In der "Bild der Wissenschaft" 6/07 findet sich ein medizinhistorischer Artikel von Tina Suchanek. Freunde der Alternativmedizin werden sich darüber vielleicht nicht freuen.
:yes:"Zum Wohlsein: Seemannskot und Taubendreck - Mesopotamische Ärzte schützten ihr Wissen mit Geheimnamen, die manchen Heilpraktiker bis heute narren.
... ... "Ich bin überzeugt, dass mehr Menschen die Eigenharn- und Eigenstuhltherapie anwenden, als es nach außen verkündet wird", sagt Hans Höting, Heilpraktiker in Bremen. Der Verfasser etlicher Urin-Ratgeber glaubt fest an die Wirkung der "Dreck-Medizin": "Nur wie sie wirkt, hat noch niemand bewiesen." Wozu auch? Die zweitausendjährige Tradition sei Indiz genug: Im Mittelalter galt der Straßendreck als Universalmedizin. Selbst Hippokrates empfahl Urin als Therapeutikum. Und aus dem alten Irak, der Wiege der Zivilisation, stammen die ersten "Dreck-Rezepte" der Welt.
Doch deren Verfasser hatten etwas anderes im Sinn, als ihren Kranken übelriechende Substanzen zu verabreichen, wie Forscher inzwischen erkannt haben. ... Die mesopotamischen Ärzte hatten einigen Heilkräutern einen zweiten, bizarren Namen gegeben. ... Die dritte Tafel Uruannas liefert den entscheidenen Hinweis:
"In der linken Tafelspalte stehen überwiegend Pflanzennamen und rechts daneben seltsame oder ekelerregende Substanzen: Menschliche Knochen, Menschenfett, Seemannskot, Fledermauskopf, Taubendreck. ..." ... "Jetzt wissen wir, dass wir eine merkwürdige oder gar ekelerregende Rezeptzutat nicht wörtlich interpretieren dürfen" ... Wenn ein babylonischer Patient also mit "Menschenkot" eingerieben werden soll, dann verrät die Decknamenliste das tatsächliche, aber geheim zu haltende Heilkraut ... Hinter dem Malzabfall verbirgt sich laut mesopotamischer Geheimtabelle der Echte Schwarzkümmel (Nigella sativa), und der Taubendreck meint die Samen eines vorderasiatischen Mimosengewächses ...
Aber warum die Geheimniskrämerei? "Das medizinische Wissen sollte wohl den Uneingeweihten verborgen bleiben", erklärt Altorientalist Worthington. Eine geschickte Täuschung - mit fatalen Folgen. "Sicher ist, so Worthington, "dass die mesopotamische Medizin Eingang in den Talmud und in die hippokratischen Schriften fand" - und somit die europäische Medizin mitgeprägt hat. "Die Decknamen könnten dafür verantwortlich sein, dass Jahrhunderte später die "Dreck-Medizin" tatsächlich angewendet wurde."
Denn dieselben seltsamen Bezeichnungen tauchen bis ins 19. Jahrhundert immer wieder auf. Christian Franz Paulini (1643 bis 1712) fasste sie in seiner mehrmals wiederaufgelegten "Heilsamen Dreck-Apotheke" zusammen. Menschen-Koth ... Menschen-Urin ... Katzenaugen, Taubenkot ... Froschleber ... ..."