Siegfried´s Xanten

Micha

Neues Mitglied
Siegfried - genau, der aus der Nibelungensaga - kam bekanntlich aus Xanten! Und war sogar Sprössling der Xantener Königsfamilie.

Was war das für ein Fleckchen Erde? Heute ist Xanten ja eine Stadt am Niederrhein. War es um´s 8. Jahrhundert rum (n.d.Ztw.) ein Königreich? Identisch etwa mit den heutigen Niederlanden???

Wer weiß mehr?

Micha.
 
Die Nibelungen-Sage hat zwar ihre historischen Wurzeln auch im Realgeschichtlichen, aber vieles ist eben auch reine Erfindung. Unterhaltung eben. Wenn ein Entstehungszeitraum rund um die, durch den Hunnensturm ausgelöste Völkerwanderungszeit bzw. zu deren Ende angenommen wird, dann müssen wir Xanten wohl so sehen: ein ehemaliges Römerlager mit benachbarter Ansiedlung - vermutlich als befestigter Platz besiedelt - im fränkisch(ripuarisch)-sächsischem Grenzraum. Grenzraum bedeutet meistens auch Konfliktraum. Nun, wie oben anklingt: ich halte Siegfried nicht für eine historische Figur, sondern für eine Erfindung (andere, auch hier im Forum, sehen das mit durchaus guten Argumenten, die mich aber bisher nicht überzeugen, anders). Aber gehen wir mal davon aus, Siegfried sei tatsächlich von edler Abstammung aus Xanten gewesen. Die Sage macht aus ihm einen Königssohn (ist einfach höher gestellt und passt auch vom Rang her besser zu Krimhild, Brunhild und Gunter). Das kann - meinem bescheidenene Wissen nach - historisch aber kaum der Fall gewesen sein, dass es einen eigenständigen König in Xanten gegeben hätte. ABER ich könnte mir gut vorstellen, dass ein lokaler "Stammes-chef" eines in den Franken aufgegangenen, lokalen Volkes, oder ein fränkischer Platzkommandeur (man verzeihe mir den Anachronismus) dort als höher gestellte Persönlichkeit in der literarischen Nachbearbeitung zum König aufgestiegen ist. Dies nur als Antwortversuch. Möge jemand der mehr als ich über die Nibelungen und die frühen nachrömischen Königreiche weiß, mich korrigieren.

El Quijote

Randbemerkung: nach Wikipedia ist es sogar umstritten, dass das im Nibelungenlied vorkommende Santen tatsächlich mit Xanten gleichzusetzen ist. Von der dort wiedergegebenen Argumentation halte ich jedoch nicht viel.
 
Zuletzt bearbeitet:
Was die Historizität Siegfrieds oder des Nibelungenliedes angeht, kann ich mich El Quijote nur anschließen. Die Diskussion über dieses Thema gab es schon in anderen Threads und lief i.d.R. aus dem Ruder. Was das Umland von Xanten aber angeht, so besetzten fränkische Gruppen um 423 das linksrheinische Gebiet, wurden 428 noch einmal zurückgeworfen, konnten aber nach 436 endgültig seßhaft werden. Dies ist wohl auch der Zeithorizont des Nibelungenlides, beachte die Burgunder etc. Im 7.8. Jhd gehörte dieses Gebiet zum Merowinger- bzw. Karolingerreich der Franken
 
Wie beorna oben schon sagte, gilt das 5. Jh. als Zeithorizont, in dem ein möglicher historischer Kern der Nibelungensage gelegen haben könnte. Anfang des 5. Jh. erfolgte in Xanten - d.h. dem römischen Militärlager - die endgültige Machtübernahme durch die Franken und in dieser Zeit liegt auch die Vernichtung des Wormser Burgunderreichs durch eine hunnische Streifschar.

Es mag also sein, dass sich nach Ankunft der Franken um das ehemals römische Xanten im 5. Jh. ein fränkisches Kleinkönigreich bildete, aus dessen Königssippe auch ein heldenhafter "Siegfried" hervorging. Nachrichten darüber gibt es jedoch nicht. Einige Hypothesen gehen dahin, dass der ermordete merowingisch-fränkische König Sigibert I. (um 530-575), der mit der westgotischen Königstochter Brunhilde verheiratet war, mit dem Sagenzyklus um die Nibelungen verschmolzen ist, auch wenn sich hier zeitliche Risse auftun, was freilich in Sagenzyklen nicht ungewöhnlich ist.

Wie dem auch sei: Für einen in Xanten geborenen Siegfried fehlen alle Beweise, und diesbezügliche Aussagen muss man in das Reich der Spekulation und Hypothese verweisen.

Den Ort Xanten muss man sich in dieser Zeit mehr als ärmlich vorstellen: primitive Holzhäuser fränkischer Bewohner am Rand des zerfallenden römischen Militärlagers.
 
Der Stoff, aus dem dei Sagen sind...

Wenn ich mich in die Situation eines der potentiellen Autoren des Nibelungenliedes reinversetze, dann wäre es mehr als wahrscheinlich, dass eine Reise in die mythisch beschriebenen (und verklärten?) Handlungsräume der Sagen nie stattgefunden hat. Reisejournale und Fernsehen gabs nicht, nicht mal Geographie-Unterricht, und ob gerade ein Reisender zur Verfügung stand, der viel Inhaltliches über ferne Länder und Leute zu berichten wusste, ist fraglich.

Somit dürfte es naheliegend sein, dass gewisse sagenhafte Handlungs-Lokalitäten sehr verwaschen und verfälscht aufgegriffen wurden, vielleicht sogar einfach nur der Name eines fernen Ortes ohne jegliche konkreten Inhalte weiterverarbeitet wurde. Eine erzählungstaugliche Worthülse also, die mittels individueller Fantasie des oder der Autoren mit Inhalt gefüllt wurde.

Vielleicht etwa so wie unser "Atlantis", das sich immer noch hartnäckig als Sagenmotiv hält... Oder auch so wie manche unserer postmodernen "Massenmedien-Sagen", die mit Klischee-verklärten Ortschaften ausgestattet sind; heute unter Umständen durchaus Marketing-tauglich, aber das ist eine andere Geschichte...

Zurück zu Xanten und den alten Sagen: Dann gingen auch noch die Jahrzehnte oder Jahrhunderte über die ersten (nicht oder wenig schriftlich gefassten) Sagenfassungen und haben die Locations wiederum verklärt und variiert. (hier auch das Stichwort: Orale Geschichte...)

Kein Wunder, wenn aus einem fernen "Xanten" mit Römerlager etc. dann vielleicht ein Königreich stilisiert wurde...keinen hats interessiert, obs stimmt; so geschichts- und geographiebewusst dürften die Leute in früheren mythischen Zeiten noch nicht gewesen sein (mit wenigen Ausnahmen, frühe Reiseberichte usw.)

Dies mal so als kleiner persönlicher Einblick gedacht, in den Stoff, aus dem die Sagen sind...
 
Zuletzt bearbeitet:
Entgegen Dieter bin ich nicht der Meinung, dass der historische Horizont im 5. Jh. zu suchen ist.

Pippin II (der Mittlere) (+ 714) hatte neben ehelichen auch uneheliche Söhne. Von denen Karl Martell einer ist, aber auch Childebrand. Dessen Sohn ist der erste bekannt Nibulung (sic!). Die Tochter Pippins des Älteren, die heilige Gertrud hat das Kloster "Nivelles" gegründet, ein Kloster, das im Adelsgeschlecht der Nibelung eine bedeutende Rolle spielte. Die Ähnlichkeit der Worte "Nivelles" und "Nibelung" lässt darauf schließen, dass Gertrud für den Geschlechternahmen gesorgt hat. Wie dem aber auch sei: Die "Zehn Bücher Geschichte" des Gregor von Tours wurden von Fredegar in seinen "Vier Bücher der Chroniken" bis 736 fortgesetzt. Diese Chronik von Fredegar wurde ab 736 bis 751 von Graf Hildebrand von Burgund fortgesetzt, Bruder oder Halbbruder von Karl Martell. Sein Sohn, Graf Nibelung von Burgund diktierte die Geschichte der Karolinger zwischen 751 und 768 seinem Schreiber, muss also ein enger Vertrauter des Herrschers gewesen sein. Das herausragende Ereignis der Zeit war der Dynastiewechsel von den Merowingern zu den Karolingern. Als der letzte Merowinger Childerich III. ins Kloster geschickt worden war und die Karolinger die Königswürde übernommen hatten, setzt die Geschichtsschreibung des Grafen Nibelung ein. Die Continuationes Fredegarii des Grafen Nibelung sind die Hauptquelle über die Ereignisse dieser Zeit.
Der burgundische Zweig der Nibelungen beginnt mit Hildebrand II. Sohn des Grafen Nibelung I. Hildebrtands Sohn Ekkard hatte 3 Söhne: Dietrich, Richard (Herzog von Burgund) und Boso, Graf von Vienne. Richards Sohn Rudolf wurde König von Frankreich. Boso wurde 879 König von Niederburgund. Dessen Sohn Ludwig III. wurde sogar Kaiser. Daneben gab es noch Rudolf I. von Hochburgund, ebenfalls König seit 888 und über seine Schwester Adelheid Schwager Richards (Herzogs von Burgund).
Es gab also um 900 drei benachbarte Herrschaftsräume mit Namen Burgund, 2 Königreiche und ein Herzogtum des Richard, dessen Sohn Rudolf 932 König von Francia wird.

Wir haben also zu diesem Zeitpunkt 3 Könige, die alle drei Nibelungen sind, wenn Rudolf I. von Hochburgund nur durch Verschwägerung. Diese Dreierstruktur findet sich im Nibelungenlied wieder. Und so erklärt sich, dass aus den Burgonden im ersten Teil des Liedes nachher Nibelungen werden.

Das burgundische Königtum kam im 12. Jh. mit allen 3 burgundischen Teilreichen durch die Ehe mit Beatrix von Burgund an den staufischen Kaiser Barbarossa. und seinen Sohn Heinrich VI. Die Pfalzgrafschaft Burgund erhielt Heinrichs Bruder Otto. Als das Nibelungenlied verfasst wurde, hatten alle drei ihren Lieblingsaufenthalt in Worms.

Die Dynastie der Nibelungen beginnt mit dem Pippiniden Hildebrand und Nibelung, Grafen von Burgund und reicht bis zu den Saliern mit Sitz in Worms und danach zu den Staufern Friedrich Barbarossa, Heinrich VI. und Philipp von Schwaben.
Es gibt Urkunden aus dem Anfang des 12. Jh., in denen Namen aus dem Nibelungenlied als Zeugen auftreten.

Man wird also den historischen Ereignisrahmen im 12. Jh. anzusetzen haben. Der germanistische Ansatz, ihn in der Völkerwanderungszeit zu suchen, darf als überholt gelten.
 
Im Nibelungenlied geht es doch eindeutig um die Vernichtung des Reichs der Burgunder durch die Hunnen. Dabei tauchen auch historische Namen auf, denn Gunther ist identisch mit dem in Quellen überlieferten Gundahar, und auch Etzel/Attila ist ebenso fassbar. Demnach liegt der historische Rahmen des Nibelungenlieds eben doch im 5. Jh., d.h. zur Zeit der Vernichtung des Wormser Burgunderreichs.

Etwas anderes ist natürlich die Tatsache, dass in die Erzählung höfische und ritterliche Elemente des Hohen Mittelalters eingeflossen sind, denn schließlich ist das Nibelungenlied die überlieferte Form eines österreichischen Dichters, der um 1200 lebte, und die alte Heldendichtung vermutlich im Umkreis des Bischofs Wolfger von Passau im Stil der zeitgenössischen höfischen Poesie bearbeitete.

Das ändert freilich nichts an der Tatsache, dass das mittelhochdeutsche Epos zusammengewachsen ist aus verschiedenen, in den germanischen Stämmen gesondert entwickelten Sagenkreisen. Hier ist zu unterscheiden, dass das Nibelungenlied aus zwei Teilen besteht, nämlich erstens Siegfrieds Werbung um Kriemhild und sein Tod, und zweitens der Untergang der Burgunder am Hof König Etzels. Und diesem zweiten Teil liegen eben geschichtliche Tatsachen zugrunde: Die Vernichtung des burgundischen Reiches am Rhein durch die Hunnen im Jahr 436 und der Tod Attilas im Jahr 453 in der Nacht seiner Hochzeit mit Ildico (Kriemhild!?), einer Germanin. - Dass sich zeitliche Lücken und Risse auftun ist - wie schon bemerkt - bei Sagenstoffen nicht ungewöhnlich.

Inwieweit der Sagenkreis Siegfried/Brünhild historisch zu verorten ist, bleibt nach wie vor umstritten und ist wohl auch nicht lösbar. Dafür werden von der Forschung archetypische, mythische und märchenhafte Züge neben der Heldensage geltend gemacht. Es gibt zwar eine schier unendliche Fülle von Hypothesen, doch über Spekulationen gehen alle nicht hinaus.
 
Die Aventiuren, die die äußere Handlung bestimmen, passen nicht in ein historisches Konzept, das sich ausschließlich auf die Zeit der Völkerwanderung bezieht: So fanden die Auseinandersetzungen mit den sächsischen Gegnern, wie sie in der 4. Aventiure geschildert werden, nicht im 5. Jh. statt. Der Hunneneinfall unter Attila mit der Entscheidungsschlacht auf den Katalaunischen Feldern 451 ist zwar ein einschneidendes Ereignis in der burgundischen Geschichte, wird aber im Nibelungenlied nicht erwähnt. Aucxh werden Personen erwähnt, die nicht zeitgleich gelebt haben: Theoderich d. Gr. (als Dietrich v. Bern) + 526, Kgin Brunhilde, dominante Gattin Gunthers, + 613, Bischof Pilgrim v. Passau + 991.
So schrieb schon Fouquet "Das Nibelungenlied - ein Burgundenlied? In. Nibelungenlied und Klage. Ursprung - Funktion - Bedeutung. Symposium Kloster Andechs 1995. Erschienen 1998: "Seit 70 Jahren lese ich vom Nibelungenlied als der Sage vom Burgondenuntergang, 437. Niemand schien darauf hinzuweisen, dass Theoderich 437 noch gar nicht geboren war, Attila noch nicht Alleinherrscher (im östlichen Reich)."

Der Versuch, mündliche Überlieferungen für ein Geschehen in der Völkerwanderungszeit anzunehmen, ist zwar nachvollziehbar, trägt aber als spekulativer Deutungsansatz nichts Wesentliches zur Interpretation der Dichtung bei. Das gleiche gilt für den Einfluss nordischer Sagenkreise. Dies ist auf die Rezeptionsgeschichte des Nibelungenliedes im ausgehenden 19. und beginnenden 20 Jh. zurückzuführen, die im Wesentlichen von Germanisten bestimmt war. Außerdem wird da offenbar Ursache und Wirkung verwechselt. Denn ein höheres Alter der nordischen Sagenkreise ist weder belegbar noch auch nur wahrscheinlich.

Noch 1998 konnte man lesen: "Diese Geschichten sind traditionelles Erzählgut, das letztlich auf historische Ereignisse des 5. und (vielleicht) des 6. Jahrhunderts zurückgeht. Die Erzähltradition: Die Nibelungen-Sage wird sehr lange nach diesen Ereignissen entstanden sein. Die ältesten Dokumente und Bilder und Texte, die diese Tradition bezeugen, sind freilich Jahrhunderte jünger, setzen aber doch auch lange vor dem Nibelungenlied ein." Dann wird Wilhelm Grimms "Deutsche Heldensage" herangezogen, dann nordwesteuropäische Bildüberlieferung, dann der in der 1. Hälfte des 9 Jh. niedergeschriebene Waltharius und sogar Saxo Grammaticus, der Anfang des 13. Jh. geschrieben hat.

Da gilt mein alter Spruch: Wo die Fakten fehlen, hat die Fantasie freien Auslauf.

Man nehme doch nur mal die Schneiderstrophen in der 6. Aventiure des Liedes (343 ff.). Da gehts um die Frage, welche Kleidung für die Brautwerbung in "Island" in Frage kommt: Siegfried antwortet, dass am Hofe Brünhildes nur das Feinste vom Feinen getragen werde.
"Wât die aller besten die ieman bevant,
die treit man z'allen zîten in Prünhilde lant."

"Die besten Gewänder, die je ein Auge sah,
die trägt man bei Hofe zu allen Zeiten da."

Ein Königshof in Island, das erst im 8. Jh. besiedelt und 1m 11. Jh. christianisiert wurde, soll Hort der aller neuesten Kleidermode gewesen sein (z'allen zîten).

Krimhild erklärt sich bereit, die exklusive Kleidung herzustellen: Die arabische Seide stammt aus Marokko und Syrien.
Die Angehörigen des Königshofes sind den Stoffen erstmals durch den siegreichen Zug Heinrichs VI. nach Sizilien 1194 begegnet, als Konstanze von Sizilien ihm einen Sohn, Friedrich Roger, gebar. In Sizilien befanden sich die Werkstätten, die als einzige in der bekannten Welt diese Stoffe aus Seide, Gold und Brokat herstellen konnten. Denn Konstanzes Vater Roger II. hatte sie von Griechenland nach Sizilien zwangsumgesiedelt (Gisela Helmecke: Sizilianische Textilien von den Arabern bis zu den Staufern. In: Das Staunen der Welt. Berlin 1995.). Dafür sind der Krönungsmantel Rogers und die Albe des Normannenkönigs Wilhelm II. gute Beispiele. Sie liegen beide bei den Reichskleinodien in Wien. In der 7. Aventiure wird auch die Kleidung Brünhildes erwähnt:
"Vernemt noch von ir wæte: der hete si genuoc.
von Azagouc der sîden einen wâfenroc si truoc,
edel unde rîche; ab des warwe schein
von der künneginne vil manic hêrlîcher stein."

"Hört auch von ihrer Kleidung: die war reich genug.
Einen Waffenrock aus Seide von Azagouk sie trug,
Kostbar und fein gewoben in buntem Farbenschein.
Dem Seidenglanz entgegen funkelte manch lichter Stein."

Das ist ebenfalls sizilianische Arbeit. Damit wird eine Entsprechung von Worms und "Island" herbeigeführt, das keinesfalls die Insel sein kann, die heute Island heißt.

Deutlicher wird's am Ende der 9. Aventuire:

"Vil manigen gürtel spæhen, rîch únde lanc,
über liehtiu kleider vil manic hant dô swanc
ûf edel röcke ferrans von pfelle ûz Arabî.
den edeln juncvrouwen was vil hôher freuden bî."

Es ist von ferrantinischen Röcken aus arabischen Stoffen die Rede. Der Herstellungsort Ferrantina liegt mitten im sizilianischen Königreich südlich von Castel del Monte, also im Herrschaftsbereich von Konstanze und Heinrich VI.

Auch Siegfrieds Ausstattung in der 16. Aventiure weist in den Süden: Sein Köcher ist mit Pantherfell überzogen.

Das kann man nicht einfach als den eigenen Vorstellungen widersprechend bei Seite wischen. Der Dichter hat sich dabei etwas gedacht!
 
Es ist völlig unbestritten, fingalo, dass sich das Nibelungenlied aus verschiedenen Elementen und Sagenkreisen zusammensetzt und dass daraus schließlich ein Epos in hochmittelalterlicher Tradition wurde. Hier geht es aber um historische Kerne und davon gibt es mehrere, die - wie bei Mythen und Sagen üblich - natürlich nicht bruchlos und stromlinienförmig zusammenpassen.

Wie ich oben schon ausgeführt habe, geht es in einem Erzählstrang um die Vernichtung der Burgunder unter ihrem König Gunther durch die Hunnen. König Gunther ist eindeutig von allen Forschern als der in den Quellen genannte "König Gundahar" identifiziert worden, in dessen Regierungszeit das Wormser Burgunderreich im Jahr 436 durch Hunnen vernichtet wurde. Mit der von dir genannten Schlacht auf den Katalaunischen Feldern hat das nicht das mindeste zu tun. Die Burgunder waren nach der Katastrophe von 436 so dezimiert, dass ihre Reste von Aetius in Sayoyen um Genf angesiedelt wurden. Dort gelang ihnen ein neuer Aufstieg, bis sie 534 den Franken unterlagen und ins Frankenreich eingegliedert wurden.

Das heißt also, dass zumindest der historische Kern, der Burgunder/Gunther/Hunnen umfasst, ganz zweifelsfrei ermittelt ist.

Davon unberührt gibt es andere Elemente, die der hochmittelalterliche Dichter mit höfischen Elementen angereichert hat, die sich natürlich deutlich und offensichtlich von Begebenheiten des 5./6 Jh. abheben. Man muss einfach akzeptieren, dass das Nibelungenlied verschiedene Elemente aus verschiedenen Epochen zusammenführt, die miteinander verwoben werden. Der Zusammenbruch des Burgunderreichs ist dabei ein wichtiger Teil des Mosaiks.

Im Hinblick auf Siegfried wurde verschiedentlich die Vermutung geäußert, dass er mit dem Frankenkönig Sigibert I. identisch sein könne, der mit der westgötischen Prinzessin Brunhild vermählt war, und im Jahr 575 ermordet wurde. Dies nur als EIN Beispiel der zahlreichen Hypothesen.

Freimachen muss man sich jedoch von der Vorstellung, dass all diese Elemente zeitlich bruchlos zusammenpassen. Es ist im Gegenteil geradezu ein Merkmal der Sagen und Mythen, dass zeitlich unterschiedliche Ereignisse zusammengefügt werden.
 
Zuletzt bearbeitet:
fingalo schrieb:
Siegfried antwortet, dass am Hofe Brünhildes nur das Feinste vom Feinen getragen werde.
"Wât die aller besten die ieman bevant,
die treit man z'allen zîten in Prünhilde lant."

"Die besten Gewänder, die je ein Auge sah,
die trägt man bei Hofe zu allen Zeiten da."

Ein Königshof in Island, das erst im 8. Jh. besiedelt und 1m 11. Jh. christianisiert wurde, soll Hort der aller neuesten Kleidermode gewesen sein (z'allen zîten).

Krimhild erklärt sich bereit, die exklusive Kleidung herzustellen: Die arabische Seide stammt aus Marokko und Syrien.

Hallo fingalo,

Du solltest in Betracht ziehen, dass der Dichter des Nibelungenliedes die in der Geschichte handelnden Personen in der Kleidung und Ausstattung seiner eigenen Zeit (12.Jh.) wiedergegeben haben könnte. Daraus zu schließen, dass die Personen bzw. Handlungen zwingend in diese Zeit positioniert werden müssen, ist wenig nachvollziehbar.

Gruß, Cato
 
Genau das wollte ich damit sagen, Cato: Bestimmte Ereignisse ragen noch aus germanischer Zeit ins Nibelungenlied hinein, werden dort aber domestiziert, d.h. in der Verkleidung und Attitüde des Hochmittelalters wiedergegeben.

Wer diesen Sagenszoff noch archaisch-heidnisch erleben will, der muss lediglich in der Edda das Sigurdlied und die Sage von Atli durchlesen ("Sigurdarkvida Fafnisbana thridja" und "Atlakvida").
 
Dieter schrieb:
Davon unberührt gibt es andere Elemente, die der hochmittelalterliche Dichter mit höfischen Elementen angereichert hat, die sich natürlich deutlich und offensichtlich von Begebenheiten des 5./6 Jh. abheben. Man muss einfach akzeptieren, dass das Nibelungenlied verschiedene Elemente aus verschiedenen Epochen zusammenführt, die miteinander verwoben werden. Der Zusammenbruch des Burgunderreichs ist dabei ein wichtiger Teil des Mosaiks.
Dann bleibt doch die einzig spannende Frage, nach welchen Gesichtspunkten der Dichter seine Mosaiksteine ausgewählt hat. Alte Schulfrage: Was wollte uns der Dichter damit sagen? Warum wählte er diese und keine anderen Elemente?
Das führt zur Erzählabsicht des Dichters.
Dazu genügt es nicht, den Untergang der Burgunden 536 zu identifizieren. Das führt zu gar nichts. Das gleiche gilt für die Sagenelemente nordischer Mythologie, von denen man nicht einmal weiß, ob sie nicht aus Mitteleuropa nach Skandinavien eingeschleppt sind; denn immerhin findet man dort keine Quellen, die wesentlich älter sind als die hiesige Überlieferung, so dass die zeitliche Reihenfolge unentschieden bleibt. Die für die Deutung wirklich wichtigen Elemente sind die zeitgenössischen Anspielungen (oder die aus der Zeit kurz vor der Abfassung des Werkes), wie ich sie in ein paar Beispielen vorgeführt habe.

Ich weiß, dass es so Freaks gibt, die den Drachen am liebsten bis nach China zurückverfolgen würden. Jedenfalls wurde ja schon das römische Heer ins Spiel gebracht. Nun frage ich: Welcher Erkenntnisgewinn ist aus solchen Spekulationen zu ziehen? Was ergibt sich daraus, selbst wenn es stimmen würde? Kommt man dem Gedicht in irgendeinem Punkte etwas näher? Oder ist das so wichtig, wie die Frage, welche Tinte der Schreiber der ältesten Fassung verwendet hat?

Glaubt man denn wirklich, man käme dadurch geheimnisvollen sonst unbekannten Ereignissen aus ferner Vergangenheit auf die Spur? Dann ist's doch so, dass man erst die Ereignisse konstruiert und sie dann im Gedicht findet und den langen zeitlichen Abstand mit einer "mündlichen Erzähltradition" überbrückt - kurz, man macht einen phantastischen spekulativen Zirkelschluss, indem man ein Vergangenheit aus dem Gedicht herausliest, die man bereits vorher abstrakt und ohne Quelle postuliert hat. Soweit man aber andere Quellen hat (wie bei dem Burgundenuntergang), bringt das Wiederfinden im Nibelungenlied als solches nichts. Erst die Frage, warum jemand um 1200 gerade dieses Motiv aufgreift, kann zu relevanten Erkenntnissen führen. Dazu muss man aber die Fragen an die Zeit des Dichters um 1200 richten, denn nur dort lassen sich die Auswahlkriterien für die Erzählelemente finden. Dazu sind insbesondere die Erzählelemente wichtig, die in die Zeit des Dichters fallen - wie die Kleidung der beteiligten Frauen. Diese sind für das Nibelungenlied wichtiger, als die Uraltbausteine.
 
Dieter schrieb:
Wer diesen Sagenszoff noch archaisch-heidnisch erleben will, der muss lediglich in der Edda das Sigurdlied und die Sage von Atli durchlesen ("Sigurdarkvida Fafnisbana thridja" und "Atlakvida").
Wobei aber nicht gesagt ist, dass sie skandinavischen Ursprungs ist. Die Lieder sind nach 1000 entstanden und ihr Stoff wurde vom Festland nach Island transportiert. Nur ist dieser Stoff wesentlich anders gestaltet als im Nibelungenlied; daher kommt man nicht um die Frage herum, warum der Dichter den Stoff so verändert hat, wie wir ihn im Nibelungenlied vorfinden. Das beginnt mit der Feststellung der Veränderungen selbst und der zeitlichen Zuordnung der neuen Elemente.
 
Die germanistische Sezierung des Nibelungenlieds führt uns hier nicht weiter und war auch nicht Ausgangspunkt von Michas Frage. Er wollte wissen, wie Xanten wohl zur Zeit des Helden Siegfried ausgesehen hat, und meinte damit natürlich NICHT das Xanten des 12. Jahrhunderts, sondern das zur Zeit des Burgunderreichs am Rhein. Und dieses Reich gab es - zeitgleich mit Xanten - nur am Anfang des 5. Jahrhunderts!

Also: Damals war Xanten ein winziger Ort, dessen Holzhäuser Franken bewohnten, die vermutlich in der Nähe des zerfallenden Militärlagers siedelten.
 
Cato schrieb:
Hallo fingalo,

Du solltest in Betracht ziehen, dass der Dichter des Nibelungenliedes die in der Geschichte handelnden Personen in der Kleidung und Ausstattung seiner eigenen Zeit (12.Jh.) wiedergegeben haben könnte. Daraus zu schließen, dass die Personen bzw. Handlungen zwingend in diese Zeit positioniert werden müssen, ist wenig nachvollziehbar.
Nur dann, wenn man bereits felsenfeste Überzeugungen hat.
Wir haben es hier mit vielen übereinandergelegten Folien zu tun. Dass der Dichter um 1200 isländische Menschen mit arabischen Stoffen einfach so ausstattet, ist überhaupt nicht nachvollziehbar. Um 1200 war in Deutschland hinreichend bekannt, dass da überhaupt nichts war, was irgendwie sehenswert gewesen wäre, geschweige denn Prachtentfaltung. Fazit: Die handelnden Personen (Brünhilde in Island) können ohne Lacherfolg nicht im Ernst mit arabischer Seide und Edelsteinen ausgestattet werden. Wenn kein Lacherfolg eintrat, dann nur deshalb, weil der zeitgenössische Hörer durch die verschiedenen Anspielungen sofort darüber im Bilde war, dass "Island" hier für etwas anderes stand, wofür, wurde durch die Schneiderstrophen deutlich gemacht. Nur so rum wird ein einigermaßen plausibler Zusammenhang erstellt.
Aber ich sehe schon, die Germanistensicht des 19. Jh. ist beinhart in den Köpfen einzementiert. Nur was ihr entspricht, ist "nachvollziehbar".
Die umgekehrte (Historiker-)sicht, dass Personen der Gegenwart mit Elementen der Vergangenheit leicht verfremdet sein könnten, ist dann eben logischerweise "schwer nachvollziehbar".

(Die "Historikersicht" ist übrigens nicht neu. Sie war vor allem in Frankreich favorsiert, unter vielen anderen französischen Forschern: L. Levillain, Les Nibelungen historiques et leurs alliances de famille. In: Annales du Midi. Paris Jg. XLIX 1937. Auch Georg Holz, Der Sagenkreis der Nibelungen, Leipzig 1907 hat die Frage gestellt, ob das Nibelungenlied nicht ein Teil der fränkischen Reichsgeschichte mit der mächtigen Dynastie der Nibelungen sei. Das gleiche begann 1915 Walter Matthias (zur Deutung des Namens der Nibelungen, in: Germanisch-romanische Monatsschrift VII (1915)), kam aber nicht dazu, da er im WK I. gefallen ist. Aber gleichwohl beginnt das Deutungsmonopol der Germanisten langsam aufzubrechen.)
 
Dieter schrieb:
Also: Damals war Xanten ein winziger Ort, dessen Holzhäuser Franken bewohnten, die vermutlich in der Nähe des zerfallenden Militärlagers siedelten.
Richtig.
Und was ergibt sich daraus für das Lied, wenn dort Xanten nicht das bedeutungslose Nest ist?

Es ist ja richtig, dass meine Ausführungen keine Antwort auf Michas Frage sind, sondern eher assoziativ damit lose zusammenhängen - nämlich durch die Frage nach dem Sinn solcher Fragen in Bezug auf das Lied. Einen neuen Thread wollte ich deshalb nun nicht gleich aufmachen. Es kommt ja öfter vor, dass sich aus einer Frage weiterführende Diskussionen ergeben.
 
Fingalo - zunächst herzlichen Glückwunsch zu deinem 1000 Beitrag! Gratuliere !!!

Ich wollte die Diskussion über das Nibelungenlied auch nicht abwürgen, aber ich glaube, wir bewegen uns im Kreis. Mir ist auch nicht völlig klar, was du überhaupt mit deinen ausführlichen Beiträgen sagen möchtest. Leugnest du nun jeden historischen Kern des Nibelungenliedes, bzw. die dort verankerten Motive aus germanischer Zeit? Sie sind für mich so offensichtlich, dass daran wohl kaum zu zweifeln ist. Was die Hereinnahme solcher Motive nun für den hochmittelalterlichen Dichter bedeutete, ist mir - ehrlich gesagt - ziemlich gleichgültig. Die hochmittelalterliche Rezeptionsgeschichte stößt bei mir nur auf mäßiges Interesse, denn ich bin kein Germanist und hinsichtlich des Nibekungenliedes lediglich an etwaigen frühmittelalterlichen historischen Wurzeln interessiert.
 
Zuletzt bearbeitet:
Dieter schrieb:
Mir ist auch nicht völlig klar, was du überhaupt mit deinen ausführlichen Beiträgen sagen möchtest.
Ich möchte den Blick auf die Darstellung der Verhältnisse im 12. Jh. im Nibelungenlied lenken, denn sie sind der Inhalt des Liedes. Die alten frühmittelaterlichen Erzählelemente sind ein Teil der Knete, aus der das Lied gemacht worden ist. Und wie Knete halt ist - sie wird verformt, bis das herauskommt, was der Dichter darstellen will.
Dieter schrieb:
Leugnest du nun jeden historischen Kern des Nibelungenliedes, bzw. die dort verankerten Motive aus germanischer Zeit?
Aber nicht doch. Ich behaupte ja gerade den historischen Kern - aber im entscheidenden Punkt für das 12. Jh. Die germanische Zeit ist dabei eher ohne Belang. Das ist der Steinbruch, aus dem sich der Dichter bedient hat. Erkenntnisse sind auf dieser Schiene nicht zu gewinnen.

Dieter schrieb:
Was die Hereinnahme solcher Motive nun für den hochmittelalterlichen Dichter bedeutete, ist mir - ehrlich gesagt - ziemlich gleichgültig. Die hochmittelalterliche Rezeptionsgeschichte stößt bei mir nur auf mäßiges Interesse, denn ich bin kein Germanist und hinsichtlich des Nibekungenliedes lediglich an etwaigen frühmittelalterlichen historischen Wurzeln interessiert.
Was ich darstelle hat mit Germanistik nichts zu tun. Wo sage ich irgendewtwas über Rezeptionsgeschichte? Die Frage (und der Verdacht) lautet, ob es sich hier um dichterisch verarbeitete fränkische Reichsgeschichte handelt. Das wird kein Germanist behandeln.
Aber nun möchte ich mal umgekehrt fragen: Was ergibt sich aus der Identifikation frühmittelalterlicher historischer Wurzeln im Nibelungenlied?
Was ergibt sich daraus, wenn ich in Thomas Manns "Josef und seine Brüder" Wurzeln im Alten Testament identifiziere?
Was ergibt sich daraus, wenn ich in Goethes Gedicht "Bedecke Deinen Himmel, Zeus, mit Wolkendunst ..." diesen Zeus als Götterfigur der alten Griechen identifiziere?
Schon bei Ilias und Odyssee führt diese Art von Fragestellung entweder zu sterilen Phantastereien in dem von mir dargestellten Zirkelschluss, oder es gibt andere Quellen außerhalb der Dichtung (auch archäologische), die eben die Realität ans Licht bringen und die Frage an die Dichtung überflüssig machen.
 
Ich habe es stets interessant gefunden, fingalo, dass historische Ereignisse des frühen Mittelalters bzw. der Völkerwanderungszeit im Nibelungenlied auftauchen. Selbst wenn diese Ereignisse - wie du dich sehr richtig ausdrückst - Knetmasse oder Steinbruch sind, so sind sie doch vorhanden und müssen auf irgendeiner Schiene über mehr als 700 Jahre tradiert worden sein. Das heißt also, dass bestimmte geschichtliche Katastrophen trotz der enormen Zeitspanne so lebendig blieben, dass sich ein Nachhall im Nibelungenlied findet. Das ist doch eine unerhörte Sache, nicht wahr?

Die Katastrophe der Burgunder z.B. muss die Leute derart nachhaltig beeindruckt haben, dass die Kenntnis über so lange Zeit nicht verloren ging. Das Nibelungenlied hat das Ereignis zumindest rudimentär bewahrt, und erst wiederum mehrere Jahrhundert später konnten Historiker feststellen, dass die Aussage des Liedes auf Wahrheit beruhte. Selbst wenn der hochmittelalterliche Dichter am germanischen Tatbestand kein Interesse gehabt haben sollte, so hat er uns dennoch informiert. Eine starke Leistung!

Ferner hat er uns informiert über Attila und seine Ehe mit der Germanin Ildico, die man durchaus mit der "Kriemhild" des Nibelungenliedes identifizieren könnte.

Das alles sind Tatbestände, die ich für sehr beeindruckend halte, auch wenn möglichwerweise das höfische Epos an ganz anderen Aussagen interessiert war.

Was nun Parallelen zur fränkischen Reichsgeschichte angeht, so kann ich mir solche Parallelen durchaus vorstellen. Ich kann mir z.B. vorstellen, dass bewusster Siegfried der Sohn eines fränkischen Kleinkönigs war, der als junger "Schlagetot" am Hof des Gundahar - des Königs Gunther im Nibelungenlied - aufgetaucht ist. Wie ich oben schon sagte, gibt es ja einen fränkisch-austrasischen Sigibert I., der mit einer Brunhild vermählt war, und im Jahr 575 ermordet wurde. Lässt sich ausschließen, dass sein Schicksal mit dem Untergang der Burgunder verwoben wurde, auch wenn die Zeiten wie immer bei Mythen auseinanderdriften?

Aus diesen Gründen ist das Nibelungenlied für derartige Untersuchungen oder auch Spekulationen gut geeignet, auch wenn sich etwaige "germanische Tiefbohrungen" natürlich verbieten.
 
Dieter schrieb:
Ich habe es stets interessant gefunden, fingalo, dass historische Ereignisse des frühen Mittelalters bzw. der Völkerwanderungszeit im Nibelungenlied auftauchen. Selbst wenn diese Ereignisse - wie du dich sehr richtig ausdrückst - Knetmasse oder Steinbruch sind, so sind sie doch vorhanden und müssen auf irgendeiner Schiene über mehr als 700 Jahre tradiert worden sein. Das heißt also, dass bestimmte geschichtliche Katastrophen trotz der enormen Zeitspanne so lebendig blieben, dass sich ein Nachhall im Nibelungenlied findet. Das ist doch eine unerhörte Sache, nicht wahr?

Die Katastrophe der Burgunder z.B. muss die Leute derart nachhaltig beeindruckt haben, dass die Kenntnis über so lange Zeit nicht verloren ging. Das Nibelungenlied hat das Ereignis zumindest rudimentär bewahrt, und erst wiederum mehrere Jahrhundert später konnten Historiker feststellen, dass die Aussage des Liedes auf Wahrheit beruhte. Selbst wenn der hochmittelalterliche Dichter am germanischen Tatbestand kein Interesse gehabt haben sollte, so hat er uns dennoch informiert. Eine starke Leistung!
Och, die mussten nur Prosper Tiro Aquitanus lesen (nach ihm wurde die Niederlage 436 allerdings durch den römischen Heermeister Aetius mit hunnischen Hilfstruppen herbeigeführt), oder Paulus Diaconus. Also die Burgunden - Hunnen-Auseinandersetzung ist auch anderweitig und zeitnäher überliefert. Wenn's ausschließlich das Nibelungenlied wäre, dann würde ich auf die Historizität dieses Bausteins soviel geben wie auf die Schilderung von König Artus' Tafelrunde.

Dieter schrieb:
Ferner hat er uns informiert über Attila und seine Ehe mit der Germanin Ildico, die man durchaus mit der "Kriemhild" des Nibelungenliedes identifizieren könnte.
Umgekehrt: Er hat uns über Kriemhild informiert, die man an Hand anderer (seriöser) Quellen mit Ildico identifizieren konnte.

Dieter schrieb:
Das alles sind Tatbestände, die ich für sehr beeindruckend halte, auch wenn möglichwerweise das höfische Epos an ganz anderen Aussagen interessiert war.
Tut mir leid, aber ich kann das aus 2 Gründen nicht nachvollziehen: 1. Selbstverständlich gab es im 12. Jh. Aufzeichnungen über die Vergangenheit, Annalen usw., die am Kaiserhof vorhanden waren, aber später verloren gingen. Dass einer am Hofe des Kaisers die dort vorhandene Literatur gelesen hat, ist nun so erstaunlich nicht. 2. Und wenn - was ist das mehr als das erstaunte Offenstehen eines Mundes?

Dieter schrieb:
Was nun Parallelen zur fränkischen Reichsgeschichte angeht, so kann ich mir solche Parallelen durchaus vorstellen. Ich kann mir z.B. vorstellen, dass bewusster Siegfried der Sohn eines fränkischen Kleinkönigs war, der als junger "Schlagetot" am Hof des Gundahar ...
Das halte ich für ganz unwahrscheinlich, dass so ein kleiner Spund eine solche tragende Rolle in einem solchen Epos erhält.
Allerdings bin ich dagegen, das Nibelungenlied gleich als Schlüsselroman zu betrachten: Konstanze von Sizilien = Brünhild, Siegfried = junger Schlagetot am Hof eines fränkischen Kleinkönigs usw. Das ist sicher falsch. Aber man kann sehr wohl Elemente von bedeutenden historischen Figuren ausmachen, die in die Sigfriedgestalt eingeflossen sind. So scheint mir eine Inspirationsquelle für die Formung der Siegfriedgestalt die Vita des Richard Löwenherz gewesen zu sein.
Dass Siegfried über die Kleidermode Brünhildes Bescheid wusste, ist ein Anklang an die Tatsache, dass Richard Löwenherz bereits vor Heinrich VI., nämlich 1191 in Sizilien bei seiner Schwester Johanna zu Besuch war und die dortige Pracht gesehen hatte.
Die Stärke Brünhilds und die Schwäche Gunthers findet eine Parallele in Konstanzes Ehe mit König Heinrich. Sie war 11 Jahre älter als Heinrich und stand ihm zeitweise sogar feindlich gegenüber. Ihr Sohn wurde erst 8 Jahre nach der Hochzeit beim Italienzug Heinrichs 1194 geboren. Dieser Zug wurde von der Lösegeldsumme des Richard Löwenherz finanziert.
Das selbstbewusste Auftreten Brünhilds gegenüber Gunther erinnert daran, dass Konstanze selbstbewusste Regentin des Königreichs Sizilien war, wo sie aus eigener Machtvollkommenheit ohne Kaiser nur auf Grund ihres Erbrechts geurkundet hat.
Siegfried geht ja zurück ins Land der Nibelungen und bietet dort 1000 Ritter auf. So reich ist er, wie die Handschrift C betont, durch der Nibelunge Hort. Also kein "junger Schlagetot". Das passt eher zu der zeitgenössischen Auffassung von Richard Löwenherz, der den Zeitgenossen unermesslich reich vorkam, einerseits aus dem Königreich England, andererseit von seinen Besitzungen in Frankreich (Aquitanien, Normandie) und sein Einfluss in Brabant und Sachsen. Aber der Dichter behält auch hier seine dichterische Freiheit gegenüber seiner Figur: Siegfried stirbt durch einen Speer, Richard durch einen Pfeil. Der Verfasser der ersten Bilderhandschrift des 15. Jh. lässt Siegfried allerdings durch einen Pfeilschuss sterben. Der wusste wohl noch besser Bescheid! (Das Nibelungenlied in spätmittelalterlichen Illustratioenen. Die 37 Bildseiten des Hundeshagenschen Codex. Bozen 1983.).
Aber die Sensation war ja damals die Gefangennahme des englischen Königs Richard bei seiner Rückkehr von seiner Kreuzfahrt. Das konnte keinen Dichter kalt lassen. Es gibt eine bildliche Darstellung dieses Ereignisses mit erläuterndem Text aus Sizilien 1195 (Petrus Ebulo, Liber ad honorem Augusti sive derebus Siculis..., Sigmaringen 1994). Gezeigt wird die Gefangennahme Richards und seine Auseinandersetzung mit Kaiser Heinrch VI. Richard trägt zur Tarnung über seiner Rüstung einen Mantel mit Cappa (die in der Tarnkappe ihre Entsprechung findet), dazu einen Köcher voller Pfeile, und er trägt das Schwert in der Hand. Auf dem Pilgermantel ist ein kleines Kreuz aufgenäht, das ihn als Kreuzfahrer ausweist. Das entspricht dem Kreuz, das Kriemhild auf den Rat Hagens hin auf den Mantel Siegfrieds näht: Es ist das zeichen der Verwundbarkeit und des nahen Todes. Das ist aber nicht die Absicht der Kriemhild. Sie wählt es als Schutz. Beides zu vereinen war schon immer schwierig. Denn eigentlich vordergründig ist das Verhalten schlicht dämlich. Denn ohne dieses Zeichen hätte niemand genau diese (unbekannte) Stelle treffen können. Aber in der politischen Situation des 12. Jh. war das aufgenähte Kreuz durchaus gleichzeitig Schutz- und Todeszeichen. Denn ein Kreuzzug war kein Spaziergang! Aber die Besonderheit, dass er nicht durch einen Feind, sondern durch einen Gefährten den Todesstoß erhält, erfährt eine gewisse Parallele darin, dass Richards Mitstreiter Herzog Leopold VI. von Österreich seine Gefangennahme und Auslieferung an Heinrich VI. bewirkt.
Bezüge gibt es im Nibelungenlied zu Richard Löwenherz mehrere: Siegfrieds Zweikampfforderung, sein einjähriger müßiger Aufenthalt in Worms, sein unklarer Status als König und Lehnsmann, seine Liebesheirat, der kurzfristig abgeblasene Zug gegen die Sachsen und der Transport des Nibelungenhortes nach Worms. Letzteres ist wohl der gewaltige normannische Schatz, den Heinrich der VI. 1194 nach seinem Zug nach Sizilien auf den Trifels bringen ließ, darunter auch die Reichskleinodien.
Dieser Schatztransport und die Beschreibung der Krone im Lied hat mannigfache Bezüge zu diesem historischen Ereignis.

Das 5. und 6. Jh. tritt nur ganz rudimentär in Erscheinung. Nicht mal Nibelungen gab's da! Die Haupthandlung ist vollgestopft mit Bezügen zu Personen und Ereignissen des 12. Jh.
 
Zurück
Oben