Sprachliche Minderheiten 1914

flenn_c

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Ausgehend von einer Dokumentation während meines Auslandsaufenthalts in England habe ich mich erstmals mit Deutschland vor 100 Jahren beschäftigt. Hierbei habe ich mich sehr über sprachliche Minderheiten gerade in Deutschland interessiert und hierbei eine Animation aus dem britischen Fernsehen mit Interesse verfolgt.


Die Grenzen Deutschlands 1914 waren (so auch Tenor der Animation) sicher sehr stark überdehnt, da sie auch im größeren Maße als heute Dänen und Sorben fremdsprachige Menschen z.T. gegen ihren Willen in deutschen Staatsgrenzen einschloss.



Im südlichen Ostpreußen (heutiges Polen) wurde Masurisch gesprochen, im nordöstlichen Ostpreußen (heute Litauen) wurde Litauisch gesprochen, in Schlesien (Ausnahme: westliche Zipfel), Pommern (Ausnahme: westliche Zipfel), Westpreußen und Posen zu sehr großen Teilen Polnisch. Der britischen Animation zufolge war das Gebiet um Königsberg (heute Russische Föderation), was verglichen mit Westpreußen oder Posen sehr, sehr weit von Kerndeutschland lag, hingegen ausschließlich deutschsprachig.



Ein Fehler in der Animation oder woher kommt diese Anomalie?
 
Es handelt sich dabei nicht um eine "Anomalie". Oder waren die britischen Kolonien in Amerika, Afrika, Asien und Ozeanien Anomalien? Da sprachen die Menschen auch nicht alle als Erstsprache Englisch.
Es gab im 19. Jhdt. eine Diskrepanz zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker und dem Drang nach Nationalstaaten als Staaten, in denen Menschen einer Sprache und Nation gemeinsam frei zusammenlebten und dem Wunsch der Herrschenden, ihre Machtstellung Auszubauen oder wenigstens zu erhalten. Weder Russland noch Deutschland/Preußen noch Österreich haben z.B. ihre polnischen Gebiete freiwillig hergegeben.
Die Herrschaft über diese Gebiete war - z.T. wenigstens - unrecht, aber eben nicht anomal.
 
@El Quijote: Darum ging es ja gar nicht. Ich habe mich nur gewundert, dass in Kerndeutschland (heutiges Bundesgebiet) Deutsch gesprochen wurde, im Osten stark polnischsprachiges Gebiet (Posen, Westpreußen) anschloss und viel weiter im Osten wieder rein deutschsprachiges Gebiet war, also das polnischsprachige Gebiet von deutschsprachigen Gebiet im Westen (wie heute), aber auch deutschsprachigen Gebiet im Osten (!) umschlossen war. Also war in der Region offenbar eine stark deutschsprachige Sprachinsel.
 
Das lag zum Teil am Deutschen Ordensstaat und der Verdrängung bzw. Assimilierung der Pruzzen. Das Pruzzische war eine baltische Sprache, die Preußen aber, deren Name sich von den Pruzzen herleitet, waren dann einige Jahrhunderte später Deutsche.
 
Die Sorben wurden schon unter Otto dem Großen unterworfen. Haben aber ihre Sprache und Sitten beibehalten. Der Linke Niederrhein, nördlich von Moers, wurde eher niederländisch als Deutsch gesprochen.
Altona war mal Dänisch. Und im Süden Dänemarks gibt es eine deutsche Minderheit.

Apvar
 
@El Quijote: Darum ging es ja gar nicht. Ich habe mich nur gewundert, dass in Kerndeutschland (heutiges Bundesgebiet) Deutsch gesprochen wurde, im Osten stark polnischsprachiges Gebiet (Posen, Westpreußen) anschloss und viel weiter im Osten wieder rein deutschsprachiges Gebiet war, also das polnischsprachige Gebiet von deutschsprachigen Gebiet im Westen (wie heute), aber auch deutschsprachigen Gebiet im Osten (!) umschlossen war. Also war in der Region offenbar eine stark deutschsprachige Sprachinsel.

Die Anwesenheit fremdsprachiger Minderheiten im deutschen Kaiserreich hatte teilweise weit zurückliegende historische Gründe.

Die polnischssprachigen Gebite im Osten des Reichs waren zu einem großen Teil während der polnischen Teilungen Ende des 18. Jh. an Deutschland gefallen. Bei den drei Teilungen, an denen Österreich, Russland und Preußen beteiligt waren, gelangte Westpreußen mit Kulm und Bromberg sowie dem Ermland (später zu Ostpreußen) 1772 an Preußen, Südpreußen mit Posen, Thorn, Danzig und Gnesen 1793 an Preußen.

Ostpreußen war aus dem deutschen Ordensstaat hervorgegangen und unter dem zum Protestantismus konvertierten letzten Hochmeister Albrecht von Brandenburg in das weltliche Herzogtum Preußen verwandelt worden. Die Lehnshoheit über dies Land, das ungefähr dem späteren Ostpreußen entsprach, übte der polnisxche König aus. 1618 erbten die brandenburgischen Hohenzollern das Land, und konnten 1660 die polnische Lehnshoheit abschütteln. In Westpreußen und Südpreußen siedelte eine beträchtliche polnischssprachige Mehrheit, abgesehen von einigen deutschen Sprachinseln, die sich meist auf einige Städte konzentrierten. Ostpreußen hingegen war überwiegend deutschsprachig.

Schlesien war erst nach den Schlesischen Kriegen 1742 an Preußen gefallen und es war überwiegend deutschsprachig - abgesehen allerdings von Oberschlesien, dessen westlicherTeil deutschsprachig und dessen östlicher Teil mehrheitlich polnischsprachig war.

Was die Sorben angeht, so wurde ihr Gebiet bereits im 12. Jh. ins mittelalterliche Deutsche Reich integriert und es entstand mit dem Sorbischen eine kleine westslawische Sprachinsel inmitten Ostdeutschlands.

Das Herzogtum Schleswig war dänisches Reichslehen und eng mit Holstein verbunden, das deutsches Reichslehen blieb. Schleswig wurde nach dem 2. Deutsch-Dänischen Krieg 1864 von Dänemark abgetrennt und nach dem Deutschen Krieg 1867 in Preußen eingegliedert. So kam eine im Norden Schleswigs siedelnde dänische Bevölkerung unter deutsche Herrschaft. Nordschleswig fiel nach dem 1. Weltkrieg als Abstimmungsgebiet an Dänemark.
 
Dieter schrieb:
Schlesien war erst nach den Schlesischen Kriegen 1742 an Preußen gefallen und es war überwiegend deutschsprachig - abgesehen allerdings von Oberschlesien, dessen westlicherTeil deutschsprachig und dessen östlicher Teil mehrheitlich polnischsprachig war

Nicht ganz Oberschlesien ist an Preußen gefallen. Österreich behielt ein Teil bei Troppau und Teschen.

1742 endete erst der Erste Schlesische Krieg mit dem Frieden von Berlin. :winke:
 
Nicht zu vergessen die Welschlothringer im Reichsland.Die standen allerdings nicht unter Denkmalschutz wie die Sorben, sondern man versuchte sie langsam zu assimilieren.
 
Ostpreußen war durch den 30jährigen Krieg und vor allem durch die große Pest 1709/10 praktisch entvölkert und mußte erst wieder "repeupliert" werden wie man es damals nannte.

Die ersten Neusiedler kamen noch unter Friedrich I. aus der Schweiz, der Soldatenkönig siedelte dann v.a. Glaubenflüchtlinge aus dem Salzburger Raum an. Die Nachkommen dieser Siedler sprachen natürlich Deutsch und nicht Polnisch oder Pruzzisch.
 
So kam eine im Norden Schleswigs siedelnde dänische Bevölkerung unter deutsche Herrschaft. Nordschleswig fiel nach dem 1. Weltkrieg als Abstimmungsgebiet an Dänemark.

Die Bonn-Kopenhagener Erklärung von 1955 regelte dann das freie Bekenntnis zur Volksgruppen von Dänen oder Deutschen als gleichberechtigte Staatsbürger im jeweiligen Land. Deutsche Schulen in Dänemark und umgekehrt. Dänische Partei in Schleswig-Holstein, SSW, und die deutsche Partei in Dänemark, SP.
 
Ostpreußen war durch den 30jährigen Krieg und vor allem durch die große Pest 1709/10 praktisch entvölkert und mußte erst wieder "repeupliert" werden wie man es damals nannte.

Die ersten Neusiedler kamen noch unter Friedrich I. aus der Schweiz, der Soldatenkönig siedelte dann v.a. Glaubenflüchtlinge aus dem Salzburger Raum an. Die Nachkommen dieser Siedler sprachen natürlich Deutsch und nicht Polnisch oder Pruzzisch.

"Rétablissement" nannte man den Wiederaufbau des durch die Pest in weiten Teilen nach 1709 entvölkerten Ostpreußen, der rund 240 000 Menschen zum Opfer fielen. Diese Tatsache, die du dankenswerterweise hier angeführt hast, ist den meisten unbekannt.

Große Pest (Preußen) ? Wikipedia

Rétablissement (Ostpreußen) ? Wikipedia
 
"Rétablissement" nannte man den Wiederaufbau des durch die Pest in weiten Teilen nach 1709 entvölkerten Ostpreußen, der rund 240 000 Menschen zum Opfer fielen. Diese Tatsache, die du dankenswerterweise hier angeführt hast, ist den meisten unbekannt.

Wegen des Wikipedia-Artikels hatte ich nachgefragt.

Das basiert auf älteren Schätzungen ohne belastbare statistische Grundlage für diese Jahre, Bevölkerungsverluste ohne Trennung von Abwanderung und Todesfälles, Hochrechnungen aus Einzelfällen (Dörfer, Städte) usw., die in der Literatur abgeschrieben wurden und sich auch auf "Heimatseiten" finden.

Der Wikipedia-Artikel hilft dazu nicht weiter. Daher die Frage nach neuerer Forschung zur Bevölkerungsentwicklung und -struktur.
 
Die Grenzen Deutschlands 1914 waren (so auch Tenor der Animation) sicher sehr stark überdehnt, da sie auch im größeren Maße als heute Dänen und Sorben fremdsprachige Menschen z.T. gegen ihren Willen in deutschen Staatsgrenzen einschloss.
Dänen nach der militärischen Niederlage ja, Sorben aber sind hier ein Sonderfall: die haben keinerlei Interesse an einer Selbständigkeit gehabt und fühlten sich wohl als anderssprachige Deutsche.

Im südlichen Ostpreußen (heutiges Polen) wurde Masurisch gesprochen, im nordöstlichen Ostpreußen (heute Litauen) wurde Litauisch gesprochen, in Schlesien (Ausnahme: westliche Zipfel), Pommern (Ausnahme: westliche Zipfel), Westpreußen und Posen zu sehr großen Teilen Polnisch.
Masurisch teilweise ja, wobei diese Leute schlicht auch oft zweisprachig waren. In Schlesien wurde nur in äußersten Randgebieten polnisch gesprochen und oft auch zweisprachig meines Wissens nach. Pommern war indes zu 100% deutschsprachig, mal von lokaler Arbeitswanderung (nationaler Migration) mal abgesehen. Posen war wohl stark polnischsprachig, Westpreussen wiederum eher deutschsprachig mit wiederum vielen mischsprachigen und Wanderarbeitern - so meine Information. Litauisch wurde teilweise von den Memelländern gesprochen (zu etwa 20%), wobei diese Leute sich dennoch als Deutsche verstanden, las ich kürzlich im Buch "Das Memelland" vom Bebra Verlag, Autor Herman Pölking.

Schade, dass man die Orginalbewohner nicht mehr befragen kann (meistens nicht mehr).


es entstand mit dem Sorbischen eine kleine westslawische Sprachinsel inmitten Ostdeutschlands.

Damals war das Mitteldeutschland, oder sind die Sorben aus Ostdeutschland nach Brandenburg und Sachsen erst später gewandert?
 
Zuletzt bearbeitet:
Damals war das Mitteldeutschland, oder sind die Sorben aus Ostdeutschland nach Brandenburg und Sachsen erst später gewandert?


Die Sorben sind im Rahmen der Völkerwanderung in diese Gebiete eingewandert.
Sorben ? Wikipedia

Preußen war nicht Deutschland. Nur deshalb konnte sich der Markgraf von Brandenburg zum König in Preußen "befördern".

Zur Ergänzung: Preußen (damit ist in etwa das Gebiet des späteren Ostpreußens gemeint) war bei der Krönung 1701 nicht Teil des Heiligen Römischen Reiches, aber Teil des deutschen Sprachraums.

Preußen ? Wikipedia
 
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