Sollten Nazi-Verbrecher heute noch verurteilt werden??

Dazu können Schreibkräfte gehören, da sie Befehle schriftlich weitergegeben haben, was bei Haushälterinnen oder Köchinnen schwerlich der Fall war.

Köchinnen und Haushälterinnen haben doch nach dieser Logik genauso zum Funktionieren eines Lagers beigetragen. Köchinnen sorgten für das das leibliche Wohl des Lagerkommandanten und des Wachpersonals, Haushälterinnen bügelten die Kleidung und sorgten für Sauberbeit und Hygiene der Unterkünfte für das Wachpersonal etc. Ohne die Arbeit der Köchinnen und Haushälterinnen hätte der Lagerbetrieb so nicht aufrecht erhalten werden können.

Was die Schreibkräfte betrifft: Warum wurden Hitlers Sekretärinnen nicht vor Gericht gestellt? Traudl Junge war jahrelang Hitlers Sekretärin und hat vermutlich unzählige seiner Befehle weitergegeben.

Wieviele Sekretärinnen von NS-Funktionären und Staatsbediensteten im Dritten Reich wurden bisher in Deutschland wegen Beihilfe zum Mord verurteilt? Die haben ja alle Befehle weitergegeben, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem Vernichtungskrieg und Holocaust standen.
 
Köchinnen und Haushälterinnen haben doch nach dieser Logik genauso zum Funktionieren eines Lagers beigetragen.
Sie waren nicht in die Befehlskette eingebunden. Da konstruierst du etwas. Da willst du mir eine "Logik" unterstellen, die ich nicht geäußert habe.
Was die Schreibkräfte betrifft: Warum wurden Hitlers Sekretärinnen nicht vor Gericht gestellt? Traudl Junge war jahrelang Hitlers Sekretärin und hat vermutlich unzählige seiner Befehle weitergegeben.
Bis in die frühen 2000er Jahre hat man sich in Deutschland sehr schwer getan mit der Strafverfolgung von "kleinen Lichtern", die am Holocaust beteiligt waren. Ein Wendepunkt war die Anklage gegen John Demjanjuk im Jahr 2009. Traudl Junge ist im Jahr 2002 verstorben. Die Frage ist, ob Frau Junge am Ablauf des Holocausts beteiligt war. Hitler hat nicht an der Wannseekonferenz teilgenommen. Ob er mörderische Befehle mündlich an Untergegebene weitergegeben hat oder ob sie schriftlich - durch Sekretär/innen - übermittelt wurden, wäre zu prüfen. Dazu ist es aber zu spät; die Beteiligten sind tot.
 
Interessierten dich die Anworten auf deine, doch wohl eher rhetorischen, Fragen, könntest du ja mal ein paar Urteile über NS-Verbrecher lesen oder hättest das längst tun können. Aber wenn man nicht einmal in der Lage ist, den Inhalt eines Zeitungsartikels ausreichend zu erfassen, ist es freilich leichter, mit Vokabeln wie "irre" um sich zu werfen.
 
Mord verjährt nach deutschem Recht nicht. Kriegsverbrechen aus dem 2. Weltkrieg auch nicht. Und die Staatsanwaltschaft ist verpflichtet, zu ermitteln, wenn der Täter oder die Täterin strafmündig war. Sie kann sich das gar nicht aussuchen. So einfach ist das.

Es wird wohl niemand ernsthaft fordern die Verfolgungspflicht für Offizialdelikte abzuschaffen. Ich kenne einige Leute, die auch Mord verjähren lassen wollen. Nur wie soll dann die unausweichlich lebenslängliche Haftstrafe gerechtfertigt werden? Und angesichts dessen, dass das Leben in unserer Verfassung nicht das höchste Gut ist, wie sollte dann der hohe Schutz gewährleistet werden? Plötzlich könnten staatliche Tötungen etwa von Terroristen wie in den USA gerechtfertigt erscheinen. Ja, ich weiß, aber es gibt zu viele Leute, die so denken.

Was diskutiert werden kann, ist die Änderung der Rechtsprechung in Hinsicht auf bestimmte Sachverhalte, die noch vor kurzer Zeit zum Freispruch führten. Das wirft ja neue Probleme auf. Was ist etwa mit einer Urlaubsreise in ein diktatorisch geführtes Land, das Mord und Totschlag mit seinen Einnahmen aus dem Tourismus finanziert? Oder jemand, der in Kauf nimmt, bei einer Reise Mehrwertsteuer zu zahlen, die genutzt wird, einen Angriffskrieg zu finanzieren, nur weil er glaubt, einen Diktator zum Frieden bewegen zu können? Aber diese andere Beurteilung wurde nun einmal durchgesetzt und ich kann nur beobachten, welche Konsequenzen das noch hat. Und wieso wird von Angeklagten dabei zum Teil eine Einsicht verlangt, die die Gerichte jahrzehntelang trotz teils besserer Informationslage nicht gewinnen konnten?

Aber: Das wurde gesellschaftlich gefordert und es ist an der heutigen Jurisprudenz solche Fälle auf Grundlage des anzuwendenden Rechts zu interpretieren. Das tut sie. Und aus gutem Grund sind sie frei dies zu tun, solange es der Rechtsordnung entspricht. Wer es ob der Konsequenzen, mangelnder Logik oder falscher Voraussetzungen anders sieht, muss andere Gesetze verlangen, die eine unerwünschte Interpretation ausschließen. Auch das ist eigentlich selbstverständlich und dann eine rechtspolitische Diskussion, von der ich nicht weiß, ob sie ins Forum gehört.

Die Verbrechen der NS-Zeit lassen sich nicht auf den Holocaust reduzieren. Und da für alle dieselben Grundsätze gelten, wären auch andere Sachen in einem Fall wie Frau Junge zu prüfen. Angriffskrieg dürfte naheliegend sein.

Ob 14 oder 120, Mörder sind anzuklagen und nach dem Strafrecht in aktueller Interpretation zu behandeln. Und ich sage es nochmal: Das Thema erledigt sich bald von selbst.
 
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Ob 14 oder 120, Mörder sind anzuklagen und nach dem Strafrecht in aktueller Interpretation zu behandeln.

Erst vor einiger Zeit hat eine deutliche Änderung der Rechtssprechungpraxis die heutigen Anklagen überhaupt erst ermöglicht. Vorher wurden auch SS-Kommandanten nicht belangt, aber jetzt (damals) minderjährige Sekretärinnen. Ich bin kein Jurist, aber ich kann mir nicht helfen: Gleichheit vor dem Gesetz seh ich hier nicht.

Das Thema erledigt sich bald von selbst.

Zum Glück...
 
Köchinnen und Haushälterinnen haben doch nach dieser Logik genauso zum Funktionieren eines Lagers beigetragen.

Aber keine Mordbefehle an die Mannschaften herausgegeben und da ist eben ein gewaltiger Unterschied.



Was die Schreibkräfte betrifft: Warum wurden Hitlers Sekretärinnen nicht vor Gericht gestellt? Traudl Junge war jahrelang Hitlers Sekretärin und hat vermutlich unzählige seiner Befehle weitergegeben.

Weil sich die Rechtsauffassung in dieser Sache mit dem Fall Demjanjuk John Demjanjuk – Wikipedia ab 2009 geändert hat, allerdings ohne dass sich die Rechtslage dazu geändert hätte.

Das sich die Interpretation der geltenden Rechtslage durch die Gerichte hin und wieder ändert kommt vor und ist nichts übermäßig exotisches.

Frau Junge war bereits im Jahr 2002 verstorben, also bevor sich hier eine andere Rechtsauffassung im Hinblick darauf durchgesetzt hat, was als Beihilfe zu betrachten und wie weit der Begriff zu fassen ist.


Wieviele Sekretärinnen von NS-Funktionären und Staatsbediensteten im Dritten Reich wurden bisher in Deutschland wegen Beihilfe zum Mord verurteilt? Die haben ja alle Befehle weitergegeben, die in irgendeinem Zusammenhang mit dem Vernichtungskrieg und Holocaust standen.

Was ist das für eine logik?
Verurteilt wird, wem man nach gängiger Rechtsauffassung eine Straftat nachweisen kann.
Diejenigen, die nicht bestraft wurden hatten das Glück, dass die Rechtsauffassung vor dem Fall Demjanjuk eine andere war.
 
Also bist du der Meinung, dass 14, 15, 16jährige BDM-Mädels, die von ihren regimetreuen Eltern dazu gezwungen wurden eine Stelle in einem Lager anzutreten - als Schreibkraft, Haushälterin, Köchin oder was auch immer - heute als fast 100jährige Greise aus dem Altenheim geholt und wegen Behilfe zum zigtausendfachen Mord angeklagt werden sollen?

Diese Meinung kann man natürlich haben. Meiner Meinung nach ist dieses Vorgehen absolut irre.

Bist du der Meinung, das man damals 16 jährigen und heute Alten nicht mehr aufgrund ihres Alter juristisch belangen sollte? Das Beihilfe zum Mord oder Mord als solches ungestraft bleiben soll? Erkläre das einmal den Opfern oder den Angehörigen der Opfer. Das ist überhaupt gar nicht irre oder Unsinn, sondern die Aufarbeitung und Aufklärung möglicher Verbrechen.
 
Was die Schreibkräfte betrifft: Warum wurden Hitlers Sekretärinnen nicht vor Gericht gestellt? Traudl Junge war jahrelang Hitlers Sekretärin und hat vermutlich unzählige seiner Befehle weitergegeben.

Traudl Junge wurde von den Alliierten als Mitläuferin eingestuft und ging deshalb straffrei aus.
 
Erst vor einiger Zeit hat eine deutliche Änderung der Rechtssprechungpraxis die heutigen Anklagen überhaupt erst ermöglicht. Vorher wurden auch SS-Kommandanten nicht belangt, aber jetzt (damals) minderjährige Sekretärinnen. Ich bin kein Jurist, aber ich kann mir nicht helfen: Gleichheit vor dem Gesetz seh ich hier nicht.

Wenn ich das korrekt sehe, werden "nur" noch NS-Verbrechen wegen Mordes oder Beihilfe von der Justiz verfolgt. Das heißt in der Praxis, das der "normale Wachdienst" in einem Konzentrationslager, in denen die Häftlinge ja außerordentlich brutal und menschenverachtend behandelt wurden, nicht mehr ausreichend ist, um von den Strafverfolgungsbehörden unter Anklage gestellt zu werden. Ich kann nicht behaupten, das ich das gut finde.
 
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Das heißt in der Praxis, das der "normale Wachdienst" in einem Konzentrationslager, in denen die Häftlinge ja außerordentlich brutal und menschenverachtend behandelt wurden, nicht mehr ausreichend ist, um von den Strafverfolgungsbehörden unter Anklage gestellt zu werden.

Hab ich genau anders rum verstanden: Früher mussten individuelle Taten nachgewiesen werden. Seit der Änderung der Rechtssprechung reicht es, Wachmann in einem KZ gewesen zu sein, um wegen Beiheilfe verurteilt zu werden. Auf der gleichen Rechtsinterpretation basiert der Fall der Sekretärin. Die Argumentation: Ohne Wachleute, Verwaltungspersonal etc hätte die Mordmaschine nicht funktioniert.

Ich könnt ja beide Interprationen nachvollziehen (bin wie gesagt kein Jurist), aber der Aspekt, dass es hier um eine reine Interpretationsfrage geht, stößt mir ungut auf, va da er eben dazu führt, dass die "Großen", die allesamt vor dieser Änderung verstorben sind, wesentlich sanfter angefasst wurden als die "Kleinen", die man heute vor Gericht stellt, und die schon aus biologischen Gründen zum Tatzeitpunkt sehr jung gewesen sein müssen. Eine Gesetzesänderung, die so etwas bewirken würde, wäre mWn nicht zulässig (Rückwirkungsverbot). Aber eine geändert Interpretation kann solch weitreichende Auswirkungen haben? Wie gesagt, das kollidiert mit meinem Verständnis der Gleichheit vor dem Gesetz.

Ich will's nicht überdramatisieren, bisher ist mWn keiner deswegen hinter Gittern gelandet (Bewährungsstrafen, und selbst wenn nicht wäre bei dem Alter die Hafttauglichkeit fraglich). Es ist mE eherr eine Frage der Symbolik, sowohl was die Verurteilungen angeht (der Staat sollte ein Zeichen setzen), als auch mein Problem mit der Rechtsgleichheit (Vor dem Gesetz sind alle gleich). Aber Symbole sind halt wirkmächtig.
 
Wenn ich das korrekt sehe, werden "nur" noch NS-Verbrechen wegen Mordes oder Beihilfe von der Justiz verfolgt. Das heißt in der Praxis, das der "normale Wachdienst" in einem Konzentrationslager, in denen die Häftlinge ja außerordentlich brutal und menschenverachtend behandelt wurden, nicht mehr ausreichend ist, um von den Strafverfolgungsbehörden unter Anklage gestellt zu werden. Ich kann nicht behaupten, das ich das gut finde.

Nach meinem Verständnis hängt es von der Art des Konzentrationslagers ab: in einem Lager, das teils oder ganz als Vernichtungslager diente, wird auch der normale Wachdienst als Beihilfe gewertet, seitdem das Urteil im Demjanjuk-Prozeß gefallen ist:

Grund für die juristische Neubewertung ist der Fall des SS-Helfers John Demjanjuk. Er war Aufseher im Vernichtungslager Sobibor und an der Ermordung von bis zu 30.000 Menschen beteiligt. Das Landgericht München verurteilte ihn deshalb 2011 zu einer fünfjährigen Haftstrafe. Grundlage war eine Neudefinition der Zentralen Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg über die Beihilfe zum Mord in Konzentrationslagern. "Für uns reicht die Tätigkeit eines Aufsehers in diesem Lager für die Annahme von Beihilfe zum Mord aus, ohne dass der betreffenden Person eine unmittelbare Beteiligung an einem konkreten Tötungsdelikt nachgewiesen werden muss", erklärt der Leiter der Zentralstelle, Kurt Schrimm.

Die Staatsanwaltschaft und das Landgericht München II hätten diese Rechtsauffassung geteilt. Demjanjuk legte zwar Rechtsmittel gegen seine Verurteilung ein, über die wegen seines Todes aber nicht mehr entschieden wurde.​

Hintergrund: Anklage gegen SS-Helfer erst seit 2011 möglich

Das heißt aber für mich im Umkehrschluß, dass in einem Konzentrationslager, das "nur" als Arbeitslager diente, der Wachdienst nicht als Beihilfe zu werten wäre. Eine andere Frage ist, ob man eine Abgrenzung zwischen Arbeitslager und Vernichtungslager immer so eindeutig ziehen kann. Denn alleine durch die Lagerumstände dürfte es eine Reihe von Todesfällen gegeben haben. Spätestens in den letzten Monaten des Krieges, als bedingt durch Evakuierungen aus den Lagern im Osten die Lager im Westen überfüllt waren, gleichzeitig Lebensmittel knapp waren oder sogar knapp gehalten wurden, es zu zahlreichen Todesfällen kam.

Eine andere Frage ist, wie weit der Begriff der Beihilfe zu fassen wäre. Im Demnjanjuk-Prozeß bezog sich das auf den Wachdienst. Im Prozeß gegen Gröning ging es m. W. auch nur um den Wachdienst in Auschwitz, nicht um seine Tätigkeit als Buchhalter in Auschwitz.

Ob bei dem anstehenden Verfahren in Itzehoe auch die Tätigkeit als Sekretärin, die keine eigenen Entscheidungen traf, sondern nur Befehle abtippte und weitergab, als Beihilfe gewertet werden kann, ist vor Gericht zu klären.
 
Der vor gut einem Monat wegen Beihilfe zum Mord verurteilte Josef S. war Wachmann im KZ Sachenhausen. Das wird nicht als Vernichtungslager klassifiziert.
 
Ich will's nicht überdramatisieren, bisher ist mWn keiner deswegen hinter Gittern gelandet (Bewährungsstrafen, und selbst wenn nicht wäre bei dem Alter die Hafttauglichkeit fraglich).
Man sollte es aber auch nicht unterdramatisieren: Eine monate- oder oft sogar jahrelange Prozessführung stellt natürlich auch eine enorme Belastung für den Betroffenen dar. Im Fall dieser NS-Prozesse kommt noch hinzu, dass Menschen, die selbst wohl nie in der Öffentlichkeit stehen wollten (und schon gar nicht wegen mutmaßlicher Beteiligung an NS-Verbrechen), durch die breite mediale Berichterstattung mitsamt Namensnennung in die Öffentlichkeit gezerrt werden und – egal wie der Prozess ausgeht – gesellschaftlich jedenfalls ruiniert sind. (*)
Falls jetzt jemand einwenden möchte, dass die Angeklagten auch kein Mitleid mit ihren Opfern gehabt hätten oder Ähnliches: Eine Bestrafung sollte (nur) nach einer Verurteilung erfolgen und nicht schon davor.

* Ich weiß nicht, wie der Kostenersatz in Deutschland geregelt ist und wie es damit in den konkreten Verfahren aussieht, aber zumindest in Österreich kommt noch hinzu, dass auch im Fall einer Einstellung der Ermittlungen oder eines Freispruchs die Verteidigungskosten nur zu einem geringen Teil (oder gar nicht) ersetzt werden. Also auch wer rechtlich gesehen unbescholten aus einem Prozess hervorgeht, ist mitunter völlig ruiniert und mehr „gestraft“ als wenn er ein paar Jahre einsitzen müsste. Davon, dass durch Prozesse (insbesondere wenn über sie breit medial berichtet wird) Beziehungen zerbrechen, das Berufsleben leidet (wenngleich im Fall ca. 100-jähriger Angeklagter nicht mehr relevant) etc., mal ganz zu schweigen.
 
Erst vor einiger Zeit hat eine deutliche Änderung der Rechtssprechungpraxis die heutigen Anklagen überhaupt erst ermöglicht.

Worauf ich mich ja auch bezog. In meiner Jugend bekam ich noch erklärt, dass diese heutige Praxis ein kontradiktorischer Widerspruch zum Rechtsstaat sein würde.

Eine arge Sache dabei ist natürlich schon Geschichte: Es hat viele bestärkt in die geöffneten Arme extremistischer Parteien zu laufen. Schließlich wurde es jahrzehntelang anders vertreten und in den Schulen auch so erklärt. Und als schlecht empfundenes Recht ist bekanntlich ärger als Tiger.

Es muss natürlich weiterhin individuelle Schuld nachgewiesen werden, wenn ich es richtig verstanden habe. Es wird nur argumentiert, dass die Angeklagten wissen mussten, wozu die Lager dienen. Außerdem sei ihre Tätigkeit notwendig für den Betrieb gewesen, wodurch sie an den Straftaten beteiligt gewesen wären. Daher sind auch Personen betroffen, die ausdrücklich darum gebeten haben, nicht an den Tötungen teilnehmen zu müssen und daher andere Aufgaben bekamen. (Aus Gründen der Moral wurde da auf die Durchsetzung von Befehl und Gehorsam verzichtet, wenn ich es recht im Kopf habe.)

Wenn aber nun die Jurisprudenz mehr als ein halbes Jahrhundert für diese Erkenntnis brauchte, wie konnte das dann ein von der Staatsmacht eingeschüchterter Laie erkennen, der froh war keinen ermorden zu müssen? Eine seltsame Auffassung von Vorsatz und Schuld. Zudem sind da in der Konsequenz endlose Verantwortungsketten denkbar.
 
Der vor gut einem Monat wegen Beihilfe zum Mord verurteilte Josef S. war Wachmann im KZ Sachenhausen. Das wird nicht als Vernichtungslager klassifiziert.

Deswegen schrieb ich auch oben:

Eine andere Frage ist, ob man eine Abgrenzung zwischen Arbeitslager und Vernichtungslager immer so eindeutig ziehen kann. Denn alleine durch die Lagerumstände dürfte es eine Reihe von Todesfällen gegeben haben. Spätestens in den letzten Monaten des Krieges, als bedingt durch Evakuierungen aus den Lagern im Osten die Lager im Westen überfüllt waren, gleichzeitig Lebensmittel knapp waren oder sogar knapp gehalten wurden, es zu zahlreichen Todesfällen kam.

Man müßte sich die Urteilsbegründung en détail ansehen. Wo und ob sie überhaupt öffentlich einsehbar ist, ist mir aber nicht bekannt.

In der Berichterstattung zu dem Urteil findet sich folgendes:

Der inzwischen 101 Jahre alte Josef S. war vor dem Landgericht Neuruppin angeklagt, als damaliger Wachmann in dem KZ von 1942 bis 1945 Beihilfe zum Mord an mehr als 3.500 Häftlingen geleistet zu haben.​

Früherer Wachmann im KZ Sachsenhausen zu fünf Jahren Haft verurteilt

In der Wikipedia zum KZ Sachsenhausen steht:

Im August 1941 wurde eine Genickschussanlage errichtet, in der etwa 13.000 bis 18.000 sowjetische Kriegsgefangene ermordet wurden. Insgesamt sollen mehrere zehntausend Häftlinge ermordet worden sein.​

KZ Sachsenhausen – Wikipedia
 
Aber keine Mordbefehle an die Mannschaften herausgegeben und da ist eben ein gewaltiger Unterschied.

Wenn ich diese neue Rechtsauffassung richtig verstehe, dann ist jede Person, die am Betrieb und der Funktion eines Vernichtungslagers mitgewirkt hat, automatisch der Beihilfe am Mord schuldig. Das würde dann wohl auch auf die Köchin des Lagerkommandaten oder die Haushälterinnen für der Wachmannschaften zutreffen.

Weil sich die Rechtsauffassung in dieser Sache mit dem Fall Demjanjuk John Demjanjuk – Wikipedia ab 2009 geändert hat, allerdings ohne dass sich die Rechtslage dazu geändert hätte.

Der Fall Demjanjuk ist auch sehr interessant. Der Mann war ein sowjetischer Kriegsgefangener der Wehrmacht. Er wurde im deutschen Kriegsgefangenenlager interniert, wo die meisten Rotarmisten einen grausamen Tod starben. Von der SS als HiWi angeworben zu werden war für ihn letztlich der Grund, weshalb er überleben konnte. Ja, er war in Sobibor und hat dort unter Zwang am Betrieb des Vernichtungslager teilgenommen. Er war eben selbst ein Gefangener in den Händen der SS, der jederzeit selbst ins Gas geschickt worden wäre, wenn er nicht parierte.

Ich finde man muss kein ausgebildeter Jurist sein um als Bürger oder einfach als Mensch dazu eine gut begründete Meinung zu haben

Frau Junge war bereits im Jahr 2002 verstorben, also bevor sich hier eine andere Rechtsauffassung im Hinblick darauf durchgesetzt hat, was als Beihilfe zu betrachten und wie weit der Begriff zu fassen ist.

Also ist es dann einfach Glück oder Pech, welche Rechtsauffassung irgendwelche Gerichte gerade zufällig mal haben?

Früher hat man die schlimmsten SS-Verbrecher nicht strafrechtlich verfolgt, freigesprochen oder begnadigt und heute jagt man die damals kleinsten denkbaren Rädchen im Getriebe noch auf dem Sterbebett.

Und wer weiss, welche Rechtsauffassung dann morgen ein Gericht hat? Man könnte ja z.B. auch Ehefrauen von Lagerkommandanten, die vom Holocaust wussten und dennoch nicht von ihren Männern trennen wegen "moralischer Unterstützung" eine Beihilfe zum Mord anlasten.

Wo beginnt für dich persönlich als Nicht-Jurist die Grenze des Absurden und Grotesken?
 
@Tutti

Vielleicht könntest du ja die nachfolgende Frage beantworten.

Bist du der Meinung, das man damals 16 jährigen und heute Alten nicht mehr aufgrund ihres Alter juristisch belangen sollte? Das Beihilfe zum Mord oder Mord als solches ungestraft bleiben soll? Erkläre das einmal den Opfern oder den Angehörigen der Opfer. Das ist überhaupt gar nicht irre oder Unsinn, sondern die Aufarbeitung und Aufklärung möglicher Verbrechen.

Dein Anliegen, NS Straftaten, aus welchem Grunde auch immer, nicht mehr oder nur eingeschränkt verfolgen zu lassen, kann ich nicht nachvollziehen. Diese ungezählten Verbrechen, die mit unermesslichen Leid für die Opfer verbunden war und auch ist, gehört meines Erachtens nach gesühnt. Wer sich schuldig gemacht hat, der gehört auch entsprechend bestraft; vollkommen egal wie alt die Person ist. Und Richter sind auch an geltendes Recht gebunden. Das in der deutschen unmittelbaren Nachkriegszeit keine konsequente Verfolgung der NS Straftäter erfolgte, läßt sich wohl vielleicht auch daraus erklären, das so einige Juristen selbst im Nazireich als Jurist tätig waren oder in diesem ihre Ausbildung erhalten haben.
 
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in Österreich kommt noch hinzu, dass auch im Fall einer Einstellung der Ermittlungen oder eines Freispruchs die Verteidigungskosten nur zu einem geringen Teil (oder gar nicht) ersetzt werden.
Bei einem Freispruch in einem Strafprozess trägt in Deutschland die Staatskasse die Verfahrenskosten und damit auch die Kosten für einen Verteidiger. Im Jugendstrafrecht - und damit haben wir es in fast allen hier besprochenen Fällen zu tun, auch wenn Greise angeklagt sind - trägt die Staatskasse regelmäßig auch bei einer Verurteilung die Verfahrenskosten.
 
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Gehören denn die Kosten eines Verteidigers zusätzlich zum Pflichtverteidiger und somit die freie Wahl eines Anwalts zu den Verfahrenskosten?
 
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