Soziale Schichtungen des Streitkräfte des Kaiserreichs

Ostfriesland

Mitglied
Ich habe eininge Fragen zu der sozialen Schichtung des Kaiserreichs im Bezug auf die Streitkräfte.

Erstens: Gibt es Statistiken dazu, wie viel Prozent der Offiziere adeliger / bürgerlicher Herkunft waren? Vor allem die Unterscheidung der Quoten im Heer und in der Marine würde mich sehr interessieren

Zweitens: Was könnte die Absicht eines bürgerlichen Vaters gewesen sein, seinen Sohn zur Garde des Heeres schicken zu wollen, anstatt zur Marine? Der Vater war Reserveoffizier. Inwieweit ist hier das Element des gesellschaftlichen Aufstiegs relevant?

Drittens: Wenn ich zu der Militärlaufbahn des Vaters (wie gesagt Reserveoffizier) recherchieren will, wo kann ich da ansetzen? Die Person ist an sich vollkommen unbekannt und in der Geschichte nicht weiter aufgetreten.

Danke für eure Hilfe

:winke::winke:
 
Gibt es Statistiken dazu, wie viel Prozent der Offiziere adeliger / bürgerlicher Herkunft waren? Vor allem die Unterscheidung der Quoten im Heer und in der Marine würde mich sehr interessieren

Vorab kann ich dir grob angeben, daß das Armee-Offizierkorps ohne adligen Stand schwer zu erreichen war, wärend das Marine-Offizierkorps auch ohne adligen Stand, also auch aus dem besitzenden Bürgertum zu erreichen war. Dies war auch nötig, da es in der Marine "technischer" zuging, als beim Heer.
Dennoch versuchte das Marine-Offizierkorps preußischer zu Handeln, als das bei der Armee der Fall war, doch konnte man beid er Marine nie den trationellen Hintergrund des Heeres aufholen.


Links zum Thema:
http://www.geschichtsforum.de/f58/v...zu-gunsten-der-marine-unter-wilhelm-ii-29010/

. : Marineuniformen.de - der deutschen kaiserlichen Marine :.

Adel und Bürgertum in Deutschland ... - Google Bücher

Buchtipp:
http://www.geschichtsforum.de/315603-post1.html
 
Zuletzt bearbeitet:
Rangliste (Armee) ? Wikipedia
Nach Offizieren der von Dir untersuchten Zeit recherchiert man am Besten in den Ranglisten. Der obige Link gibt eine erste Erklärung des Begriffs.
Ob die Wahl des Heeres statt der Marine in jener Zeit unbedingt immer mit Prestigegründen verbunden war wäre auch noch zu hinterfragen. Zu DDR-Zeiten war mir der Dienst in der Volksmarine, der Panzertruppe und bei den Fallschirmjägern verwehrt. Dafür wollte mich das Wachregiment der Staatssicherheit "Felix Dzierzynski" haben. Die mochten meine Körpergröße von 1,90 m.
 
Erstens: Gibt es Statistiken dazu, wie viel Prozent der Offiziere adeliger / bürgerlicher Herkunft waren? Vor allem die Unterscheidung der Quoten im Heer und in der Marine würde mich sehr interessieren

Zweitens: Was könnte die Absicht eines bürgerlichen Vaters gewesen sein, seinen Sohn zur Garde des Heeres schicken zu wollen, anstatt zur Marine? Der Vater war Reserveoffizier. Inwieweit ist hier das Element des gesellschaftlichen Aufstiegs relevant?

Drittens: Wenn ich zu der Militärlaufbahn des Vaters (wie gesagt Reserveoffizier) recherchieren will, wo kann ich da ansetzen? Die Person ist an sich vollkommen unbekannt und in der Geschichte nicht weiter aufgetreten.

zu 1. In folgenden Buch hat Deist ein Kapitel über die Zusammensetzung des O-Korps verfasst. Insgesamt waren die adeligen Offiziere in den klassischen Truppengattungen extrem überrepräsentiert.Ca. 70 % des O-Korps waren adelig. Teilweise wurden bürgerliche geadelt, um sie an das O-Korps anzupassen.

Lediglich in den technischen Abteilungen waren Bürgerliche deutliche überrepräsentiert (Artillerie, Nachschub, Pioniere und vor allem in der Marine)

Militär, Staat und Gesellschaft. Studien zur preußisch-deutschen Militärgeschichte: Amazon.de: Wilhelm Deist: Bücher

zu 2. Je angesehener die Einheiten waren, vor allem die Kavallerie, desto unwahrscheinlicher war es, dass ein Bürgerlicher als Offizier in diesen Einheiten Karriere machte.

Die höchsten Chancen boten sich in der Marine an. Dennoch wurde mit Beginn des WW1 deutlich, dass eine zunehmende Professionalisierung, im Sinne von formaler Bildung, für zukünftige Generationen von Offizieren notwendig waren.

zu 3. Keine Ahnung.


Im NS-System baute Hr. Hitler die Wehrmacht zu einer NS-Armee um. Nicht nur die SS-Verbände, sondern auch die klassischen Wehrmachtsverbände wiesen einen kontinuierlich ansteigenden Anteil an NS-Parteimitgliedern aus.
 
Ein sehr interessanter Artikel zu dem Thema ist mir in die Hände gefallen und stellt auch wieder Daten dar, Beziehungsweise vergleicht über das preußische Offizierkorps, das bayrische Offizierkorps und das Seeoffizierkorps.

Dabei wird festgestellt, daß ein Vergleich gerade zwischen dem Armeekorps und dem Marinekoprs schwierig ist, durch die unterschiedlichen Strukturen. Dabei war gerade bei der Marine die Offizierkorps nochmals streng voneinader getrennt, so in das Seeoffizierkorps, das Decksoffizierkorps, das Marineingenieurkorps, das Torpedooffizierkorps und das Offizierkorps der Marininfanterie.
Und es fällt auf, daß der Adelsanteil bei dem Seeoffizierkorps nie über 15% gelegen ist.

Ruhr-Universität Bochum
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Ein sehr interessanter Artikel zu dem Thema ist mir in die Hände gefallen...
Glückwunsch, Köbis17! (Offenbar eine studentische Arbeit von 1998 - oder weißt Du Näheres?)

Was Du bisher geschrieben hast, kann ich bestätigen:

  1. Der Adelsanteil sowohl im Heer wie in der Marine hängt vom "Prestigewert" der jeweiligen Teilwaffengattung ab; "hochwertig" ist beim Heer vor allem die Kavallerie (danach der Generalstab), bei der Marine der Seeoffizier.
  2. Der Adelsanteil wächst mit dem Dienstgrad, d.h. er ist am Fuße der "Pyramide" signifikant niedriger als an der Spitze, aber auch hier wieder mit den unter 1. genannten Unterschieden.
Was die Statistik betrifft: Die Tabelle zum Adelsanteil unter den Seeoffizieranwärtern bei Scheerer [1] bestätigt, dass dieser Anteil zwischen 1895 und 1907 nie über 17 % hinausging.

Der von Dir schon öfters erwähnte Herwig [2] gibt auch eine Reihe von Gründen für die insgesamt bestehende Differenz zwischen Herr und Marine an. Verkürzt gesagt: Für Adelige war auch die Marine eine ernsthafte berufliche Alternative, aber die "Lebensdauer" und der Ausbaustand dieser Waffe war doch nicht zu vergleichen mit der jahrhundertelangen Tradition des Heeres. Möglicherweise hätte sich das Verhältnis irgendwann weiter verändert, aber dazu kam es nicht mehr.

Wichtig noch der Hinweis von Demeter [3], dass ein hoher Adelsanteil sich quasi reduzieren muss, wenn die Vermehrungxrate der Streitkräfte deutlich über der Vermehrungsrate des Adels liegt, und das war praktisch seit 1860 der Fall. Dem kann man zwar einerseits (begrenzt) durch eine großzügigere Nobilitierungspraxis - wie unter Wilhelm II. - entgegenwirken, aber es gibt halt andererseits einen "natürlichen Schwund" bei adeligen Familien. [4]


[1] Das Elitekorps des Kaisers, S. 63 ff.
[2] Die Marineoffiziere der Kaiserlichen Marine. Bochum 2002, S. 279
[3] Das Deutsche Offizierskorps in Gesellschaft und Staat 1640-1945. Frankfurt 1964, S. 54
[4] aaO, S. 25 f.
 
Glückwunsch, Köbis17! (Offenbar eine studentische Arbeit von 1998 - oder weißt Du Näheres?)

Was Du bisher geschrieben hast, kann ich bestätigen:

  1. Der Adelsanteil sowohl im Heer wie in der Marine hängt vom "Prestigewert" der jeweiligen Teilwaffengattung ab; "hochwertig" ist beim Heer vor allem die Kavallerie (danach der Generalstab), bei der Marine der Seeoffizier.
  2. Der Adelsanteil wächst mit dem Dienstgrad, d.h. er ist am Fuße der "Pyramide" signifikant niedriger als an der Spitze, aber auch hier wieder mit den unter 1. genannten Unterschieden.
Was die Statistik betrifft: Die Tabelle zum Adelsanteil unter den Seeoffizieranwärtern bei Scheerer [1] bestätigt, dass dieser Anteil zwischen 1895 und 1907 nie über 17 % hinausging.

Der von Dir schon öfters erwähnte Herwig [2] gibt auch eine Reihe von Gründen für die insgesamt bestehende Differenz zwischen Herr und Marine an. Verkürzt gesagt: Für Adelige war auch die Marine eine ernsthafte berufliche Alternative, aber die "Lebensdauer" und der Ausbaustand dieser Waffe war doch nicht zu vergleichen mit der jahrhundertelangen Tradition des Heeres. Möglicherweise hätte sich das Verhältnis irgendwann weiter verändert, aber dazu kam es nicht mehr.

Wichtig noch der Hinweis von Demeter [3], dass ein hoher Adelsanteil sich quasi reduzieren muss, wenn die Vermehrungxrate der Streitkräfte deutlich über der Vermehrungsrate des Adels liegt, und das war praktisch seit 1860 der Fall. Dem kann man zwar einerseits (begrenzt) durch eine großzügigere Nobilitierungspraxis - wie unter Wilhelm II. - entgegenwirken, aber es gibt halt andererseits einen "natürlichen Schwund" bei adeligen Familien. [4]


[1] Das Elitekorps des Kaisers, S. 63 ff.
[2] Die Marineoffiziere der Kaiserlichen Marine. Bochum 2002, S. 279
[3] Das Deutsche Offizierskorps in Gesellschaft und Staat 1640-1945. Frankfurt 1964, S. 54
[4] aaO, S. 25 f.

Deine Literaturangaben sind ein wenig verrutscht, oder? Jedenfalls passen die Namen nicht zu den Titeln:winke:


  • Herwig, Holger Heinrich: Das Elitekorps des Kaisers. Die Marineoffiziere im Wilhelminischen Deutschland. Hamburg: 1977.
  • Scheerer, Thomas: Die Marineoffiziere der Kaiserlichen Marine. Sozialisation und Konflikte. Bochum: 2002.
  • Demeter, Karl: Das deutsche Offizierkorps in Gesellschaft und Staat 1650 - 1945. Frankfurt am Main: 1965.
Die Hinweise sind aber sehr gut und äußerst hilfreich. Vielen herzlichen Dank! Das hilft mir ein ganzes Stück weiter.:yes::yes:
 
Bei der Armee und der Marine wurde ein Trend der Offiziersanwärter in der Zeit von 1888 bis 1911 festgestellt, wonnach die Bewerber immer weniger aus den Offiziers- und Gutsbesitzerfamilien kamen und es sich mehr zu den Familien der Akademiker, Kaufleuten, Handwerker und mittleren Beamten verschoben hatte.
Offiziersanwärter 1910:

Beruf des Vaters...................Armee..........Marine
Offiziere...............................25%..............14,5%
Akademiker...........................35,2%............48%
Gutsbesitzer.........................10,8%.............3,4%
Höhere Kaufleute,
Fabrikanten..........................17,6%............18%
mittlere und einfache Stände...11.4%............16,1%

Quelle: Das deutsche Offizierkorps, S.25

1860 stellte der Adel noch 65% der Offiziere der preußischen Armee; 1913 waren es nnur noch 30%. In der Marine schwankt der Wert zwischen 14 und 15% von 1895 bis 1905 gemessen.
Unter den adligen Seekadetten zwischen 1895 und 1914 waren nur 10,4% Katholiken.
Bei dem Auswahlverfahren, wer für die Seeoffizierslaufbahn in betracht kam, gibt es von der Crew07 eine Aufstellung der Herkunft der Kadetten:

22 aus adligen Familen (11,2%)
90 aus Akademikerfamilien (45,7%)
52 aus Offiziersfamilien (26,4%)
34 aus Kaufmanns- und Fabrikantenfamilien (17,3%)
10 aus Gutsbesitzerfamilien (5,1%)

Die schulische Ausbildung der Kadetten dieses Jahrgangs verteilte sich wie folgt:

116 Abitur (58,9%)
47 Primareife (23,9%)
4 Sekundareife (Mittlere Reife) (2%)
30 ohne Abitur aus dem Kadettenkorps (15,2%)

Quelle: Das Elitekorps des Kaisers, S.39f

Achtung, die Crew07 wird mit 197 Kadetten angegeben, doch ist die Zahl bei der Herkunft in der Einzelaufstellung zu hoch. Ich habe die Zahlen unverändert so aus der Quelle entnommen!
 
Zuletzt bearbeitet:
@Köbis17

Da hast Du bestimmt recht. In #6 wurde bereits darauf hingewiesen, daß die monetäre Ausstattung abhängig war von dem Prestige der Waffengattung. Nach meiner Erinnerung waren junge Fähnriche (Vergl.: Fähnrich ? Wikipedia), Leutnants und Oberleutnants auf die finanzielle Unterstützung ihrer Familie für eine "standesgemäße" Existenz angewiesen. Erst ab dem Dienstgrad "Hauptmann" genügte der Sold, um eine Familie "standesgemäß" versorgen zu können. Natürlich zogen traditionsreiche und privilegierte Regimenter wie das Regiment "Garde du Corps", das Gardehusarenregiment, das "Gardereiterregiment" (Sachsen) aber auch z.B. das "I. Garderegiment zu Fuß" (Potsdam) insbesondere die Söhne reicher adeliger Familien an.

Die finanzielle Ausstattung der jungen Offiziere bestimmte also letztlich den Zugang zu den jeweiligen prestigeträchtigen Regimentern. Natürlich war die adelige Herkunft resp. hochadelige Herkunft für die Bewerbung bei den Regimentern, insbesondere bei denen die auch Hofdienst zu verrichten hatten, nicht unwichtig.

Deine statistischen Angaben widerspiegeln letztlich die soziologische Wandlung während des Kaiserreiches. Eine Zunahme des wohlhabenden Bürgertums inkl. Akademiker relativ gesetzt am Anteil des Adels; noch dazu in einer Zeit der militärischen Aufrüstung. Ich meine in einer "schleichenden" Verbürgerlichung des Offizierskorps, durchaus einen Wandel in der sozioökonomischen Struktur erkennen zu können. Das es wie bereits in #6 dargestellt eine pyramidenhaften Zunahme adeliger und hochadeliger Namen in der militärischen Hierarchie gab, ist signifikant und kaum anders erwartbar. Also Kurztext oder wie es Neudeutsch heißt "Managementsummary": Der soziale Wandel im Zuge der Industriealisierung in Deutschland führte zu einem Wandel in der Zusammensetzung des Offizierskorps mit der Tendenz der "Verbürgerlichung". Allerdings blieben dem Adel Reservatrechte bei bestimmten Regimentern vorbehalten, so die Familien finanziell in der Lage waren, ihre Söhne zu unterstützen. Das allerdings zeitverzögert, gemessen an der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung, da das Militär ein konservatives soziales Milieu darstellte.

Bei der Marine, denke ich war es als relativ "neue" Waffengattung etwas anders. Aber auch hier gab es soziale Unterschiede z.B. zwischen Seoffizierskorps, technischem Offizierskorps oder gar "Beamten".

M.

P.S.: Eine schöne Darstellung der sozialen Wahrnehmung eines adeligen Offiziers findet ihr in Ludwig Renns Roman "Adel im Untergang", bezogen auf das I. (Leib-) Grenadierregiment Nr. 100 in Dresden nach der Jahrhundertwende.

Ludwig Renn ? Wikipedia
 
Eine Zunahme des wohlhabenden Bürgertums inkl. Akademiker relativ gesetzt am Anteil des Adels; noch dazu in einer Zeit der militärischen Aufrüstung. Ich meine in einer "schleichenden" Verbürgerlichung des Offizierskorps, durchaus einen Wandel in der sozioökonomischen Struktur erkennen zu können.

Dazu könnte man auf Wehlers Übersicht in der Sammelschrift (Das Militär und der Aufbruch in die Moderne) hinweisen:

Bei Moltke und Bismarck hörte die Aufrüstung auf, wo "das Junkermaterial zur Besetzung der Offizierstellen aufhörte". von Waldersee sah den Bürgerkrieg aufziehen und forderte den Kastengeist des adligen Offizierskorps. Schlieffen verteidigte 1900 die "aristokratische Exklusivität", und gab dazu 1905 in seinem "Schlieffenplan" die Bankrotterklärung ab, weil sich die darin implizit geforderte Heeresvermehrung um Dutzende Divisionen ohne eine "Verbürgerlichung" der Offiziersstellen mangels Masse beim Adel gar nicht mehr realisieren ließ.

von Einem kämpfte 1909 dann um die Fernhaltung der Bürgerlichen aus dem Offizierskorps, und von Heeringen war gegen die Heeresvermehrung 1913, da mit der Aufnahme der Bürgerlichen eine "Demokratisierung" des Offizierskorps drohe.

Man sieht darin: alle Aufrüstungsdebatten kreisten um das Thema der "Verwässerung" des adligen Offizierskorps aus Sicht der Konservativen, allerdings nur in schichtenbezogener Sichtweise. Die Debatte um den alten Militarismus, der hier auf "den neuen" traf, hat Stig Förster mit dem Schlagwort "doppelter Militarismus" belegt.
 
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