Man findet die von Repo vorgestellte These, dass die Deutsche Hochseeflotte die Ostsee absperrte, (neben der "türkischen Flotte") die Versorgung Russlands durch die Entente unmöglich machte und die Neutralität der skandinavischen Länder und Holland sicherte, bei Rolf Güth in: MGFA (Hrsg.), Deutsche Militärgeschichte in sechs Bänden (1648-1939), Band 5, 1983, S. 310.
1.
Dass die deutsche Hochseeflotte die Ostsee für alliierte Schiffe sperrte und so im Norden die Versorgung Russlands durch die Entente verhinderte, ist nachvollziehbar. Doch kann darin der von Güth proklamierte Beitrag der Hochseeflotte zum Zusammenbruch und Kriegsaustritt Russlands nur dann gesehen werden, wenn die Entente überhaupt in der Lage gewesen wäre, Russland im großen Stil zu unterstützen und mit Kriegsmaterial zu versorgen. Dem könnte aber entgegenstehen, dass die Versorgungslage Englands und Frankreichs während des Ersten WK ebenfalls nicht sehr rosig war. Aber möglicherweise gab es ja verschiedende Phasen des Krieges, in dem eine solche Unterstützung durchaus möglich gewesen wäre. In solchen Phasen hätte dann die deutsche Hochseeflotte ihren Beitrag zum Zusammenbruch Russlands geleistet; aber eben nur in diesen Phasen.
2.
Der Aspekt "Sicherung der Neutralität" dürfte nur wenig stichhaltig sein:
Die Lage in Norwegen und Schweden war dadurch geprägt, dass Schweden wegen dem 1809 erlittenen Verlust von Finnland an Rußland und den im 19. Jahrhundert in Finnland unternommenen Russifizierungsversuchen antirussisch und prodeutsch eingestellt war. Allgemein wurde sogar mit Schwedens Kriegseintritt auf Seiten der Mittelmächte gegen Russland gerechnet. Norwegen hingegen wurde erst 1905 von Schweden unabhängig und sah in GB seine Garantiemacht. Zudem führte der deutsche Angriff auf das neutrale Belgien zu einer antideutschen Stimmung in Norwegen. Dass beide Länder neutral blieben, dürfte weniger an der deutschen Hochseeflotte gelegen haben, als viel mehr an der Aussicht, gegeneinander in einen Krieg hineingezogen zu werden, den man nicht gegeneinander führen wollte.
Dänemark war zwar bei Kriegsausbruch antideutsch eingestellt. Hier wirkten noch die Annexion Schleswig-Holsteins durch Preußen (1864) und die Eindeutschungsmassnahmen in Nordschleswig nach. ABER die Mobilmachung der dänischen Streitkräfte bei Kriegsausbruch war der strategischen Lage des Landes geschuldet. Über Dänemark konnte der Ostseezugang kontrolliert werden. Die Mobilmachung diente sowohl der Abwehr befürchteter britischer als auch der Abwehr befürchteter deutscher Militäroperationen. Freilich hatte Deutschland gegenüber Dänemark noch ein ganz anderes Druckmittel im Ärmel als die Hochseeflotte: das Landheer. Dementsprechend kamen die Dänen auch rasch allen deutschen Forderungen nach: Verminung des großen Belt, Zusage der "wohlwollenden Neutralität"; ja die Dänen untersagten sogar alle antideutsche Demonstrationen, um den übermächtigen Nachbarn nicht zu verstimmen.
Auch auf die Niederlande machte eher das deutsche Landheer als die Hochseeflotte Eindruck. Aber mehr noch als dieser militärische Einflussfaktor wirkte sich auf die Niederlande die Abhängigkeit von der deutschen Wirtschaft neutralitätsfördernd aus. Aus der Sicht der Alliierten verkamen die Niederlande während des Ersten WK zu einem deutschen "Vasallen". Und als der Krieg vorbei war, gewährte die Niederlande Kaiser Wilhelm auch noch Asyl. Dieses Beispiel zeigt, dass die Niederlande nicht durch die deutsche Hochseeflotte bedroht werden mussten, um sich neutral zu verhalten.
Fazit: die deutsche Hochseeflotte war eine der schwerwiegendsten Kriegsursachen. Im Krieg selbst leistete sie (möglicherweise) einen wichtigen Beitrag zum Zusammenbruch Russlands.