Sieger schreiben Geschichte?

Nergal

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Es heißt ja immer dass die Geschichte von den Siegern geschrieben wird, weil diese eben die sind die am Ende übrig blieben.
Man kann sagen dies galt noch sicher bis zur Mitte des letzten Jh., aber wie sieht das heute aus?

Digitalkameras sind sehr günstig, bereits in vielen Geräten, die der Mensch von heute verwendet, verbaut, und leicht zu bedienen, jeder kann alles aufnehmen und es binnen minuten ins internet hochladen wo es die ganze Welt betrachten kann.
Jeder kann sich an der Geschichtsschreibung beteiligen, und sein Bild der Ereignisse weitergeben.

Aber gibt uns das eine besseres Bild der Ereignisse, oder nur ein unsortiertes weißes Rauschen das wir nicht mehr verstehen können?

Was denkt ihr?
 
Das heißt es ja. Das gefälschte Geschichtsschreibung aber nur unreflektiert nicht auffällt zeigt schon Polybios dem bei genauerer Beschäftigung da schon ein oder zwei Mal die Augenbrauen bei der römischen Geschichtsschreibung hochgehen.

Zu Digitalkameras, Social Media und allem was da noch zu unserer "Geschichtsschreibung" beitragen könnte (wenn wir nicht in wenigen hundert Jahren meiner Meinung nach eine "dunkle Epoche" wären bei unserer Art Wissen zu speichern) triffst du mit dem "weißen Rauschen" schon den Punkt der Sache.

Dank Internet, TV und Publikationen wird der Normalbürger mit so viel Wissen überflutet und es wird noch mehr "Wissen" erzeugt, dass mit menschlichen Maßstäben kaum noch zu sortieren ist, geschweige denn sinnvoll zu bewerten ohne einen Heidenaufwand.

Besonders im Internet ist es schwer, auch bzgl. tagespolitischer Themen (oder auch geschichtlichen Ereignissen) als unversierter Mensch, der nicht aus den Regionen kommt in denen die betrachteten Dinge stattfinden/-fanden nicht unbedingt einfach zu sortieren. Da verlässt man sich dann auf bereits vorsortierte Quellen (Zeitungen, Nachrichtenkonzerne) und muss sich dann entweder dieser Prägung bewusst sein oder geht irgendwo unter.

Prinzipiell haben wir "irgendwo" im Wust an Daten genau das was wir suchen, wenn wir denn wissen wo wir suchen müssen. Das denke ich mir auch immer wenn ich vor 40 Jahren fehlerhaft abgelegte Akten nach mehrstündiger Suche finde.
 
Geschichte ist aber nicht nur eine Sammlung von Daten. Geschichte ist vor allem die Interpretation dieser Daten. Man kann soviel Digitalphotos haben wie man will, wenn man gar nicht weiß, was man da sieht, nützt es nichts.
Schon allein im Lauf der Zeit wird aussortiert, da muß man gar nicht unbedingt die Metapher vom Sieger bemühen. Die Entscheidung, was aufgehoben wird, was weitergegeben wird, und was über das Weitergegebende erzählt wird, findet auf vielen subtilen Ebenen statt.
Daß dann das, was erhalten bleibt, einer Deutungshoheit unterliegt, ist klar, da jede menschliche Einschätzung subjektiv ist. Und daß diese Einschätzung einer wie auch immer gearteten Mehrheitsmeinung folgt, wird nicht dadurch gemindert, daß es Stimmen gibt, kritisch oder störrisch, die dieser Meinung nicht folgen.
 
Es heißt ja immer dass die Geschichte von den Siegern geschrieben wird, weil diese eben die sind die am Ende übrig blieben.
Man kann sagen dies galt noch sicher bis zur Mitte des letzten Jh., aber wie sieht das heute aus?

Was denkt ihr?


Du meinst der Sieger schreibt die Geschichte, der Verlierer aber die Wahrheit?

Meiner eigenen Erfahrung nach stimmte das insbesondere um die Mitte des letzten Jahrhunderts nicht.

Es stimmte nicht dass die Sieger als Einzige übrig blieben. Neben den zahlreichen Kriegsinvaliden und Kriegstraumatisierten, den Flüchtlingen und Vertriebenen, die in diesem oder jenem neuen Deutschland eine neue Heimat finden mussten, gab es hüben wie trüben die große Zahl der "Übriggebliebenen", die ewigen Untertanen und Blockwarte, bei alter Reiches Herrlichkeit ins Schwärmen gerieten. Zeitgenossen, die sich die Welt nur geordnet vorstellen konnten, allenthalben von Zucht und Ordnung faselten, den Verfall der Sitten beklagten und von "der heutigen Jugend" heute selbst alte Säcke, Respekt und Höflichkeit einforderten. Manchmal machte der Alkohol sie gesprächig und wenn ihnen der Quassel ungefiltert auslief, erfuhr man so manches darüber, was die Übriggebliebenen so anständigen und "Anständig Gebliebenen" Überständigen in ihrem imaginären goldenen Zeitalter unter Höflichkeit und Anstand verstanden hatten.

Man mag ja den 68ern, der Protestgeneration manche Stilbrüche und Scheußlichkeiten wie Latzhosen, Parkas, lange Haare und Haschrauchen vorwerfen, ein US-Botschafter sollte gar mit Vanillepudding beworfen werden, aber selbst die Schlimmsten Chaoten haben nicht orthodoxen Juden die Bärtwe abgeschnitten und sich darüber noch 40 Jahre später kringelig gelacht.
 
Nicht unbedingt die Wahrheit aus dem Mund der Verlierer, aber die Sieger haben die Freiheit einiges zu schönen, dass es nicht immer so ist, und dass auch die Sieger die Wahrheit sagen haben wir auch in der Antike wo man eigene Vergehen bedauert.

Das mit der Mitte des letzten jh. meine ich ja auch eher in Bezug auf Japan, Nazideutschland, und Stalin (intern auch lange danach), wobei die Demonisierung der Japaner durch die USA doch nachgedauert hat.
 
Das mit der Mitte des letzten jh. meine ich ja auch eher in Bezug auf Japan, Nazideutschland, und Stalin (intern auch lange danach), wobei die Demonisierung der Japaner durch die USA doch nachgedauert hat.


Was soll in Bezug auf Nazideutschland, Japan und Stalin dämonisiert worden sein?
 
Nicht unbedingt die Wahrheit aus dem Mund der Verlierer, aber die Sieger haben die Freiheit einiges zu schönen, dass es nicht immer so ist, und dass auch die Sieger die Wahrheit sagen haben wir auch in der Antike wo man eigene Vergehen bedauert.

Das mit der Mitte des letzten jh. meine ich ja auch eher in Bezug auf Japan, Nazideutschland, und Stalin (intern auch lange danach), wobei die Demonisierung der Japaner durch die USA doch nachgedauert hat.


Geschichtsklitterung und Geschichtsverklärung sind so alt wie die Geschichte selbst. Man braucht sich ja nur Abu Simbel anzusehen, wo Ramses II. sich selbst als großen Kämpfer und Besieger der Hethiter bei Kadesch verherrlichte. Die Schlacht von Kadesch endete aber mit einem Patt, und Ramses entging nur mit Mühe einer Katastrophe, was er unterschwellig auch zugab, denn er rühmte seine Pferde "Stolz von Theben" und "Mut ist zufrieden" sowie seinen Wagenlenker, bei denen er "Bestand fand, als er inmitten kriegerischer Völker stand.

Tacitus schreibt in seiner Germania spöttisch, in jüngster Zeit (unter Domitian) habe man mehr Triumphe über Germanen gefeiert, als Germanien besiegt und erobert.

Der Verlierer aber hat nicht weniger Möglichkeit und Freiheit die Erinnerungskultur zu beeinflussen. Die Konföderierten Staaten von Amerika, die Legende vom Grand Old South leuchtete nach der Reconstruction heller und glänzender, als es vermutlich der Fall gewsen wäre, wenn die Südstaaten mit der Sezession erfolgreich gewesen wären.
Die Militärs, die im August/September 1918 erkannten, dass der Krieg verloren war, konnten dennoch den Mythos von der "im Felde unbesiegten" deutschen Armee stricken, die durch einen Dolchstoß aus der Heimat zu Fall gebracht wurde.

Es mag in einer Diktatur möglich sein, wissenschaftliche Forschung staatlich so zu beeinflussen, dass bestimmte gewünschte Ergebnisse dabei herauskommen. Ich muss in diesem Zusammenhang an all die verschrobenen Projekte des Reichsführers SS Heinrich Himmler denken, der nach dem Urarier und dem Heiligen Gral fahnden ließ und "Hexenforschung" betreiben ließ. Es gab durchaus Wissenschaftler mit gewissem Renomme´, die sich dafür hergaben. Im deutschen Kaiserreich wollte Wilhelm II. seinen Großvater überhöhen, und es sind ihm dabei auch Hochschuldozenten gefolgt, die von Kaiser Wilhelm (I.) dem Großen sprachen, und in den Staaten des Ostblocks fanden sich Apologeten, die das Loblied Stalins, Titos oder Ceaucescus sangen, dauerhaft haltbar aber, sind solche Beispiele staatlich gelenkten Personenkults aber in der Regel nicht.
 
Es heißt ja immer dass die Geschichte von den Siegern geschrieben wird, weil diese eben die sind die am Ende übrig blieben.
Man kann sagen dies galt noch sicher bis zur Mitte des letzten Jh., aber wie sieht das heute aus?

Digitalkameras sind sehr günstig, bereits in vielen Geräten, die der Mensch von heute verwendet, verbaut, und leicht zu bedienen, jeder kann alles aufnehmen und es binnen minuten ins internet hochladen wo es die ganze Welt betrachten kann.
Jeder kann sich an der Geschichtsschreibung beteiligen, und sein Bild der Ereignisse weitergeben.

Aber gibt uns das eine besseres Bild der Ereignisse, oder nur ein unsortiertes weißes Rauschen das wir nicht mehr verstehen können?

Was denkt ihr?

Zuerst würde ich mal das Verständnis dieses Ausspruchs klären.

Dass Sieger Geschichte schrieben, heißt bestimmt nicht, dass plötzlich alle Aufzeichnungen über die Verliererseite fort sind und nie wieder zugänglich.

In einem totalitären Staat wird der Sieger wahrscheinlich propagandistische Mittel nutzen, um bestimmte Ideologien zu verbreiten und damit den Verlierer in die Bedeutungslosigkeit zu verdrängen, gewiss. Man nehme nur Orwells Roman "1984" und schon sieht man, wie ein Staat den Krieg instrumenalisieren kann (was auch an zahlreichen Stellen in der Weltgeschichte geschehen ist). Die Sieger verbreiten also zweifelsohne ihre Version des Krieges (was zum Teil auch heute noch selbst in demokratischen Staaten geschieht).

Aber die Verliererseite wird genauso ihre Version haben, die sie vertritt (so sie es denn noch kann). Das führt uns zu der Definition von Wahrheit und Wirklichkeit, also ein philosophischer Aspekt, den ich hier außen vor lassen möchte.

Dennoch gab es immer auch kritische Bewertungen einer kriegerischen Aktion von Seiten neutraler Historiker und Laien, Journalisten, Schriftsteller etc., die jeglicher ideologischen Prägung einer Seite entbehren.

Als Beispiel sei der Erste Weltkrieg genannt. Geschichte wurde zwar von beiden Seiten geschrieben, aber die Ansichten der Siegermächte zählten letztlich, als Deutschland die alleinige Kriegsschuld auf sich nehmen und widerstandlos akzeptieren musste. Lange Zeit wurde Deutschland von vielen Historikern die alleinige KRiegsschuld auch noch im Laufe der Jahre zugesprochen. Heute ist man da in der Wissenschaft vielleicht schon ein Stück weiter (vgl. Fischer-Kontroverse). So sieht man heutzutage nicht mehr nur die absolute Schuld der einen oder anderen Seite (dass Sieger Geschichte schreiben), sondern beider Seiten und weitere Aspekte, die zu einem Ereignis geführt haben oder gar führen mussten.
 
Es heißt ja immer dass die Geschichte von den Siegern geschrieben wird, weil diese eben die sind die am Ende übrig blieben.

Es gibt zu diesem Zitat einen schönen Aphorismus der lautet: "Geschichte wird von Siegern geschrieben, von Helden gelebt, jedoch nur von den Toten ertragen."

Im übrigen ist es nicht selten, dass die Taten, die zum Sieg geführt haben, glorifiziert werden, d.h. die Sieger bereinigen alles von unangenehmen Kollateralschäden und beschönigen auch verwerfliche Taten.

Das alles zählt zur "Geschichtspolitik", d.h. die bewusste Veränderung des Geschehens für politische Zwecke.
 
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