Selbstkritische Memoiren - gibt es die überhaupt?

Memoiren von Politikern, Militärs, Wirtschaftsführern, von Mächtigen überhaupt sind in aller Regel reine Selbstrechtfertigungsschriften. In aller Regel? Mir fällt jedenfalls kein Beispiel ein, in der ein Autobiograph wirklich "unbestechlich" selbstkritisch mit seinem Leben, seinen Taten, seinem Wirken umgeht. Nur der Grad des kritischen Urteils über die eigene Vergangenheit und das eigene Tun unterscheidet sich. Selbstkritik in einzelnen Details, in Nebensächlichkeiten - bestenfalls! -, aber eigentlich habe man immer auf der richtigen Seite gestanden ... Wessen Fazit lautet schon einmal sinngemäß: "Im Ganzen betrachtet - habe ich kläglich versagt!"

Fallen Euch Gegenbeispiele ein?
Welche Memoiren und Erinnerungswerke sind anders, als von mir dargestellt?
Könnt Ihr mir selbstkritische Memoirenschreiber nennen?

Ich habe lange nachgedacht, bei meinen Überlegungen kam mir dieser Herr in den Sinn: Hermann Löher ? Wikipedia


Löher war Schöffe und Bürgermeister der Stadt Rheinbach im Erzbistum Köln, der ein Werk gegen den Hexenwahn veröffentlichte und darin seine eigene Beteiligung als Schöffe an Hexenprozessen nicht verschwieg. mit der Zeit kamen Löher immer mehr Zweifel an der Schuld der Hexerei Angeklagter und an der Praxis des Hexenkommissars Franz Buirmann. Als seine eigene schwiegermutter denunziert wurde, floh Löher mit seiner Familie in die Niederlande. Zwei Jahre vor seinem Tod veröffentlichte Löher 1676 in Amsterdam ein Werk gegen den Hexenwahn und die Justizmorde an Unschuldigen, in der er sich sein schlechtes Gewissen wegen seiner eigenen Beteiligung von der Seele zu schreiben scheint.

Löhers "Hochnötige Unterthanige und We(h)mütige Klage der frommen Unschüldtgen" ist eines der interessantesten zeitgenössischen Zeugnisse der Hexenverfolgung. löher wurde 1631 Schöffe wo Buirmann bis 1638 über 100 Hexenprozesse initiiert haben soll. Die Schöffen wurden stark unter Druck gesetzt. Zwei von ihnen wurden später selbst hingerichtet.

Löher betont zwar, dass er gegen seinen Willen das Schöffenamt bekleidet habe, aber er scheint sich Vorwürfe wegen der ersten Verurteilungen von Nachbarn und mitbürgern gemacht zu haben, die er mitgetragen hat. Löher ist daher Zeitzeuge, Mittäter und Opfer zugleich. Wieweit Löhers Bericht sich dem Literaturgenre Autobiographie zuordnen lässt, darüber kann man geteilter Meinung sein, und wieweit Löher seine eigene Beteiligung "geschönt" hat, lässt sich nicht nachweisen, dennoch unterscheidet sich Löhers autobiographischer Bericht positiv von vielen eitlen und selbstgerechten Memoiren.
 
"Die Geschichte meiner Experimente mit der Wahrheit" von Mohandas Karamchand Gandhi könnte doch in die Richtung gehen.
 
Zurück
Oben