Seekrieg 1915 - kriegsentscheidend?

G

Gast

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Könntet Ihr mir bitte mal erklären, in wie fern der Seekrieg Kriegsentscheidend war??

Dankööö
 
Warum speziell 1915 jetzt kriegsentscheidend war kann ich dir höchstens spekulativ beantworten - insgesamt war der Seekrieg insofern kriegsentscheidend, da es den Deutschen nicht gelang die britische Fernblockade zu durchbrechen und sie somit bald Nachschubprobleme bekamen, die durchaus gravierend wurden. Allerdings war dies ja nicht DER Grund für die Kapitulation 1918...
In welchem Zusammenhang hast du denn die von dir zitierte Frage als Aussage mitbekommen?
 
Warum gerade 1915?

Die wirklich wichtigen Seeschlachten waren 1914 (Coronel, Falkland) und 1916 (Skagerrak).

Mal überlegen... 1915 war das Gefecht auf der Doggerbank. Das Gefecht war für den Kriegsverlauf unbedeutend. Die Deutschen verloren den Panzerkreuzer Blücher, die Engländer hatten auf den Schlachtkreuzern Lion und Tiger schwere Beschädigungen.

Außerdem geschah 1915 die Landungsoperation auf den Dardanellen, das würde ich aber nur bedingt als Seekrieg bezeichnen.
 
Ruttger:

Ich stimme Dir zu, dass man nicht bei jeder Seekriegsdiskussion über die Lusitania debatieren muss. Letzteres kann man ja im Lusitania-Strang tun. Allerdings spielen beim Seekrieg die deutschen U-Boote eine wichtige Rolle. Bei Joachim Schröder, Die U-Boote des Kaisers, 2003 findet man hierzu interessante Gesichtspunkte:

Die deutsche Flotte war der britischen Flotte unterlegen. Es war nicht zu erwarten, dass es ihr gelingen konnte, die britische Flotte in einer einzigen Schlacht zu vernichten. Aufgrund den eigenen Verlusten, die in einer solchen Entscheidungsschlacht zu erwarten waren, war es nur logisch, diese nicht zu suchen sondern die eigenen Schiffe in den deutschen Häfen defensiv zu belassen, was von Ausnahmen abgesehen auch geschah. Aber allein die Existenz der deutschen Flotte band britische Kriegsschiffe im Nordseeraum und engte somit die britischen Seekriegsmöglichkeiten ein. Infolgedessen standen den Briten beispielsweise für die Sicherung ihrer transatlantischen Versorgung nicht genügend Kriegsschiffe zur Verfügung, die sie zur Geleitung von Handelsschiffen in Konvois einsetzen konnten.

Überraschenderweise entwickelte sich die U-Boot-Waffe zur Offensivwaffe und zwar zur einzigen Offensivwaffe, die dem Deutschen Reich nach 1914 noch verblieb. Auf diese verzichtete das Reich 1915 bis 1917 ohne Not! Hierin könnte ein Umstand liegen, der den Kriegsverlauf zu Lasten des Deutschen Reiches entscheidend mitgeprägt hat.

Zu dem Verzicht kam es, weil die Marineleitung einen beschränkten U-Boot-Krieg (= U-Boot-Krieg gegen feindliche Handelsschiffe nach der Prisenordung) ablehnte und auf einem unbeschränkten U-Boot-Krieg (= warnungslose Versenkung von Handelsschiffen) bestand, währenddessen die Reichsleitung diese Art und Weise der Kriegsführung zum Teil aus moralischen Gründen, zum Teil aus außenpolitischen Gründen (Proteste der Neutralen, Sorge vor einem Kriegseintritt der USA) ablehnte.

Schröder weist in seinem Buch nach, dass die Argumentation der Marineleitung äusserst zweifelhaft war. Die Marineleitung behauptete, dass ein Einsatz der deutschen U-Boote nach der Prisenordnung (Anhalten des Schiffes ggf. durch Warnschuss; Entsenden eines Prisenkommandos; Durchsuchung des Schiffes und der Frachtpapiere; Zerstörung der Konterbande, ggf. des Schiffes, nach vorheriger Rettung der Passagiere und Besatzungsmitglieder) für die U-Boote wegen britischer Gegenmaßnahmen (Rammbefehl, Bewaffnung, U-Boot-Fallen, etc.) zu riskant sei. Tatsächlich gelang es auch den Briten mit solchen Gegenmaßnahmen deutsche U-Boote zu versenken. ABER nachdem diese Gegenmaßnahmen den deutschen U-Boot-Kommandanten bekannt wurden, stellten sich diese auf derartige Maßnahmen ein. Danach gelang es den Briten kaum noch mit solchen Massnahmen erfolgreich ein deutsches U-Boot zu beschädigen oder gar zu versenken. Die Sorge der Marineleitung war also übertrieben.

Auch zeigt Schröder auf, dass die deutschen U-Boot-Kommandeure entgegen der Anfang 1915 geltenden Befehlslage den U-Boot-Krieg gegen Handelsschiffe überwiegend nach der Prisenordnung führten; die warnungslose Versenkung war die seltene, aber spektakuläre Ausnahme (wie z.B. bei der Lusitania). Hierfür gab es moralische, aber auch militärische Gründe. Für einen damaligen Seemann stellte die Vorstellung, ein Handelsschiff warnungslos zu versenken, einen Bruch mit der bis dahin vorherrschenden Seemannsethik dar. Zudem war der Oberwasserangriff mit Geschütz effektiver als der Unterwasserangriff mit Torpedo. Aus diesem Grund forderten die U-Boot-Kommandeure auch den Einbau größerer Geschütze in die U-Boote statt der Fortentwicklung der Torpedowaffe. Die erfolgreichsten U-Boot-Kommandeure verdankten ihre Erfolge gerade dem Umstand, dass sie gegen Handelsschiffe nach der Prisenordnung vorgingen und diese nicht im Tauchgang zu torpedieren versuchten, was eher einem Glücksspiel gleichkam.

Die Marineleitung ignorierte diesen Sachverhalt. Sie bestand aus ideologischen Gründen darauf, dass die U-Boote als Unterwasserschiffe ihre Ziele im Tauchgang warnungslos angriffen. Sie erhoffte sich durch solche Angriffe aus dem Nichts, dass in England eine Panik ausbrechen und die britische Kriegsmoral zusammenbrechen würde. Das warnungslose Torpedieren sollte die britische Kriegsmoral brechen.

Interessant an Schröders Forschungsarbeit ist der Befund, dass der Konflikt zwischen Marineleitung und Reichsleitung dazu führte, dass die Reichsleitung den unbeschränkten U-Boot-Krieg (der im Regelfall der Praxis ohnehin ein beschränkte war!) 1915 einstellen liess und dass sich die Marineleitung wegen den angeblichen Gefahren eines beschränkten U-Boot-Krieges weigerte, den U-Boot-Krieg überhaupt fortzusetzen. Damit gab das Deutsche Reich die einzige Offensivwaffe des Krieges, die ihm 1915 noch verblieben war, aufgrund eines internen Konflikts aus der Hand! Und mehr noch: US-Präsident Wilson war in seiner dritten Lusitaniaprotestnote (siehe Lusitania-Strang
) ausdrücklich bereit, den vom Deutschen Reich im Regelfall praktizierten beschränkten U-Boot-Krieg anzuerkennen. Auch unterbreitete er dem Deutschen Reich auf dieser Basis ein Angebot zur Kooperation in der Seekriegsführung! Doch die Annahme dieses Angebots wurde wegen dem zwischen Reichs- und Marineleitung bestehenden Konflikt verpasst - eine verpasste Chance die USA aus dem Krieg herauszuhalten und weiterhin den beschränkten U-Boot-Krieg zu praktizieren.

Die Marineleitung versuchte die Reichsleitung zu erpressen. Entweder die Reichsleitung stimmte dem von der Marineleitung favorisierten unbeschränkten U-Boot-Krieg zu oder es gab überhaupt keinen U-Boot-Krieg (Ausn: Mittelmeer). Der Bau neuer und verbesserter U-Boote wurde auf Eis gelegt. Stattdessen wurden wieder Oberwasserschiffe gebaut, obwohl diese ja nur defensiv eingesetzt werden konnten. Auch gelang es der Marineleitung - trotz Zensur (!) - die veröffentlichte Meinung und den Reichstag gegen die Reichsleitung (Kaiser und Kanzler) aufzubringen bis diese schließlich 1917 der Forderung nach der Wiederaufnahme des unbeschränkten U-Boot-Kriegs nachgab.

Die Wiederaufnahme des U-Boot-Kriegs führte zwar anfänglich zu einer Steigerung der versenkten BRT. Sie provozierte aber auch den Kriegseintritt der USA. Nach dem Kriegseintritt der USA verfügten die alliierten Seemächte über genügend Kriegsschiffe, um Handelsschiffe sicher in Konvois den Atlantik überqueren zu lassen mit der Folge, dass der U-Boot-Krieg scheiterte, sich die Versorgungslage GB verbesserte und sich allmählich an der Westfront das Eintreffen neuer Truppen und neuen Kriegsmaterials zu Gunsten der Alliierten bemerkbar machte.

War das Versagen der Marineleitung kriegsentscheidend? Joachim Schröder sieht es so: die U-Boot-Kommandeure wurden von ihrer eigenen Marineleitung an einer effektiven Kriegsführung gehindert. Für einen Sieg im Krieg war dies nicht gerade hilfreich. Und wenn man dann noch bedenkt, wie stark der 1915 im Regelfall praktizierte beschränkte U-Boot-Krieg die britische Kriegswirtschaft belastete, war es unverantwortlich, auf dieses - völkerrechtlich zulässige - Mittel der Kriegsführung eineinhalb Jahre zu verzichten, genauso wie es überflüssig war, sich durch die Erklärung des unbeschränkten U-Boot-Kriegs ins Unrecht zu setzen und den Kriegseintritt der USA zu provozieren.

Literatur: Joachim Schröder, Die U-Boote des Kaisers, 2003
vgl.: www.historicum.net/sehepunkte/2004/07/pdf/5403.pdf
 
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