Es ist naiv heutige Begrifflichkeiten auf die damalige Zeit übertragen zu wollen. Ich habe das in Zusammenhang mit den angelsächsischen Thanes angedeutet. Wir würden sie als Adel bezeichnen, was aber auch wieder anachronistisch ist.
Bei den Franken schrieb ich, dass sich ein Adel wieder entwickelte. Dies dürfte sicher sein. Aber, ab wann die Großen im Frankenreich als Adel verstanden wurden, also als unabhängig von ihren Ämtern hervorgehoben ist dann letztendlich doch wieder abhängig von den leges zu betrachten, womit es eine Zeit ohne einen solchen gab. Die moderne Diskussion ist hier aber auch noch in einer anderen Richtung naiv. Es spielte sicher auch eine Rolle, was jemand aus der Geschichte seiner Vorfahren machen konnte, ob nun real oder nicht. Denn es dürfte bei einem solchen Status auch auf das Ansehen bei den Zeitgenossen angekommen sein. Aber das hat sich nicht wirklich in den Quellen niedergeschlagen. Insofern ist dies natürlich eine Frage der Definition. Aber ich schrieb davon, wie es sich eben in den erste Quellen dazu niederschlägt und betrachte das genannte Edikt schon als später. Das ist natürlich insoweit irreführend, als ich immer von 'Ende der' oder 'nach der' Völkerwanderungszeit spreche. Hier betrachte ich bei den Franken natürlich schon Chlodwig, auch wenn die Herren Langobarden noch einige Zeit warteten, um in Italien einzufallen, damit diese Zeit ein Ende hat. (
) Dass es mächtige Familien gibt, die nicht adelig sind, ist übrigens nicht absurd, sondern in den meisten Zeiten normal, zumal ich ja auch nicht von einer statischen Betrachtung ausgehe.
Ein Vergleich ist für dich also eine Übertragung? Ein Vergleich ist entweder ein Nebeneinanderstellen verschiedener Dinge, damit diese Dinge durch Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten klarer werden. Oder er ist ein literarisches Stilmittel. Oder er dient unredlicher Weise dazu eine Bedeutung durch eine andere zu ersetzen. Ja, mitunter wird er, wie von dir gewünscht, als Gleichsetzung verstanden. Ich gehe aber davon aus, dass, wer hier mitliest, bei einem Homonym imstande ist, zu merken, dass es eine passende Bedeutung gibt. Natürlich meinte ich nicht die Gleichsetzung. Wer das jetzt nicht versteht, mag bei Schopenhauer in der Eristischen Dialektik nachlesen.
Ich projiziere auch keine mittelalterlichen Strukturen rückwärts in die Geschichte. Ich zeige eben durch die Fragen auf, dass das nicht geht. Auch früher hat man das nicht getan. Um eine Entwicklung darstellen zu können, wurden die Angaben bei Tacitus und die mittelalterlichen Verhältnisse soweit verbogen, bis man eine solche erfinden konnte. Daraus wurden dann recht weite Schlüsse gezogen, bis man eine 'germanische Verfassung' bis ins kleinste damit darstellen konnte. Delbrücks Kriegsgeschichte ist ein Werk, in dem das noch zu finden ist und das recht gut zugänglich ist. Auch hier kann ein Blick in die Eristische Dialektik verdeutlichen, was du falsch interpretierst.
Die Gefolgschaft allerdings ist ein Phänomen, dass örtlich und zeitlich verschieden bei den unterschiedlichstem Kulturen in verschiedenen Ausprägungen anzutreffen ist, was ich auch so dargestellt habe. Die wiedergegebenen Bezeichnungen sind die des Frühmittelalters. Zu jeder beobachtbaren Zeit werden im Germanicum Gefolgschaften erwähnt. Eine Entwicklung ist nicht zu leugnen und die Gefolgschaft ein wichtiger Kristallisationspunkt für die Ethnogenese. Und damit gibt es eben beweisbar strukturelle Traditionen im -nicht nur germanischen- Barbaricum. Im Früh-, bzw. Hochmittelalter allerdings haben sich diese Strukturen überlebt. Während die Gefolgschaften verschwanden entwickelte sich der Drost bis in die Neuzeit weiter. Wie gesagt, geht es darum aufzuzeigen, wie eine uns heute zwar fremde Institution, die insgesamt aber häufig anzutreffen ist, in verschiedenen Zeiten aussah, allgemein gefasst werden kann und dass sie sich unter Beibehaltung des Truchsess aufgelöst hat. Na ja, eigentlich ging es mir nur darum, die Begrifflichkeit zu klären, da das in den Vorposts durcheinanderging, aber es hängt eben soviel daran und es ist soviel von den Interpretationen des 19. Jahrhunderts überdeckt, dass ein weiterer Blickwinkel nötig erschien.
Im Folgenden setze ich dann auch voneinander ab, wie uns die Problematik des Adels am Ende der Völkerwanderungszeit entgegentritt und wie sich diese im Mittelalter entwickelt hat, wobei ich zugegeben exemplarisch bleibe. Denn, wie ich auch schreibe, muss hier jede (neuer) Bestandteil des Adels und jeder Titel getrennt betrachtet werden. Da der Graf erwähnt wurde, gehe ich dabei auf diesen kurz ein.
Für die Frühzeit mache ich durch Fragen die Unmöglichkeit deutlich, Tacitus konsistent zu interpretieren. Wie ich schon am Anfang erwähne, ist hier aber ein Unterschied, zu sagen, dass man ihm nichts entnehmen könne, wenn dies meist auch nur denkbar wenig ist. Dann stelle ich auch ausdrücklich fest, dass es für die frühe Zeit nur mehr oder weniger gut begründete Vermutungen gibt. So wird im allgemeinen formuliert, wenn es fast nur Spekulationen gibt. Wie du da von projezieren reden kannst, ist mir schleierhaft. Dux habe ich gar nicht erwähnt, den König (und ein rex der silbernen Latinität kann mit König übersetzt werden, ohne eine Aussage über die Konkretisierung jenes Begriffs zu treffen, siehe übrigens wieder Schopenhauer) nur, weil Tacitus in dem Zusammenhang den Adel erwähnt, um den es in der Frage ging.
Der Threadersteller fragte nach der Entwicklung eines Adels in unseren Breiten und setzte Tacitus und das Mittelalter als Rahmen. Abgesehen von den Unklarheiten wegen des Truchsess und der Heiratsbeschränkungen sagte ich also:
- dass aus Tacitus wenig zu gewinnen ist, sogar die Erwähnung eines Adels disputabel ist.
- dass es zur Entwicklung bis in die Völkerwanderungszeit mannigfaltige "Vermutungen" existieren, was ich aber nur angedeutet habe.
- dass uns am Ende, bzw. nach der Völkerwanderungszeit in den Quellen ein Adel entgegentritt.
- dass sich noch im Mittelalter neue Adelsschichten gebildet haben.
Dies entspricht alles dem Stand der Forschung, nur dass viele hinsichtlich der Tacitusinterpretation nicht so vorsichtig sind, wie wir und wohl auch die Mehrheit hier im Forum.
(Und bevor sich jemand über die Völkerwanderungszeit mokiert: Die heißt so, egal ob das unpassend ist. Solange es keinen anderen Begriff gibt, der von allen verstanden wird, verwende ich diesen.)
Seit ich wieder aktiv bin, habe ich meine Beteiligung an verschiedenen Diskussionen ausgesetzt, weil nach der Eristischen Dialektik argumentiert wurde und es immer so lange dauert, dass klar zu stellen. Hier fand ich das unfair dem Threadersteller gegenüber. Es mag sein, dass du Schopenhauer nicht kennst, Stilicho. Daher sei gesagt, dass ich mich durch eine solche Argumentation persönlich angegriffen fühle. Wieso kann an angegebenem Ort nachgelesen werden.
Edit: Ganz vergessen. Tacitus muss eben deshalb erwähnt werden, weil er eben doch einen Adel erwähnt und die Germanen nicht als egalitär beschreibt.