Steckbrief 1870

Ich habe in Meyers Konversationslexikon 1888 die „Steckbrief-Definition“ nachgelesen.


"Bericht einer Polizeibehörde an Polizeiorgane benachbarter Gebiete und Länder über die äußere Erscheinung und sonstige Merkmale eines gesuchten Verbrechers.
Öffentliches Ersuchen um Festnahme einer zu verhaftenden Person, welche flüchtig ist oder sich verborgen hält. Nach der deutschen Strafprozeßordnung (§ 131) können Steckbriefe von dem Richter sowie von der Staatsanwaltschaft erlassen werden. Ohne vorgängigen Haftbefehl ist eine steckbriefliche Verfolgung nur statthaft, wenn ein Festgenommener aus dem Gefängnis entweicht oder sonst sich der Bewachung entzieht. In diesem Fall sind auch die Polizeibehörden zum Erlaß des Steckbriefs befugt. Der S. muß eine Beschreibung der Person des Verfolgten (Signalement), soweit dies möglich, enthalten sowie die demselben zur Last gelegte strafbare Handlung und das Gefängnis bezeichnen, in welches die Ablieferung zu erfolgen hat, wofern nicht wegen der Abholung des Festgenommenen eine Nachricht erbeten wird. Ist ein S. unnötig geworden, so erfolgt dessen Widerruf (Steckbriefserledigung) auf demselben Weg, auf dem er erlassen ist."

Grüße
Arti


[FONT=&quot][/FONT]
 
@Artefakt

Jetzt wird die Sache interessant. Du schriebst in #1, daß Deine "Dame" steckbrieflich wegen Betruges und Diebstahls gesucht wurde. In Deinem einkopierten Artikel aus dem Lexikon ist allerdings die Voraussetzung eines Steckbriefes ein Verbrechen. Diebstahl und Betrug sind aber Vergehen (links weiter unten). Entweder der Artikel des Lexikons stimmt nicht oder die Story mit dem Steckbrief.

§. 1.

Eine mit dem Tode, mit Zuchthaus, oder mit Festungshaft von mehr als fünf Jahren bedrohte Handlung ist ein Verbrechen.Eine mit Festungshaft bis zu fünf Jahren, mit Gefängniß oder mit Geldstrafe von mehr als funfzig Thalern bedrohte Handlung ist ein Vergehen.Eine mit Haft oder mit Geldstrafe bis zu funfzig Thalern bedrohte Handlung ist eine Uebertretung.

§. 242.

Wer eine fremde bewegliche Sache einem Anderen in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen, wird wegen Diebstahls mit Gefängniß bestraft.Der Versuch ist strafbar.

§. 263.

Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvortheil zu verschaffen, das Vermögen eines Anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Thatsachen einen Irrthum erregt oder unterhält, wird wegen Betruges mit Gefängniß bestraft, neben welchem auf Geldstrafe bis zu Eintausend Thalern, sowie auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden kann.Sind mildernde Umstände vorhanden, so kann ausschließlich auf die Geldstrafe erkannt werden.Der Versuch ist strafbar.Wer einen Betrug gegen Angehörige, Vormünder, Erzieher oder gegen solche Personen, in deren Lohn oder Kost er sich befindet, begeht, ist nur auf Antrag zu verfolgen.

Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich (1871) ? Wikisource.

§§ 243 bzw. 264 erwähnst Du nicht, denn das würde dann die Straftat zum "Verbrechen" machen.

1870, Dein Ausgangspunkt, galt das Reichsstrafgesetzbuch noch nicht. Ich schaue in der nächsten Woche nochmal ich den preußischen Gesetzestexten nach.

Vllt. findet sich hier ein Rechtshistoriker, der das Problem auflösen kann.


M.
 
Hallo Melchior,

DANKE! - Ich bin seit Tagen nur mit dieser seltsamen Biuografie beschäftigt - und lerne dabei so viel über die deutsche Geschichte.

Ich habe irgendwo gelesen, dass Steckbriefe damals aus verschiedenen Anlässen verbreitet wurden:
Jemand war bakrott und die Gläubiger wollten Geld sehen.
Ein anderer wurde gesucht, weil eine Erbschaft auf ihn wartete.

Aber diese Möglichkeiten mal zur Seite geschoben -- ich denke du hast recht. Die Dame hatte etwas Schlimmeres auf dem Kerbholz.
Nachdem sie von dem Steckbrief erfuhr, begab sie sich sofort ins Ausland - und blieb eine Weile verschwunden.

Ich muss unbedingt die Polizei-, Prozeßakten - oder wenigstens Urteile finden.
Die Taten, die den Steckbrief ausgelöst haben, fanden vor 1871 statt.
Was das nun war ?....Sie hat sich einmal mit einem Orden geschmückt (der ihr nicht zustand) und spielt das aber runter.

Falsche Orden oder Titel tragen, war zu der Zeit wohl aber keine Kleinigkeit.
Dann war da 1870 noch der Schrank, in dem ihre Herrschaft Geld aufbewahrt hat.
Sie sagt, sie wollte nicht stehlen. Sie wollte sich nur ein Buch herausnehmen.

Ich denke schon, dass beides für eine steckbriefliche Fahndung ausgereicht hätten.
Sie beruft sich auf Missverständnisse. Im schlimmsten Fall war das Diebstahl (die Summe kenne ich nicht) - und ja - der falsche Orden.

Leider noch alles sehr unkonkret. Ich hoffe ich erfahre bald mehr.

Weißt du, wie das zu der Zeit (nach 1871) mit der Verteidigung ausgesehen hat?
Haben sich arme Angeklagte vor Gericht selbst verteidigt?

Liebe Grüße
Arti
 
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@Artefakt

Im Kgr. Preußen galt seit 1867/1868 eine neue Strafprozeßordnung die dann 1877/79 durch die Reichsstrafprozeßordnung abgelöst wurde.

Das Gerichtsverfahren im Strafprozeß sah spätestens seit 1867/68 i n Preußen nicht viel anders aus als heute. Es gab unabhängige Richter, und zwar im Strafverfahren Amtsgericht => Landgericht => Oberlandesgericht (in Preußen das Kammergericht) => seit 1879 das Reichsgericht. Die Schwere der angklagten Tat war dafür bestimmend, vor welchem Gericht angeklagt wurde und wie die "Srafkammer" zusammengesetz war (z.B. Einzelrichter, Schwurgericht etc.).

Die Staatsanwaltschaft war Anklagebehörde und Ermittlungsbehörde. I.d.R. wurden die tatsächlichen Ermittlungen durch die Polizei durchgeführt.

Es gab eine freie Anwaltswahl "Freie Advocatur" bei der Wahl des Verteidigers. Man konnte sich auch selbst verteidigen. War die angeklagte Tat schwer oder juristisch sehr komplex hat das Gericht einen sog. Pflichtverteidiger bestellt. Das galt natürlich auch, wenn der Angeklagte mittellos war (Achtung! Nicht verwechseln mit dem sog. "Armenrecht", das galt nur für den Zivilprozess).

Die Hauptverhandlung war mündlich und i.d.R. öffentlich. Vernehmung des Angeklagten zur Person und zur Sache (letzters nur wenn er sich zur "Sache" einlassen wollte, Beweisaufnahme (Zeugen, Gutachter etc.) und die Pladoyers der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung, dann Urteil.

Auf den Text der Reichsstrafprozeßordnung kann ich Dich leider nicht verlinken, da der Link auf Verfassung.de nicht funktioniert.

Nachstehend etwas Literatur zum einlesen, ist allerdings arg rechtshistorisch. Das Vorlesungsskript kommt aus der Disziplin der vergleichenden Rechtsgeschichte, hier mußt Du aufpassen, auf welche Quellen und Aussagen sich der Autor bezieht; für Dich interessant könnte es ab S. 40 werden "Pflichtverteidigung".

M.

Einführung in die moderne ... - Google Bücher

Doerner, Karl
Die Reichsstrafprozessordnung nebst Gerichtsverfassungsgesetz und den wichtigsten Nebengesetzen, Textausgabe, ISBN 978-3-11-103394-5

http://www.dr-sommer.de/pdf/Vorlesungsskript_WS_06-07.pdf
 
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Wo wurden die Steckbriefe veröffentlich?

Ich habe gerade im Internet eine Antwort gefunden:

.........War den Bürgern etwas entwendet worden, so übten sie häufig auch Selbstjustiz. In Zeitungen konnte man Steckbriefe finden.[FONT=&quot]

guckt mal hier:
[/FONT] Haupttext



Weimar 1800 - Goethezeit

Grüße
Arti
 
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@Artefakt

Sorry, aber der link ist nicht sehr hifreich. Warum? Das ist eine verlinkte Schülerarbeit bzw. die Arbeit einer schulischen Projektgruppe eines Gyms in Villingen-Schwenningen.
An sich kein Bewertungskriterium, aber es gibt keinerlei Quellen- bzw. Literaturangaben, das ist nicht Sache der Schüler, sondern darauf hätte der Lehrer achten müssen, zumal die Arbeit auch noch auf die Seite des Gyms verlinkt ist.

Für Deinen Untersuchungsgegenstand die "Dame" ist das m.E. auch nicht hilfreich. Zwischen 1800 und Deinem Uz die 1870'er Jahre hat sich in Bezug auf das Strafrecht einiges getan (siehe vorhergegangene Postings).

Darüber hinaus ist Weimar die Hauptstadt eines eigenen Staates, Hzm. (Ghzm.)Sachsen-Weimar, Deine "Dame" lebte aber in Preußen.

In Deinem Uz konnte ein Steckbrief nur ein Richter oder Staatsanwalt ausstellen lassen, in einigen Fällen hilfsweise die Polizei. Steckbrief bedeutet auch nicht die Veröffentlichung in einer Zeitung, sondern das Amtshilfeersuchen an andere Polizeibehörden - natürlich konnte er in besonders schweren Fällen auch in Zeitungen veröffentlicht werden (Mord, Hochverrat etc.).

Sieh mir bitte meine "Klugscheißerei" nach.

M. :winke:
 
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Was hier noch nicht erwähnt wurde: Steckbriefe wurden im 19. Jh., vor der allgemeinen Verbreitung der Fotografie und deren drucktechnischer Umsetzung, meist in Form von ausführlichen Personenbeschreibungen (Signalements) nach vorgegebenen Standard gehandhabt.
Signalement
 
Hallo Melichior,

ja, stimmt. Quellen sind nicht angegeben. Für mich war der Hinweis auf die Zeitungen interessant. - Wahrscheinlich hast du recht und nur die wirklich großen Ganoven hatten die Ehre, einen Platz in der Tageszeitung zu bekommen. Andernfalls wären die Zeitungen voll gewesen.

Mir ist nun immer noch nicht klar, wie die Dame erfahren hat, dass sie steckbrieflich gesucht wird.
Ich denke mir, dass sie aus ihrer Heimat -von da ging der Steckbrief aus- einen Brief bekommen hat und gewarnt wurd. Bzw. dringend aufgefordert, die Sache ins Reine zu bringen.
Da denke ich schon, die Steckbriefe hingen vor dem Rathaus.

Also, die Steckbriefsache ist mir noch nicht klar.

Dafür konnte ich heute im Landesarchiv Berlin die Bauakte eines der Häuser finden, in dem sie damals gewohnt hat. - Ein kleiner Erfolg!

Grüße
Arti
 
Was hier noch nicht erwähnt wurde: Steckbriefe wurden im 19. Jh., vor der allgemeinen Verbreitung der Fotografie und deren drucktechnischer Umsetzung, meist in Form von ausführlichen Personenbeschreibungen (Signalements) nach vorgegebenen Standard gehandhabt.
Signalement

Ja, genau. Da habe ich ein paar gelesen. Ein einem war auch vermerkt, dass der Gesuchte mit dem linken Augenlid zuckt. - Und, dass dieses Zucken möglichérweise nur zur Ablenkung vorgetäuscht wird.

---Beide Seiten waren wachsam!

Grüße
Atrti
 
Hallo Melichior,

ja, stimmt. Quellen sind nicht angegeben. Für mich war der Hinweis auf die Zeitungen interessant. - Wahrscheinlich hast du recht und nur die wirklich großen Ganoven hatten die Ehre, einen Platz in der Tageszeitung zu bekommen. Andernfalls wären die Zeitungen voll gewesen.

Mir ist nun immer noch nicht klar, wie die Dame erfahren hat, dass sie steckbrieflich gesucht wird.
Ich denke mir, dass sie aus ihrer Heimat -von da ging der Steckbrief aus- einen Brief bekommen hat und gewarnt wurd. Bzw. dringend aufgefordert, die Sache ins Reine zu bringen.
Da denke ich schon, die Steckbriefe hingen vor dem Rathaus.

Also, die Steckbriefsache ist mir noch nicht klar.

...
Grüße
Arti

@Artefakt

Wie Deine "Dame" davon erfahren hat, wirst Du aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr in Erfahrung bringen, da Du den Nachlaß Deiner "Dame" offensichtlich nicht hast, so sie ihn überhaupt aufbewahrte. Alles andere wäre Spekulation.

Ob Steckbriefe ausgehangen wurden weiß ich nicht, in Berlin wäre das auch in Deinem Uz eine "Tapete". In Rathenow wahrscheinlich nicht.

Wenn Du weißt, wo und wann Deine "Dame" gestorben ist, wäre noch ein Rechercheansatz das zuständige Nachlaßgericht (Amtsgericht), damit kämst Du eventuell der Familie auf die Spur.


M.:winke:
 
Hallo Melchior,

was bedeutet "Uz" ?

Ich mache kleine Fortschritte--fürchte aber, dass viel im Dunklen bleiben wird
. - Trotzdem, spannend ist es.
Grüße
Arti
 
Polizeiverwaltung Berlin/Buch 1852

Dieses Buch scheint mir interessant zu sein. Für alle, die mehr über die Polizei in Berlin wissen möchten:

Das polizei-präsidium zu Berlin ... - Google Bücher

Titel: Das Polizei Präsidium zu Berlin

Autor: Albert Ballhorn
Erscheinungsjahr: 1852

"Eine geschichtliche Darstellung der Polizei-Verwaltung von Berlin"

Im Internet unter dem Link durchlesbar

Grüße
Arti
 
Der Steckbrief wurde in Rathenow (heute Brandenburg) veranlasst.
Die Frau war inzwischen in Berlin und arbeitete dort.
Ich nehme an, dass man das in Rathenow wusste.
Altes Thema, dennoch ein Gedankengang. Gibt es einen Hinweis auf Rathenow als damaligen Wohn- bzw. Arbeitsort der Frau? Möglicherweise wurde der Steckbrief dort nur gedruckt.

Gruß,
Thomas
 
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