Selztalstellung - bedeutendste deutsche Festung?

dekumatland

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es gibt eine Neuerscheinung:
Büllesbach, Rudolf / Hollich, Hiltrud / Tautenhahn, Elke
Bollwerk Mainz. Die Selztalstellung in Rheinhessen
München (Morisel-Verlag) 2013
ISBN 978-3-943915-04-4
(28.-€)
ich habe das Buch noch nicht, aber sofort bestellt - sowie ich aus dem Urlaub zurück bin, hoffe ich, dass ich es haben werde :)
in einer Rezension habe ich die erstaunliche Behauptung gefunden, dass die Festung Mainz (Selztalstellung) nach ihrem Ausbau während des Ersten Weltkriegs die bedeutendste und stärkste Festund des Deutschen Reichs gewesen sein soll - das hat mich erstaunt, da ich eigentlich Metz und Diedenhofen als damals modernste und stärkste Festungen kannte.

Auf jeden Fall verspricht das Buch interessante Details zur Reichsfestung Mainz (Brückenkopfstellung)
 
@dekumatland: Wäre es für Dich aufwendig, die grundsätzlich Idee für das nationale System der Fortifikationen vor 1914 an der Ost und/oder Westgrenze für das DR zu beschreiben.

Also die Frage, wie war beispielsweise die "Selztalstellung" in das defensive Gesamtkonzept im Westen eingebunden und welche Rolle spielte sie aus der Sicht der Militärplaner?
 
@dekumatland: Wäre es für Dich aufwendig, die grundsätzlich Idee für das nationale System der Fortifikationen vor 1914 an der Ost und/oder Westgrenze für das DR zu beschreiben.
ich werde es gerne versuchen - aber erstmal das Buch lesen, dann die Festung etwas beschreiben, und danach auf deine Frage eingehen (so weit ich das vermag)

nebenbei: wenn man ein wenig sucht, dann findet man erstaunliches bzgl. des deutschen Festungsbaus - Germersheim erhielt eine Armierungsstellung kurz vor dem ersten Weltkrieg (etliche Betonunterstände etc.), auch um Neubreisach herum wurden mehrere Befestigungsgruppen angelegt (bei beiden ist die Sicherung der Rheinübergänge der Grund gewesen, übrigens auch in Mainz)
 
aber seit heute früh hab ich das Buch :)
und kann es guten Gewissens empfehlen, sofern man sich für Spezialitäten der Festungsbautechnik interessiert.

zunächst - zum Entsetzen aller seriösen Geschichtsinteressierten - eine originelle plakative These aus dem Buch: dass die Brisanz(granaten)krise ursächlich für die verhältnismäßig lange Friedenszeit von 1885 bis 1914 in Europa sei (immerhin gibt es den Begriff eigens auch in engl. und franz. Sprache) - ein paar Indizien sprechen dafür: das "Festungssterben" nach 1885, die lange Zeit ohne feste Plätze, in welcher die Militäringenieure nach Lösungen suchten, bis dann die neuen Werkstoffe Beton/Stahlbeton verwendet wurden, die Festungen weit ausgreifend und tief gestaffelt mit immensem Aufwand und neuem aktiverem Konzept errichtet wurden usw.

Und die modernste (!) Festung des deutschen Reichs war, wie das Buch überzeugend nachweist, die enorm weit vor die Stadt und ihren älteren Fortgürtel vorgeschobene "Selztalstellung". Diese weist zugleich einen beinahe schon monströsen Superlativ auf: die Anzahl ihrer massiven Betonwerke beträgt über 360 Einzelbauten. Am stärksten fortifiziert war dabei der Stützpunkt Fort Muhl.

Ein überzeugendes Indiz für die fortifikatorische Bedeutung der Selztalstellung ist die Vehemenz und Gründlichkeit, mit welcher nach 1918 der Versailler Vertrag durchgesetzt wurde: nahezu nichts entging den Sprengungen der Entfestigung - und hier gleich die zweite spektakuläre These des Buchs: speziell der massive Ausbau des Fort Muhl (gesplittete Befestigungsgruppe) wurde von franz. Militärs genauestens untersucht und soll für die Befestigungen der Maginotlinie ausgewertet worden sein.

Die Erfahrungen, die man mit der Panzerfortifikation gemacht hatte, die man mit der Modernisierung und Anpassung der wichtigsten Großfestungen (wie Köln, Ulm, Posen, Thorn u.a.) gemacht hatte, die man mit der Anlage der ersten Befestigungsgruppen (Metz, Diedenhofen, Mutzig, Graudenz) gemacht hatte: all das fand sich ungleich moderner in der Selztalstellung wieder.
(freilich ist zu bedenken, dass der Festungsbau des späten 19. und frühen 20. Jhs. nicht starr schematisch gedacht werden kann, da sich die Festungen stets dem Gelände anzupasen hatte: das Gelände gab Aufteilungen und Anordnungen vor, d.h. in Köln waren andere Bedingungen als in Metz oder als um Mainz)
So wundert auch nicht, dass Kaiser Wilhelm II mehrmals die Selztalstellung besuchte.

...und nahezu nichts bis auf ein paar Betontrümmer ist von all dem Aufwand übrig... selbst die kollektive Erinnerung war zeitweilig unterbrochen: die Selztalstellung musste quasi wiederentdeckt werden! Und das leistet das umfangreiche und detaillierte Buch.
 
Ich finde es erstaunlich, da ich tatsächlich noch nie davon gehört hatte, obwohl mich das Thema schon lange interessiert und ich einiges an Literatur dazu gelesen habe.

Das mit der Maginot-Linie kann ich gut glauben, da auch die betonierten Befestigungen an der Westfront (Siegfriedstellung oder Hindenburglinie) und vor allem die erstmals eingesetzten Infanteriebunker aus Beton ( Mannschafts-Eisen-Beton-Unterstände) die Alliierten stark beeindruckten und besonders bei den Franzosen die spätere Militärtheorie beeinflusste. Die Maginotlinie ähnelte jedoch kaum dem konzept dieser Schützengrabenanlagen mit eingefügten Unterständen und eher dem was Du über die Selztalstellung beschreibst.

Eine wenig bekannte, jedoch relativ starke Linie die von den Franzosen in der Zwischenkriegszeit gebaut wurde, war die Marethlinie, die Tunis gegen einen italienischen Angriff aus Lybien verteidigen sollte und im 2 Weltkrieg dann von dem Afrikakorps gegen die vorrückenden Briten verwendet wurde.
 
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