Sinn und Unsinn der Nation

http://www.geschichtsforum.de/showthread.php?t=12946&page=3
Hier wird diese Kontroverse fortgesetzt, da sie an ihrem derzeitigen Ort deplaziert ist.
@Barbarossa
Du deutest es an: Es gibt einen Unterschied zwischen politischer und ethnischer Nation. Doch zumeist ist man schlicht als politische Nation am stärksten, denn hätte sich das römische Reich über Ethnie deffiniert, wäre nicht viel davon übergeblieben. Und da manche Ethnien sehr klein sind, mag es erst recht von Vorteil sein ein Teil einer größeren politischen NAtion zu sein, sofern die Rechte aller Ethnien gewahrt bleiben.
 
Das gebe ich dir sogar recht - bis hierhin in allem. Über den Nationenbegriff haben wir hier (kennst du den Pfad?) ja bereits ausführlich Meinungen ausgetauscht - mich mit diesem Thema zu beschäftigen, war auch für mich sehr aufschlußreich. So war z. B. HRR im Grunde auch so ein Vielvölkerstaat - erst mit dem Wegfall Italiens im Westfälischen Frieden war das Reich selbst eine (fast) reine Deutsche Nation. Für Habsburg trifft das natürlich nicht zu, wegen Ungarn z. B. Und da trifft das genau so zu - solange die Kaiser/Könige stark waren, war das Reich nahezu unangreifbar. Erst mit zunehmender Schwäche und Zersplitterung fingen die Nachbarn - allen voran Frankreich - an, sich Stückchen daraus "herauszureißen". ( OK. - noch ne kleine Provokation: ganz besonders unter den Habsburgern! :D )
 
Das HRR war nie eine "reine Deutsche Nation"!
Das Königreich Böhmen war immer zweisprachig (mit großer tschechischer Mehrheit), bis 1806 im HRR!
Die spanische, später österreichische Niederlande sprach zum Teil französisch, bis 1797/1803 im HRR!
Trient italiensch, Herzogtum Kärnten und Krain slowenisch, ebenfalls HRR bis 06.
Schlesien war ebenfalls gemischtsprachig und Teil des HRR bis zum Ende.

Weder Preussen noch das "Zweite Reich" waren "rein", es gab eine große polnische Minderheit, von der Annexion des Elsass ganz abgesehen.
 
Ja gut, für Habsburg habe ich ja die Einschränkung schon gemacht und sonst - nationale Minderheiten gibt es wohl in jedem Staat. Nicht umsonst schrieb ich ja "(fast) reine Deutsche Nation", daß heißt, das Reich hatte ab 1648 etwa zu 80-90% eine rein deutsche Bevölkerung. Tragisch finde ich dabei jedoch den annähernden Totalausfall der kaiserlichen Zentralgewalt, die sich jahrhundertelang auf die Hausmacht beschränkte.
 
Im modernen Begriff der Nation wäre es unredlich sich nur die negativen oder positiven Aspekte herauszugreifen und gegeneinander auszuspielen.

Ohne Frage, hat der Nationalismus Mobilisierungsleistungen vollbracht, ein allgemeines Gemeinschaftsgefühl aktiviert, die bis dato ohne Beispiel waren. (Kaum denkbar, dass die französische Revolution überlebt hätte, ohne hren Nationalismus).

Aber: dieses Gemeinschaftsgefühl beruht auf umso schärferer Abgrenzung nach außen, auf klarerer Unterscheidung zwischen "wir" und "sie". Die (relative) Neutralisierung der Aggression im Innern (auch abgesichert durch das Gewaltmonopol des Staates) ermöglicht eine weitaus brutalere Gewaltentfaltung nach außen (als das etwa bei feudalen Systemen denkbar war).

Die Unterschiedung "Wir"- "Sie" richtet die kollektive Aggression zudem gegen Minderheiten im "eigenen" Territorium (wobei schon der Gedanke eines klar abgegrenzten Territoriums etwas sehr "abendländisches" ist). Zugespitzt: wer ja sagt zum erhebenden Gefühl bei Hymne und Flagge, der kann nicht nein sagen zur Entfernung von störenden Minderheiten auf die eine oder andere Weise.

In der Geschichte zeigt sich eine Tendenz zur Bildung immer größerer Wir-Gruppen. Gegenüber der lokalen Beschränktheit der feudalen Ära (auf die Stadt, die Region) war die Nation ein Fortschritt. Gegenüber der nächsten Integrationsstufe zu supranationalen Gebilden wurde sie zunehmend zum Hemmschuh. In Europa hat das Konzept der Nation seit dem II. WK jedes fortschrittliche Potential verloren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber: dieses Gemeinschaftsgefühl beruht auf umso schärferer Abgrenzung nach außen, auf klarerer Unterscheidung zwischen "wir" und "sie". Die (relative) Neutralisierung der Aggression im Innern (auch abgesichert durch das Gewaltmonopol des Staates) ermöglicht eine weitaus brutalere Gewaltentfaltung nach außen (als das etwa bei feudalen Systemen denkbar war). .
Darum ist im Grunde jedes Nationalgefühl eine Bedrohung für Leib und Leben von Menschen! Und deshalb auch zutiefst abzulehnen! Man kann vielleicht einen Kulturraum mehr schätzen als einen anderen, doch die "Nation" kann nie ein unabhängiges Gebilde sein, da sich Ntionalitäten gegenseitig beeinflussen, vor allem die in direkter Nachbarschaft leben.
@Barbarossa Woher niemmst du dein Wissen um das "mehrheitlich deutsche Reich"? Könntest du bitte Zahlen liefern?
 
Darum ist im Grunde jedes Nationalgefühl eine Bedrohung für Leib und Leben von Menschen! Und deshalb auch zutiefst abzulehnen!

Du meinst sicher Nationalismus, - ein Nationalgefühl ist solange unverdächtig, wie es sich nicht über andere Nationen erhebt, (Nationalismus, Chauvinismus ) .Ein positives National-Gefühl ist für noch niemanden eine Bedrohung, es kann innere Stütze einer Gesellschaft sein, um andere Nationalitäten zu schätzen in ihrer Andersartigkeit und Geschichte. Für diese Haltung ist ein reflektiertes nationales Selbstbewußtsein von entscheidender Bedeutung . Das Fehlen eines solchen birgt ebenso Gefahren für alle wie dessen Übersteigerung.
 
Du meinst sicher Nationalismus, - ein Nationalgefühl ist solange unverdächtig, wie es sich nicht über andere Nationen erhebt, (Nationalismus, Chauvinismus ) .Ein positives National-Gefühl ist für noch niemanden eine Bedrohung, es kann innere Stütze einer Gesellschaft sein, um andere Nationalitäten zu schätzen in ihrer Andersartigkeit und Geschichte. Für diese Haltung ist ein reflektiertes nationales Selbstbewußtsein von entscheidender Bedeutung . Das Fehlen eines solchen birgt ebenso Gefahren für alle wie dessen Übersteigerung.
Das Problem ist halt, Nationalgefühl ist die Vorraussetzung für Nationalismus. Und inwiefern das Fehlen von NAtionalgefühl problematisch sein soll, ist mir nicht ganz klar. Inwiefern beeinträchtigt es das Funktionieren des Parlaments,der Marktwirtschaft, der staatlichen ORganisationen etc.?
 
Franz Grillparzer hat 1849 unter dem Eindruck der nationalen Revolutionen die prophetischen Worte "Der Weg der neueren Menschheit geht von der Humanität durch die Nationalität zur Bestialität" geschrieben.
Dem ist wenig hinzuzufügen.
 
Franz Grillparzer hat 1849 unter dem Eindruck der nationalen Revolutionen die prophetischen Worte "Der Weg der neueren Menschheit geht von der Humanität durch die Nationalität zur Bestialität" geschrieben.
Dem ist wenig hinzuzufügen.
Dem ist eigentlich gar nichts mehr hinzuzufügen.
Als alter Schwarz-Goldener lieb, ich das Zitat, leider kann ich dich nicht bewerten, im Moment:weinen:
 
Nationalgefühl ist ein abstrahiertes Gemeinschaftsgefühl. Jede noch so kleine menschliche Gesellschaftszelle muss sich organisieren, um zu überleben. Diese Organisation kann nur funktionieren, wenn ein Großteil der Menschen daran glaubt, dass diese Organisationsform in ihrem Interesse handelt und dass die Befolgung ihrer Regeln Sinn macht.

Dieser Glaube hält Staaten im Inneren und nach Außen zusammen. Dieser Glaube schafft eine emotionale Bindung, welche als Nationalgefühl in Erscheinung tritt.

Im Guten, wie im Schlechten ...
 
Gemeinschaftsgefühl ist nicht gleich NAtionalgefühl. Hätten sich die Serben geschickter angestellt, gäbe es Yugoslawien noch. Immerhin herschte nach der Gründung viel Enthusiasmus. Der wich erst als Kroaten, Slowenen, Bosnier etc. sahen, dass hier keine Völkergemeinschaft entsteht sondern sie bloß ein Teil eines erweiterten Serbien geworden waren.
 
Äh, bitte andersrum, wenn schon?! Ich schrieb, Nationalgefühl sei ein (abstrahiertes) Gemeinschaftsgefühl. Das Gegenteil lautet also:

Nationalgefühl ist kein Gemeinschaftsgefühl.

Wolltest Du das sagen?
Ich sage nur das Gemeinschaftsgefühl nicht gleich Nationalgefühl sein muss. Gemeinschaftsgefühl bedeutet nicht automatisch dass man sich über Nation deffinieren muss. Ein anderer Ansatz währe ohnehin besser, hier sei noch mal auf Roveres Beitrag hingewiesen.
 
Der Spruch ist fein:

"Der Weg der neueren Menschheit geht von der Humanität durch die Nationalität zur Bestialität"

Aber im Endeffekt war die Bestialität stets ein Teil der Humanität. Und ob die Nation diese Seite des Menschen verstärkt haben könnte, ist ja gerade ein Aspekt in dieser Diskussion, den es zu erörtern gäbe.
 
In Großbritannien, Frankreich, den USA und vielen anderen Staaten ist der Begriff "Nation", "Nationalgefühl" oder gar "Nationalstolz" keineswegs negativ besetzt und durchaus unverdächtig. In Deutschland hat sich da besonders durch die nationalsozialistische Diktatur, den Zweiten Weltkrieg und die damit einhergehende Judenvernichtung, was weltweites Entsetzen auslöste, ein Umdenkprozess ergeben. Nicht umsonst waren es gerade die Deutschen, die die europäische Integration besonders forciert haben, ganz im Gegensatz zu Franzosen und Engländern, die auf nationaler Selbstbestimmung beharren.

Ein Unterschied zwischen "politischer" und "ethnischer" Nation ist vielfach .nicht mehr auszumachen. Die amerikanische Nation ist ethnisch bunt gemischt, was auch für Brasilien, Südafrika, Indien und zahlreiche andere Nationen gilt.
 
ganz im Gegensatz zu Franzosen und Engländern, die auf nationaler Selbstbestimmung beharren.


:grübel:
na ja, das ist jetzt sehr subjektiv wahrgenommen und schmeißt obendrein noch die Franzosen und Engländer in einen Topf, welches grad die Franzosen in Bezug auf Nachkriegsdeutschland auf keinen Fall verdient haben ! Allemal gehört aber eine weitere Erörterung um die europ. Integration der o.g. Nationen dann in einen neuen Pfad .
 
Ich glaube, ich muß da erst mal was geraderücken - zu: "Nationalgefühl ist kein Gemeinschaftsgefühl."
Was denn sonst, wenn nicht das? Ein Nationalgefühl bzw. Nationalstolz (was für mich ein und dasselbe ist), ist der Stolz auf die eigene Nation und das, was sie ausmacht - nichts weiter. Und eine Nation ist eine Gemeinschaft von Menschen. Darüber hatten wir bereits eine sehr Diskusion. Bitte hier nachlesen. Ergo: Nationalgefühl ist nichts anderes, als ein Gemeinschaftsgefühl. Und das wiederum ist nicht zu verwechseln mit Nationalismus = Verachtung anderer Nationalitäten.
@ AndreasKlammer: Da gebe ich die recht, das ein Gemeinschaftsgefühl nicht immer ein Nationalgefühl sein muß. Es kann genau so gut jede andere Gemeinschaft sein: Innerhalb eines Bundeslandes, einer Stadt, oder einer Firma.
ABER:
Das Problem ist halt, Nationalgefühl ist die Vorraussetzung für Nationalismus...
Und hier widerspreche ich dir vehement. Auf keinen Fall ist Nationalgefühl die Vorraussetzung für Nationalismus, sondern Nationalismus eine Form der Verachtung bzw. des Hasses. Nationalisten sind Menschen, die Jemanden verachten möchten und da ist der Nationalismus das Ventil. Ein anderes Beispiel für Haß auf andere sind die Hooligans beim Fußball. Hier ist das Feindbild eben der Fußballfan der gegnerischen Mannschaft, auf den man losgeht.

Es ist der Haß, der sich stehts ein Feindbild sucht.
 
Irgendwie hat dieses Thema noch keinen richtigen Faden.

Daher von meiner Seite mal ein Aspekt, der - mir jedenfalls - zu denken gibt:

Nationen erkennen nur widerwillig ethnische Minderheiten an und geben nur ungerne an diese Autonomierecht ab. Zudem verfolgen sie eine Politik der staatlichen (nationalen) Einheit um jeden Preis. Gute Beipiele dafür sind die Türkei und China. (Auch das Festhalten am Ziel der deutschen Wiedervereinigung war Ausdruck jenes nationalen Einheitsbedürfnisses.)

Mein Fazit wäre, dass sich jede Politik der nationalen Einheit dem Selbstbestimmungsrecht unterzuordnen hat. In der Realität würde das wohl ziemliches Chaos hervorrufen, aber das macht die Sache eben interessant.

(Man stelle sich vor, jede Region Europas könnte mit 2/3 Mehrheit ihre Staatszugehörigkeit ändern. Das wäre doch mal was! ;))
 
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