Troia und der Untergang der Stadt

Da bekanntlich mykenische Elemente von der Seevölkerwoge mitgerissen wurden, ist auch ein Streifzug inzwischen heimatlos gewordener mykenischer Krieger denkbar. :grübel:

Vielleicht sogar mittendrin statt nur dabei.

Die Ähnlichkeiten zwischen Philistern und Mykenern sind doch stellenweise frappierend.
 
Ich folge dabei dieser Argumentation, die mehrheitlich vertreten wird:

Dieter Hertel vertritt die Ansicht, dass Troia VII a nicht durch eine mykenische Invasion zerstört worden sein kann:

»2003/2004 habe ich in einer neuerlichen Untersuchung zur Zerstörungsschicht von Troia VII a dargelegt, dass diese Siedlung durch eine aus alltäglichen Ursachen ausgelöste Brandkatastrophe oder durch einen Überraschungsangriff untergegangen ist. Sollte 2006 von R. Becks vorgelegte Deutung des Zerstörungsbefunds des sog. Terrassenhauses südwestlich von der Burg zutreffen – einige der in der Untersuchung von D. Koppenhöfer aus dem Jahre 1997 genannten Fundangaben widersprechen denen von Becks –, so wäre der Ort erobert worden (dann aber durch einen Überraschungsangriff). Angreifer könnten sog. Seevölker, aber auch aus dem Balkan stammende Fremde gewesen sein; solche ließen sich in Phase Troia VII b 1 nieder (s. u.). Fasst man die Untersuchungsergebnisse zum Ende von Troia VIIa nüchtern zusammen und betrachtet sie ohne das Bedürfnis, den Troianischen Krieg ausgraben zu wollen, so muss man von der Vorstellung einer Eroberung Troias zumindest durch ein mykenisches Koalitionsheer Abschied nehmen, denn um 1190, als Troia VII a unterging, wurden die Zentren der mykenischen Welt von großen Zerstörungen heimgesucht, so dass deren Einwohner schwer in der Lage waren, Kriegszüge über See durchzuführen. « (Dieter Hertel: Troia. Archäologie. Geschichte. Mythos, 3., überarbeitete und aktualisierte Auflage, 2008, S. 69f.)
 
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Dieter Hertel vertritt die Ansicht, dass Troia VII a nicht durch eine mykenische Invasion zerstört wurden sein kann:

Dieter Hertel geht also auch von einem "Überraschungsangriff" aus, will allerdings eine Brandkatastrophe ohne kriegerische Einwirkung nicht ganz ausschließen. Die Zerstörung durch ein reguläres Heer der Mykener habe auch ich oben ausgeschlossen, allerdings die Möglichkeit eines mykenischen Raubzugs im Zuge der Seevölkerwanderung offen gelassen.

Heute wird das niemand mehr entscheiden können. Fakt ist, dass nach dem Versiegen des Seevölkersturms die Phryger in Kleinasien greifbar werden, die Homer als Verbündete der Mykener nennt, und die im 8. Jh. v. Chr. das Phrygische Reich gründeten.
 
Eine derart differenzierte Siedlung, wie sie im Übrigen schon für Troja II/III wahrscheinlich gemacht werden kann, mit derart wuchtigen Verteidigungsmauern ist sonst meines Wissens nach in Anatolien ausserhalb des hethitischen Machtbereichs noch nirgends entdeckt worden.

Soweit meine Erinnerung mich nicht trügt, berichtete Pernicka in einem Vortrag das noch weitere bef. Siedlungen mglw. der Bronzezeit in diesem Raum vorhanden sind, aber keine einzige ist bis heute untersucht.

Ich glaube hier verstellt die Konzentration auf diesen, zugegebenermaßen äußerst spannend Ort, den Blick auf die nähere und weitere Umgebung.
Und nach wie vor halte ich die Gleichsetzung Wilusa = Troja = Hisarlik für äußerst problematisch.
 
Ich glaube hier verstellt die Konzentration auf diesen, zugegebenermaßen äußerst spannend Ort, den Blick auf die nähere und weitere Umgebung.
Und nach wie vor halte ich die Gleichsetzung Wilusa = Troja = Hisarlik für äußerst problematisch.

Problematisch sicherlich, aber nicht ausgeschlossen. Wir können, wie vielfach in dieser Epoche, lediglich mit Hypothesen arbeiten und müssen auf die Kraft der Argumente vertrauen.

Sollte allerdings das Troja der Hethiterzeit ein nicht unwichtiger Handelsplatz am Hellespont gewesen sein, dann wäre es erstaunlich, wenn die Stadt in keiner hethitischen oder luwischen Quelle auftaucht. Insofern ist Wilusa/Wilion der einzige Ort, der hinsichtlich des Namens und der geografischen Lage eine Identität mit Iroja zumindest vermuten lässt.
 
@geist, damit triffst du den Nagel auf den Kopf:
Leider ist die Erforschung Anatoliens derzeit noch lange nicht weit genug gediehen, um wirklich endgültige Aussagen treffen zu können. Gerade die türkischen Archäologen stehen hier fast hilflos vor einer gewaltigen Materialmasse. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die Türkei ähnlich wie Griechenland, Italien und Spanien Wege finden wird, um all die Funde aus der Antike zu erhalten und zu publizieren.

Aber bis dahin halte ich es weiter für sehr unwahrscheinlich, dass wir eine mögliche alternative Siedlung als Ort des historischen Troja bislang "übersehen" haben und möchte - ausnahmsweise - mal Dieter Recht geben. Das "Wilusa" der hethitischen Quellen wird man am Ehesten mit der Fundstelle auf dem Hügel Hissarlik gleichsetzen müssen.

@Dieter: (Die Kritik folgt auf dem Fusse): Ich wäre vorsichtig mit der Datierung von Troja VI "1700 v. Chr.". Richtigerweise muss es heissen "im 17. Jahrhundert", und das ist ein dehnbarer Begriff. Troja weist bislang nicht - wie z. B. Milet - vielfältige Funde aus der Zeit der minoischen Hochkultur auf, was für seine topographische Lage und seine Rolle als Handelsknotenpunkt gerade für die Zeit der "ägäischen Hanse" verwirrend ist. War die Siedlung vielleicht doch längere Zeit aufgegeben oder hatte ihre Rolle eingebüsst?

Ausserdem fällt das Jahr 1627 v. Chr., das man nach den Ergebnissen der Naturwissenschaften heute als das Jahr der Vulkaneruption von Thera/Santorin ansehen muss, genau in diese Phase. Damit gehört das 17. Jahrhundert zu den am weitesten dehnbaren Zeiträumen der Archäologie. Die traditionellen Annahmen und Datierungen in dieser Epoche sind heute durch die Bank als fragwürdig anzusehen - das gilt für die Türkei wie für Ägypten und Vorderasien.

Eine Eruption wie die von Santorin hätte nach den Berechnungen z. B. der Uni Hawaii eine stärkere Wirkung gehabt als der Ausbruch des Tambora im 19. Jahrhundert. Wieder steht die spannende Frage im Raum, warum ein solches Naturphänomen in Troja, das ja direkt an der betroffenen Küste lag, keinerlei Reaktion ausgelöst haben kann. Oder gibt es noch Geheimnisse hinter den aktuellen Forschungen, die wir nur falsch interpretieren? Ich mache auf die im Katalog Stuttgart aufgeführten herben Landveränderungen zwischen dem 17. und dem (ich glaube mich zu erinnern) 12. Jahrhundert v. Chr. in der Bucht von Troja stattgefunden haben. Vielleicht haben wir ja hier auch Reste der Wirkung von grossen Tsunamis vor uns, die wir einfach noch nicht erkennen können.

Also: Ich warne beim Thema Troja vor einfachen Pauschalisierungen.
 
Aus gegebenem Anlass verbessere ich mich selbst:
Solange in Pompeji täglich unersetzliche Kulturdenkmäler vor Vernachlässigung einstürzen, möchte ich nicht behaupten, dass Italien einen Weg gefunden hätte, seine Funde aus der Antike "zu erhalten".
Sei hiermit korrigiert.
Eines der bedauerlichsten Opfer der noch immer aktuellen Wirtschaftskrise.
 
@Dieter: (Die Kritik folgt auf dem Fusse): Ich wäre vorsichtig mit der Datierung von Troja VI "1700 v. Chr.". Richtigerweise muss es heissen "im 17. Jahrhundert", und das ist ein dehnbarer Begriff. Troja weist bislang nicht - wie z. B. Milet - vielfältige Funde aus der Zeit der minoischen Hochkultur auf, was für seine topographische Lage und seine Rolle als Handelsknotenpunkt gerade für die Zeit der "ägäischen Hanse" verwirrend ist. War die Siedlung vielleicht doch längere Zeit aufgegeben oder hatte ihre Rolle eingebüsst

Wenn die Forschung davon ausgeht, dass in der Zeit zwischen 1700 und 1300 v. Chr. eine Blütezeit Trojas lag, so schließt das nicht aus, dass es in dieser langen Epoche auch Abschwungphasen gab. Und wenn ich 1700 v. Chr. sagte, so schätze ich die Intelligenz der Leser dann doch so hoch ein, dass niemand annimmt, es sei exakt das Jahr "1700" gemeint.

Auf jeden Fall hatte die Stadt in dieser Zeit eine dichte Besiedlung - soweit das bislang ergraben wurde - und es entstand die 8 Meter hohe Stadtmauer mit den markanten mächtigen Befestigungsanlagen und Bastionen.

Manfred Korfmann
sagt dazu:

Was den offenkundigen Aufschwung von Troia um 1700 v. Chr. betrifft, so liegt die Vermutung nahe, dass die Stadt damals begann, in dieses Geschöäft mit dem Gebiet am Schwaezen Meer stärker einzusteigen. Dies wäre somit der Auslöser für die "Troianische Hochkultur" - genau zu dem Zeitpunkt nämlich, an dem die assyrischen Karumsiedlungen mit ihrem Handel über Land aufhörten oder aufhören mussten.

(Manfred Korfmann, Troia als Drehscheibe des Handels im 2. und 3. vorchristlichen Jahrtausend, Stuttgart 2001)

Korfmann behauptet also genau das Gegenteil deines Statements und du wirst es mir nachsehen, dass er mir als renommierter Archäologe glaubwürdiger erscheint.
 
@Dieter,

das letzte, was ich wollte, wäre den grossartigen Korfmann zu kritisieren. Ich habe es begüsst, das endlich einmal ein grabungserfahrener Vorgeschichtler den klassischen Archäologen gezeigt hat, wos lang geht. Auch, wenn er beliebte, Hügelgräber zu tunneln, was seit hundert Jahren aus der Mode ist. Leider ist er viel zu früh gestorben.

Aber: Auch Korfmann kann sich auf keine minoischen Funde aus Troja berufen, gerade die Palaststilkeramik aus SM II, die man für so einen exponierten Handelsplatz voraus setzen möchte (es war die beliebteste Keramik dieser Zeit auf Kreta und wurde über die ganzen Kykladen verhandelt) liegt meines Wissens aus Troja nicht vor. Deswegen auch seine "Ausflucht" in den Schwarzmeerraum.
Was Korfmann damit sagen wollte, ist, dass die Verhältnisse dieser Zeit mit dem belegten, reichen Fernhandel im gesamten Ostägäis-Raum, einen wirtschaftlichen Aufschwung der Stadt am Hellespont erst möglich gemacht hätten. Und da gebe ich ihm Recht.

Aber: Nachweise für den Einfluss der Minoer fehlen. Woran könnte das liegen?

Kann man sich eine Stadt vorstellen, die vom wirtschaftlichen Aufschwung der Epoche profitiert, aber keine keramischen oder anderen Waren vom wichtigsten Importeur der Zeit einführt? Gibt es irgendetwas vergleichbares heute?

Wie immer stehen wir betroffen, der Vorhang zu und alle Fragen offen.

Wer immer das liest, soll mal eine Gedenkminute für Korfmann einlegen. Mit ihm hätten wir noch viel mehr Rätsel aus Troja lösen können, da bin ich sicher.

P.S.: Aus dem räumlich nicht weit entfernten Milet konnte Niemeyer zahlreiche minoische Funde präsentieren, weswegen es heute als Aussenposten der minoischen Kultur auf anatolischem Boden gilt.
 
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Aber: Nachweise für den Einfluss der Minoer fehlen. Woran könnte das liegen?

Kann man sich eine Stadt vorstellen, die vom wirtschaftlichen Aufschwung der Epoche profitiert, aber keine keramischen oder anderen Waren vom wichtigsten Importeur der Zeit einführt? Gibt es irgendetwas vergleichbares heute?

Wie immer stehen wir betroffen, der Vorhang zu und alle Fragen offen

Sicher ist, dass Troja keine arme Landstadt war, sondern eine für die damalige Zeit nicht unbedeutende Siedlung mit einer Herrscherdynastie auf der Akropolis. Ob der Hafen nur regionale Bedeutung hatte oder Handelsverbindungen im ganzen östlichen Mittelmeer unterhielt, scheint umstritten zu sein.

Auf jeden Fall gibt es archäologische Hinweise auf Kontakte mit Ägypten. So gibt es Bruchstücke von Fayencescheiben eines Megaronfußbodens, eine Perle sowie weitere Fayencefragmente. In Ägypten fehlen zwar Fundstücke zweifelsfrei troischer Herkunft, doch gibt es eine Reihe von Fundstücken, die das vermuten lassen.

Vgl. hierzu: Marcus Müller, Was wussten die Ägypter? Hinweise auf Handelsverbindungen mit Troia. in: Troia - Traum und Wirklichkeit, Stuttgart 2001
 
@Dieter,

das letzte, was ich wollte, wäre den grossartigen Korfmann zu kritisieren. Ich habe es begüsst, das endlich einmal ein grabungserfahrener Vorgeschichtler den klassischen Archäologen gezeigt hat, wos lang geht.

Vor allem hat er vielen die Augen geöffnet, was die Frage angeht: Wie interpretiere ich Befunde.
 
@hjwien: Ja. Aber kann ja mit jedem ordentlichen Ausgräber besser werden.
Mein Prof hat mal zu mir gesagt "Ein echter (klassischer!) Archäologe gräbt nicht". Da könnte was dran sein.
Aber hör nicht auf zu kritisieren.

@Dieter: Vielleicht öffnet es dir die Augen für die Bezüge zwischen Ägypten und Kreta, wenn du dir das Fresko von Avaris ansiehst. Ich halte zwar nicht viel von den Datierungen durch Bietak, weil er sehr konservativ an die Frage heran geht, aber der Fund an sich ist spektakulär.
Ein Stierkampffresko in kretischer Technik in einem Palast der Hyksos. Das ist bezeichnend. Niemand kann behaupten, dass bei diesen ("frühen") Seevölkern die Minoer nicht eine wichtige Rolle gespielt haben nach diesem Fund.
Aber inwiefern Troja dabei eine Rolle gespielt hat, kann ich wegen der spärlichen Funde einfach nicht sagen.
 
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Die Belege für eine Unterstadt sind ja auch dürftig, aber dennoch überzeugend für mich. Nach den Zerstörungen, die Schliemann auf Hissarlik angerichtet hat, ist es nicht verwunderlich, dass viele Elemente dieser Siedlung heute fehlen. Das muss man immer im Hinterkopf haben. Aber niemand würde eine Stadtmauer um eine komplett leere Fläche ziehen.

Ausserdem, auch wenn es etwas off-topic erscheint: Die keltischen Höhensiedlungen sind forschungsgeschichtlich bedingt auch meistens nur an der "Akropolis" oder im Zentrum ergraben worden. Man wollte halt immer wissen, wie die Chefs wohnen, weil ja auch Chefs die Grabungen bezahlen. Heute ist klar, dass viele dieser Siedlungen über ausgedehnte Vorsiedlungen verfügt haben, an der Heuneburg bereits jetzt über 20 Hektar. Und damit sind wir wohl noch nicht am Ende. Keiner kann sagen, was noch heraus kommt, wenn man auch bei anderen Siedlungen die Arbeiten über den eigentlichen Mauerring hinaus ausdehnt. Erste Ergebnisse zeigen sich ja beispielsweise am Glauberg, wo das Siedlungsgebiet heute - durch Grabungen belegt - auch um mindestens das dreifache, eher mehr, angestiegen ist. Mit der Zeit dehnt sich eben eine erfolgreiche Stadt über ihre Mauern aus, das hätten wir eigentlich von den mittelalterlichen Städten oder den römischen Heerlagern bereits ahnen können. Also: Traut derzeit keiner Bevölkerungsschätzung, diese beruhen wohl meist auf viel zu niedrigen Zahlen.

Aber wer wollte schon vor einigen Jahren wissen, wie die einfachen Leute wohnen und leben?
 
Ein Stierkampffresko in kretischer Technik in einem Palast der Hyksos. Das ist bezeichnend. Niemand kann behaupten, dass bei diesen ("frühen") Seevölkern die Minoer nicht eine wichtige Rolle gespielt haben nach diesem Fund.
Wie meinst Du das? Die Herrschaft der Hyksos über Ägypten war Jahrhunderte vor den Zügen der Seevölker. Dass die Minoer Kontakte mit Ägypten hatten, ist ohnehin anzunehmen und wird durch solche Funde bestärkt, aber das waren wohl rein wirtschaftliche und kulturelle Kontakte.
 
@tela: Ich auch nicht, aber leider hatte diese Position bis vor wenigen Jahren viel für sich. Erst mit der Zeit haben die klassischen Archäologen auch von der Grabungserfahrung profitiert, die sie durch die Vorgeschichtlichen Grabungen gewonnen haben. Der erste, der als echter, guter Ausgräber gelten muss, war schon Dörpfeld in Troja. Es waren ja nicht alle schlecht.
 
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