Wenn ich das korrekt sehe, werden "nur" noch NS-Verbrechen wegen Mordes oder Beihilfe von der Justiz verfolgt. Das heißt in der Praxis, das der "normale Wachdienst" in einem Konzentrationslager, in denen die Häftlinge ja außerordentlich brutal und menschenverachtend behandelt wurden, nicht mehr ausreichend ist, um von den Strafverfolgungsbehörden unter Anklage gestellt zu werden. Ich kann nicht behaupten, das ich das gut finde.
Nach meinem Verständnis hängt es von der Art des Konzentrationslagers ab: in einem Lager, das teils oder ganz als Vernichtungslager diente, wird auch der normale Wachdienst als Beihilfe gewertet, seitdem das Urteil im Demjanjuk-Prozeß gefallen ist:
Grund für die juristische Neubewertung ist der Fall des SS-Helfers John Demjanjuk. Er war Aufseher im Vernichtungslager Sobibor und an der Ermordung von bis zu 30.000 Menschen beteiligt. Das Landgericht München verurteilte ihn deshalb 2011 zu einer fünfjährigen Haftstrafe. Grundlage war eine Neudefinition der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg über die Beihilfe zum Mord in Konzentrationslagern. "Für uns reicht die Tätigkeit eines Aufsehers in diesem Lager für die Annahme von Beihilfe zum Mord aus, ohne dass der betreffenden Person eine unmittelbare Beteiligung an einem konkreten Tötungsdelikt nachgewiesen werden muss", erklärt der Leiter der Zentralstelle, Kurt Schrimm.
Die Staatsanwaltschaft und das Landgericht München II hätten diese Rechtsauffassung geteilt. Demjanjuk legte zwar Rechtsmittel gegen seine Verurteilung ein, über die wegen seines Todes aber nicht mehr entschieden wurde.
Hintergrund: Anklage gegen SS-Helfer erst seit 2011 möglich
Das heißt aber für mich im Umkehrschluß, dass in einem Konzentrationslager, das "nur" als Arbeitslager diente, der Wachdienst nicht als Beihilfe zu werten wäre. Eine andere Frage ist, ob man eine Abgrenzung zwischen Arbeitslager und Vernichtungslager immer so eindeutig ziehen kann. Denn alleine durch die Lagerumstände dürfte es eine Reihe von Todesfällen gegeben haben. Spätestens in den letzten Monaten des Krieges, als bedingt durch Evakuierungen aus den Lagern im Osten die Lager im Westen überfüllt waren, gleichzeitig Lebensmittel knapp waren oder sogar knapp gehalten wurden, es zu zahlreichen Todesfällen kam.
Eine andere Frage ist, wie weit der Begriff der Beihilfe zu fassen wäre. Im Demnjanjuk-Prozeß bezog sich das auf den Wachdienst. Im Prozeß gegen Gröning ging es m. W. auch nur um den Wachdienst in Auschwitz, nicht um seine Tätigkeit als Buchhalter in Auschwitz.
Ob bei dem anstehenden Verfahren in Itzehoe auch die Tätigkeit als Sekretärin, die keine eigenen Entscheidungen traf, sondern nur Befehle abtippte und weitergab, als Beihilfe gewertet werden kann, ist vor Gericht zu klären.