Standesschranken bei Germanen

C

Curiosus

Gast
mich würde interessieren, wann sich so etwas wie eine privilegierte Adelsklasse in Germanien gebildet hat. Zu Zeiten von Tacitus scheinen die germanischen Völker relativ egalitär gewesen zu sein (Könige oder Stammesfürsten, die sich nicht bewährten, wurden zum Beispiel abgesetzt, jeder hatte Mitspracherecht im Thing etc.). Im Mittelalter dagegen hatte man sich in dieser Beziehung wohl den Nachbarn schon angepasst, sodass Adlige und Nichtadlige z.B. nicht heiraten konnten.
Wann kam es zu diesem Bruch?
 
Ganz so einfach ist es nicht. Es gab auch bei den Germanen Sklaven und Freie und Anführer. Das Problem bei weniger komplexen Gesellschaften ist, dass die Unterschiede sich in der Materialkultur in manchen Gesellschaften einfach nicht so leicht zu erkennen sind. Ich will das mal bei den heutigen Twareg deutlich machen. Zwar ist Sklaverei in allen afrikanischen Staaten verboten, dennoch halten Twareg (illegalerweise) Sklaven. Wie unterscheiden sich die Sklaven von ihren Herren?

1. Sie dürfen nicht reiten.
2. Sie müssen die Gewalt ihrer Herren ertragen, sie haben keine Rechte.
3. Sie müssen sicher mehr arbeiten und wahrscheinlich schwerere und weniger prestigeträchtige bis hin zu ekligen Aufgaben übernehmen (z.B. Kamelkot einsammeln für das Feuer)

Archäologisch könnte man das ggf. an Stressmarkern an den Knochen nachweisen. In der Materialkultur aber unterscheiden sich Sklaven und Herren nicht. Sie nehmen dieselben Nahrungsmittel zu sich, tragen dieselbe Kleidung, leben in derselben Art von Zelten.

Kehren wir jetzt zu den Germanen zurück. Diese lebten nicht in Zelten sondern in Wohnstallhäusern. Die Archäologie versucht dort, wo sie ganze Siedlungen erfassen kann, den Chef der Siedlung über die Größe der Häuser zu bestimmen (mehr Vieh, größerer, vielleicht auch repräsentativerer Wohnraum). Da gibt es aber selten so eindeutige Befunde, wie in der Theorie. Insofern muss davon ausgegangen werden, dass die soziale Stratifikation im archäologischen Befund gar nicht erkannt wird. Bei den Römern, mit dem Unterschied von Villa vs. Insula ist das viel einfacher. Auch in der Ausgestaltung der Grabmäler. Sicher ist, dass die römische Gesellschaft sehr viel stärker stratifiziert war, als die germanische. Die germanische Gesellschaft war aber deswegen im Umkehrschluss nicht gerechter.

Kommen wir noch zum angesprochenen Thema Thing. Vor den antiken Gesellschaften haben wir keinerlei Nachrichten über die Verfasstheit der Gesellschaften, aber aus der römischen und griechischen Antike wissen wir, dass es Volksversammlungen gab. Diese waren aber nur solange überhaupt möglich, wie eine Gemeinschaft einigermaßen überschaubar war. Über den Thing wissen wir wirklich erst etwas aus mittelalterlichen skandinavischen Quellen, sonst eher aus indirekten Quellen (wenn wir etwa etwas darüber erfahren, wie Arminius die Varusschlacht vorbereitet haben soll). Dass der Thing nicht nur in skandinavischen Gesellschaften existierte, sondern auch in unseren Breiten, mag man an den Worten Dienstag/Dingstag erkennen (allerdings nur im Deutschen und Niederländischen; im Englischen, Friesischen und Skandinavischen geht der Name des Dienstag auf den Tyr zurück. Am Hadrianswall hat man zwei von vermutlich aus den heutigen Niederlanden stammenden germanischen Auxiliarsoldaten aufgestellte Votivsteine gefunden, die dem Mars geweiht sind. In einer Fassung - beide Steine stammen aus dem 3. Jhdt. - heißt es Deo Marti Thincso - dem Gott Thing-Mars.
Der Thing ist das Pendant zur Volksversammlung der Griechen oder Römer (die ja auch bei den Römern auf dem Marsfeld stattfand). Die Entwicklungen waren weitgehend dieselben, nur eben nicht zeitgleich.
 
danke für deine differenzierte Darstellung. Gibt es denn keinerlei Angaben darüber, wann die ersten Grafen aufgetaucht sind? Oder anders gefragt, wie muss man Drichten einordnen? Haben die sich auch schon so weit von anderen abheben wollen, dass als Ehepartner nur Angehörige von anderen Drichten in Frage kamen?
Ich fürchte, da kann die Archäologie auch nicht weiterhelfen. Es ist schon ein Kreuz mit den Germanen, warum haben sie nicht eher das Schreiben gelernt, würde einem viel Rätselraten ersparen!
 
Drihten, das sind die Truchsesse oder Drosten des Mittelalters. Es scheint sich dahinter eine militärische Aufgabe zu verbergen, zumindest ist so die Bedeutung des Begriffsfelds in der Wulfila-Bibel zu fassen. Dass dieses Amt sich aber ständisch fossilisierte, also Standesschranken eine Heirat nach oben unwahrscheinlich machten, eine Heirat nach unten aufgrund dieser mit Ehrverlust verbunden war, dürfte eher eine Entwicklung des Mittelalters sein.
 
nach meinen Informationen waren Truchsässe oder Drosten diejenigen, die die fürstliche Tafel überwacht haben. Militärisch tätig waren sie wohl nur bei der heißen Schlacht am kalten Büffet. (anschaulich beschrieben von dem bekannten Kriegsberichterstatter Reinhard Mey). Meine Vermutung ist , dass der Titel eines Drihten wohl am ehesten dem eines Stammesfürsten oder Stammeshäuptlings entspricht.
 
Aus Tacitus lassen sich durchaus einige Informationen gewinnen. Er erwähnt einen Adel, ohne das aber zu konkretisieren.

Der Truchsess (truhtsâzo) war ursprünglich der Inhaber des Postens des Anführers einer Gefolgschaft. Deshalb entwickelte sich der Begriff auch unterschiedlich von einer militärischen Funktion bis hin zur Verwaltung, wie in den einschlägigen Handbüchern zur Verwaltungsgeschichte auch nachzulesen ist.

Die Gefolgschaft (druht) war eine wichtige Institution, die schon Caesar erwähnt, und mangels besserer Begrifflichkeit werden im Heliand Jesus als Gefolgschaftsherr und die Jünger als Gefolgsleute bezeichnet. Ein (in der Regel adeliger) Gefolgschaftsherr (Truhtin) hatte also Gefolgsleute (Thane, Thegn, Degen; die Etymologie der Waffe ist anders). Und davon war einer der Anführer der Gefolgschaft, einige Ethymologen vergleichen das mit modernen Erscheinungen im Bereich afrikanischer Warlords. Die Gefolgschaften waren je nach Ethnie verschieden ausgeprägt. Im Frankenreich hatten nur die merowingischen Könige Gefolgschaften. In den angelsächsischen Reichen wurde daraus quasi ein Adelsrang, auch wenn die Bezeichnung Aetheling auf Angehörige der Königsfamilien beschränkt blieb. Dabei ist aber zu berücksichtigen, zu wessen Gefolgschaft jemand gehörte. Auch bei den Sachsen waren Gefolgschaften wichtig, ohne dass dies wirklich fassbar wäre.

Und der Anführer der Gefolgschaft war eben der Truchsess oder Drost. Ihm oblag auch der Vorsitz bei Tisch, womit wir schon grob militärische, verwaltungstechnische und zeremonielle Funktion ausmachen können. In Westfalen trat die Verwaltung in den Vordergrund, aber z.B. in Paderborn soll er der (zumindest nominelle) Anführer eines Teils des Aufgebots geblieben sein. Wie bei aller deutschen Verwaltungsgeschichte gab es hier in allen Territorien Unterschiede.

Im Gegensatz zum Gefolgschaftsmann war der fränkische Kerl und angeslsächsische Ceorl ein ungebundener, freier Krieger.
(Die modernen Begriffe stammen aus moderner Zeit und wurden als Übersetzung lateinischer Begriffe erfunden. Ihre Verwendung rechtfertigt sich dadurch, dass die moderne Ethnologie ähnliche Erscheinungen bei vielen Ethnien fand und diese sich so leichter ansprechen lassen, ohne dass eine Bedeutungsvorwegnahme bei den Spezialbegriffen einer Ethnie erfolgt. Während man früher die Theorie durch verständliche Begriffe anschaulich machen wollte, können diese Begriffe also auch genutzt werden, um von der eigenen, subjektiven Wahrnehmung zu abstrahieren: Es wird unvermeidbar nötig zu schauen, inwieweit die zu beschreibende Beobachtung von der zunächst verwendeten Begrifflichkeit abweicht.)

Nun waren die Abhängigen einer Person als dessen 'familia' zusammengefasst, zu der einmal die Familie, dann die Unfreien und schließlich -je nach Ethnie, aber auch nach Funktion unterschiedlich, wenn ich es richtig im Kopf habe- auch die Gefolgschaft zählte. Vereinfacht könnte gesagt werden, dass es sich um die Angehörigen seines Haushalts handelte. (Sehr vereinfacht, zur familia des Paderborner Bischofs gehörten fast alle Bewohner des Landes Delbrück, die heutige Stadt Delbrück und die Gemeinde Hövelhof umfassend.) Aus der familia konnten der pater familias und seine Söhne natürlich niemand heiraten.

Aber im Mittelalter gab es kein Verbot, dass besagte, dass der Adel keine Nichtadligen heiraten darf. Es gab aber zahlreiche Schranken, die dies wohl fast immer verhinderten. Diese waren aber ganz unterschiedlicher Natur. Nach salischem Recht konnten teils nur Kinder aus einer standesgemäßen Ehe erben. Domkapitel und Stifte, aber auch einige Landtage, setzten durch, dass nur jemand aufgenommen werden konnte, der eine bestimmte Anzahl Adliger Vorfahren aufweisen konnte.

Was die Entstehung des Adels betrifft, sind die jeweiligen Ethnien getrennt zu betrachten. Im Frankenreich gab es unter den Merowingern keinen Adel. In Bayern gab es 4 adlige Familien. Bei den Angelsachsen galten nur die Nachfahren von Königen als adlig. Das ist quasi der Stand, der uns aus dem Dunkel der Gechichte entgegentritt. Im Frankenreich bildete sich dann eine neue Adelsschicht und auch bei den anderen Völkern geschah dies, teils ähnlich, teils ganz unterschiedlich.

Im Mittelalter schaffte es ein Teil der Ministerialen, einer besonderen unfreien Schicht innerhalb einer Familia, durch den Waffen- und Verwaltungsdienst in den Adel aufzusteigen. Einem Teil. Denn neben Burgbesatzungen und den Villici, Meiern großer Güter, wurden auch Köche und andere im Haushalt eingesetzte Unfreie zur Ministerialität gezählt und später als niedere Ministeriale von den Aufgestiegenen unterschieden. Für die aufgestiegenen Ministerialen gab es ganz andere Heiratsschranken. In Sachsen (Niederssachsen/Westfalen) etwa folgten die Kinder der Mutter. Heiratete also ein Ministeriale die Tochter eines Ministerialen eines anderen Herrn, gehörten die Kinder zur Ministerialität dieses anderen Herrn. Und das konnte wegen des Lehnswesens, das die Söhne berücksichtigte zu Problemen führen. Die Söhne konnten die Lehen nur behalten, wenn sie in der Dienstmannschaft des väterlichen Herrn blieben, oder sie entfremdeten ihnen dieses Gut. So konnte der Paderborner Bischof die Herren von Osdagissen-Marschall 1249 dazu nötigen, ihm ihre Rechte an der Stadt Kleinenberg zu übertragen, damit sie in seine Ministerialität aufgenommen wurden. Denn ihre Mutter war Kölner Ministeriale und ihr Vater hatte vorwiegend Paderborner Dienstlehen, die sie sonst verloren hätten. Hier gab es auch die Besonderheit, dass lange je nach dem jeweiligen Hausrecht bei den ritterlichen Ministerialen nochmal nach adligen und nichtadligen Ministerialen unterschieden wurde.

Was die Grafen angeht, entwickelte sich dieser Rang vorwiegend aus römischen Wurzeln (comes). Da schon bei den Römern ein comes, ursprünglich ein Hoftitel nach hellenistischem Vorbild: Begleiter des Kaisers, unterschiedliche Funktionen haben konnte, haben ihn verschiedene Ethnien verschieden übernommen. Im fränkischen Bereich war er vom Chef einer Provinz zum Chef einer Civitas geworden. Wegen der Verwaltung musste er noch recht lange Schreiben können, weshalb er als graphio bezeichnet wurde. In England wurde ihm später der Earl/Jarl gleichgestellt, der mit den Dänen auf die Insel kam. Zuvor gab es da die Ealdormen. Und schon da ist unklar, ob beide trotz der jeweils auf das Alter abzielenden Bezeichnung dieselben Wurzeln hatten.

Und so muss das für jede Adelsschicht und jeden Adelstitel einzeln betrachtet werden.

Und die Einordnung in die Begrifflichkeiten des Tacitus ist schwierig bis unmöglich. Sind seine Ältesten/Principes zu einer Schicht erstarrt und dann Ealdormen genannt worden, wie es zu den Angelsachsen so oft zu lesen sind? Oder waren sie schon immer mit dem Adel identisch? Hing dieser an einigen Familien oder an der überlieferten und jeweils bekannten Abstammung bestimmter Könige? Erwähnt Tacitus überhaupt einen Adel oder interpretiert ihn in die Existenz von königlichen Familien von Roms Gnaden hinein? Ich habe zu den Ethnographischen Beschreibungen des Tacitus schon in einigen Threads solche Fragenkataloge gepostet, um die Schwierigkeit der Interpretation deutlich zu machen.

Für diese frühe Zeit gibt es also nur mehr oder weniger gut begründete Vermutungen.

Nach, bzw. in der Völkerwanderungszeit tritt uns dann ein Zustand entgegen, der ich im Mittelalter fortentwickelte. Es wäre naiv anzunehmen, dass es vorher keine Entwicklungen gegeben hätte. Nur können wir sie nicht fassen. Wir können nur konstatieren, dass es bei den Bayern nach der lex Bajuvariorum 4 Adelsfamilien und 1 Herzogsfamilie gab, bei den Sachsen Edelinge und bei den Franken anscheinend keinen Adel außerhalb des merowingischen Königshauses und was es noch an Quellen zu anderen Ethnien gibt. Manches hat sich lange gehalten. In Sachsen wurde lange zwischen Edelherren und Freiherren unterschieden, je nachdem, ob jemand wirklich ein adliger Sachse war, bevor beide Titel zusammenfielen und noch der Sachsenspiegel hat festgehalten, welche Fürsten in Sachsen wirklich Sachsen waren.
 
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Im Frankenreich gab es unter den Merowingern keinen Adel.

Da gehen die Meinungen weit auseinander, ist wohl im wesentlichen eine Definitionsfrage. Es erscheint etwas absurd, Familien wie die Pippiniden oder die Arnulfiden, also die späteren Karolinger, oder auch die Robertiner, die späteren Capetinger, nicht als adelig bezeichnen zu wollen.
Etwa das Edictum Chlotharii von 614 wird als aus Druck des fränkischen Adels entstanden angesehen.

Es ist generell sehr problematisch, von Tacitus beschriebene Strukturen - soweit diese damals überhaupt der Realität entsprachen - auf die späteren Warlord-Gefolgschaften übertragen zu wollen.
Noch problematischer allerdings, hochmittelalterliche Strukturen rückwärts in die Frühzeit projizieren zu wollen.

Klar dürfte heutzutage sein, dass wir die Ableitung aus irgendwelchen "germanischen" Stammesstrukturen vergessen können. Die frühmittelalterlichen "Ethnien" waren das Resultat komplizierter Machtaustaxierungen und Gruppenbildungen innerhalb und außerhalb des Imperium Romanum und leiteten ihr Strukturen aus diesen Prozessen ab. Wir können heute nicht mehr nachvollziehen, was sich tatsächlich etwa hinter einem "dux" oder "rex" oder anderen illustren Titeln verbarg und welche Machtbedeutung er wirklich hatte.
 
Es ist naiv heutige Begrifflichkeiten auf die damalige Zeit übertragen zu wollen. Ich habe das in Zusammenhang mit den angelsächsischen Thanes angedeutet. Wir würden sie als Adel bezeichnen, was aber auch wieder anachronistisch ist.

Bei den Franken schrieb ich, dass sich ein Adel wieder entwickelte. Dies dürfte sicher sein. Aber, ab wann die Großen im Frankenreich als Adel verstanden wurden, also als unabhängig von ihren Ämtern hervorgehoben ist dann letztendlich doch wieder abhängig von den leges zu betrachten, womit es eine Zeit ohne einen solchen gab. Die moderne Diskussion ist hier aber auch noch in einer anderen Richtung naiv. Es spielte sicher auch eine Rolle, was jemand aus der Geschichte seiner Vorfahren machen konnte, ob nun real oder nicht. Denn es dürfte bei einem solchen Status auch auf das Ansehen bei den Zeitgenossen angekommen sein. Aber das hat sich nicht wirklich in den Quellen niedergeschlagen. Insofern ist dies natürlich eine Frage der Definition. Aber ich schrieb davon, wie es sich eben in den erste Quellen dazu niederschlägt und betrachte das genannte Edikt schon als später. Das ist natürlich insoweit irreführend, als ich immer von 'Ende der' oder 'nach der' Völkerwanderungszeit spreche. Hier betrachte ich bei den Franken natürlich schon Chlodwig, auch wenn die Herren Langobarden noch einige Zeit warteten, um in Italien einzufallen, damit diese Zeit ein Ende hat. ( ;) ) Dass es mächtige Familien gibt, die nicht adelig sind, ist übrigens nicht absurd, sondern in den meisten Zeiten normal, zumal ich ja auch nicht von einer statischen Betrachtung ausgehe.

Ein Vergleich ist für dich also eine Übertragung? Ein Vergleich ist entweder ein Nebeneinanderstellen verschiedener Dinge, damit diese Dinge durch Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten klarer werden. Oder er ist ein literarisches Stilmittel. Oder er dient unredlicher Weise dazu eine Bedeutung durch eine andere zu ersetzen. Ja, mitunter wird er, wie von dir gewünscht, als Gleichsetzung verstanden. Ich gehe aber davon aus, dass, wer hier mitliest, bei einem Homonym imstande ist, zu merken, dass es eine passende Bedeutung gibt. Natürlich meinte ich nicht die Gleichsetzung. Wer das jetzt nicht versteht, mag bei Schopenhauer in der Eristischen Dialektik nachlesen.

Ich projiziere auch keine mittelalterlichen Strukturen rückwärts in die Geschichte. Ich zeige eben durch die Fragen auf, dass das nicht geht. Auch früher hat man das nicht getan. Um eine Entwicklung darstellen zu können, wurden die Angaben bei Tacitus und die mittelalterlichen Verhältnisse soweit verbogen, bis man eine solche erfinden konnte. Daraus wurden dann recht weite Schlüsse gezogen, bis man eine 'germanische Verfassung' bis ins kleinste damit darstellen konnte. Delbrücks Kriegsgeschichte ist ein Werk, in dem das noch zu finden ist und das recht gut zugänglich ist. Auch hier kann ein Blick in die Eristische Dialektik verdeutlichen, was du falsch interpretierst.

Die Gefolgschaft allerdings ist ein Phänomen, dass örtlich und zeitlich verschieden bei den unterschiedlichstem Kulturen in verschiedenen Ausprägungen anzutreffen ist, was ich auch so dargestellt habe. Die wiedergegebenen Bezeichnungen sind die des Frühmittelalters. Zu jeder beobachtbaren Zeit werden im Germanicum Gefolgschaften erwähnt. Eine Entwicklung ist nicht zu leugnen und die Gefolgschaft ein wichtiger Kristallisationspunkt für die Ethnogenese. Und damit gibt es eben beweisbar strukturelle Traditionen im -nicht nur germanischen- Barbaricum. Im Früh-, bzw. Hochmittelalter allerdings haben sich diese Strukturen überlebt. Während die Gefolgschaften verschwanden entwickelte sich der Drost bis in die Neuzeit weiter. Wie gesagt, geht es darum aufzuzeigen, wie eine uns heute zwar fremde Institution, die insgesamt aber häufig anzutreffen ist, in verschiedenen Zeiten aussah, allgemein gefasst werden kann und dass sie sich unter Beibehaltung des Truchsess aufgelöst hat. Na ja, eigentlich ging es mir nur darum, die Begrifflichkeit zu klären, da das in den Vorposts durcheinanderging, aber es hängt eben soviel daran und es ist soviel von den Interpretationen des 19. Jahrhunderts überdeckt, dass ein weiterer Blickwinkel nötig erschien.

Im Folgenden setze ich dann auch voneinander ab, wie uns die Problematik des Adels am Ende der Völkerwanderungszeit entgegentritt und wie sich diese im Mittelalter entwickelt hat, wobei ich zugegeben exemplarisch bleibe. Denn, wie ich auch schreibe, muss hier jede (neuer) Bestandteil des Adels und jeder Titel getrennt betrachtet werden. Da der Graf erwähnt wurde, gehe ich dabei auf diesen kurz ein.

Für die Frühzeit mache ich durch Fragen die Unmöglichkeit deutlich, Tacitus konsistent zu interpretieren. Wie ich schon am Anfang erwähne, ist hier aber ein Unterschied, zu sagen, dass man ihm nichts entnehmen könne, wenn dies meist auch nur denkbar wenig ist. Dann stelle ich auch ausdrücklich fest, dass es für die frühe Zeit nur mehr oder weniger gut begründete Vermutungen gibt. So wird im allgemeinen formuliert, wenn es fast nur Spekulationen gibt. Wie du da von projezieren reden kannst, ist mir schleierhaft. Dux habe ich gar nicht erwähnt, den König (und ein rex der silbernen Latinität kann mit König übersetzt werden, ohne eine Aussage über die Konkretisierung jenes Begriffs zu treffen, siehe übrigens wieder Schopenhauer) nur, weil Tacitus in dem Zusammenhang den Adel erwähnt, um den es in der Frage ging.

Der Threadersteller fragte nach der Entwicklung eines Adels in unseren Breiten und setzte Tacitus und das Mittelalter als Rahmen. Abgesehen von den Unklarheiten wegen des Truchsess und der Heiratsbeschränkungen sagte ich also:

- dass aus Tacitus wenig zu gewinnen ist, sogar die Erwähnung eines Adels disputabel ist.
- dass es zur Entwicklung bis in die Völkerwanderungszeit mannigfaltige "Vermutungen" existieren, was ich aber nur angedeutet habe.
- dass uns am Ende, bzw. nach der Völkerwanderungszeit in den Quellen ein Adel entgegentritt.
- dass sich noch im Mittelalter neue Adelsschichten gebildet haben.

Dies entspricht alles dem Stand der Forschung, nur dass viele hinsichtlich der Tacitusinterpretation nicht so vorsichtig sind, wie wir und wohl auch die Mehrheit hier im Forum.

(Und bevor sich jemand über die Völkerwanderungszeit mokiert: Die heißt so, egal ob das unpassend ist. Solange es keinen anderen Begriff gibt, der von allen verstanden wird, verwende ich diesen.)

Seit ich wieder aktiv bin, habe ich meine Beteiligung an verschiedenen Diskussionen ausgesetzt, weil nach der Eristischen Dialektik argumentiert wurde und es immer so lange dauert, dass klar zu stellen. Hier fand ich das unfair dem Threadersteller gegenüber. Es mag sein, dass du Schopenhauer nicht kennst, Stilicho. Daher sei gesagt, dass ich mich durch eine solche Argumentation persönlich angegriffen fühle. Wieso kann an angegebenem Ort nachgelesen werden.

Edit: Ganz vergessen. Tacitus muss eben deshalb erwähnt werden, weil er eben doch einen Adel erwähnt und die Germanen nicht als egalitär beschreibt.
 
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Daher sei gesagt, dass ich mich durch eine solche Argumentation persönlich angegriffen fühle.

Das ist nicht zu übersehen und hätte kürzer formuliert werden können, als in einem langatmigen Traktat ohne weiteren Inhalt. Da kannst du dir deinen Schopenhauer gerne sparen, der hat wenig zur Erforschung des frühen Mittelalters beigetragen.

Dennoch ist es eben diskussionwürdig, wenn du zB oben die Existenz fränkischen Adels negierst, wenn du Linien von bei Caesar erwähnten Gefolgschaften zu Adelstiteln des Hochmittelalters ziehst, oder Eigenheiten der Sachsen um Paderborn auf "die Germanen" abstrahieren willst.
 
Und du machst fröhlich weiter. Ich hatte deine Aussagen inhaltlich wiederlegt. Schopenhauers Text ist für jede Wissenschaft wichtig.

Zum fränkischen Adel habe ich geantwortet. Caesar erwähnt Gefolgschaften und wann immer wir ins Barbaricum schauen finden wir solche, später auch mit entscheidender Bedeutung für die Ethnogenese. Das zieht keine Linie von Caesar aus, sondern zeigt die durchgehende Existenz einer natürlich immer wieder neu aktualisierten und sich in Entwicklung befindlichen gesellschaftlichen Institution. Wir haben bis in die Völkerwanderungszeit nur Einzelbilder, die dem allgemeinen Bild von Gefolgschaften entsprechen, wie sie die Ethnologie liefert, wenn es überhaupt konkreter wird. Nolens volens müssen wir aber, wenn wir nicht ganz naiv sein wollen, einen gewissen Zusammenhang dieser Erscheinungen konstatieren. Da wir dies aber nicht konkretisieren können, kann auch keine Linie gezogen werden. Dies ist also damit nicht gesagt. Einen Adelstitel habe ich dabei nicht erwähnt. (Homonym, hatten wir ja schon.) Und bevor das auch noch kommt: Nein, den ganzen Rattenschwanz 'romantischer' Erklärung der Gefolgschaften durch das 19. Jahrhundert schleppe ich nicht mit.

Ich habe klar geschrieben, dass der Paderborner Truchsess ein Beispiel für die deutsche Verwaltungsgeschichte ist. Ich gehe mal davon aus, dass du weist, dass deutsch ungleich germanisch ist und verweise im Übrigen nochmal auf jenen Philosophen.

Beispiele sind Konkretisierungen, keine Abstraktionen. Und bei den Konkretisierungen muss gefragt werden, worauf sie ich beziehen. Du kannst sie jedenfalls nicht auf etwas anderes als ich beziehen und dann behaupten, ich hätte das getan. Und einfach zu behaupten, ich hätte aus einem Beispiel etwas abstrahiert, zu dem ich mich in Zusammenhang damit gar nicht äußere, und noch dazu, obwohl ich es als Beispiel für eine zeitgenössische Variante eines Amts herangezogen habe, also ganz klar nur als Konkretisierung heranziehe, ist auch unzulässig.

Ich rege mich nicht darüber auf, dass du andere Ansichten vertrittst, sondern darüber, wie du dies tust. Also hör bitte auf, Dinge über meine Argumentation zu behaupten, die nicht zutreffen und äußere dich stattdessen mit echten Argumenten zur Sache. Die Worte anderer zu verdrehen ist kein inhaltliches Argument.
 
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Die Gefolgschaft (druht) war eine wichtige Institution, die schon Caesar erwähnt,
Du schreibst das leicht missverständlich. Also was du schreibst mag inhaltlich 100 % korrekt sein, aber sicher verwendete Caesar nicht den Begriff druht. Genau das könnte aber ein unbedarfter Leser dem Satz entnehmen. Daher ist dies kein Widerspruch und keine Korrektur, sondern nur eine Anmerkung. Ansonsten habe ich aus deinem Text einiges gelernt, wenn ich auch den einen oder anderen Sachverhalt - ähnlich Stilicho - mit einem Hin- und Herwiegen des Kopfes zur Kenntnis nehme.
 
Ich hatte deine Aussagen inhaltlich wiederlegt.

Wenigstens etwas zur Erheiterung

Schopenhauers Text ist für jede Wissenschaft wichtig.

Gut, dann zitiere ihn bitte jedesmal, vergiss aber nicht das "ceterum censeo.."

Zum fränkischen Adel habe ich geantwortet.

Zunächst hast du geschrieben, er existierte nicht, dann plötzlich nur noch zu Chlodwigs Zeit nicht.
614 war anscheindend nicht mehr merowingisch genug, da ist schwer zu folgen.

Caesar erwähnt Gefolgschaften und wann immer wir ins Barbaricum schauen finden wir solche, später auch mit entscheidender Bedeutung für die Ethnogenese. Das zieht keine Linie von Caesar aus, sondern zeigt die durchgehende Existenz einer natürlich immer wieder neu aktualisierten und sich in Entwicklung befindlichen gesellschaftlichen Institution.

Keine Linie aber eine durchgehende Existenz, also eine Linie? :D
Erwähnt er auch den Truchsess und den Thane? Nein?

Die Worte anderer zu verdrehen ist kein inhaltliches Argument.

Jetzt spar dir wirklich deine Belehrungen. Du bist es, der hin- und herspringt, teilweise im selben Satz. Und zu einem sehr spannenden, dynamischen Thema wie der Entstehung frühmittelalterlicher Herrschaftsstrukturen Behauptungen aufstellst, die zumindest diskussionswürdig sind.
 
Jetzt versuchst du dich auch noch über mich lustig zu machen. Anderen mag das die Diskussion verleiden, wie viele auch schon die eristische Argumentation aus einem Austausch fernhält. Ich habe schon um eine inhaltliche Diskussion gebeten. Daher gehe ich auf diese Eskalation nicht ein.

Gehe ich nach jenem Spott hinsichtlich Schopenhauers recht in der Annahme, dass du die Argumente Schopenhauers aus der Eristischen Dialektik und damit die Gesetze der Logik ablehnst? Ich frage, weil eine Diskussion dann sinnlos wäre, da es keine Grundlage gibt, auf der sie stattfinden kann.

"Im Frankenreich gab es unter den Merowingern keinen Adel. In Bayern gab es 4 adlige Familien. Bei den Angelsachsen galten nur die Nachfahren von Königen als adlig. Das ist quasi der Stand, der uns aus dem Dunkel der Gechichte entgegentritt. Im Frankenreich bildete sich dann eine neue Adelsschicht und..." Ich hätte hinter Merowiger natürlich noch 'zunächst' ergänzen können, aber für das allgemeine Bild spielt es keine Rolle. Wir sind ja hier im Fragenthread, wo es ja nicht gleich ganz kompliziert werden soll, zumal da schon eine ganze Menge in einen kleinen Post zu packen war. Jedenfalls habe ich schon anfangs ganz klar gesagt, dass er zu einem Zeitpunkt nicht existierte und sich dann wieder entwickelte. Die Grenzen sind für das allgemeine Bild sekundär. Aus welchen Quellen wird denn der Adel in der frühen Merowingerzeit genommen? Die 'leges' kennen ihn bekanntlich nicht. Von der romantische Vorstellung von der regelmäßigen 'altindogermanischen' Dreiteilung in Adel, Freie und Unfreie wird auch nicht mehr ausgegangen. Gewiss, Handbücher sind immer konservativ, aber dass die Einteilung in Freie und Unfreie ebenfalls im Frühmittelalter vorkam, scheint mir nicht widerlegt. Und damit kann fränkischer Adel nicht als selbstverständlich gelten, sondern muss belegt werden, da ein älterer Standpunkt modifizert wird. Wie ich schon zugab, ist 'Adel' natürlich auch eine Sache der Definition.

Jetzt muss ich an die Sache mit dem Fluss, in den man nicht zweimal steigen kann und die Problematik mit den Ortsjubiläen aus der Römerzeit erinnern. Einerseits gibt es keinen Grund, dass eine weit verbreitete Institution in den Zeiten ohne Belege verschwand, um dann immer wieder plötzlich aufzutauchen. Wegen des Strukturalismus bräuchte es hier ein entsprechendes Argument. Wird ein solches gefunden, käme auch unser Erklärungsmodell der Ethnogenese ein wenig ins schwanken und müsste modifiziert werden, weil dabei auch in einigen unbelegten Fällen Gefolgschaftsstrukturen als wirkmächtig gesehen werden. So wenig, wie ich aber eine konsistente Linie vom festen Platz beim Altar der Ubier zur heutigen Stadt Köln ziehen kann, so wenig kann ich eine Linie von der bei Caesar beschriebenen Institution zu den Gefolgschaften des frühen Mittelalters ziehen. Peter Heather z.B. hat das u.a. anhand wirtschaftlicher Funktionen anders, optimistischer dargestellt. Aber was, wenn da, z.B. im 3. Jahrhundert oder auch schon früher im Zusammenhang mit den Markomannenkriegen oder auch irgendwann später eine Neudefinition aufgrund von äußerem Einfluss erfolgte und nur die allgemeine Erscheinung blieb? Daher ja, die durchgehende Existenz und die fehlende Linie sind für mich hier kein Widerspruch. Bekanntlich sahen sich einige deutsche Regimenter bis zum 2. Weltkrieg offiziell (ja, und einige Bataillone noch heute inoffiziell) in einer Traditionslinie mit altpreußischen Einheiten. Wer das belächelt, dürfte auch verstehen, was ich damit meine, dass eine solche Linie nicht festgestellt werden kann. Es kann nicht ausgeschlossen geben, dass es sprunghafte Veränderungen gab.

In einer kurzen Erklärung wie in einem Lexikon Fakten zusammenzustellen, die man sonst auseinanderziehen würde, ist normal. Wegen der Unsicherheit bei den Begriffen musste ich die frühmittelalterlichen unterbringen. Dass ich diese nicht Caesar unterstelle, sollte dir klar sein. Aber ja, El Quijote, hat natürlich recht, dass das für unbedarfte Forenneulinge missverständlich ist. Es steht aber nur 'Druht' so, dass es verwechselt werden kann.

Das sind keine Belehrungen. Ich stelle Falschbehauptungen hinsichtlich meiner Aussagen richtig und bitte um inhaltliche Argumente statt einer zerstörerischen Diskussionsweise. Es mag sein, dass ich zur Zeit noch nicht gut und klar schreibe, aber dass in einem Satz, in dem Caesar und der Heliand vereint sind, zeitlich und auch inhaltlich verschiedene Dinge zusammenkommen, ist durchaus vom Leser zu bemerken.
 
Also ich bin ursprünglich auf einen einzigen Satz eingegangen ("Im Frankenreich gab es unter den Merowingern keinen Adel."), zu welchem ich nur anmerkte, dass die Meinungen dazu auseinander gehen.
Es folgten ein paar allgemeine Anmerkungen zum Bild eines "Adels" im frühen Mittelalter.
Nichts davon ist irgendwie zu widerlegen ("Ich hatte deine Aussagen inhaltlich wiederlegt.")

Das wird beantwortet mit einem ausufernden Sermon ad Hominem . Was soll der Mumpitz?
 
Der zweite und der dritte Abschnitt des Posts #7 widersprechen deinen Behauptungen zum Inhalt jenes Posts.

Auf Quellen zu verweisen ist nicht inhaltlich? Das wusste ich noch gar nicht.

Und eine Kontradiktion zu einer Aussage darzulegen auch nicht?

Ja, ich habe dir vorgeworfen meine Aussagen verdreht zu haben und jene Dialektik zu nutzen. Und das ist kein Mumpitz, sondern eine selbstverständliche Reaktion. Denn ich habe sehr wohl das Recht, meine Aussagen klar zu stellen und falsche Behauptungen dazu richtigzustellen. Und auch, darum um eine sachliche Diskussion zu bitten und die Forenregeln einzuhalten. Aber gut, meine Medikamente hören auf zu wirken und ich lese mir das alles später nochmal durch, ob mein Eindruck von deiner Argumentationsweise falsch war.
 
Allerdings ist mit dem "grafio" wohl ein ernannter Amtsträger gemeint, ähnlich dem lateinischen "comes". Adeligkeit indiziert das wohl nicht zwingend.
 
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