Soziale Frage - Ursprung in Frankreich? Bewertung der Lösungsvorschläge? Quellen finden?

Zunächst wird der Terminus in der deutschsprachigen Literatur als Übersetzung des französischen question sociale[2] verwendet, um die gesellschaftliche Situation in anderen Staaten Westeuropas darzustellen.
Der dem Französischen entlehnte Begriff begann sich in Deutschland ab den 1840er Jahren einzubürgern und war auch in den Debatten vieler anderer europäischer Länder gegenwärtig.
 
Ich werde trotzdem aus dem Text nicht ganz schlau… Inwiefern liegt der Ursprung nun in Frankreich?
In dem Artikel des Staatslexikons steht, dass der Begriff dem Französischen entlehnt ist. Das heißt nicht, dass die Sache selbst, also das Problem verbreiteter Armut in den sich industrialisierenden Gesellschaften, ihren Ursprung in Frankreich hatte.
Man könnte schauen, wer in Frankreich für den Begriff question sociale wichtig war.
 
Im England der Tudors hatte die ständig steigende Nachfrage nach Wolle dramatische Auswirkungen auf die Landschaft.
Und das England der Tudorzeit hat mit der Industrialisierung genau was zu tun?

Die Verlockung der großen Profite, die mit Wolle zu machen waren, ermutigte die Gutsherren, Gemeindeland einzuzäunen
Eben. Gemeindeland. Nicht privater Besitz der Kleinbauern.

Und daraus resultierte keine Vertreibung der Kleinbauern mit Gewaltmitteln, sondern lediglich, der Umstand, dass zu kleine Bauernstellen ohne Zugriff auf die Allmende nicht mehr genug abwarfen und aufgegeben werden mussten.

Das heißt, die Verdrängung der Kleinbauern war ein sekundärer wirtschaftlicher Effekt der zunehmenden Privatisierung des Gemeindelandes nicht eine geplante Gewaltmaßnahme zur widerrechtlichen Enteignung des Privatbesitzes der Keinbauern um deren Grund und Boden wirtschaftlich anders nutzen zu können.

Bei den "Enclosures" würde allenfalls die Frage im Raum stehen, wie genau diese Aneignung des Gemeindelandes ablief und ob hier die Großgrundbesitzer das Gemeindeland einfach widerrechtlich besetzten, oder das Gemeindeland legal im Rahmen eines Geschäfts zwischen der Gemeinde und den lokalen Großgrundbesitzern liquidiert wurde.
Die kleineren Bauernstellen, die die Allmende brauchten um über die Runden zu kommen, innerhalb einer Gemeinde hätten daran natürlich kein Interesse haben können.
Die mittleren und größeren Bauern, die auf die Nutzung der Allmende wirtschaftlich nicht angewiesen und möglicherweise wohlhabend genug waren, sich bei Liquidierung der Allmende selbst durch Kauf ein Stück davon als Privaten Landbesitz sichern zu können, mögen das anders gesehen haben.
Und wenn man mal davon ausgeht, dass es in der Regel die wohlhabenderen Teile einer Gemeinde waren, die deren Vertretung darstellten und Geschäfte und Rechtsangelegenheiten im Sinne der Gemeinde regelten, halte ich es durchaus für denkbar, dass sich das in der Regel durchaus in legalen Bahnen abspielte und die Liquidierung des Gemeindelandes offtmals durchaus die Zustimmung der Gemeindevertretung gefunden haben wird.
 
Und das England der Tudorzeit hat mit der Industrialisierung genau was zu tun?

Warum Nationen scheitern – Wikipedia
Das Buch heißt so.
Dort wird berichtet, dass Königin Elisabeth und ihr Nachfolger Jakob aus Angst vor Massenarbeitslosigkeit Innovationen in der Textilverarbeitung verhindert haben. Die Nachfolger konnten sich nicht durchsetzen und vor der Unterschicht, den Maschinenstürmern, musste niemand Angst haben. Stichwort schöpferische Zerstörung.
Es wird auch umfangreich über die straflose Zerstörung eines Dampfschiffes durch Handwerker in Deutschland berichtet.
Sie unterscheiden zwischen inklusiven und exklusiven Systemen. Inklusiv ist im Wesentlichen ein Rechtsstaat der den Wandel nicht aufhält. Hauptproblem ist natürlich die Zerstörung bestehender Strukturen. Sozialstaat kommt im Buch nicht vor.
China war noch nie so. Auch nicht zu der Zeit als sie sehr viele Erfindungen machten. Für den Niedergang Roms wird ähnlich argumentiert. Seit Augustus wurde wurde der Staat exklusiv und verhinderte den Fortschritt.
Gegen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts wurden dann die Landlords vom Parlament allgemein zur Durchführung von Enclosures ermächtigt. Man nannte das später eine „Revolution der Reichen gegen die Armen“, weil aus vielen Kleinbetrieben wenige landwirtschaftliche Großbetriebe entstanden. Die bisherigen Landpächter wurden dabei mit Gewalt vertrieben und bildeten dann in den stark anwachsenden Städten die Massenarbeitskräfte der beginnenden industriellen Revolution.
 
Ich frage nochmals, was hat die Tudor-Zeit mit der Industrialisierung zu tun?

Das von dir angebrachte Zitat beantwortet die Frage nicht. Zwischen dem Ende der Tudor-Dynastie und dem Beginn der Industrialisierung in Großbritannien vergehen fast zwei Jahrhunderte.
Von Maschinenstürmern (Ludditen) als Massenphänomen etc. konnte in der Tudor-Zeit keine Rede sein, auch nicht unter den Stuart-Königen.
Das ist eine Erscheinung vor allem des frühen 19. Jahrhunderts.

Gegen Ende des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts wurden dann die Landlords vom Parlament allgemein zur Durchführung von Enclosures ermächtigt. Man nannte das später eine „Revolution der Reichen gegen die Armen“, weil aus vielen Kleinbetrieben wenige landwirtschaftliche Großbetriebe entstanden. Die bisherigen Landpächter wurden dabei mit Gewalt vertrieben und bildeten dann in den stark anwachsenden Städten die Massenarbeitskräfte der beginnenden industriellen Revolution.

Ich bin durchaus in der Lage Wikipedia-Artikel auch selbst zu lesen.

Allerdings, blöderweise fehlt, im Besonderen, zur Behauptung der Vertreibung mittels Gewalt, dazu die Quellenangabe. Auch sonst ist das etwas tendenziös aus dem Zusammenhang gerissen, da wie aus dem Artikel auch hervorgeht, die allgemeine Genehmigung zur Liquidierung von Gemeindeland, nicht prinzipiell eine neue Praxis ermöglichte.
Dadurch wurde eine einheitliche Regel für diese Praxis geschaffen, um nicht wie vorher in jedem Fall einzeln darüber befinden zu müssen, allerdings, waren Enclosures etwas, dass bereits seit mehreren Jahrhunderten kontinuierlich lief, damit war keine neue Qualität verbunden.

Allenfalls etwas, dass man als "Entbürokratisierung" dieses Vorgangs bezeichnen könnte.


Im Übrigen, wie gesagt, handelt es sich nicht um eine speziell britische Praxis. Ähnliche, wenn nicht radikalere (wegen der Leibeigenschaft) Entwicklungen hinsichtlich Zusammenballung landwirtschaftlicher Großbetriebe, gab es durchaus auch im deutschsprachigen Raum in während der FNZ:


Hatte aber eben nichts mit Industrie zu tun, lediglich mit der zunehmenden Kommerzialisierung der Landwirtschaft.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich frage nochmals, was hat die Tudor-Zeit mit der Industrialisierung zu tun?
Mir geht es allgemein um die soziale Frage. Was anders habe ich nie behauptet. Es gab einen Umbau von hauptsächlich Subsistenzwirtschaft zu arbeitsteiliger Wirtschaft. Die Voraussetzungen für die Industrialisierung wurden geschaffen.
In History of industrialisation - Wikipedia fängt es mit Heinrich VII. an.
Das von dir angebrachte Zitat beantwortet die Frage nicht. Zwischen dem Ende der Tudor-Dynastie und dem Beginn der Industrialisierung in Großbritannien vergehen fast zwei Jahrhunderte
Ich denke schon. Auf dem Festland haben die Monarchen diese Strukturveränderungen verhindert. In England waren sie zu schwach. Erst recht nach dem Bürgerkrieg als die StarChamber abgeschafft wurde.
Durch Star Chamber - Wikipedia konnte der König sehr direkt Einfluss nehmen.
So nutzte König Heinrich VII. die Macht der Star Chamber, um die Macht des Landadels zu brechen, der in den Rosenkriegen so viel Ärger verursacht hatte . Doch als die örtlichen Gerichte oft überlastet oder schlecht verwaltet waren, wurde das Court of Star Chamber auch zu einem Mittel der einfachen Bevölkerung, um gegen die Exzesse des Adels vorzugehen .Es wurde auch eingesetzt, um Adlige abzuurteilen, die zu mächtig waren, um sie vor niederen Gerichten anzuklagen.

Jakob war ein Stuart.
Von Maschinenstürmern (Ludditen) als Massenphänomen etc. konnte in der Tudor-Zeit keine Rede sein, auch nicht unter den Stuart-Königen.
Habe ich nicht behauptet. Es ging um Aufstände wegen der Einhegungen. Es gab mehrere Aufstände.
Es gab auch mehrfach wenig erfolgreiche Versuche, die Einhegungen gesetzlich zu begrenzen.

Offensichtlich gefällt dir die Rolle der Gewalt bei diesem Vorgang nicht.
Ich bin durchaus in der Lage Wikipedia-Artikel auch selbst zu lesen.
Dann lies doch History of industrialisation - Wikipedia .
Im Übrigen, wie gesagt, handelt es sich nicht um eine speziell britische Praxis. Ähnliche, wenn nicht radikalere (wegen der Leibeigenschaft) Entwicklungen hinsichtlich Zusammenballung landwirtschaftlicher Großbetriebe, gab es durchaus auch im deutschsprachigen Raum in während der FNZ:

Hatte aber eben nichts mit Industrie zu tun, lediglich mit der zunehmenden Kommerzialisierung der Landwirtschaft.
In Ostdeutschland wurde die Leibeigenschaft ausgeweitet um die Arbeitskräfte zu halten. In England wurden die Einwohner verdrängt oder sogar vertrieben.

Kommerzialisierung lohnt sich nur wenn es Käufer gibt. In Holland gab es Manufakturen und es importierte über 70% des benötigten Getreides.
(Es braucht verbesserte Anbaumethoden damit ein Nahrungsmittelüberschuss entsteht den die Nichtlandwirte , hauptsächlich Arbeiter, verzehren und Industrialisierung möglich wird. )

Das Bauernlegen endete in Preußen durch die 1709 erlassenen Gesetze zum Bauernschutz in Verbindung mit der Erbuntertänigkeit. Zum eigentlichen Bauernschutz kam es unter Friedrich Wilhelm I., doch trat ein voller Erfolg erst durch den aufgeklärten Absolutismus Friedrichs II. ein.
Ein Grund war, man brauchte gesunde Soldaten. England hatte auf dem Festland nur hinterwäldlerische Schotten als Gegner.
 
Wir sollten Lisa jedenfalls nicht in noch größere Verwirrung bringen, indem wir völlig frei drehen. Es geht um Lösungsansätze zur Sozialen Frage. Beschränken wir uns dabei auf Dtld. auf die Zeit nach 1848, bzw. bei den Ursachen bis zurück auf die napoleonische Epoche.
 
Wir sollten Lisa jedenfalls nicht in noch größere Verwirrung bringen, indem wir völlig frei drehen. Es geht um Lösungsansätze zur Sozialen Frage. Beschränken wir uns dabei auf Dtld. auf die Zeit nach 1848, bzw. bei den Ursachen bis zurück auf die napoleonische Epoche.

Wenn man mit den Ursachen, bis auf die Napoléonische Epoche oder auf die Französische Revolution im allgemeinen zurückgeht und damit einen Zusammenhang auf der Verhältnisse im Besonderen in Frankreich und dem deutschsprachigen Raum herstellt, wird man das, denke ich aber auch beim Thema Lösungsansätze tun müssen.

Z.B. enthielt die Verfassung Frankreichs von 1793 ja bereits den Gedanken eines Rechts auf Arbeit und staatlicher Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen:


Es ist ja nicht so, dass die Idee in Deutschland später nicht aufgegriffen worden wäre.

Auch in der Praxis waren Lösungsansätze ja öffters mal über die Grenzen hinweg bedeutsam.

Etwa das von Louis Blanc seit den ausgehenden 1830er Jahren protegierte Modell der staatlich geförderten Produktionsgenossenschaften und (wenn man es in diesem Zusammenhang sehen möchte, die Pariser "Nationalwerkstätten") unmittelbar vor der Revolution von 1848, nehmen ja mehr oder weniger Kernideen vorweg, die später von Ferdinand Lasalle und seinen Anhängern in Preußen/Deutschland als eine mögliche Antwort auf die soziale Frage protégiert wurden:

 
Ich dachte eher an die Stein- Hardenbergschen Reformen, Bauernbefreiung, dadurch ausgelösten Pauperismus > Landflucht, Entwicklung eines Städtischen Proletariats.
 
Lösungsansätze:
Staatlich: z.B. Bismarck'sche Sozialpolitik: Alles für, nichts durch den Arbeiter.
Arbeiterorganisationen: Marxismus, Sozialdemokratismus, Kolpingwerk
Kirchlich: Kolpingwerk (kath.), AWO (evang.), Rerum Novarum (kath.), Bodelschwinghsche Werkstätten (evang.), Salesianer Don Boscos (kath. aus Italien kommend, ab wann in Dtld. keine Ahnung, vor allem gegen die Ausbeutung ungelernter Jugendlicher gerichtet), Franz Hitze (katholsicher Priester, der in Preußen zur Hochphase des Kulturkampfes zum Priester geweiht wurde, die Polizisten, die ihn verhaften sollten, warteten - als gute Katholiken - vor der Kirche und "bekamen nicht mit", dass er durch eine andere Tür hinaus ging, statt der Bibel nahm Hitze Karl Marx' Kapital mit ins Exil nach Rom, Zentrumspolitiker bis in die Zeit der WR)
Unternehmerisch: Arbeitersiedlungen der Krupp-Werke... etwa die Margarethen-Höhe (nach Margarethe Krupp) in Essen, wenn ich mich richtig entsinne, hat Harkort ähnlich agiert, der Unternehmer als Patron seiner Arbeiter.

Das ist alles zeitlich ungeordnet, nur braingestormt.

[Edit: Falscher Enyklikenname, siehe Beitrag von @Stradivari ]
 
Zuletzt bearbeitet:
Kann es sein, dass Du die Enzyklika Rerum Novarum meinst? Mit brennender Sorge stammt ja erst aus dem Jahr 1937 und befasst sich vorwiegend mit der deutschen Situation unter dem NS-Regime, auch wenn natürlich einige Fragen der (aus päpstlicher Sicht) rechten weltlichen Ordnung auch Bezüge zur sozialen Frage aufweisen.
 
Kann es sein, dass Du die Enzyklika Rerum Novarum meinst? Mit brennender Sorge stammt ja erst aus dem Jahr 1937 und befasst sich vorwiegend mit der deutschen Situation unter dem NS-Regime, auch wenn natürlich einige Fragen der (aus päpstlicher Sicht) rechten weltlichen Ordnung auch Bezüge zur sozialen Frage aufweisen.
:eek:
Natürlich. Danke für die Korrektur.
 
Bismarck'sche Sozialpolitik: Alles für, nichts durch den Arbeiter.
Die Krankenversicherung wurde dagegen von der Selbstverwaltung der Arbeiter dominiert; Sozialdemokraten dominierten viele der Allgemeinen Ortskrankenkassen.

Auch merkwürdig:
Nach der Intention Otto von Bismarcks sollten die kooperativen Genossenschaften nicht nur dem Wohle der Arbeiter dienen, sondern darüber hinaus Grundlage für eine künftige Volksvertretung werden. Diese Volksvertretung sollte neben den Reichstag treten oder diesen sogar ersetzen und damit ein entscheidender Faktor bei der Gesetzgebung werden – äußerstenfalls durch einen Staatsstreich.[14]
 
Wenn man ins 19. Jh. zurückgeht, könnte man vielleicht noch die Arbeitersamariterbünde nennen. Der ASB-Reichsverband wurde meines Wissens erst zur Weimarer Zeit gegründet, als gewerkschaftsnahe Vor-Ort-Gruppen gab es sie aber schon im Kaiserreich.
 
Arbeiterorganisationen: Marxismus, Sozialdemokratismus, Kolpingwerk
Hier würde es sich sicher lohnen, mal den von Eduard Bernstein angestoßenen Revisionismusstreit in der SPD zu beleuchten, bei dem es gerade um die Frage ging, ob weiter die Überwindung des Kapitalismus das Hauptziel sein sollte oder ob es auch möglich wäre, die Situation der Arbeiter innerhalb des bestehenden Systems zu verbessern. also quasi um die Auseinandersetzung zwischen marxistischen und reformistischen Positionen.

Dieser Streit legte dann auch die Grundlage für die Spaltung der Arbeiterbewegung gegen Ende des Ersten Weltkriegs und wurde schließlich mit dem Godesberger Programm der SPD endgültig im Sinne des Reformismus entschieden (zumindest in der Bundesrepublik, in der DDR ging man bekanntlich den anderen Weg).


 
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