Sprachcodes von den Grimms bis Tarantino

Ich wollte kein Plädoyer fürs Verschwindenlassen unliebsam gewordener Texte halten. Ein missliebig gewordenes Werk nicht mehr aufzulegen erscheint mir lediglich als das geringere Übel verglichen mit seinem Manipulieren. In letzterem Fall steht auf dem Buch immer noch der Name eines berühmten Autors (der als Verkaufsargument herhalten muss), aber drinnen nicht mehr, was er geschrieben hat. Das ist nicht nur respektlos gegenüber dem Autor, sondern auch der Kunde wird in die Irre geführt.

Aber grundsätzlich bin ich auch dafür, Werke unverändert weiterzuveröffentlichen.
 
Was Grimms Märchen angeht, gibt es da heute schon ein sprachliches Problem, dass die Verwendung von Nacherzählungen für die meisten Eltern bedingt. Teils sind sie sowieso derart, dass bei der Anwendung auf Kinder mit denselben noch darüber gesprochen werden muss, damit sie erfasst werden. Da besteht dann natürlich auch die Gefahr der zu weit gehenden Vereinfachung. Aber eine Verwechslungsgefahr mit dem Original sehe ich hier nicht, weil es eben weiterreichende Änderungen sind. Zudem lässt es sich kaum vermeiden. Cooper habe ich schon recht jung in einer originalgetreuen Übersetzung gelesen, weil mein Vater mir erklärt hatte, dass die mir bekannte Version eine vereinfachte Version für Kinder sei und ich neugierig war. Aber da war ich sicher die Ausnahme. Wenn der Lederstrumpf und Der letzte der Mohikaner als Geschichte nicht vergessen werden sollen, wird man nicht um Vereinfachungen herum kommen. Solche Vereinfachungen gibt es seit der Antike und in aller Regel werden sie nicht mit dem Original verwechselt.

Schwieriger dürfte es sein, wenn die Bezeichnung Mirambos in Effie Briest als Bandit (und Sklavenhändler?) etwa durch Reichsgründer ersetzt würde, wenn also einfach nur einzelne Aussagen 'korrigiert' werden. Da er in der Tat mehr als ein Bandit und Sklavenhändler war, Fontane zudem als Journalist besser informiert war als der Durchschnitt, würde ein zukünftiger Historiker wohl reflexartig den Reichsgründer für die Originalformulierung halten. Damit wäre eine solche Änderung eine Geschichtsfälschung. Zeitgenössische Romane gelten ja als Zeugnis und Quelle für die Gesellschaften, die sie beschreiben.

Wie ich schrieb: Das ist weitgehend nur eine Frage der Einordnung.

Nun wissen wir über Fontane, dass er gerne das zeitgenössische 'Tagesgespräch' in dem zeitgenössischen Tenor in seine Romane aufnahm. Insofern gibt er Sprachregelungen oft nur wieder, die hier somit nicht Aussage des Romans sondern der Zeit sind, was ihn auch in Hinsicht auf die damaligen Sprachregelungen und -gewohnheiten zu einer interessanten Quelle macht. Denn fraglich ist ja auch immer inwieweit sich so etwas in der täglichen Sprache niederschlägt.

Oder nehmen wir den Ekkehard Victor von Scheffels. An einigen Stellen des Romans greift er bestimmte Formulierungen ironisch auf. So konstatiert er zu Anfang, dass ein heller Tag im Mittelalter als ein finsteres und dunkles Zeitalter nicht so hell wie in der Gegenwart war. Es ist also festzustellen, dass nicht nur einem Autor die Problematik bewusst war und auch damit gespielt wurde.

Im Übrigen ist die Klärung der Aussage eines Posts kein Smalltalk und zudem wichtig für das Klima im Forum.
 
Schwieriger dürfte es sein, wenn die Bezeichnung Mirambos in Effie Briest als Bandit (und Sklavenhändler?) etwa durch Reichsgründer ersetzt würde, wenn also einfach nur einzelne Aussagen 'korrigiert' werden. Da er in der Tat mehr als ein Bandit und Sklavenhändler war, Fontane war zudem als Journalist besser informiert war als der Durchschnitt.
Nun wissen wir über Fontane, dass er gerne das zeitgenössische 'Tagesgespräch' in dem zeitgenössischen Tenor in seine Romane aufnahm. Insofern gibt er Sprachregelungen oft nur wieder, die hier somit nicht Aussage des Romans sondern der Zeit sind, was ihn auch in Hinsicht auf die damaligen Sprachregelungen und -gewohnheiten zu einer interessanten Quelle macht. Denn fraglich ist ja auch immer inwieweit sich so etwas in der täglichen Sprache niederschlägt.
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Ich bin mir ziemlich sicher, dass Theodor Fontane Henry Morton Stanleys Bücher "Wie ich Livingston fand" und "Durch den dunklen Erdteil" gelesen hat. Mirambo war ein bekannter Warlord und Sklavenjäger, der ein relativ großes Gebiet in Ostafrika bis zum Oberlauf des Kongo beherrschte. Stanley war von seiner Herkunft Brite, der als John Rowlands geboren wurde. Er war aber als Jugendlicher aus einem Waisenhaus ausgerissen und als Schiffsjunge in die USA gekommen. Ein Mr. Stanley soll ihn nach seinen eigenen Angaben adoptiert haben, starb dann aber kurz vor dem Bürgerkrieg. Der unehelich geborene Rowlands nahm den Namen seines Gönners an und trat in die Armee der Konföderierten teil. Stanley, den die Eingeborenen wegen seiner Härte und Energie "Bula Matari" den Felsenbrecher nannten, ging später extrem brutal gegen Deserteure seiner Expeditionen vor, war aber selbst desertiert und hatte, um nicht in einem Gefangenenlager zu krepieren, die Fronten gewechselt und war in die Unionsarmee eingetreten.

Als Kriegsberichterstatter im Sezessionskrieg nahm er an der Eroberung von Fort Fisher teil. Da seine Berichte gut geschrieben waren, wurde Gordon Benett jr. der Besitzer des Boulevardblatts New York Herald auf ihn aufmerksam. Stanley wurde Benetts "rasender Reporter". Er nahm an den Indianerkriegen teil und an der Einweihung des Suezkanals. Er begleitete die Armee General Wolseys im Feldzug gegen den "Kaiser" von Äthiopien Theodor und nahm an einer Strafexpedition gegen die Ashanti teil, wo er sich auch an den Kampfhandlungen beteiligte. Berühmt wurde Stanley, als er im Auftrag Gordon Benetts eine Expedition ausrüstete und den verschollenen Afrikaforscher David Livingston in Udjidji auffand, wobei er ihn höflich förmlich mit den Worten "Dr. Livingston I presume" (Dr. Livingston nehme ich an/wie ich vermute)begrüßte. Leider wollte Livingston Stanley nicht nach England begleiten und blieb in Afrika, wo er bald darauf verstarb. Stanley wurde der Queen Victoria vorgestellt, die ihn furchtbar fand, ihm aber eine goldene Tabakdose schenkte.
Stanley nahm darauf Kontakt mit Lord Burnam, dem Chefredakteur des Daily Telegraph, auf. Er wollte die Forschungen Livingstons fortsetzen und herausfinden, was es mit dem Lualaba, einem größeren Fluss auf sich hatte. Keiner wusste damals, dass es sich um den Oberlauf des Kongo handelte. Da der Lualaba Hunderte von Kilometer immer nach Norden floss, nahm man an, dass es sich um einen Nebenfluss des Nils handelte. Stanley konnte Lord Burnam und Gordon Benett überreden, eine amerikanisch-britische Expedition auszurüsten und ihn mit dem Kommando betrauen. Er durchquerte Afrika von Sansibar bis zur Kongomündung an der Atlantikküste. Bei seinen Expeditionen verstarb fast die Hälfte seiner afrikanischen Träger und Askari und alle seiner weißen Begleiter. Nach dem Ende der Expedition nahm Leopold II. Kontakt mit Stanley auf, der ihn beauftragte, eine Kolonie in Zentralafrika für Leopold II. zu gründen. Mit Hilfe von Tibbu Tip dem größten Warlord, Elfenbein- und Sklavenjäger Ostafrikas gelang es Stanley, ein riesiges Gebiet, den "Kongofreistaat" zu unterwerfen. Diese Privatkolonie Leopolds wurde schließlich von den europäischen Mächten anerkannt, und Stanley nahm 1885 an der Kongokonferenz teil, der einzige Konferenzteilnehmer, der jemals in Afrika war. Nach Leopolds Tod wurde der Kongofreistaat Eigentum des belgischen Staates und wurde in die Kolonie Belgisch Kongo umgewandelt. Leopold II. hatte seine Kolonie immer wieder mit zinslosen Darlehen aus der Staatskasse finanziert, bis der Kautschukboom ihn Ende des 19. Jahrhunderts zu einem der reichsten Männer der Welt machte. Dazu gelang es ihm, sich als Philanthrop und Vorkämpfer gegen die Sklaverei darzustellen. Erst in seinen letzten Lebensjahren geriet er in die Kritik.

Von Mirambo hatte Stanley schon bei der Livingston-Expedition gehört, hatte es aber geschafft, diesem immer wieder auszuweichen. Bei der 2. Expedition war das nicht mehr möglich, und die beiden Männer trafen sich persönlich. Da Mirambos Freundschaft sehr nützlich für ihn war, schloss Stanley kurzerhand Blutsbrüderschaft mit diesem und schenkte ihm einen amerikanischen Revolver. Livingston, der Medizin und Theologie studiert hatte und sich mehr als Missionar, als Entdecker verstand, hätte sich wohl lieber erschießen lassen, als mit einem Typen wie Mirambo Freundschaft zu schließen, aber für Stanley heiligte der Zweck die Mittel. Livingston hatte im Gegensatz zu Stanley Afrika auch niemals mit generalstabsmäßiger Ausrüstung und Bewaffnung bereist, sondern nur von einigen Trägern, seiner Frau und einigen seiner Kinder begleitet. Livingston war sicher nicht frei von eurozentrischen Vorurteilen, mochte aber Afrika und seine Bewohner und war entsetzt von der Brutalität arabischer Sklavenhändler. Er glaubte, dass die europäische Kolonisation der einzige Weg war, die Sklaverei zu beenden und zu verhindern, dass ganze Gegenden ausbluteten. Stanleys Expeditionen waren dagegen immer bis an die Zähne bewaffnet, und wenn Anwohner zu hohen Wegzoll verlangten oder keine Lebensmittel verkaufen wollten, ließ Stanley schießen und ganze Dörfer dem Erdboden gleich machen. Bis zur Kongomündung hatte Stanleys Expedition 32 Kämpfe mit "Kannibalen" zu bestehen. Am Victoriasee, den Stanley professionell kartographierte, traf er Mtesa Kabaka den König von Uganda. Dieser hatte bereits die Afrikaforscher Speke und Grant beherbergt und war zum Islam konvertiert. Nach dem Kontakt zu Stanley ließ er sich taufen und wurde Christ. Für ihn hatte Stanley eigens ein 11. Gebot "Du- sollst- immer- deinem- König- gehorchen" erfunden. Trotz seiner Methoden gelang es Stanley lange, sich als Philanthrop und Missionar darzustellen. Erst um die Jahrhundertwende geriet er wegen der Kongogräuel in die Kritik. Es ist sehr wahrscheinlich, dass Fontane, der Reiseberichte förmlich verschlang, Stanleys Berichte gelesen hat und aus diesen Mirambos Namen kannte.
 
Es ist aber ein Unterschied, ob man den Inhalt vereinfacht und gefälliger macht, oder ob man die Aussage an unsere Wertvorstellungen angleicht. Letzteres stellt immer eine Verurteilung des Autors dar und will Gedanken ausmerzen. Damit werden nolens volens Quellen verfälscht. Und im Gegensatz zu den Vereinfachungen ziehen Leute los und schwärzen mit Edding in Bibliotheken Originalversionen. Primitiver geht es kaum, allenfalls durch Bücherverbrennungen, von denen man auch schon wieder - als Kuriosität zumindest - hört, und die Zielrichtung der Zerstörung der Erinnerung ist nicht zu leugnen.
Unabhängig davon, dass sich das etwas verschwörungstheoretisch anhört, finden sich heutzutage viele ältere Originaltexte im Internet. Sie können auf unterschiedlichsten Datenträgern technisch gespeichert werden oder, wenn sie gemeinfrei sind (70 Jahre nach Tod des Urhebers), frei verlegt und in Buchform unters Volk gebracht werden. Ein Verlust der Originalversion ist nicht zu befürchten und durch das Internet ist die Möglichkeit des Zugriffs in Ländern mit freiem Internet vermutlich einfacher als zu den besten Zeiten des Buchdruckes. Im Übrigen darf ein Werk in Deutschland nicht ohne Zustimmung des Urhebers oder seiner Erben geändert werden (solange das Urheberrecht gilt).
 
Ein Verlust der Originalversion ist nicht zu befürchten und durch das Internet ist die Möglichkeit des Zugriffs in Ländern mit freiem Internet vermutlich einfacher als zu den besten Zeiten des Buchdruckes.
Du meinst, weil es Internet gibt, ist das Tun der Fälscher, die sich als Schützer der Jugend und/oder der Sprache ausgeben, als weniger schlimm zu bewerten und sollte daher ruhig toleriert werden?
 
Du meinst, weil es Internet gibt, ist das Tun der Fälscher, die sich als Schützer der Jugend und/oder der Sprache ausgeben, als weniger schlimm zu bewerten und sollte daher ruhig toleriert werden?
"Fälscher" ist ein starkes Wort dafür, dass Texte ihrer Zeit angepasst werden. Die Anpassung kann, muss aber nicht verfälschend sein. 3/4 der Deutschen würden heute den Simplicissimus in der Originalfassung gar nicht mehr lesen können. Oder hat Raoul Schrott die Ilias verändert, als er sie extra derb ins Deutsche übersetzt hat? Eine Anpassung an die Zeit ist - wenn der Sinn nicht entstellt wird - letztlich nichts anderes als eine Übersetzung. Es sei denn, du nimmst die Position des ehemaligen Deutschlehrers meiner Mutter ein, der meinte man könne Mittelhochdeutsch nicht in Neuhochdeutsch übersetzen, weil ja beides dieselbe Sprache sei.
Bevor man also beginnt pauschal zu moralisieren, sollte man sich den Einzelfall genau anschauen: Was wird wie und warum verändert? Redaktionelle Eingriffe sind nicht per se schlimm.
 
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Viele Autoren des 19. Jahrhunderts und einige ihrer Werke gerieten im Zuge der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre in die Kritik, und es wurde der Vorwurf des Rassismus teilweise recht pauschal und undifferenziert erhoben. In diesem Zusammenhang muss ich an einen Roman denken, der im gleichen Jahr, 1852, erschien wie Herman Melvilles "Moby Dick", der aber eine sehr unterschiedliche Rezeption erlebte. Ich spreche von Harriet Beecher Stowes "Uncle Toms Cabin". Im Gegensatz zu Melvilles Roman wurde es ein Bestseller mit mehreren 100.000 verkauften Exemplaren allein in der ersten Auflage. Der Roman wurde fast so etwas wie die Bibel der Abolitionisten, und ein unverdächtiger Zeitgenosse, Leonid Tolstoi, verglich ihn tatsächlich mit dem Neuen Testament. Innerhalb von nicht mal 10 Jahren erschienen mehrere Dutzend Persiflagen und Anti-Uncle Tom-Romane. Eine Anekdote erzählt, dass Lincoln bei einer persönlichen Begegnung mit der Autorin gesagt haben soll: "So that´s the little woman who caused the Great War". Der Roman blieb auch nach dem Bürgerkrieg populär, und wegen der ziemlich laschen Urheberrechte in den USA wurden Theaterstücke aufgeführt, die den Inhalt sehr frei bearbeiteten und im Stile der Ministrel Shows inszenierten. Das waren Shows, in denen Afroamerikaner sehr klischeehaft von weißen Darstellern gespielt wurden. Eine typische Figur dieser Shows war "Jim Crow", nach dem die Rassengesetze volkstümlich genannt wurden, die Ende der "Reconstruction" in den Südstaaten erlassen wurden nach dem Grundsatz "seperate but equal" und die bis in die 1960er Jahre Bestand hatte, als sich die Bürgerrechtsbewegung formierte. Ein "Uncle Tom" wurde zu sein, wurde geradezu zum Schimpfwort für Afroamerikaner, die sich devot und unterwürfig gegenüber der weißen Mehrheitsgesellschaft verhielten. Muhammed Ali beschimpfte seinen großen Konkurrenten "Smokin´Joe" Frazer nicht nur als Gorilla, sondern, beleidigender noch, als Uncle Tom. Becher Stowes Roman geriet zwar nicht in Vergessenheit, aber er wurde immer weniger gelesen. Als ich in Berkeley zwei Semester Amerikanische Literatur studierte, lasen wir Romane aus dem 19. Jahrhundert, u. a. "Uncle Tom´s Cabin". Es stellte sich heraus, dass die meisten Studenten den Roman kannten, nicht aber den Inhalt und sich die Figur des "Uncle Tom" als devoten, unterwürfigen Schwarzen vorstellten, was er nicht ist. Der lehnt zwar gewaltsamen Widerstand ab, kommt aber zuletzt ums Leben, weil er sich weigert zwei entlaufene Sklavinnen zu verraten. "Uncle Tom´s Cabin" erlebte Ende der 1980er, Mitte der 1990er Jahre eine bescheidene Renaissance, als Harriet Beecher-Stowes Aktivitäten als Feministin und Suffragistin bekannter wurden und ihre Engagement gegen das, was sie "Domestic Slavery nannte.

Nach diesem Exkurs in die Literaturgeschichte aber zurück zu Sprachcodes, PC etc. Inhaltlich stimme ich ja vielem zu, was hier geschrieben wurde. Es lässt sich Diskriminierung nicht per Sprachcodes beseitigen, und wenn Comics, Zeichentrickfilme, Speisekarten und Kinderbücher Sprachregelungen zum Opfer fallen und der Vorwurf der Volksverhetzung laut wird oder Zensur eingefordert wird, ist das bedauerlich bis peinlich.

Einiges, was hier geschrieben wurde/wird, hört sich aber in der Tat ziemlich verschwörungstheoretisch und auch sehr einseitig an. Da werden Äpfel mit Birnen und mittelalterliche Urkunden mit Kinderbüchern verglichen, da werden Interpolationen, Bearbeitungen, Fälschungen in einen Topf geworfen ist von Zensur, Bücherverbrennungen ja Gedankenpolizei die Rede, da wird suggeriert, dass PC-Apologeten, Gutmenschen, der CVJM, die katholische Kirche mit bilderstürmerischem Fanatismus Bibliotheken stürmen, um Weltliteratur zu zensieren und Weltliteratur wie D. H. Lawrence, Marquis de Sade, Sacher-Masoch,Astrid Lindgren, Günther Grass und die LTB zu zensieren, zu indizieren und zu verbrennen.

Fakt ist aber, um im deutschsprachigen Raum einen leitenden Posten in einer Bibliothek oder einem Archiv zu besetzen, ist eine abgeschlossene akademische Ausbildung als Philologe Voraussetzung, für die gehobene Laufbahn eine Promotion zwar nicht Pflicht, aber meist die Regel. Es ist seit den 1960er Jahren nicht weniger, sondern mehr veröffentlicht worden, das Spektrum der Meinungen ist nicht schmaler, sondern breiter geworden. Es ist nicht eines der Werke der genannten Autoren zensiert, verfälscht oder vom Literaturmarkt verschwunden. Zynisch gesagt gibt es für ein Buch in der modernen Literaturszene eigentlich gar keine bessere Werbung, als wenn es auf einem Index landet, wenn sich die die Kirchen, irgendein Zentralrat oder sonst eine Organisation darüber beschwert.
Urheberrechte von Autoren schützt die VG-Wort, und wenn man ein religionskritisches Werk veröffentlicht, das so niveauvoll ist, dass es in Bibliotheken landet, zahlt sie einem noch eine jährliche Tantieme. Wenn eine (religiöse)Organisation das moniert und das Buch indiziert, verbrennt oder sich sonst was damit abwischt, wird man das als freie Meinungsäußerung dulden, so wie die die Veröffentlichung aushalten müssen. Es gilt das Motto, dass eine vernichtende Kritik besser ist, als gar keine.
 
"Fälscher" ist ein starkes Wort dafür, dass Texte ihrer Zeit angepasst werden. Die Anpassung kann, muss aber nicht verfälschend sein. 3/4 der Deutschen würden heute den Simplicissimus in der Originalfassung gar nicht mehr lesen können. Oder hat Raoul Schrott die Ilias verändert, als er sie extra derb ins Deutsche übersetzt hat? Eine Anpassung an die Zeit ist - wenn der Sinn nicht entstellt wird - letztlich nichts anderes als eine Übersetzung. Es sei denn, du nimmst die Position des ehemaligen Deutschlehrers meiner Mutter ein, der meinte man könne Mittelhochdeutsch nicht in Neuhochdeutsch übersetzen, weil ja beides dieselbe Sprache sei.
Bevor man also beginnt pauschal zu moralisieren, sollte man sich den Einzelfall genau anschauen: Was wird wie und warum verändert? Redaktionelle Eingriffe sind nicht per se schlimm.
Es ist doch wohl ein Unterschied, ob man einen mittelhochdeutschen Text ins Neuhochdeutsche übersetzt und eine frühneuhochdeutsche Schreibweise aktualisiert, oder ob man in einem Text Passagen ändert, weil man sie als anstößig empfindet. Mit Übersetzung hat das nichts zu tun. Sie werden nicht geändert, weil sie unverständlich sind (im Gegenteil, für den Geschmack der Verfälscher sind sie nur allzu verständlich), sondern weil sie nicht dem jeweils aktuellen Zeitgeist oder sittlichen Empfinden entsprechen.
 
Es ist doch wohl ein Unterschied, ob man einen mittelhochdeutschen Text ins Neuhochdeutsche übersetzt und eine frühneuhochdeutsche Schreibweise aktualisiert, oder ob man in einem Text Passagen ändert, weil man sie als anstößig empfindet. Mit Übersetzung hat das nichts zu tun. Sie werden nicht geändert, weil sie unverständlich sind (im Gegenteil, für den Geschmack der Verfälscher sind sie nur allzu verständlich), sondern weil sie nicht dem jeweils aktuellen Zeitgeist oder sittlichen Empfinden entsprechen.
Natürlich. Aber weder bei "Heine" (in Anführungszeichen, um ihn mit seinem Nickgeber nicht zu verwechseln) noch bei mir war von moralischen Empfindungen oder rigororsen Wertvorstellungen die Rede. Deshalb wiederhole ich was ich oben schrieb: Bevor man bei redaktionellen Eingriffen in einen Text über "Verfälschung" moralisiert, sollte man erst mal nach den Motiven, der Methode und der Textstelle fragen, die verändert wird. Wird der Inhalt vielleicht durch die Anpassung gerade erhalten? Wieso hält der Redakteur eine Veränderung für notwendig? Wie geht er dabei vor? Radikal? Behutsam?
 
erst mal nach den Motiven, der Methode und der Textstelle fragen, die verändert wird. Wird der Inhalt vielleicht durch die Anpassung gerade erhalten? Wieso hält der Redakteur eine Veränderung für notwendig? Wie geht er dabei vor? Radikal? Behutsam?

Völlig richtig. Um die Moraldebatte kurz auf den harten Boden der Realitäten aufschlagen zu lassen:

Und diese Vorgehensweise steht bei Tom Sawyer, Grimms Märchen (und den Nigger-Verwendungen in Jackie Brown) in dem Spannungsverhältnis, dass die Auflagen (oder Filme, etc.) abverkauft werden. Das ist der Sinn und Zweck der Veranstaltung von Auflagen.

Below the line von Urheberrechtsverhältnissen und Widersprüchen von Rechtsinhabern entscheidet derjenige diesen Teil, der das Geld für die Publikation in die Hand nimmt. Und anschließend derjenige, der das Geld für den Kauf in die Hand nimmt. Und sonst niemand, auch kein Museumsdirektor.

Jede „weltanschauliche Empörung“ über diese Sache, die Investition des Verlegers oder den Kauf des Erwerbers, rutscht wieder in die Richtung von Moraldebatten und Weltanschauungen, Kulturwächtern und Puristen oberhalb der Kategorie von Fernsehaufsichtsräten von Palmolive-Werbungen.

Daher:
http://www.geschichtsforum.de/help/regeln/
 
Bevor man also beginnt pauschal zu moralisieren, sollte man sich den Einzelfall genau anschauen: Was wird wie und warum verändert? Redaktionelle Eingriffe sind nicht per se schlimm.
Das habe ich weder gesagt noch gemeint. Es ging explizit um Grimms Märchen, Pippi Langstrumpf, Mark Twains Tom Sawjer und nur zur Illustration auch um Shakespeare und die Bibel. Es ging um Eingriffe in diese Werke, die in verschiedenen Zeiten vorgenommen wurden – und jetzt auch wieder werden – mit der Begründung, man könne dies oder jenes nicht mehr sagen, weil sich inzwischen der Zeitgeist geändert habe.

Gegen diese Anpassungen an den Zeitgeist zu sein ist übrigens kein moralisieren, sondern ein Akt der Fürsorge für Werke der Weltliteratur, die historisch bedeutend sind. Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang auf den Beitrag von @Ravenik hinzuweisen:
Es ist doch wohl ein Unterschied, ob man einen mittelhochdeutschen Text ins Neuhochdeutsche übersetzt und eine frühneuhochdeutsche Schreibweise aktualisiert, oder ob man in einem Text Passagen ändert, weil man sie als anstößig empfindet. Mit Übersetzung hat das nichts zu tun. Sie werden nicht geändert, weil sie unverständlich sind (im Gegenteil, für den Geschmack der Verfälscher sind sie nur allzu verständlich), sondern weil sie nicht dem jeweils aktuellen Zeitgeist oder sittlichen Empfinden entsprechen.
 
Ich bin lediglich dagegen, in alten Büchern herum zu pfuschen, d.h. sie dem heutigen Zeitgeist anzupassen. Literatur, und dazu gehören auch Märchen, beschreibt in der Regel das Leben oder die Sicht aufs Leben einer bestimmten Zeit, und würde man sie immer wieder dem jeweiligen Zeitgeist anpassen – zum Beispiel den Negerkönig bei Pippi Langstrumpf durch Südseekönig ersetzen, wie bereits geschehen –, verlöre man das Authentische der Entstehungszeit.

Man muss da unterschiedliche Maßstäbe an Erwachsenen- und Kinderliteratur legen. Und gerade Astrid Lindgren, die sich gegen Rassismus einsetzte, wäre sicherlich eine der letzten gewesen, die etwas gegen diese vielbeklagte Änderung einzuwenden gehabt hätte.
Es geht eben nicht um Erwachsenenliteratur, sondern um Kinderliteratur und Kinder haben eben noch kein historisches Bewusstsein. Und erst Recht kein Bewusstsein für historische Sprachentwicklung.
Sprache entwickelt sich nicht nur phonetisch weiter, sondern auch semantisch. Wenn in den 1960er Jahren sich noch niemand über das N-Wort Gedanken machte oder es überhaupt nicht rassistisch meinte, so müssen wir nicht sechzig Jahre später das Wort noch gleich verstehen. Bei Pippi Långstrump, wo Vater Efraim als "Negerkung" 1960 noch durchging, müssen wir heute, drei Generationen später, anders sprechen, weil die Kinder anders sprechen als ihre Großeltern. Wenn die Kinder heute die Geschichte so verstehen sollen, wie die Kinder ihrer Großelterngeneration, dann muss auch der Sprachwandel dieser sechzig Jahre mitgedacht werden. Authentisch für Kinder ist anders als authentisch für (historisch denkende) Erwachsene.
 
Wenn in den 1960er Jahren sich noch niemand über das N-Wort Gedanken machte oder es überhaupt nicht rassistisch meinte, so müssen wir nicht sechzig Jahre später das Wort noch gleich verstehen.
Ein kleiner Einwand:
Die "Sachbücher" des späten 19. und frühen 20. Jhs., abgefasst zur Popularisierung (!) des kolonialen Engagements des Kaiserreichs (völkerkundliche Schwarten, voll von heroisierenden Darstellungen solcher "Entdecker" wie Carl Peters etc) verwendeten die Begriffe "Wilde" und "Neger" durchaus bewußt abwertend. Im weiteren Verlauf des sprachlichen Gebrauchs von Wilde & Neger blieb die abwertende Konnotation (unzivilisiert, benötigen strenge koloniale Erziehung) erhalten und wurde im Kontext der zu Beginn des 20.Jhs. grassierenden "Rassenlehren" auch rassistisch aufgeladen. So ist die Bezeichnung "Negermusik" im brillanten Roman Tadellöser & Wolf selbstredend abwertend und rassistisch (Papa Tadellöser wettert wider die Vorliebe seiner Söhne für Jazz in den Nachkriegsjahren)

Kinder- und Jugendliteratur: bei diesen Gattungen steht der pädagogische Aspekt (besonders heutzutage) im Vordergrund. Hier allerdings frage ich mich, ob z.B. Pipi Langstrumpf, Heidi, drei Freunde überhaupt - egal ob redigiert oder nicht - heute noch zeitgemäß als Jugendliteratur sind, oder ob das wieder auflegen und politisch-korrektisieren dieser Schwarten nicht eher das sentimentale Nostalgiebedürfnis der Elterngeneration bedient (schau klein Erna, das haben wir als Kinder gelesen, ist viiiiel besser als Ninjaturtles)

Redigierende Eingriffe in literarische Sprachkunstwerke - die in aller Regel nicht zur Jugendliteratur zählen! - werfen wieder ganz andere Fragen auf. Höchst selten stehen Lektoren/innen/* auf demselben sprachkünstlerischen Niveau wie etwa Mark Twain. Bzgl Twain (vor einigen Jahren schon mal im GF diskutiert) ist primär eine unangenehme Sorte Dummheit seitens der merkantil orientierten Rezeption lästig: Huck Finn ist nun mal kein Kinderbuch. Daran ist nicht zu rütteln. Auch Goldings Herr der Fliegen ist kein Kinderbuch, ebensowenig wie dessen Folie zwei Jahre Ferien von Verne.

Da hier im Faden Codes eine Rolle spielen sollen: Twain setzt in seinem Huck Finn mehrere Soziolekte ein (vergleichbar mit dieser lit. Praxis die Soziolekte bei Dostojewski), und zwar dankenswerterweise authentische. Ganz konform zu den theoretischen Anforderungen des lit. Realismus. Soziolekte und die in ihnen enthaltenen Wertmuster und Typisierungen setzen beim Rezipienten voraus, dass er diese erkennt. Missversteht der Rezipient das, dann ... entsteht unschönes. W. Busch karikiert gekonnt die bieder-bürgerliche und dabei zugleich antisemitische und kunstfeindliche Haltung und Sprache des bigotten Spießbürgers. Die Karikatur als solche wird gerne von politisch hyperkorrekten Deutern nicht erkannt, z.B. in der frommen Helene. Das führt dann zu der unsinnigen Schlagzeile, der Max&Moritz-Busch ist ein böser Antisemit... oder eben auch zu dilettantischen "antirassistischen Entschärfungen" im bedeutendsten antirassistischen lit. Kunstwerk: Huck Finn. Schon kurios...
 
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Man muss da unterschiedliche Maßstäbe an Erwachsenen- und Kinderliteratur legen.
Da haben wir im Ergebnis wieder das Problem, das ich bereits in einem früheren Beitrag in diesem Thema angesprochen habe: Dass Kinderbücher nicht als schützenswerte Werke von eigenständigem literarischem Wert anerkannt werden, sondern als literarisch minderwertige Gebrauchsartikel, die man nach Belieben verwenden, verwerfen oder umschreiben darf, ganz so wie es der "Markt" (präziser gesagt eigentlich gar nicht der Markt im Sinne der potentiellen Käufer, sondern Kritiker, Pädagogen und Ideologen, die bestimmen möchten, was Kinder aktuell lesen dürfen/müssen) jeweils erfordert.

Und gerade Astrid Lindgren, die sich gegen Rassismus einsetzte, wäre sicherlich eine der letzten gewesen, die etwas gegen diese vielbeklagte Änderung einzuwenden gehabt hätte.
Oder es würde sie zur Verzweiflung treiben, dass ihren gut gemeinten Büchern plötzlich Rassismus unterstellt wird.

müssen wir heute, drei Generationen später, anders sprechen, weil die Kinder anders sprechen als ihre Großeltern.
Eigentlich ist es genau andersherum: Es ist ja nicht so, dass die Kinder anders sprechen, weil sie das von selbst tun, sondern weil sie dazu (direkt oder indirekt) erzogen werden. Es liegt also in der Hand der Erwachsenen, der Schulen und der Medien (im weitesten Sinne), welche Sprache Kinder lernen und welche Wörter sie verwenden oder verabscheuen sollen. Nicht die Kinder sind es, die sprachlich anders geartete Literatur benötigen, sondern Erwachsene, Schulen und Medien geben ihnen vor, dass sie nicht mehr so reden dürfen wie ihre Großeltern, nicht einmal mehr so, wie ihre Eltern in ihrer Jugend selbst geredet haben. (Die Spirale dreht sich ohnehin immer schneller: So manches, was heute noch gesagt werden darf, wird in zehn Jahren karrierevernichtend sein.) Die Kinder sollen neue oder umgeschriebene Bücher erhalten, damit sie so zu sprechen lernen, wie das Kritiker, Pädagogen und Ideologen wollen. Somit würde es aber auch in der Hand dieser Verantwortlichen liegen, diesen Kreislauf zu durchbrechen. Stattdessen wird auf weitere Radikalisierung gesetzt, nach immer weiteren Wörtern, Formulierungen und Textstellen gesucht, denen man irgendwie Rassismus, Sexismus, Antifeminismus, Antigenderismus, Homophobie, Mikroaggression etc. unterstellen bzw. in sie hineininterpretieren kann.
 
Da kann ich auch was dazu sagen.

Vor Jahren gabs in Erfurt die Humperdinck Oper (spätromantische Oper) Hänsel und Gretel.
Ich dachte bei meinem Anrecht werde ich diese Oper auch bald erleben und freute mich schon darauf (Abendsegen, Brüderchen komm Tanz mit mir, Hexenritt usw.).
Pustekuchen, es gab ein paar Aufführungen und danach wurde an den Litfaßsäulen der Stadt überall auf das Plakat der Oper eine Information angebracht mit der Aussage:

nur ab 16 Jahre!

Die Oper wurde nach ein paar wenigen Aufführungen dann abgesetzt.
Wie ich hörte war die Oper wohl sexistisch inszeniert, es fiel sogar der Begriff Pädophilie.

Ich sags einfach mal hier.

Ich bin ein absoluter Gegner wenn irgendwelche Leute aus Mangel eigener Ideen an den Werken von gestandenen Meistern herumwerkeln/herumdoktern.
Also z.B. „La Traviata“ mit Auto auf der Bühne und Schauspieler mit Armani-Anzügen.

Ansonsten Märchen...

Da habe ich eine Sammlung von 15 Büchern.
Mein Highlight ist das Märchenbuch „Sibirische Märchen“.
Von Andersen habe ich alle 175 Märchen.
Auch ein Märchen von Goethe – es heißt „Von der grünen Schlange und der Schönen Lilie“, oder von den Friederich de la Motte Fouqué „Das Schauerfeld“ u.v.w.

Friederich de la Motte Fouqué – er war einer der ersten deutschen Dichter der Romantik. Geboren in Brandenburg/Havel; verstorben in Berlin.
Goethes Märchen findet auch man auch als Freskenmalerei im Schloss „Belvedere Schöne Höhe“ im sächsischen Elbsandsteingebirge.
 
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Da haben wir im Ergebnis wieder das Problem, das ich bereits in einem früheren Beitrag in diesem Thema angesprochen habe: Dass Kinderbücher nicht als schützenswerte Werke von eigenständigem literarischem Wert anerkannt werden, sondern als literarisch minderwertige Gebrauchsartikel, die man nach Belieben verwenden, verwerfen oder umschreiben darf, ganz so wie es der "Markt" (präziser gesagt eigentlich gar nicht der Markt im Sinne der potentiellen Käufer, sondern Kritiker, Pädagogen und Ideologen, die bestimmen möchten, was Kinder aktuell lesen dürfen/müssen) jeweils erfordert.

Das stimmt doch nicht. Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Selbst vielen Erwachsenen geht ein historisches Bewusstsein ab. Kinderliteratur trotz Sprachentwicklung unverändert zu bewahren heißt letztendlich, sie den Kindern zu entfremden und zum Objekt allein für Sprachhistoriker und Literaturwissenschaftler zu machen.

Semantische Verschiebung - also die Veränderung von Wortbedeutungen - ist keine Erfindung vo Pädagogen, sondern hat es schon immer gegeben. Das Wort für Haus in den meisten romanischen Sprachen war für den alten Lateiner eine abgewrackte Hütte, das Wort für Pferd bedeutete für den alten Römer einen Klepper. Hier wurde aus einem früheren Pejorativum ein positives Wort (anlässlich der Geuzen nennt man das auch Geuzenwort). Auch schwul war früher ein negatives Wort, heute kann man sich hinstellen und sagen „ich bin schwul und das ist auch gut so“.
Andere Wörter nehmen eben die gegenteilige Entwicklung. Etwa billig. Vor 200 Jahren bedeutete das noch ‚gerecht‘. Irgendwann war es ein billiger - gerechter - Preis, ein Produkt war seinen Preis wert (ich schreibe das extra so, weil das Adjektiv preiswert, obwohl doch eigentlich semantisch offensichtlich mittlerweile auch seinen eigentlichen Sinn verloren hat). Mittlerweile heißt billig mitunter eher ‚wertlos‘, ‚schrottwertig‘, ‚uninspiriert‘. Dass es mal ‚gerecht‘ bedeutete, steckt nur noch in etwas billigen und in „das ist mir recht und billig“. Solche Bedeutungsverschiebungen kann man in Kinderliteratur nicht ignorieren, wenn man will, das Kinderliteratur Kinderliteratur bleibt.
 
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Ihr redet aneinander vorbei, bezieht euch auf verschiedene Probleme. Die Übersetzung älterer Sprache ist etwas anderes als politisch oder ideologisch oder zeitgeistlich motivierte Veränderung eines Werks.

Von Pippi Langstrumpfs Vater als 'Negerkönig' wurde in einer Zeit geschrieben, als der Begriff einerseits aufgewertet werden sollte und er andererseits neutral für Exotik stehen konnte. Mittlerweile wurde entschieden das Wort, nicht nur den Begriff, zu ächten und es durchgehend als negativ zu verstehen. In einem Gedicht Goethes oder einer älteren Erzählung von Grass wäre eine Ersetzung des Worts verfehlt. Bei Pippi Langstrumpf hingegen braucht es die Übersetzung, weil das Publikum es sonst nicht versteht. Ich setze aber voraus, dass es sozusagen wissenschaftliche Ausgaben gibt.

Karl May wurde mehrfach dem Zeitgeist angepasst, was definitiv nicht immer gelungen ist und ein bekanntes Beispiel für Selbstzensur darstellt. Mittlerweile kann das als historische Quelle genutzt werden. Vor allem zeigt es, dass das Phänomen nicht neu ist. Es gehörte auch zum Repertoire von Sozialismus, Faschismus und häufig auch des Utilitarismus*, der es teils auch heute wieder propagiert. Heute kommen aber mehrere Dinge zusammen. Dazu möchte ich eigentlich nicht hier diskutieren, um nicht Verrückte anzuziehen, aber der bewusste, immer schnellere und teils willkürliche Umbau ist tatsächlich mittlerweile beängstigend und erschafft Probleme für zukünftige Historiker.

* Der war immerhin ein Teil des Konformitätsmechanismus der viktorianischen und wilhelminischen Epoche und geriert sich heute teils ähnlich vorschreibend, um.es einmal nach der Kehrseite zu formulieren und es nicht nur auf die Mittel zu beziehen. Schließlich erfasste er die durchaus vorhandenen areligiösen Kreise.
 
Kinderliteratur trotz Sprachentwicklung unverändert zu bewahren heißt letztendlich, sie den Kindern zu entfremden und zum Objekt allein für Sprachhistoriker und Literaturwissenschaftler zu machen.
Wird Kinderliteratur denn "bewahrt", wenn man sie laufend umschreibt? Irgendwann mögen dann noch auf dem Buchdeckel der Name des ursprünglichen Autors und der ursprüngliche Titel stehen, aber sonst? Mich erinnert das eher an manche denkmalgeschützten Gebäude, bei denen nur noch die Fassade einigermaßen ursprünglich aussieht, die aber im Inneren komplett entkernt und umgebaut wurden.

Semantische Verschiebung - also die Veränderung von Wortbedeutungen - ist keine Erfindung vo Pädagogen, sondern hat es schon immer gegeben.
Wir reden hier aber primär nicht von irgendwelchen semantischen Verschiebungen, wie sie in der Sprachentwicklung nun einmal erfolgen, sondern von der gezielten Tabuisierung von Ausdrücken, Formulierungen und Denkweisen.

Aber auch wenn wirklich semantische Verschiebungen vorliegen sollten: Vielleicht sollte man Kinder nicht allzu sehr unterschätzen. Ich las als Kind einerseits Gustav Schwabs Sagen, andererseits die Geschichten aus "Tausend und eine Nacht". Die Ausgabe von Schwabs Sagen stammte aus Familienbesitz. Ob sie den Text in der Originalfassung enthielt, weiß ich nicht, aber da sie noch in Fraktur gedruckt war, war der Text sicher nicht in den letzten Jahrzehnten modernisiert worden. Mag sein, dass ich einzelne Wörter (wie vielleicht "billig") falsch verstanden habe, aber der Sinn des Textes erschloss sich mir immer, echte Verständnisschwierigkeiten hatte ich also nicht. Die Geschichten aus "Tausend und eine Nacht" las ich nicht in einer Nacherzählung für Kinder, sondern in der Übersetzung von Gustav Weil (1. Hälfte des 19. Jhdts.), wenn auch in (in meiner Kindheit) aktueller Rechtschreibung. Hier verstand ich zwar tatsächlich nicht immer alles, aber das lag eher daran, dass es sich um Literatur für erwachsene Leser handelte und doch gewisse Kenntnisse des Orients vorliegen sollten, als an der Sprache. (Unter einem "Haschischfresser" konnte ich mir z. B. nichts vorstellen, da mir ein Nahrungsmittel "Haschisch" völlig unbekannt war, leitete aus dem Kontext und dem Wortteil "-fresser" aber immerhin ab, dass der Ausdruck vermutlich abwertend gemeint war.)
 
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Da muss ich den DDR Verlagen ein Lob aussprechen.
Weil hier im Beitrag von Riothamus die Rede von Karl May ist.
Ich habe 6 Bände vom Verlag Neues Leben Berlin. Alle sind von Anfang der 80iger.
Da steht: “Diese Ausgabe erscheint unter Zugrundelegung der 1893 im Verlag Friedrich Ernst Fehsenfeld herausgegebenen Originalfassung Karl May“.

Oder beim Buch „Hyacinth und Rosenblüt“- Märchen der Romantik - gibt es ein Quellverzeichnis.
Da werden die Quellen der 14 Deutschen Schriftseller aufgeführt. Z.B. Ernst Moritz Arndt, Märchen. Leipzig 1909.
Und weiter steht, die Rechtschreibung wurde heutigen Regeln angeglichen; der Lautstand blieb erhalten. Bei den Texten von Eichendorff und E.T. Hoffmann wurden die Rahmenbedingungen weggelassen. Die mit * versehenen Titel wurden von der Herausgeberin formuliert.
Illustrationen: Bilder von:

· Ludwig Richter,
· Casper David Friedrich,
· Moritz von Schwind,
· Jacob Philipp Hackert
· usw.
 
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