Im Prinzip stimme ich der Einschätzung von @silesia zu. Ein paar Aspekte der Vertiefung möchte ich dennoch anführen:
Wirkung und Bedeutung: In seiner Bedeutung hat der SU-Militarismus sicherlich eine innen- und eine außenpolitische Bedeutung besessen.
Diese Bedeutung kann man vermutlich an vier Bereichen der Gesellschaft relativ gut deutlich machen:
1. Gesellschaft: Für den Militarismus kennzeichnend ist auch die dominante Präsentation des Militärs und der Durchdringung des zivilien Lebens durch militärische Umgangsformen und Denkmuster. In diesem Sinne ist Militarismus eine Ideologie, die durch die entsprechenden SU-Institutionen (Komsomol, Rote Armee, Partei, und Pressesystem) aufgebaut und stabilisiert werden mußte
2. Politik: Diese Dimension bezieht sich auf das Funktionalisieren des Militarismus für innen- und außenpolitische Zwecke. Im wesentlichen ist damit die Vorgehensweise gemeint, aufgrund einer aggressiven Außenpolitik, die innenpolitische Opposition zum Schweigen zu bringen und einen extremen Anpassungsdruck zu erzielen. Im Falle von Russland durch dien Konflikt mit den „Weißen“, den Angriff der Polen, der fernöstlichen Bedrohung durch Japan und der Bedrohung durch das Deutsche Reich.
3. Militärisch: Das Betreiben einer intensiven Aufrüstung und das Einbeziehen großer Bevölkerungsschichten in das militärische Leben. Im Falle der Roten Armee war es noch die Notwendigkeit, am einsetzenden Rüstungswettlauf in den dreißer Jahren teilzunehmen, um sich eine relativ sichere militärische Position zu erarbeiten.
4. Wirtschaftlich: Der Aufbau entsprechender Rüstungsindustrien mit der Entwicklung entsprechender Bürokratien und Funktionseliten. In disem Zusammenhang kann man sicherlich von der Entwicklung einer spezifischen SU-Variante des „Militärisch-Industriellen-Komplexes“ (MIK) sprechen.
Für ein Verständnis für die Entwicklung des Militarismus in der UdSSR ist es m.E. aber notwendig, auf die Gründungsprobleme der SU einzugehen. Die UdSSR ist eine Gesellschaft, die aus einer Revolution hervorgegangen ist, die durch einen harten Machtkampf zwischen den „Roten“ und den „Weißen“ gekennzeichnet war. Im Laufe dieses Prozesses wurden Personen an die Spitze der KPDSU gespült, die als Organisatoren des Überlebenskampfes erfolgreich waren. Der Druck auf die SU hielt an, als die Polen bis Kiev in die „junge“ UdSSR einmarschiert sind. Das Denken der Ideologen der KpdSU drehte sich im wesneltich um Fragen des Überlebens, der Frage der Landwirtschaft, der Industriealisierung und nicht um die Entwicklung der gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine humanistisch geprägte kommunistische Gesellschaft.
Die Herausforderung für die UdSSR war in diesem Zusammenhang, dass sie eine „Übergangsgesellschaft“ war, die sich in Richtung einer „kommunistischen Gesellschaft“ bewegen sollte. Das damit verbundenen Problem in dieser Phase ist insbesonders von A. Gramsci eingehend dargestellt worden, der auf die Notwendigkeit des „Lebens der positiven Utopie“ hingewiesen hat. Im Gegensatz dazu blieb die Entwicklung eines alternativen Lebensentwurf immer stecken, in der gebetsmühlenartigen Wiederholung von ideologischen Phrasen.
Dieser angeborene Defekt der UdSSR, der quasi in der Geburtsstunde die Disposition zur Militarisierung der Gesellschaft in die Wiege gelegt wurde, setzte sich fort. In den dreißiger Jahren ergab sich die Notwendigkeit für nahezu alle europäischen Länder, sich an dem einsetzenden Rüstungswettlauf zu beteiligen. Für die UdSSR wurde damit die Rolle der Roten Armee, als „Schule der Nation“ festgeschrieben. Gesellschaftlich bot die Rote Armee, wie man an der Biographie von Schukow gut nachvollziehen kann, eine hervorragende Basis für den gesellschafltichen Aufstieg (die Säuberungen waren ja nicht vorherzusehen).
Mit dem WW2 setzte eine neue Phase der Militarisierung der SU ein. Es gelang der KPdSU, die bis dahin über eine vermutlich geringe Zustimmungsquote in der Gesellschaft verfügt hat, durch die enge Bindung zwischen Partei und Roter Armee und dem Ausrufen des großen „Vaterländischen Krieges“ ihre geselslchaftliche Legitimation deutlich zu erhöhen.
Der Preis für diese ideologische Mobilsierung wurde nach dem WW2 ersichtlich. Das Militär hatte sich, auch aufgrund der extrem hohen Verluste, eine moralische Position in der SU erarbeitet, die es den politischen Führern nicht mehr möglich machte, die Rolle der Roten Armee deutlich zu begrenzen.
Die Dynamik des „Kalten Krieges“ verstärkte diese Tendenz zur Zementierung der dominanten Position der „Roten Armee“. Erst die Überdehnung der UdSSR und die damit verbundenen finanziellen Probleme der Hochrüstung ließen diese Konstruktion zusammen brechen.
Im post-kommunistischem Russland und auch in den anderen ehemaligen Staaten der UdSSR zeigt sich aber deutlich, welche ideologische Leere entstanden ist mit dem Wegfall des „Militarismus“. Es wird sicherlich spannend sein, wie Russland seine Position in der Welt, auch ideologisch, auch nach innen, untermauern wird in der Zukunft.