Ständekämpfe

Kochant

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Vor einigen Jahren habe ich an der Uni ein Seminar zur Quellenkritik besucht. Da wurde herausgearbeitet, dass die sogenannten Ständekämpfe ein Konstrukt von Livius waren. Er hat verschiedene Ereignisse so miteinander verknüpft, dass er daraus die Verhältnisse zu seiner Zeit erklären konnte. In diesem Sinn sind seine Darstellungen mit Vorsicht zu genießen.
 
So einfach kann man es sich nicht machen. Über die Ständekämpfe schrieb ja auch der Grieche Dionysios von Halikarnassos zeitgleich (oder eher schon etwas früher) und unabhängig von Livius, wobei sich die Darstellungen im Wesentlichen decken. Beide Autoren beriefen sich fallweise auch auf ältere Autoren. Knappe Erwähnungen zu den Ständekämpfen finden sich auch schon beim früher schreibenden Diodor.

Dass die Darstellungen zu den Ständekämpfen mit Vorsicht zu genießen sind, weil die Geschichtsschreibung erst lange nach einem Großteil der beschriebenen Ereignisse begann und daher kaum über zuverlässige Informationen verfügen konnte, muss trotzdem klar sein.

Dass es grundsätzlich aber tatsächlich Konflikte zur Erlangung einer weitgehenden Gleichstellung von Patriziern und Plebejern gegeben haben muss, zeigen diverse Institutionen und Gesetze, die andernfalls nicht wirklich erklärbar sind.
 
Hat Dionysios den Begriff "Ständekämpfe" benutzt oder einfach nur dieselben Ereignisse geschildert? Ich meine mich zu erinnern, dass seine Schilderungen erheblich neutraler waren als die von Livius.
 
Dieselben Ereignisse geschildert.

Der Ausdruck "Ständekämpfe" ist übrigens ohnehin neueren Datums.
 
Weißt du von wann bzw. wer ihn "erfunden" hat? Das Seminar ist, wie ich schon schrieb, einige Jahre her und die Unterlagen sind, wenn überhaupt noch vorhanden, auf dem Speicher.
 
Könnte bestimmt jemand.

Als relevante Bücher können folgende Bücher zum Thema "Ständekämpfe/Conflict of the Orders"" angesehen werden. Polybius (Fragmente Buch 6) wäre noch als Quelle interessant

Beard, Mary (2016): SPQR. A history of ancient Rome. London: Profile Books.
Mitchell, Richard E. (1992): Patricians and plebeians. The origin of the Roman state. . Ithaca, NY : Cornell University Press.
Raaflaub, Kurt A. (Hg.) (2005): Social struggles in archaic Rome. New perspectives on the conflict of the orders. Malden, MA: Blackwell Publishing.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Mary Beard ist 2016 bei S. Fischer auf Deutsch erschienen: SPQR Die tausendjährige Geschichte Roms
 
Mitchell, Richard E. (1992): Patricians and plebeians. The origin of the Roman state. . Ithaca, NY : Cornell University Press.

Dazu vielleicht noch:
Karl-Joachim Hölkeskamp, Senatus Populusque Romanus - Die politische Kultur der Republik - Dimensionen und Deutungen, Wiesbaden 2004, mit folgender Randbemerkung:
"Mitchells Sicht - insbesondere seine Behauptung, daß der sakralrechtlich begründete Sonderstatus der Patrizier nichts mit politischer Privilegierung zu tun habe, daß es weder Patriziat noch Plebs als politische Gruppierungen gegeben habe und daß folglich die 'Ständekämpfe' überhaupt eine Konstruktion bzw. Fiktion seien - ist ganz und gar nicht überzeugend und hat sich auch nicht durchgesetzt."
Uwe Walter, Patrizier und Plebeier in der römischen Historiographie, in: Museum Helveticum 74,2 (2017), S. 172-199 sieht seinen Standpunkt zwischen der "radikalen" Sicht Mitchells und der "optimistischen" Sicht Cornells und Raaflaubs:

"Ohne Zweifel stellt das Bild der immer wieder von gewissen Institutionen, Themen und Akteurs- beziehungsweise Krisenkonstellationen bestimmten <Ständekämpfe> zwischen Patriziern und Plebeiern eine retrospektive Konstruktion dar, die nicht zuletzt die Funktion hatte, einen sehr langen Zeitraum, nämlich die Spanne von 494 bis 287, mit plausiblen und zugleich dramatischen Geschichten und Szenen zu füllen, die für einen in der Zeit von Clodius, Cato und Caesar sozialisierten Leser wenigstens im Grundsatz nachvollziehbar waren. [...] Doch auch wenn die Belastbarkeit der Quellen skeptischer einzuschätzen sein sollte, als dies etwa Tim J. Cornell und Kurt A. Raaflaub meinen, kann man in jedem Fall - auch mit Verweis auf die aus Hesiod besser bekannten Verhältnisse im archaischen Hellas - eines festhalten: Unter den Bedingungen (und Begrenzungen) der Agrarwirtschaft, angesichts des sicher erwiesenen Zugriffs des Gläubigers auf die Person des zahlungsunfähigen Schuldners (nexum), der sozioökonomischen Differenzierung und der voranschreitenden Urbanisierung sowie einer im 5. Jahrhundert wahrscheinlich ganz Italien erfassenden wirtschaftlichen Krise und allgemeinen Unsicherheit wird man im frühen Rom mit einer nicht geringen strukturellen Konflikthaltigkeit der sozialen Verhältnisse rechnen müssen. Das gilt umso mehr, als die später so erfolgreiche Befriedigung von Interessen und Ambitionen durch eine Land und Beute abwerfende Expansion frühestens mit der Eroberung Veiis (390), wahrscheinlich aber erst nach dem Sieg im Latinerkrieg (338) einsetzte. Die Homogenisierung und Vereinfachung im Prozess der Traditionsbildung hat jedenfalls, so ist zu vermuten, sehr verschiedene soziopolitische Konflikte jeweils mit einem alles überwölbenden Kampf zwischen Patriziern und Plebeiern verbunden, der die Narration durch bestimmte wiederkehrende Elemente strukturierte und für Wiedererkennbarkeit sorgte. Es muss also nicht gedeihliche Verhältnisse postulieren, wer den überlieferten Frontlinien und Konflikten die Authentizität abspricht. Denn warum sollten, um nur ein Beispiel zu nennen, nexi ausschliesslich von Patriziern bedrückt und in Fesseln geschlagen worden sein? Der einzige nachweislich historische Konflikt zwischen Patriziern und Plebeiern fand im 4. Jahrhundert statt, als es um den Zugang zu den höchsten Ämtern ging und die Patrizier offenbar in erster Linie mit ihrer sakralen Exklusivität zu punkten beziehungsweise diese zu wahren suchten."​
 
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