wenn der Nachbar seltsam sprach und seine Großeltern Zugezogene waren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Also, können wir mal zusammenfassen? Der Deutsche Orden hat seinen schlechten Ruf in Osteuropa nicht verdient
Nein, das können wir so nicht zusammenfassen, damit würde man es sich auch im Hinblick auf seine 300-jährige Geschichte ein klein wenig einfach machen.

Die Frage an dieser Stelle ist, wohin möchtest du?
Geht es dir darum aufzuarbeiten, welche Aspekte, welches Geschichtsbildes zutreffend beweisbar oder auf Grund der Quellenlage wenigstens sinnvoll diskutabel sind?
Oder ist dir einfach nur daran gelegen zu einem nicht näher fundierten Moralurteil für oder gegen den Deutschordensstaat zu kommen?

für letzteres braucht es die Diskussion nicht.

Falls du an ersterem interessiert bist, leg doch einfach mal dar, welche konkreten Aspekte, welchen konkreten Geschichtsbilds du näher beleuchtet haben möchtest, dann kann man das auseinander nehmen und unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten.

Für das Bauchpinseln dieses oder jenes Nationalismus im Rahmen irgendwelcher moralischen Überlegenheitsdiskurse, wird sich hier mit Recht niemand zuständig fühlen.
 
Der Deutsche Orden hat seinen schlechten Ruf in Osteuropa nicht verdient und wer das Gegenteil behauptet, das Polen irgendwie "moralisch überlegen" war erzählt Quatsch?
Es kommt auffällig häufig vor, daß du doitsche Militärfuzzis irgendwie rehabilitiert sehen möchtest. Aber nein, du bist ja antinationalistisch und antimilitaristisch. Es ist schon komisch wie deine Lippenbekenntnisse und deine Schlußfolgerungen in deutlichem Widerspruch zueinander stehen.
Widukind ist dein Held, weil der hat ja für das Heidentum gekämpft. Jedesmal, wenn du Polen schreibst, träufelt der Schaum vor deinem Mund aus unseren Monitoren auf unsere Tastaturen. Ein schöner postmoderner Atheist bist du... Willst du dich nicht in vormoderner Nationalist umbenennen? Das wäre ehrlicher.
 
Es kommt auffällig häufig vor, daß du doitsche Militärfuzzis irgendwie rehabilitiert sehen möchtest. Aber nein, du bist ja antinationalistisch und antimilitaristisch. Es ist schon komisch wie deine Lippenbekenntnisse und deine Schlußfolgerungen in deutlichem Widerspruch zueinander stehen.
Widukind ist dein Held, weil der hat ja für das Heidentum gekämpft. Jedesmal, wenn du Polen schreibst, träufelt der Schaum vor deinem Mund aus unseren Monitoren auf unsere Tastaturen. Ein schöner postmoderner Atheist bist du... Willst du dich nicht in vormoderner Nationalist umbenennen? Das wäre ehrlicher.

Hey, ich hab halt großes Interesse an Militärgeschichte und jeder, ob jetzt Engländer oder Schotte und so weiter, macht irgendwelche mehr oder weniger heroische Medien über "sein Volk". Da frag ich mich halt manchmal ob wir Deutschen das auch könnten wenn wir wollten. Ich sehe mich allerdings viel eher auf dem Level eines Bernard Cornwell, Sapkowski etc als ein Nigel Farage, Donald Trump, oder sogar Kaiser Wilhelm wie du hier andeutest. Solche Beschimpfungen kann man sich echt sparen. Vor allem wenn man sich noch nicht mal konstruktiv an der Diskussion beteiligt hat!
 
ich hab halt großes Interesse an Militärgeschichte und jeder,
Ist die Frage, in welchem Ausmaß die "Integration" der eroberten Pruzzen im Deutschordensstaat gewaltsam stattfand, eine militärhistorische? (ein schlichtes "ja" würde mich doch sehr wundern...)

Die Frage nach dem Grad der Brutalität in Kriegshandlungen ist umso schwerer zu beantworten, je weiter zeitlich die befragten Kriegshandlungen entfernt sind. Da diese Fragestellung aber in sich schon eine moralische Orientierung enthält (Brutalität als negativ) und der jeweilige innere moralische Kompass sehr differiert je nach Zeit und Kultur, halte ich diese Fragestellung für irgendwie zu schwammig und zugleich für sensationsheischend (letzteres a la die Ungarn oder die Hunnen oder die Kreuzritter oder die Wikinger waren besonders grausam/brutal, die edlen Karl Martell Truppen und der liebe Karl der Große und selbstredend der heroische Widukind kriegshandelten mit Fairplay und Ritterlichkeit - missversteht mich nicht @PostmodernAtheist , ich unterstelle dir das nicht, sondern stelle in Frage kommende Betrachtungsweisen dar - und das vergleichen wir nun und ergötzen uns daran) Zudem verfügen wir über keine offiziellen Maßstäbe darüber, was besonders brutal im Mittelalter ist und was nicht; und die Quellen verfügen ebenfalls nicht über solche Maßstäde, sie teilen uns lediglich die wertende Intention ihrer Verfasser mit: natürlich beschreibt eine spätkarolingische Quelle die Vorgehensweise der Nordmänner als besonders abscheulich, denn diese Unmenschen vergriffen sich am Eigentum der Spätkarolinger, hingegen beschreibt eine spätkarolingische Quelle den Sachsenkrieg Karls des Großen nicht als besonders abscheulich, sondern als eine große Leistung - wissen wir jetzt nur mit diesen Informationen, wer im 9. Jh. besonders grausam war und wer nicht??? Nicht anders ist es mit den quellen des 14.-16. Jhs. zum erst expandierenden und später schrumpfenden Deutschordensstaat.

Militärhistosche Fragestellungen sehen ganz anders aus: Truppenorganisation, Ausrüstung, Strategie, Taktik, Effizienz, Planung etc der Kriegshandlungen werden betrachtet/untersucht.
 
Um mal wieder auf das Thema des Fadens zurück zu kommen:

@PostmodernAtheist

Wie schaut es nun aus, in Richtung konkreter Fragestellung?

Sicherlich kann man sich verschiedene Kriegs- und Herrschaftspraktiken des Ordens in verschiedenen Gebieten einmal näher ansehen und sie mit entsprechenden Geschichtsbildern vergleichen.

Welche Praktiken und welche Geschichtsbilder schweben dir konkret vor?
 
Um mal wieder auf das Thema des Fadens zurück zu kommen:
Laut Titel geht es um die "Brutalität des Deutschen Ordens".
Ich halte den Titel für wenig sinnvoll und wiederhole mich:
Die Frage nach dem Grad der Brutalität in Kriegshandlungen ist umso schwerer zu beantworten, je weiter zeitlich die befragten Kriegshandlungen entfernt sind. Da diese Fragestellung aber in sich schon eine moralische Orientierung enthält (Brutalität als negativ) und der jeweilige innere moralische Kompass sehr differiert je nach Zeit und Kultur, halte ich diese Fragestellung für irgendwie zu schwammig und zugleich für sensationsheischend (letzteres a la die Ungarn oder die Hunnen oder die Kreuzritter oder die Wikinger waren besonders grausam/brutal, die edlen Karl Martell Truppen und der liebe Karl der Große und selbstredend der heroische Widukind kriegshandelten mit Fairplay und Ritterlichkeit und das vergleichen wir nun und ergötzen uns daran) Zudem verfügen wir über keine offiziellen Maßstäbe darüber, was besonders brutal im Mittelalter ist und was nicht; und die Quellen verfügen ebenfalls nicht über solche Maßstäbe, sie teilen uns lediglich die wertende Intention ihrer Verfasser mit: natürlich beschreibt eine spätkarolingische Quelle die Vorgehensweise der Nordmänner als besonders abscheulich, denn diese Unmenschen vergriffen sich am Eigentum der Spätkarolinger, hingegen beschreibt eine spätkarolingische Quelle den Sachsenkrieg Karls des Großen nicht als besonders abscheulich, sondern als eine große Leistung - wissen wir jetzt nur mit diesen Informationen, wer im 9. Jh. besonders grausam war und wer nicht??? Nicht anders ist es mit den quellen des 14.-16. Jhs. zum erst expandierenden und später schrumpfenden Deutschordensstaat.
 
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